Die Welt - 05.11.2019

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DIE WELT DIENSTAG,5.NOVEMBER2019 GESELLSCHAFT 19


F


ast fünf Jahre lang war Mak-
boule Gefangene der Terro-
risten des Islamischen Staa-
tes. Wie ihre Mutter und ih-
re Schwester, wie Tausende
andere jesidische Frauen im Nordirak,
wurde sie als Gefangene des IS ernied-
rigt, vergewaltigt und geschlagen. Der
Völkermord an den Jesiden im Nordirak
im August 2014 hat seine Spuren bei den
Überlebenden der religiösen Minder-
heit hinterlassen. Makboule kam im Fe-
bruar dieses Jahres zwar frei, ist aber
schwer traumatisiert. „Die haben alles
mit uns gemacht“, sagt sie vor der Ka-
mera.
Die Filmemacherin Nuray Sahin er-
zählt in ihrem Dokumentarfilm „Ich
will Gerechtigkeit!“ die Geschichte der
Schwestern Makboule und Ekhlas Ba-
joo. Die Regisseurin begleitete Ekhlas,
der die Flucht aus der IS-Gefangen-
schaft nach Deutschland gelang, über
viele Monate. Herzstück des Films ist
die Begegnung von Ekhlas mit ihrer
Schwester Makboule in ihrer Heimat im
Nordirak. Die Deutschkurdin Nuray Sa-
hin wurde in Ostanatolien geboren und
lebt seit ihrem 15. Lebensjahr in Berlin.
Das Schicksal der Frauen zu verfilmen,
brachte einige Gefahren mit sich.

VON ANNA KRÖNING

WELT:Frau Sahin, Sie sind eigentlich
Spielfilmregisseurin, dies ist ihr ers-
ter politischer Dokumentarfilm. Was
bewegte Sie am Schicksal der jesidi-
schen Frauen?
NURAY SAHIN:Diese Frauen, die so
misshandelt wurden, sind unglaublich
stark, sie leben bewusst und viele sind
politisch aktiv. Ich habe im irakischen
Kurdistan für die Dreharbeiten mit so
vielen Frauen und Mädchen gespro-
chen, die alle in Gefangenschaft waren.
Ekhlas, die ich in Deutschland kennen-
gelernt habe, konnte nach sechs Mona-
ten aus der Gefangenschaft des IS flie-
hen. Sie hat Unfassbares erlebt, ihr Va-
ter wurde vor ihren Augen getötet, be-
vor sie selbst mit ihrer Schwester ver-
schleppt wurde. Als ihr die Flucht ge-
lang, schwor sie, alle Frauen zu rächen.
Sie ist heute 19 Jahre alt, doch sie ist so
reif, fast weise. Es ist, als würde man
mit einer 40-jährigen Frau sprechen.
Nun hat sie für ihre Schwester, die
schwer traumatisiert ist und ja gerade
erst nach fünf Jahren Gefangenschaft
befreit wurde, die Rolle des Familien-
oberhauptes übernommen. Ekhlas sag-
te: Sie haben versucht, uns kaputtzuma-
chen, aber wir sind noch stärker gewor-
den. Sie war eine der Ersten, die in der
Öffentlichkeit darüber berichtet hat,
wie die islamistischen Terroristen die
Jesiden versklavt, gefoltert und hinge-
richtet haben, nur weil sie keine Musli-
me sind. Ekhlas sagte, dass sie für Ge-
rechtigkeit kämpfen werde. Darum ha-
be ich sie für den Film ausgewählt.

Sie sind Alevitin und Deutschkurdin,
aufgewachsen in Ostanatolien, als
Teil einer Minderheit innerhalb der
türkisch-muslimischen Gemein-
schaft. Half Ihnen dies, einen Zugang
zu den Frauen zu bekommen?
Ja, ich denke schon. Ich war im Mai
2 014 noch vor dem Genozid des IS in
den kurdischen Gebieten im Irak. Die
Lebensweise der Jesiden faszinierte
mich, ihre Kultur und ihr Glaube. Die
Berglandschaft und die Tempel, die Si-
tuation, abgeschieden von den Musli-
men zu leben, all das erinnerte mich an
meine eigene Kindheit in Dersim. Ich
bin in engem Kontakt mit der Natur

aufgewachsen, was auch eine wichtige
Rolle für meine Religion spielt, in der
Menschen im Einklang mit der Natur
leben und es keine heilige Schrift gibt.
Als Kurdin und Alevitin weiß ich also,
wie es sich anfühlt, ausgegrenzt zu wer-
den. Ich erinnere mich noch, wie ich als
Siebenjährige einem muslimischen
Nachbarn an einem Feiertag eine Suppe
bringen wollte, die meine Mutter ge-
kocht hatte. Alle Nachbarn machten
das untereinander. Doch er wies mich
ab und sagte, er nehme nichts zu essen
von uns an, da es unrein sei. Ich habe
geweint und es nicht verstanden. Die-
ses Gefühl der Ablehnung, die mir so

grundlos erschien, werde ich nie ver-
gessen.

Wie kam es zu der Entscheidung, die-
sen Dokumentarfilm über die Jesidin-
nen zu drehen und ausgerechnet die-
se beiden Schwestern auszusuchen?
Ich habe mich immer schon zu den Jesi-
den hingezogen gefühlt, da unsere alevi-
tische Gemeinde und die Jesiden ähnli-
che Wurzeln haben. Ich wollte ihnen ei-
ne Stimme geben. Ich reiste im Mai 2014
in den autonomen kurdischen Teil des
Iraks, um mir ein Bild von der Situation
der Jesiden zu machen. Ich wollte die
Stimmen der Menschen hören, die dort

lebten. Ich filmte die Landschaft und
Menschen, habe viele schöne und auch
traurige Szenen festgehalten. Drei Mo-
nate, bevor ich dann zum zweiten Mal
hinfahren wollte, wurden diese Men-
schen, die ich wiedersehen wollte, vom
IS attackiert. Es war ein Schock für
mich. Danach fuhr ich dann mit einem
deutschen Team nach Shingal, um mit
den Frauen und Mädchen zu sprechen,
die sich aus der Gefangenschaft befrei-
en konnten.

Sie sind kurz nach der Tyrannei des IS
in die Stadt gefahren, um zu drehen?
Hatten Sie nicht Angst um Ihr Leben?

Bei den Dreharbeiten sind wir von IS-
Terroristen angegriffen worden. Wir
hatten großes Glück. Eine Handgranate
verfehlte uns um vielleicht 30 Meter.
Dies war der Moment, in dem ich ver-
standen habe, was Krieg ist. Jemand will
dich töten, obwohl er nicht weiß, wer du
bist. In den Tagen danach bin ich nur
noch geduckt gelaufen, ich war nicht
mehr aufrecht. Durch dieses Erlebnis
habe ich die Frauen, mit denen ich
sprach, noch besser verstanden.

AAAls Sie dann dieses Jahr wieder hinflo-ls Sie dann dieses Jahr wieder hinflo-
gen, mussten sie zuvor ein Sicherheits-
training bei der Bundeswehr machen.

Da ich 2019 im Auftrag des ZDF in den
Nordirak reiste, wurde ich dazu ver-
pflichtet. Das Training dauerte eine Wo-
che lang, mit dabei waren auch Kriegs-
reporter. Wir waren eine Woche lang
mit Kommandanten der Bundeswehr in
einem künstlich aufgebauten Dorf mit
Bunkern, haben Kriegsübungen ge-
macht und alles war authentisch insze-
niert. Am letzten Tag wurden wir für
fünf Stunden als Geiseln genommen. Ir-
gendwann konnte ich nicht mehr und
musste die Übung abbrechen.

Sie haben im Irak mit Frauen gespro-
chen, die unglaubliches Leid erfahren
haben. Wie gelang es Ihnen, ihr Ver-
trauen zu gewinnen?
Das ist schwer. Einige Frauen reden, aber
sie können keine Gefühle zeigen, nicht
weinen. Manche können auch gar nicht
üüüber ihre Erlebnisse sprechen. In Dohukber ihre Erlebnisse sprechen. In Dohuk
traf ich eine 14-Jährige, die in Gefangen-
schaft gewesen war. Ich klebte ihr das Mi-
krofon an den Körper. Sie zeigte keine Re-
gggung, war völlig starr bei der Berührung,ung, war völlig starr bei der Berührung,
wich nicht aus. Ich fragte mich die ganze
Zeit, was der Körper dieser Frau erlebt
haben musste. Sie konnte dann auch
nicht sprechen. Sie öffnete den Mund,
aaaber es kamen keine Worte heraus.ber es kamen keine Worte heraus.

Ist es nicht unglaublich schwer, das
Schicksal dieser Menschen mitzuerle-
ben? Die Jesiden leben weiterhin iso-
liert, bekommen kaum Hilfe von der
internationalen Gemeinschaft, ob-
wohl der Völkermord als solcher
anerkannt wurde.
Ja. Und es macht mich sehr wütend. Die
Jesiden in Dohuk leben heute noch im-
mer in provisorischen Camps in Zelten,
haben kein Dach über dem Kopf. Die Be-
dingungen sind unsäglich. Die Leute
dort können nichts tun, sie können nicht
mal Waren in den umliegenden Regio-
nen verkaufen, da ihre Nahrungsmittel
in der muslimischen Gemeinschaft als
unrein gelten. Es gibt keine Perspektive,
keine Aufgabe für die Menschen. Die Si-
tuation der Jesiden in den Flüchtlingsla-
gern wird immer elender. Als ich im Jahr
2 016 dort war und sie im Camp besuchte,
sind viele zu mir gekommen und berich-
teten, wie schlimm ihre Situation war.
Drei Jahre später redete keiner mehr da-
rüber, weil sie nicht damit rechneten,
dass ich ihnen helfen konnte. Es ist un-
fffassbar, dass die 300.000 Menschen inassbar, dass die 300.000 Menschen in
Flüchtlingslagern mit ihren Kriegstrau-
mata seit 2014 immer noch im Camp le-
ben müssen. Fast jeder möchte weg.
Nach Europa, Australien oder nach Ka-
nada. In Deutschland lebt die größte Di-
asporagemeinschaft der Jesiden.

Sie haben Ekhlas, die heute 19 Jahre
alt ist, über viele Monate begleitet
und für ihren Film mit vielen Frauen
gesprochen. Was hat Sie am meisten
berührt?
Im Irak waren die Dreharbeiten für uns
alle sehr emotional. Ekhlas war zu Hau-
se, war viel entspannter als in Deutsch-
land. Sie hat manchmal vergessen, dass
wir filmten oder überhaupt da waren.
Als wir in Lalisch im Tempel der Jesiden
waren, konnte sich auch endlich Mak-
boule entspannen. Die beiden Schwes-
tern haben sich erst im heiligen Wasser
gereinigt und konnten dann über alles
sprechen, was sie erlebt hatten. Irgend-
wann begann Makboule zu weinen. Eine
Stunde lang.

TDie 45-minütige Filmdokumentation
„Ich will Gerechtigkeit!“ läuft am
5. November um 23.25 Uhr im
TV-Sender 3sat in der Reihe „Ab 18“.

PRIVAT

„In dem Moment habe ich


verstanden, was KRIEG ist“


Tausende


Jesidinnen wurden


im Nordirak von


Terroristen


verschleppt und


gequält. Die


Filmemacherin


Nuray Sahin hat


zwei Schwestern


begleitet, die


Unfassbares erlebt


haben


I


mmer wieder wird es überlegt: das
Tempelhofer Feld in Berlin – 335
Hektar in bester Innenstadtlage,
da, wo einst ein Flughafen war – zu
bebauen, wenn auch nur ein biss-
chen. Angesichts von 300.000 Wohnun-
gen, die pro Jahr in der deutschen
Hauptstadt fehlen, wäre das vielleicht
keine ganz schlechte Idee? Ein leeres
Feld also.

VON KERSTIN ROTTMANN

Das hörte sich für mich, die ich aufs
Land gezogen bin, ja immer nach Weite
an oder nach Getreide, nach Fruchtfol-
gen, sprich nach etwas Produktivem,
das sich im Zeitenlauf verändert und
vielleicht auch mal Ernte trägt. Wenn
man dann aber wirklich hinfährt, auf
das Feld mitten in der Stadt, das mal ein
Flughafen war, dann ist es eine große
Enttäuschung. Zertretenes Gras, keine
Erhebung, kaum Bäume, kaum Sträu-
cher. Eine Brache, deren Schönheit sich
mir nie erschlossen hat. Aber okay.
Grillen kann man da und radeln und

Drachen steigen lassen. Das reicht den
Städtern offenbar schon zum Glück.
Damals, beim Volksbegehren 2014, als
ich mit meiner Familie noch in der
Hauptstadt lebte, habe ich für eine Be-
bauung gestimmt. Es erschien mir soli-
darisch, dass die, die schon da sind, das
Leben für die, die noch kommen (pro
Jahr ziehen 47.000 Leuten zu), ein biss-
chen leichter machen, zumal ein Mehr
an Wohnungen ja die Wahlmöglichkei-
ten für alle erhöht? Doch ich lag falsch,
eine Mehrheit lehnte eine Bebauung ab.
Die Vorschläge für die Nutzung des
Feldes habe ich mir damals auch ange-
sehen. Für eine gewisse Frist konnten
die Berliner auf einer Website nämlich
ihre Ideen einbringen. Es juckte mich in
den Fingern, auch einen Vorschlag zu
machen, etwas von Belang, etwas, das
dem Zeitgeist entspricht. Aber ich dach-
te: Komm, das machen sie alle schon
selber, etwa in Berlin-Kreuzberg, wo die
Grünen heute einen Wahlanteil von 32
Prozent haben. Aber niemand dachte
auch nur an die Energiewende, niemand
schlug beispielsweise die Installation ei-

nes Solarfeldes oder auch nur eines ein-
zigen (kleinen?) Windrads vor.
Die werden stattdessen lieber aufs
platte Land gestellt, und wenn Leute dort
sich dann beschweren, heißt es: Ihr seid ja
„Nimbys“. Nimby steht für „Not in my
backyard“. Gemeint sind damit Verweige-
rer, Menschen, die sich dem Fortschritt
oder dem allgemeinen Guten verweigern
und stattdessen nur an sich denken.
Ich kann diese Abwehrhaltungver-
stehen. Denn ich gehöre auch zu denen,
die unter Windrädern leiden. Nur
knapp einen Kilometer entfernt von un-
serem Haus drehen sich drei Anlagen.
Mittlerweile sind in der Nähe unseres
Dorfes – fünf Häuser, 17 Anwohner – so-
gar mehr als 16 Anlagen. Und dem-
nächst kommen noch sechs dazu.
Diese neuen Windräder werden mit-
ten in den Wald gestellt, der hier beson-
ders schön und wild wachsend ist, im
ehemaligen Tagebaugebiet. All diese
Anlagen sind laut. Ihr „Flappflapp“ ist
besonders im Herbst und Winter zu hö-
ren, wenn die Bäume keine Blätter tra-
gen. Sie sind aber nicht nur laut, son-

dern auch unschön, und das in einer Ge-
gend, die nach dem Ende der Braunkoh-
le auf Tourismus hofft. Komisch, in
klassischen Tourismusregionen
Deutschlands, im Süden etwa, muss ich
keine von Windrädern zerschnittenen
Landschaften sehen, während in Bran-
denburg nun schon 3825
Anlagen stehen.
Aber es geht ja beileibe
nicht nur um die Ästhetik.

Aber es geht ja beileibe
nicht nur um die Ästhetik.

Aber es geht ja beileibe

Die Mühlen schreddern
auch Vögel und Insekten,
und sie können ihre Umge-
bung US-Studien zufolge
um bis zu 0,24 Grad erwär-
men. In der chronisch hei-
ßen Lausitz ist das keine
gute Nachricht. Dazu
kommt noch, dass wir im
Osten Deutschlands mit die höchsten
Strompreise für Privatleute haben. Wa-
rum? Weil hier so viele Windräder ste-
hen und es kostet, den Strom von hier
abzutransportieren. Sprich: Wir Land-
bewohner ertragen die Belastungen und
müssen auch noch dafür zahlen.

AAAll das kann dem Berliner natürlichll das kann dem Berliner natürlich
nicht passieren. Bis heute stehen im
Stadtgebiet von Berlin gerade mal fünf
Windräder, von Biogasanlagen oder riesi-
gen Solarfeldern, die wir Landbewohner
ja auch noch sehen müssen, mal ganz zu
schweigen. In Berlin ist auch der Strom
billiger, und man wohnt
am liebsten zur Miete. Nur
1 5 Prozent der Wohnungen
in der deutschen Haupt-
stadt sind im privaten Ei-
genbesitz, das ist ein Mi-
nusrekord. Dabei ist auch
das Motto der Großstadt-
mieter längst das der Wa-
genburg. Neue Wohnun-
gen bauen? Not in my back-
yard, nicht in meinem Hin-
terhof, und schon gar nicht
aaauf unserem geliebten Tempelhofer Feld.uf unserem geliebten Tempelhofer Feld.
Eigentlich ist das genau dasselbe Ver-
halten, wie es den Leuten auf dem Land
vorgeworfen wird, mit einem kleinen
Unterschied: Dem Landbewohner ge-
hört das Haus, auf das nun das Windrad
seinen Schatten wirft, meistens. Er hat

also nicht nur eine empfindliche Wert-
minderung zu verkraften, sondern ist
im schlechtesten Fall sogar gefangen in
seiner Immobilie, weil sie dann auch
kein anderer kauft. Gesellschaftliche
Veränderungen zu fordern, die einen
nicht selber betreffen, das ist heutzuta-
ge leider ein beliebtes Spiel. Früher sag-
te mein Vater immer, wenn ich das Licht
ausschalten sollte: „Kerstin, der Strom
kommt nicht aus der Steckdose.“
In Berlin, denke ich mir manchmal,
glauben das aber noch immer viele.
Apropos: Demnächst kommt vielleicht
ein neues Volksbegehren, über die Be-
bauung eines Randstreifens am Tempel-
hofer Feld. Vielleicht werden dann ja
auch endlich Solaranlagen und Windrä-
der mitverhandelt? Den vielen Touris-
ten, die dort flanieren, könnte eine sol-
che Attraktion doch gut gefallen.

TWELT-Redakteurin Kerstin Rott-
mann, 50, arbeitet in Berlin und wohnt
in Brandenburg. Hier berichtet sie jede
Woche einmal über ihr Leben zwischen
zwei Welten.

Brandenburg: 3825 Windräder. Berlin: 5 Windräder


Habt Euch nicht so, die paar Anlagen! Das sagen Städter gerne zu Landbewohnern. Sie selber aber tragen die Belastungen der Energiewende leider kaum mit


Kerstin
Rottmann

STADT


LAND


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