Die Welt - 05.11.2019

(Brent) #1
Mohrings Annäherung an die Linke
überdauerte nicht einmal den Montag
nach der Wahl. Sowohl im Präsidium
der Bundes-CDU wie auch im Thürin-
ger Landesvorstand, der am Montag-
abend in Erfurt tagte, wurde dem vom
Wähler gerupften Spitzenkandidaten in
teilweise sehr hitzigen Debatten klarge-
macht: Mit der Linken regieren Christ-
demokraten auf keinen Fall.
Doch auch Mohrings Vorstoß bei
Lanz endete schnell im Nirwana. SPD
und Grüne, die der CDU-Chef für sein
„breites bürgerliches Bündnis“ bräuch-
te, lehnten die Offerte ebenso schnell
wie kühl ab. Ein „billiges Ablenken“ sei
Mohrings Manöver, sagte der Bundesge-
schäftsführer der Grünen, Michael Kell-
ner. Dass die CDU aus dem Wahlergeb-
nis einen Regierungsauftrag für sich ab-
leite, bezeichnete er als „ziemliche
Chuzpe“. Der Wahlsieger heiße Bodo
Ramelow, man wolle die rot-rot-grüne
Koalition auch mit einer Minderheitsre-
gierung unter dem Linke-Ministerpräsi-
denten fortsetzen.
Auch bei der Thüringer SPD ist keine
Bereitschaft zu erkennen, sich auf ein
sogenanntes Simbabwe-Bündnis unter
Mohrings Führung einzulassen. Die bis-
herige rot-rot-grüne Koalition habe
zwar im neuen Landtag keine Mehrheit
mehr, erklärte SPD-Landeschef Wolf-
gang Tiefensee. Das Wahlergebnis ma-
che aber deutlich, dass die Mehrheit der
Bevölkerung im Vergleich zu Mohring
weiter Amtsinhaber Ramelow als Minis-
terpräsidenten wolle.
Zudem ist zur Stunde noch immer
unklar, ob die FDP, die Mohring drin-
gend bräuchte, den Einzug in den Land-
tag überhaupt geschafft hat. Mit einem
amtlichen Endergebnis wird erst Ende
der Woche gerechnet, in vielen Wahl-

D


ie Sätze hatten es in sich.
„Eigentlich unfassbar!“,
twitterte der Thüringer
CDU-Bundestagsabge-
ordnete Tankred Schi-
panski am Donnerstag vergangener
Woche. „Keine Aufarbeitung des kata-
strophalen Wahlergebnisses ... aber
Zeit für den Besuch von Talkshows.
Keine Demut und Verantwortung für
fast zwölf Prozent Stimmenverlust. Ei-
ne bittere Show.“

VON CLAUS CHRISTIAN MALZAHN
AUS ERFURT

Die ungewöhnlich scharfe Attacke,
die Schipanski wenig später wieder
löschte, galt seinem Parteifreund Mike
Mohring. Der Thüringer CDU-Landes-
vorsitzende hatte am Abend zuvor in
der ZDF-Sendung „Markus Lanz“ einen
kühnen Plan vorgestellt. Nach der
Landtagswahl gehe es um die Frage, wer
„eine stabile Regierung“ bilden könne.
Er denke da an eine „Minderheit der
Mitte“, eine Koalition aus CDU, SPD,
Grünen und FDP, mit ihm als Minister-
präsidenten.
Zwei Tage zuvor hatte Mohring in ei-
nem Interview mit dem ARD-„Morgen-
magazin“ noch ganz andere Überlegun-
gen angestellt. Auf die Frage, ob er be-
reit sei, auch mit der Linken über eine
Regierung zu verhandeln, antwortete
Mohring: „Wir sind bereit für so eine
Verantwortung.“ Ihm seien „stabile Ver-
hältnisse wichtiger für das Land, als
dass es nur um parteipolitische Interes-
sen geht“. Man könne sich angesichts
der schwierigen Lage in Thüringen
nicht „in eine Ecke stellen“, sondern
müsse „Verantwortung übernehmen,
damit das Land weiter vorankommt“.

kreisen wird noch einmal ausgezählt,
weil das Ergebnis der FDP nur hauch-
dünn über der Fünf-Prozent-Hürde lag.
Mohrings politische Slalomfahrt
durch die vergangene Woche irritiert
Gegner und Parteifreunde gleicherma-
ßen. Freunde hat er sich damit weder im
Land noch im Bund gemacht. In Berlin
hatte man ihm geraten, den Ball erst
mal flach zu halten, schließlich sei Mi-
nisterpräsident Ramelow im Zugzwang.
Doch Mohring tat das Gegenteil.
Sein großer, populärer Kontrahent fuhr
dagegen erst einmal für ein paar Tage
in den Urlaub. Während Mohring
strampelte, legte sich Ramelow auf die
Couch und kommentierte das Gesche-
hen amüsiert über Twitter: „Darf ich
darauf hinweisen, dass die Wählerin-
nen und Wähler in Thüringen erwar-
ten, dass ich mich der Wahl im Thürin-
ger Landtag stelle und mir dadurch ei-
nen neuen Parlamentsauftrag als Mi-
nisterpräsident holen werde!“ Von
Nervosität keine Spur.
Dass Mohring für Thüringen eine Zu-
sammenarbeit mit der Linken ins Spiel
gebracht hatte, provozierte zudem um-
gehend innerparteiliche Gegenreaktio-
nen. Sein Fraktionsvize Michael Heym
warb in einem Interview für eine Öff-

nen. Sein Fraktionsvize Michael Heym
warb in einem Interview für eine Öff-

nen. Sein Fraktionsvize Michael Heym

nung zur AfD, die er explizit dem „bür-
gerlichen Lager“ zurechnete. Vor allem
westliche Parteifreunde reagierten ent-
setzt, forderten Heyms Ausschluss aus
der CDU.
Zwar findet Heyms Haltung auch in
anderen CDU-Landesverbänden wie
beispielsweise Sachsen Zustimmung.
Doch die Protagonisten einer Öffnung
zur AfD halten sich dort seit den Wah-
len vom 1. September sehr bedeckt und
tragen den Kurs von Ministerpräsident
Michael Kretschmer, eine Kenia-Koaliti-

on mit Grünen und SPD zu bilden, er-
staunlich diszipliniert mit. Dass der
Thüringer Heym es überhaupt gewagt
hatte, sich öffentlich derart zu äußern,
werten Insider deshalb vor allem als ra-

piden Autoritätsverlust von Mohring im
eigenen Beritt. In den Reihen der CDU
wird allerdings auch für möglich gehal-
ten, dass Heyms Vorstoß mit Mohring
insgeheim abgesprochen war. „Zwi-

schen die beiden passt eigentlich kein
Blatt“, sagt ein Christdemokrat aus der
Landespartei. Vor einem Jahr noch hat-
te Mohring Heym als Landtagspräsiden-
ten vorgeschlagen. Der Plan scheiterte,
weil Linke, SPD und Grüne den CDU-
Fraktionsvize als „zu rechts“ ablehnten.
Der Landeschef habe mit seinem
Schlingerkurs die Büchse der Pandora
geöffnet, heißt es nicht nur in Berlin. In
der Hauptstadt macht die Union zurzeit
eh keinen geordneten Eindruck; die
Vorsitzende angeschlagen, die Kanzle-
rin meist entrückt oder auf Reisen,
Friedrich Merz grantelnd an der Seiten-
linie, nie um eine Attacke auf die Kanz-
lerin verlegen. Der Slalomkurs und der
Streit in Thüringen haben dieses Chaos
noch verstärkt.
Viele fragen sich zudem, worauf
Mohrings Vorschläge eigentlich zielen –
und ob überhaupt eine Strategie dahin-
tersteckt. Denn auch ein Simbabwe-
Bündnis hätte im Thüringer Parlament
keine Mehrheit. Um zum Ministerpräsi-
denten gewählt zu werden, müsste
Mohring nach Lage der Dinge die Un-
terstützung der AfD in Kauf nehmen.
Das würde allerdings auch bei einer ge-
heimen Wahl nicht nur von der Linken,
SPD und Grünen als Tabubruch kriti-
siert werden, sondern auch die Union
bundesweit in eine Krise stürzen.
Der Plan würde außerdem nur dann
aufgehen, wenn Mohring sich der Stim-
men von CDU, FDP und AfD wirklich si-
cher sein könnte. Das aber ist keines-
wegs der Fall. Erstens zeigt die Ge-
schichte der Thüringer CDU, dass sich
in ihren Landtagsfraktionen immer wie-
der „Heckenschützen“ befunden haben,
die ihren Führungsfiguren in entschei-
denden Momenten die Gefolgschaft
versagten. So wurde beispielsweise die
Christdemokratin Christine Lieber-
knecht im Jahr 2009 erst im dritten
Wahlgang mit relativer Mehrheit zur
Ministerpräsidentin gewählt, weil ihr
CDU-Abgeordnete in der geheimen
Wahl die Stimme verweigert hatten.
Dass ausgerechnet die AfD-Fraktion,
die nun mit doppelter Stärke in den
Landtag einzieht, Mohring unterstüt-
zen wird, scheint sehr zweifelhaft. Meh-
rere AfD-Politiker hatten Mohring in
der Vergangenheit als „unwählbar“ be-
zeichnet, der AfD-Spitzenkandidat
Björn Höcke hatte Mohring im Wahl-
kampf als gewissenlosen Opportunisten
attackiert, der „nur an die Macht will,
egal wie“. Mohring wiederum hatte Hö-
cke kurz vor der Wahl einen „Nazi“ ge-
nannt; keine guten Voraussetzungen für
eine punktuelle Zusammenarbeit.
Von einem CDU-Ministerpräsiden-
ten Mohring würde die AfD politisch
auch nicht profitieren. „Je unregierba-
rer das Land, desto besser für die AfD“,
sagt ein ehemaliger Fraktionsmitarbei-
ter der AfD. Sollte Höcke sich ent-
schließen, neben Mohring und Rame-
low als dritter Kandidat für das Amt
des Ministerpräsidenten zu kandidie-
ren, wäre der Sieg des Linken sicher.
Eine Entscheidung darüber steht bei
der AfD noch aus.
Die unklare politische Lage in Erfurt
wird sich wohl erst in einigen Wochen
aufklären. In dieser Woche treffen sich
die neuen Fraktionen, bis zum 26. No-
vember muss sich der neue Landtag
konstituieren. Im Dezember könnte es
dann zur Wahl des Ministerpräsidenten
kommen. Falls nicht, macht die Regie-
rung Ramelow geschäftsführend weiter.
Das könnte Jahre dauern.

Verlaufen


auf der Suche


nach der


Mitte


Erst Planspiele für eine Kooperation


mit der Linken, dann Entwürfe einer


bürgerlichen Koalition ohne Mehrheit:


Thüringens CDU-Chef Mohring irritiert


seine Parteifreunde – mit Folgen für


die Union


Mike Mohring bei seiner Wahlkampftour durch die Kleinstadt Apolda

THOMAS MÜLLER

/WELT

4



  • :----Zeit:Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Zeit:-Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Zeit:-Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: ---Zeit:---Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Belichterfreigabe: Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe:
    Belichter: Farbe:Belichter: Farbe:Belichter:






DW_DirDW_DirDW_Dir/DW/DW/DW/DW/DWBE-HP/DWBE-HP
05.11.1905.11.1905.11.19/1/1/1/1/Pol1/Pol1CPASSLAC 5% 25% 50% 75% 95%

4 POLITIK *DIE WELT DIENSTAG,5.NOVEMBER


sollen. Die geplante Ausweitung der
DNA-Analyse dürfte dabei einer der um-
strittensten Punkte im Gesetzgebungs-
prozess werden. Nicht nur Linke und
Grüne fürchten, dass die neuen Polizei-
befugnisse zu Racial Profiling führen
könnten – pauschale Verdächtigungen
auf Grundlage äußerer Merkmale.
Schon heute dürfen Kriminologen am
Tatort gefundene DNA analysieren. Sie
können daraus etwa ableiten, welches
Geschlecht der sogenannte Spurenge-
ber hatte, und die Fahndung danach
ausrichten. Die Analyse von anderen
Merkmalen – etwa Haar-, Augen- und
Hautfarbe – ist hingegen bislang tabu.
Zu groß waren die Befürchtungen, be-
stimmte Personengruppen, etwa Dun-
kelhäutige, vorschnell zu verdächtigen.
Dass die Bundesregierung den Schritt
nun dennoch geht, erklärt sie mit der
„hohen Bedeutung“, die die Aufklärung
schwerer Straftaten habe. „Untersu-
chungen einer DNA-Tatort-Spur zur Er-
mittlung äußerlich erkennbarer Merk-
male eines Spurenlegers“ seien grund-
sätzlich geeignet, „die Ermittlungen vo-
ranzubringen und den wahren Sachver-
halt aufzuklären“, heißt es im Gesetz-
entwurf. Der rechtspolitische Sprecher

E


in paar Wochen nach dem Mord
an der Freiburger Studentin Ma-
ria L. im Herbst 2016 äußerte sich
der für die Ermittlungen zuständige Po-
lizeipräsident Bernhard Rotzinger in
der Presse. Seine Behörde stand unter
Rechtfertigungsdruck, weil sich die Er-
mittlung des Hauptverdächtigen so lan-
ge hingezogen hatte. Rotzinger deutete
an, dass auch veraltete Ermittlungsme-
thoden dafür verantwortlich seien.

VON RICARDA BREYTON

Wenn es der Polizei erlaubt gewesen
wäre, die gefundenen DNA-Spuren auch
auf Augen- und Haarfarbe des Tatver-
dächtigen zu analysieren, „hätten wir
sehr viel zielgerichteter vorgehen kön-
nen“, sagte Rotzinger damals. Er forder-
te die Bundesregierung auf, die gesetzli-
chen Grundlagen dafür zu schaffen. Nun


  • drei Jahre nach dem Mord – kommt die
    Politik seiner Forderung nach.
    In dieser Woche soll der Bundestag in
    erster Lesung über einen entsprechen-
    den Gesetzentwurf der Bundesregie-
    rung beraten. Er sieht eine Reihe von
    gesetzlichen Änderungen vor, die die
    Aufklärung von Straftaten vereinfachen


der SPD-Fraktion, Johannes Fechner,
konkretisierte die Pläne am Montag. Es
gehe darum, die Ermittlungsarbeit der
Polizei zu vereinfachen, sagte er – auch
als Folge der Erfahrungen des Freibur-
ger Mordfalls. Sorgen, dass man durch
die neuen Ermittlungsmethoden be-
stimmte Bevölkerungsgruppen stigma-
tisieren könnte, wies Fechner zurück.
„Das ist nicht der Fall.“ Schon heute
fahnde die Polizei aufgrund gezeichne-
ter Phantombilder nach Personen mit
einem bestimmten Erscheinungsbild.
Da diese Zeichnungen auf Zeugenaussa-
gen beruhten, seien sie ungenauer als
die DNA-Analysen.
Dennoch gibt es an den Plänen heftige
Kritik.„Wir lehnen die geplante Auswei-
tung der DNA-Analyse ab“, sagt Fried-
rich Straetmanns, rechtspolitischer
Sprecher der Linksfraktion. „Die Gefahr
eines Racial Profiling ist nicht von der
Hand zu weisen.“ Die Analysen seien zu-
dem „nicht hinreichend“ sicher. „Krimi-
nologen berichten uns, dass sie eine
zweifelsfreie Auswertung der DNA-Spu-
ren gar nicht vornehmen können.“ Ähn-
lich sieht es die Grünen-Fraktion. Die
Ausweitung der DNA-Analyse sei
„rechtsstaatlich bedenklich“, sagt die

Rechtsexpertin der Fraktion, Canan Bay-
ram. „Aus der DNA lassen sich die ge-
suchten Eigenschaften, die quasi die Er-
stellung eines Phantombildes ermögli-
chen sollen, nicht herauslesen.“ Die zur
Verfügung stehenden Analysemöglich-
keiten wiesen „derart große Ungenauig-
keiten“ auf, dass zu befürchten sei, „dass
Menschen falsch festgestellt werden und
es aufgrund dieser fehlerhaften Feststel-
lungen zu Diskriminierungen und Hetze
gegen Minderheiten kommen“ könne.
AAAuch die FDP warnt vor problemati-uch die FDP warnt vor problemati-
schen Folgen. „Durch eine solche Auswei-
tung würde stark in das allgemeine Per-
sönlichkeitsrecht eingegriffen“, sagt der
rechtspolitische Sprecher Jürgen Mar-
tens. „Die aktuelle Regelung wurde be-
wwwusst auf den persönlichkeitsneutralenusst auf den persönlichkeitsneutralen
Bereich beschränkt, unter anderem um
dem sogenannten Racial Profiling vorzu-
beugen.“ Darüber hinaus sei die Belast-
barkeit solcher Erkenntnisse selbst nach
Darstellung der Bundesregierung zweifel-
haft. Es sei zu befürchten, dass der Er-
mittlungserfolg sogar gefährdet würde.
Denkbar ist nach Darstellung des FDP-
Politikers, dass Tatverdächtige die Er-
mittler täuschen, indem sie etwa ihre
Haare färben. Die Auswertung der DNA-

Ausweitung der DNA-Analyse hingegen
grundsätzlich ab. „Das ist ein Tabu-
bruch, den wir ablehnen“, sagt Wendt
WELT. Das Erbgut eines Menschen zu
untersuchen stelle „einen erheblichen
Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht“
dar. „Dieser Eingriff steht einem abseh-
bar geringen Nutzen gegenüber. Ange-
sichts der hohen Fehlerquote bei der
Analyse von Haar- und Augenfarbe ist
ein Beitrag zum Ermittlungserfolg nicht
wahrscheinlich.“
Unterstützt wird die Bundesregie-
rung hingegen von der AfD. „Wir halten
die Ausweitung der DNA-Analyse für
überfällig“, sagt der rechtspolitische
Sprecher der Fraktion, Roman Reusch.
Die entlaste nicht nur die Polizei, son-
dern auch Verdächtige. „Bislang kam es
schon mehrfach vor, dass Tausende
Männer aufgefordert wurden, DNA-
Proben abzugeben, weil ein Vergewalti-
ger gesucht wurde.“ Mit einer DNA-
Analyse könne man die Zahl reduzieren.
Viel Zeit für die Diskussionen lassen
will die Bundesregierung offenbar
nicht. Nach Auskunft des SPD-Rechts-
experten Fechner soll das Gesetz schon
in den nächsten Wochen durch den
Bundestag gehen.

Erweiterte DNA-Fahndung weckt Ängste vor Racial Profiling


Die Bundesregierung will der Polizei erlauben, Genspuren auf Haut-, Haar- und Augenfarbe auszuwerten. FDP, Grüne und Linke warnen davor


Spuren nach der ursprünglichen Haarfar-
be wäre dann nutzlos.
Auch in der SPD-Fraktion weiß man,
dass die Trefferquoten nicht unbedingt
hoch sind. Manchmal ergebe die DNA-
Analyse nur eine Wahrscheinlichkeit von
60 Prozent, sagt Rechtsexperte Fechner.
Er geht davon aus, dass die Polizei die
Erkenntnisse für ihre Ermittlungsarbeit
dann nicht verwenden würde.
Bei der Gewerkschaft der Polizei (GdP)
wäre man über die neuen Befugnisse zwar
erfreut. „Eine erweiterte DNA-Analyse
kann den Werkzeugkoffer der polizeili-
chen Ermittler sinnvoll ergänzen“, sagt
der GdP-Bundesvorsitzende Oliver Mal-
chow. Voraussetzung dafür sei jedoch
„nicht nur eine verfassungsrechtlich ein-
wandfreie Regelung, sondern auch ein
wissenschaftlich ausgereiftes Vorgehen“.
Er fordere „eine gesunde Skepsis“ ein, be-
vor die Methode flächendeckend einge-
setzt werde. „Eine zu hohe Fehlerrate
oder eine zu ungenaue Bestimmung
könnten einerseits für vermeintlich Tat-
verdächtige einen großen Schaden bedeu-
ten, andererseits die Polizei sogar auf ei-
ne falsche Fährte führen.“
Philipp Wendt, Hauptgeschäftsführer
des Deutschen Anwaltvereins, lehnt die

© WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung DIE WELT -2019-11-05-ab-22 03009f56541eee0559ca00c1b1172d

UPLOADED BY "What's News" vk.com/wsnws TELEGRAM: t.me/whatsnws

Free download pdf