Neue Zürcher Zeitung - 01.11.2019

(Brent) #1

10 MEINUNG & DEBATTE Freitag, 1. November 2019


EINE AUSSTELLUNG MIT AUFNAHMEN VON IAN WILLMS IST BIS ZUM 9. APRIL 2020 IN DER COALMINE IN WINTERTHUR ZU SEHEN.

FOTO-TABLEAU

Wo Ölsand liegt,


sterben die Wälder 5/


Die kanadische Ölfirma Suncor hat sich denWald
zugerichtet wie eineTafel Schokolade: Quadrat für
Quadrat, Reihe fürReihe frisst dieFort-Hills-Ölsand-
mine das Grün weg. Die Gewinnung des teerhaltigen
Sandes imTagebau und die Extraktion des Bitumens
sind komplizierter und teurer als andereArten der
Ölförderung, und punkto Umweltschäden hält die
Methode denRekordin dieser Industrie. Die
grossflächigenRodungen und dieVerödung des
ausgebeutetenLandes, die derFotograf IanWillms
hier erschreckend ins Bild setzt, sind nur die
sichtbarsteFolge – dasVerfahren führt zudem zu
massiven CO 2 -Emissionen, gewaltigemWasserver-
schleiss und giftigenRestanzen in Böden und
Gewässern.Das Land zahlt einen hohen Preis für
einenWirtschaftszweig, der beträchtlichen Schwankun-
gen unterworfen ist;so sistierte Shell 2015 infolge des
Preiszerfalls ein Ölsandprojekt in Kanada und nahm
dabei Abschreibungen in der Höhe von rund 1,
MilliardenFranken in Kauf. Die EU hatte schon 2012
überlegt, ob das ausTeersand produzierte synthetische
Rohöl wegen der ökologischenFolgekosten als
«schmutziges Öl» deklassiert werden solle.Aber
obwohl Klimawandel und Umweltprobleme
mittlerweile weltweit wahrgenommen und breit
diskutiert werden, dürfte das kanadische Öl weiterhin
willige Abnehmer finden – jedenfalls solange Donald
Trump im Nachbarland das Zepter führt.

Fachhochschulen


Immer gleich artiger, aber noch nicht gleich wertig


Gastkommentar
von CHRISTINE BÖCKELMANN und ERIK NAGEL


Gleichwertig, aber andersartig – mit diesen Leit-
gedanken wurden in der Schweiz1995 dieFach-
hochschulen gegründet – formal aufAugenhöhe
mit den Universitäten. Gemeinsam mit der höhe-
ren Berufsbildung bilden die beiden Hochschul-
typen heute den tertiären Bildungsbereich, inner-
halb dessen von allen drei Institutionstypen Dif-
ferenzierung und Profilbildung gefordert werden:
Universitäten haben denAuftrag , Grundlagen-
forschung zu betreiben und entsprechend auszubil-
den. DieFachhochschulen haben eine berufsfeld-
bezogene und wissenschaftsbasierte Orientierung
und forschen und lehren «angewandt». Der Auf-
trag der höheren Berufsbildung ist auf die Qualifi-
zierung fürkonkrete Berufstätigkeiten fokussiert.
Naturgemässkommt es zwischen diesen Profilen zu
Überschneidungen.Auffällig ist jedoch, dass in Be-
zug auf diePositionierung vor allem dieFachhoch-
schu len kritisch betrachtet werden. Abwechselnd
wird gemunkelt,sie seien «Elfenbeintürme voll mit
Akademikern» und würden Dozierende mit zu we-
nig Praxisbezug beschäftigen, oder es wird ihnen
vorgeworfen, sie würden in das Tätigkeitsfeld der
höheren Berufsbildung vordringen. Dabei sind eine
MengePolemik und wenig Blick für systemische
Zusammenhänge im Spiel.


Das «Universitäre» als Leitprinzip


Realitäten sind vielschichtig. Die Entwicklung hin
zu einerWissensgesellschaft hat weltweit zumAus-
bau der Hochschulbildung als «Massensystem» ge-
führt.Ausgelöst durch diesen «academic drift»
wurde das «Akademische» zu einem wichtigen ge-
sellschaftlichen Leitprinzip und die etablierte Uni-
versität zu einerakademischen Leitinstitution, an
der sich Bewertungen ausrichten. Dies zeigt sich
zum Beispiel amRenommee-Vergleich zwischen
Nationalfonds-Forschungsprojekten und Inno-
suisse-Projekten oder zwischen Publikationen in
Zeitschriften zur Grundlagenforschung und sol-
chen in anwendungsorientierten Zeitschriften.
Durch die Universitäten als «Leitinstitutionen»
gelten Hochschulen dann als exzellent und beson-
ders förderungswürdig, wenn sie viel forschen.Dies
zeigt sich an den Standards vieler internationaler
Akkreditierungssysteme, die für alle Hochschul-
typen gelten, und ein Stück weit auch daran, dass
der Bund dasForschungsvolumen bei der Mittel-
zuweisung anFachhochschulen seit 2017 stärker ge-
wich tet.Mangels einer gesicherten und ausreichen-
den Forschungs-Grundfinanzierung sind dieFach-
hochschulendabei sehr viel mehr von Drittmitteln
abhängig als die Universitäten – und diese erhält
man in genügendemAusmass vor allem dann,
wenn man viel in möglichst «hochgerankten» wis-


senschaftlichen Zeitschriften publiziert und sich
in derWissenschafts-Community vernetzt. Praxis-
orientierung, Dienstleistungen oderVorträge für
die Praxis–wesentliche Leistungen derFachhoch-
schulen– si nd kaumrelevant.

Relevanz undVerwertbarkeit


Ebenfalls als weltweiterTrend müssen Hochschu-
len heute (zuRecht) vermehrtRechenschaft dar-
über ablegen, welcheRelevanz ihrTun für Gesell-
schaft,Wirtschaft undKultur hat und wofür man
ih re Leistungen brauchen kann. Dies führt dazu,
dass sich Universitäten zunehmend praxis- und an-
wendungsorientiert positionieren. Entsprechend
beanspruchen sie 2018 gemeinsam mit den bei-
den ETH rund 36 Prozent der Innosuisse-Mittel,
d. h. derFördermittel, die für wissenschaftsbasierte
Inno vationsprojekte zwischen Unternehmen und
Forschungspartnern bereitgestellt werden – das
klassischeFeld derFachhochschulforschung also.
Umgekehrtkonnten dieFachhochschulen 2018 ge-
rade einmal drei Prozentder Gelder des Schwei-
zerischen Nationalfonds akquirieren, obwohl die-
ser seit 2011 auch anwendungsorientierte Grund-
lagenforschung fördert.

Aufgrund des einheitlichenBachelor-Master-
Systems besteht im Bereich des Hochschulstudiums
kein kategorialer Unterschied mehr zwischen Fach-
hochschul- undUniversitätsabschlüssen, auch wenn
von FH-Bachelor-Absolventinnen und -Absolven-
ten z.T. Nachleistungen für Masterprogramme an
Universitäten erbracht werden müssen. Eine Dif-
ferenz bleibt primär dadurch erhalten, dass für
die meistenFachhochschul-Studienrichtungen der
Bachelor alsRegelabschluss gilt, an den Universi-
täten jedoch der Master.
Universitätsstudiengänge sind seit der Bolo-
gna-Reform deutlich strukturierter geworden und
richten sich vermehrt ankonkreten Berufsbildern
aus – wie diejenigen vonFachhochschulen. Umge-
kehrt wurde die Arbeitswelt in ihren Ansprüchen
«akademischer», indem Mitarbeitende in unstruk-
turierten, offenen Arbeitsfeldern methodisch ein-
wandfreie Entwicklungsarbeit leisten sollen. Dies
resultiert in einer verstärkten Methodenausbil-
dung innerhalb derFachhochschulstudiengänge,
was bisher primär den Universitäten zugeschrie-
ben wurde.Weiter ist in einigen Branchen und
Grosskonzernen eine Promotion auch ausserhalb
de r Hochschulen laufbahnfördernd, wodurch der
Druck auf FH-Absolventinnen und -Absolventen
steigt, ebenfalls diesen Qualifikationsschritt anzu-
streben.Auch darauf müssen sich dieFachhoch-
schulen einrichten.
Seit einiger Zeit setzen sichVertreter der höhe-
ren Berufsbildung dafür ein,dassdie von ihnen
verliehenen Abschlüsse als «ProfessionalBache-
lor» bezeichnet werdenkönnen und damit eben-
falls Eingang in dieSystematik akademischerAb-
schlüsse finden. Dies wurde vom Nationalrat zwar
abgelehnt. Dennoch ist bei einigen Institutionen
die Bezeichnung«ProfessionalBachelor Odec» zu
finden oderdie Aussage, man verleihe einen dem
Bachelor gleichwertigen Abschluss. Der Druck auf
Angleichung ist offensichtlich auch hiergross.
Weiterbildungsangebote sind generell stark
darauf ausgerichtet, für dieTeilnehmenden einen
praktischen Mehrwert zu schaffen.Damit ist es
nicht verwunderlich, dass sich dieWeiterbildungs-
prog rammevon Universitätenhinsichtlich ihrer In-
halte, des Lern- und Entwicklungsanspruchs sowie
der Zielgruppen nichtwesentlich von denjenigen
von Fachhochschulen unterscheiden. Die Univer-
sitäten betonen in derAusschreibung ihrer Ange-
bote den Anspruch anWissenschaftlichkeit zwar
etwas deutlicherals dieFachhochschulen. Die
meisten würde man aufgrund ihrer Anwendungs-
orientierung aber eigentlich einerFachhochschule
zuschreiben. Die vom Gesetzgeber intendierte Pro-
fildifferenzierung ist kaum erkennbar. Dabei pro-
fitieren die Universitäten davon, dass bei jedem
Zer tifikat nicht nur der praktische Nutzen ent-
scheidend ist,sondern auch die gesellschaftliche
Reputation der Institution, die es ausstellt. In der

gleichen Situation stehenWeiterbildungsangebote
der höheren Berufsbildung gegenüberdenjenigen
der Fachhochschulen.

Wenn gleich, dann bitte richtiggleich


Die sich vollziehendeKonvergenzinsbesondere zwi-
schen den beiden Hochschultypen kann zu einer zu-
nehmendenAuflösung klarer Profile führen. Die
Intervention kann nun aber nicht darin bestehen,
innerhalb der vorhandenen multiplen Dynamik die
Fachhochschulen aufzurufen, sich nicht zu «akade-
misieren» (wasauchimmer damit gemeint sein mag).
Dies ist wederrealitätsnah noch sinnvoll. Es würde
die notwendige Entwicklung des Bildungsstandorts
Schweiz zurückbinden, der zunehmend auch inter-
nationalkompetitiv sein muss.Alle tertiären Insti-
tutionen sind gefordert, sich für ein Berufsfeld zu
qualifizieren,allerdings mit unterschiedlichen Profi-
len und je nachFachbereich mit unterschiedlich ver-
laufenden Grenzen zwischen den Institutionstypen.
In derForschung ist die bisherige stereotype Dif-
ferenzierunghinfällig.Beiderausdifferenziertenund
sich angleichendenForschungspraxis sind dieFach-
hochschulen allerdings strukturell, finanziell und in
Bezug auf ihre Reputation deutlich benachteiligt.
BeimKonkurrenzkampf umForschungsmittel lau-
fen sie Gefahr, die Forschungspraxis der Universitä-
ten nachzuahmen. Sie sollten stattdessen so ausge-
stattet werden, dass sie ihr anwendungsorientiertes
Profil weiterentwickeln und Lehre undForschung
als Einheit entwickelnkönnen.In derWeiterbildung
ist die Differenzierung zwischen den Institutions-
typen anspruchsvoll, weil die Angebote per se an-
wendungsorientiert ausgerichtet sein müssen. Die
Hochschulen müssen allerdings klar ihrenAnspruch
eines wissenschaftsbasierten Lernens einlösen, und
die höhere Berufsbildung sollte ihr erfolgreiches
praxisorientiertes Profil pflegen. Schliesslich sollten
alle drei Institutionen an unkompliziertenPasserel-
len arbeiten, um den steigenden Qualifizierungsbe-
darf bedienen zukönnen und unterschiedlichste Bil-
dungsverläufe zu ermöglichen.
Momentan sind dieFachhochschulen «stuck in
the middle» – zwischen den traditionell höher ange-
sehenen und gleichzeitig besser ausgestatteten Uni-
versitäten, die zunehmend in ihrenFeldern tätig wer-
den , und einer politisch aufgewerteten höheren Be-
rufsbildung. Dies führt aufDauer zu einer – für alle
Anspruchsgruppen – unbefriedigendenKonflikt-
situation und Profilkonvergenz. Zukunftsweisend
wäre, die finanziellenAnreize so zu setzen,dass sich
die jeweiligen Institutionen entlang ihrer ureigenen
Profile entwickeln und vor allem in derForschung
beide Hochschultypen bezüglich derRessourcen-
ausstattung vollständig angleichen.

Christi ne BöckelmannistDirektorin undErikNagel Vize-
direktorder Hochschule Luzern– Wirtschaft.

Fachhochschulen


stecken im Sandwich


zwischen den angeseheneren


Universitäten und der


politisch aufgewerteten


höheren Berufsbildung.


Dies führt zu Konflikten.

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