Neue Zürcher Zeitung - 01.11.2019

(Brent) #1

26 WIRTSCHAFT Freitag, 1. November 2019


Ein bescheidener Wettkämpfer


Der PSA-Chef Carlos Tavares hat bewiesen, wie man rasch und erfolgreich mit neuen Situationen umgeht


HERBIE SCHMIDT


In Zeiten hoherAufwände zur Einhal-
tung immer strengerer Emissionsgrenz-
werte und bei der Entwicklung von
elektrifizierten und teilautomatisierten
Fahrzeugen ächzen die meistenAuto-
hersteller. Nichtso die Groupe PSA
unter der Ägide des CEO CarlosTava-
res, der für 2018 sowie das erste Halb-
jahr 2019 Rekord gewinne derKern-
markenPeugeot, Citroën und DS ver-
meldenkonnte und denTurnaround
bei Opel in nur zweiJahren bewerkstel-
ligte – eine beeindruckende Leistung.
Wer aber ist dieser neue Held der
Autoindustrie, der nun auch dieFusion
mit Fiat Chrysler als CEO zum Erfolg
bringen soll?


Er tickt wie einFranzose


Wer den 61-jährigenPortugiesenkennt,
sieht vor allem denFranzosen in ihm.
Das kommt nicht von ungefähr, wurde
er dochals Sohn einesFranzösischleh-
rers in Lissabon geboren. Er studierte
an der Ecole Centrale inParis, einer der
renommiertesten Ingenieurs-Schmie-
den Frankreichs.1981 trat erals23-Jäh-
riger seine erste Stelle beiRenault an,
im Designteam. In derFolge arbeitete
si ch Tavare s beiRenault und Allianz-
partner Nissan stetig voran und erhielt
2009 seine erste grosseFührungsposi-
tion als Leiter der Nord- und Südame-
rikageschäfte bei Nissan.AusdieserZeit
stammt das tiefeVerständnis für den
amerikanischenAutomobilmarkt.2013
berief derRenault-Chef Carlos Ghosn
den Portugiesen als seinen Stellvertreter
und COO zuRenault. Doch in der Zeit
unter Ghosn gelang esTavare s nicht,
seine Geschäftsgrundsätze im Unterneh-
men durchzusetzen. Immerhin bekam
er durch seinenAufstieg in der Allianz
Renault-Nissan das Angebot vomKon-
kurrentenPeugeot-Citroën, die Nach-
folge von PhilippeVarin anzutreten.
Bei PSA setzteTavare s seinRezept
aus Kosten- und Kapitalkontrolle, Dis-
ziplin beiVertrieb und Preisstruktur so-
wie Vereinfachungkomplexer Abläufe
durch, das er bereits beiRenault mit Er-
folg praktiziert hatte.Analytiker rühmen
seineFührungsqualitäten und seine Art,
die Mitarbeiter zumotivieren. Er g ibt
sich sehr direkt und geht selbst mit gutem
Beispiel voran.Auf Geschäftsreisen
fliegt er Economy und wohnt in Bud-
get-Hotels. Privat nimmt er nicht denFir-
menjet, sondern fährt wenn immer mög-
lich imeigenenAuto.Bei seinem lang-
jährigen Hobby, dem Motorsport, ister
diszipliniert und bescheiden. Und doch
lässt er stets durchblicken, dass ihn der


Reiz desWettbewerbs auch privat an-
treibt. Diesen Geist hatTavare s auch in
die GroupePSA eingebracht.Dank ihm
glaubt manbei PSA an den Erfolg, was
zuvor lange nicht derFall war. Der Kon-
kurrenzkampf mitRenault ist neu ent-
brannt. Unter anderem hat er vierFüh-
rungstalente abgeworben.

Vieles erinnert an Marchionne


Viele Beobachter erinnert der starke
Mann an der PSA-Spitze an den 20 18
verstorbenen Lenker desFiat-Chrysler-
Konzerns Sergio Marchionne. LautAna-

lytikern ist eine seiner grössten Stärken
die Besinnung auf den Charakter der
französischenAutogruppe mit ihren
eigenen Stärken und Schwächen. Seine
Geschäftsführung zeigt, dass es oftmals
mehr Sinn ergibt,eine Modellreihe ganz
zu streichen, anstatt für deren steigende
Verkaufszahlen übermässige Anstren-
gungen in Kauf zu nehmen.Die Gesamt-
palette der betreffenden Markewird
so deutlich gestärkt. Dies unterschei-
det Tavare s von seinenVorgängern, die
durch ihr unflexibles Handeln nach der
Automobilbranchenkrise von 2008 eine
Schwächeperiode auslösten.

Eines der Grundprinzipien von Car-
los Tavare s ist denn auch dieAdaptions-
fähigkeit.«Wir sind beweglich, weil wir
als PSA eine Nahtoderfahrung durch-
gemacht haben», sagte er kürzlich am
Autosalon Genf. «Wir sindDarwinisten.
Wir wissen, dass das Überleben unseres
Unternehmens mit derFähigkeit verbun-
den ist, uns anpassen zukönnen.» Diese
FlexibilitätdürfteTavare snach dem Zu-
sammenschluss von PSA mitFiat Chrys-
ler Automobiles(FCA)von derFüh-
rungsmannschaftder Vielzahl vonAuto-
marken erwarten, und so dürfte die Luft
in den Chefetagen beiFiat, Chrysler,
Jeep, Dodge, Ram, SRT, AlfaRomeo,
Maserati undLancia deutlich auffrischen.
Vor dem Zusammenschluss der bei-
den Konzerne bleiben noch ein paar
PSA-Baustellen für CarlosTavare s: Die
Verkaufszahlen in China sind stark zu-
rückgegangen, diePartnerschaft mit
Dongfeng Motors ist infrage gestellt.
Auch im Nahen Osten und in Südame-
rika schwächelt der französischeKon-
zern, und die ausgegründete Luxus-
marke DS ist noch nichtauf Erfolgskurs.
Tavare s wird zu priorisieren wissen und
sich der Bewältigung dieser Nebenkri-
sen zur gegebenen Zeit stellen.
«Reflexe», Seite 34

Shell und BP


üben den Spagat


GrüneTechnologien
zwischen Kosten und Rendite

BENJAMIN TRIEBE, LONDON

Freunde werden die Klimaaktivisten von
ExtinctionRebellion und die Manager
der grossen Erdölkonzerne wohl nicht
mehr.Doch eigentlich müsste laut Brian
Gilvary, dem Finanzchef von BP, alles gut
sein: 80% der Ziele der Aktivisten seien
auch die Ziele des britischen Unterneh-
mens, sagte Gilvary in dieserWoche
im Nachgang der vorgelegten Quar-
talszahlen.Das fügt sich nahtlos ein in
die Charmeoffensive, mit der die Erd-
ölkonzerne derzeit ihregrüne Seite be-
tonen. Benvan Beurden, Chef der bri-
tisch-niederländischen Royal Durch
Shell, tat dies Anfang Oktober auf der
Londoner Branchenkonferenz «Oil and
Money», die in Anerkennung des neuen
Zeitgeistes künftig «Energy Intelligence
Forum» heissen wird.«Oil and Money» –
genau darum geht es allerdings bei dem
Übergang zu einem Energiezeitalter mit
weniger umweltschädlichen Emissionen,
wie van Beurden herausstrich. Öl, weil
die Menschheit auch in denkommen-
den Jahrzehnten nicht auf fossile Ener-
gieträger verzichten kann. Und Geld,
weildie Investitionen in umweltfreund-
lichere Energietechnologien zunächst
vor allem Geldkosten,das dieKonzerne
mit dem traditionellen Erdöl- und Erd-
gasgeschäftverdienen.
Dortkennen sie sich aus: DerRohöl-
preis ist seit Ende Mai deutlich gefal-
len, aber beidebritische Riesen haben
demonstriert, wie man daraus das Beste
macht. Zwar gingen die Gewinne im
dritten Quartal wegen des Preiszerfalls
jew eils deutlich zurück – bei Shell um
15% auf 4,8 Mrd. $, wie am Donnerstag
bekanntwurde, und bei BP gar um41%
auf 2,3 Mrd. $. Dennoch fielen die Zah-
len deutlich besser aus, als Experten er-
wartet hatten. Stär kereErgebnisse bei
Herstellung undVerkauf vonraff inierten
Erdölprodukten und beim Handel be-
grenztendie Einbussen. Shell profitierte
auch von dem ausgebauten Geschäft mit
verflüssigtem Erdgas (LNG).Analytiker
von Bernstein zählen die Unternehmen
zu ihren Lieblingen in der Branche.
Aufgrund des heftigen Gegenwindes
werden Shell und BP nicht müde,ihre
Absicht zur deutlichen Reduktion der
Treibhausgase ihres Produktmixes zu be-
tonen. Shell setzt dabei stark auf das im
Vergleich mit Erdöl umweltfreundlichere
Erdgas. Ausserdem hebendie Unterneh-
men die Investitionen in grüneTechnolo-
gien hervor. Shell steckt Geld in erneuer-
bare Energien, darunter auch Biotreib-
stoffe, und möchte zu einemglobal ton-
angebenden Stromerzeuger werden. BP
investiertin Windkraft,Solar,die Spei-
cherung vonKohlendioxid und dieAuf-
ladung batteriebetriebenerAutos. Nach
Angaben derRating-Agentur Moody’s
machen dieseAusgaben bei Shell be-
reits 10% der Gesamtinvestitionen aus,
bei BP nur rund 3%. Allerdings streicht
auch Shell hervor, dass die Investitio-
nen in neue Energien sich selbst tragen
müssen.Das sollab dem Jahr 2030 gelin-
gen. Die Zeitspanne bis zurRentabilität
illustriert den Spagat,den dieFirmen ein-
gehen müssen:Das profitableErdöl- und
Erdgasgeschäft erlaubt dieAusschüttung
hoher Dividenden sowie Aktienrück-
käufe, auf die einTeil der Anteilseigner
nicht verzichten möchte. Ein andererTeil
desAktionariats drängt auf einen schnel-
lerenWandel und ist bereit, dieRendite
zurückzustellen. Shell hat imFrühjahr
lautstark den neuen Kurs verkündet,
versichert seither aber den Aktionären,
die Rendite der neuen Energieprojekte
müsse mindestens 8% betragen.
BP erhält imFebruar 2020 mit Ber-
nardLooney einen neuen Chef,der an-
stelle von BobDudley denKonzern
durch die Energiewende führen soll. Im
Sommer dürfte Looney seine Strategie
vorstellen.Dann wird sich auch zeigen,
ob BP die Emissionen, die durch den
Verbrauch der Erdöl- und Erdgaspro-
dukte bei denKunden entstehen, in die
eigenen Reduktionsziele einschliesst,
und nichtnur durch dieFörderung und
Produktion – so, wie Shell es heute be-
reits tut.Und ob BP Shell darin folgt, die
Managervergütung an die Erreichung
der Ziele zukoppeln.

Malaysias Obergauner zahlt und kommt davon


Der Architekt des 1MDB-Debakels schliesst einen Vergleich mit dem US-Justizministerium und bleibt im Untergrund


MANFRED RIST, SINGAPUR


Die amerikanischeJustiz hat einenVer-
gleich mit dem Hauptverdächtigen in
einem der grösstenKorruptionsaffären
geschlossen. Im Zugedes Kompromis-
ses einigt sich das Department ofJustice
mit dem mutmasslichen Drahtzieher des
1MDB-Skandals, dem malaysischen Ge-
schäftsmann Jho Low, auf die Zahlung
von knapp1Mrd.$. Es handelt sich um
die grössteVereinbarung, die die US-
Behörden imRahmen der «Kleptocracy
Ass et Recovery Initiative» geschlossen
haben. Mit dem Programm sollen ge-
stohlene Gelder undVermögen blo-
ckiert und in die betreffendenLänder
zurückgeführt werden.
Jho Low ist seitüber dreiJahren auf
der Flucht und gilt als Architekt des
Staatsfonds-Betrugs. Laut neusten In-
formationen hält er sich derzeit in den
Vereinigten Arabischen Emiraten auf.
Dort hat er angeblich «Asyl» erhalten,
weil er in Malaysia nach demRegie-
rungswechsel nach eigenen Angaben
keinen fairen Prozess erhalten würde.


Jho Low gilt als gerissener Ober-
gauner, der seineKontakte zum sau-
dischenKönigshaus und zum früheren
malaysischen Machthaber NajibRazak
geschickt ausnutzte. Mit Bluff, Bezie-
hungen und einem raff iniertenSys-
tem gelang es ihm, unter Mithilfe von
Geldhäusern wie Goldman Sachs am
Kapitalmarkt 6,5 Mrd.$ für 1MDB zu
beschaffen. Später wurden aus diesem
Staatsfonds rund 4,5 Mrd. $ abgezweigt,
die entweder zweckentfremdetange-
legt wurden oder verschwanden.Auch
für Goldman Sachs und einige der da-
mal s federführenden Manager hat das
1MDB-Debakel juristischeFolgen in
den USA, die ins Geld gehen dürften.
Die Forderungen,welche die US-Jus-
tiz gegen Jho Low seit 2016 gelt end ge-
macht hat, belaufen sich auf 1,7 Mrd. $.
Dieser liess am Donnerstag über einen
seiner Anwälte mitteilen, dass er die
Einigung als «historisch» betrachte.
Über dieseWortwahl liesse sich strei-
ten: Die Summe liegt zwar 40% unter
den ursprünglichenForderungen, be-
deutet aber inkeiner Weise,dass das

Verschulden von Jho Low als gerin-
ger eingestuft wird. Zudem bleiben die
Anklagepunkte wegenKorruption und
Geldwäscherei bestehen. Garkeinen
Einfluss hat derVergleich auf die Straf-
verfolgung,die Jho Low bei einer allfäl-
ligenRückkehr oderAuslieferung nach
Malaysia erwarten würde.
Die Einigung mit dem Department
of Justice umfasst Assets wie Luxus-
immobilieninBeverly Hills, New York
und London sowieFirmenbeteiligun-
gen,darunter eine 100-Mio.-Investition
in EMI Music Publishing; derenWert
soll sich in den vergangenenJahren
vervierfacht haben, womit bereits fast
die HälftedesVergleichs erreicht wäre.

Zu den 2016 beschlagnahmtenWer-
ten zählen ferner Gemälde von Picasso
und van Gogh,Juwelen und Edelsteine
sowie ein Privatjet. Eine Luxusjacht,
die ebenfalls zur «Konkursmasse» von
1MDB gehört, ist angeblich über 1 20
Mio.$wert.
Die Einigung, die noch von einem
US-Gericht bestätigt werden muss, be-
endet eine Phase derRechtsunsicher-
heit, die seit der Beschlagnahmung
von Vermögenswerten in den USA
herrschte; für beide Seiten fallen da-
mit auch Anwaltskosten weg, die sich
eventuell jahrelang angehäuftund hin-
gezogen hätten. Jho Lows Geschäfts-
partner Riza Aziz, der Stiefsohn des
früheren malaysischen Premierminis-
ters Najib, schloss schon im März 20 18
einen ähnlichenVergleich mit der US-
Justiz ab. Dabei ging es um 60 Mio.$.
Aziz hatte mit 1MDB-Geldern 2013 das
FilmstudioRed Granite Productio ns
und den späteren Kassenschlager«The
Wolf of Wall Street» finanziert.Auch in
diesemFall sind aber mehrere Klagen
wegen Geldwäsche hängig.

«Wir sindDarwinisten.»DerPortugiese CarlosTavares vonPeugeot und Citroën hat klare Prinzipien. SIMON DAWSON / BLOOMBERG

Jho Low
Malaysischer
PD Geschäftsmann

Weltnummer 4 als Ziel


(dpa)·Die Opel-Mutter PSA und
Fiat Chrysler wollen den viertgröss-
ten Autohersteller derWelt schmie-
den, wie sie am Donnerstag bestätigten.
Der neueKonzernkönne 8,7 Mio.Fahr-
zeuge proJahr absetzen. Nur noch VW,
Toyota und derRenault-Nissan-Ver-
bund wären grösser als der neueAuto-
gigant. Er käme auf einenJahresumsatz
von 170 Mrd. € und einen jährlichen Be-
triebsgewinnvon mehrals 11 Mrd.€.Be-

schä ftigt würden rund 400000Mitarbei-
ter. Die Märktereagierten uneinheitlich
auf die Ankündigung. Die FCA-Papiere
legten zu, während die PSA-Aktien kräf-
tig nachgaben. Die Aktionäre beider
Konzerne sollen je 50% an dem neuen
Konzern erhalten. Die FCA-Aktionäre
sollen zusätzlich eine Dividende von
5 Mrd.€ bekommen, die Peugeot-Aktio-
näre eine Beteiligung von 46% am fran-
zösischen ZuliefererFaurecia.
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