Süddeutsche Zeitung - 08.11.2019

(lily) #1
von willi winkler

W


enn sie die Kinder aus Salzburg
und aus Wien brachten, mit
schlechten Noten, ungebärdig
oder vielleicht bloß lästig, nahm er sie gern
in seine Schule auf. Am Altausseer See war
die Luft gut, die Berge strahlten so schön,
und bei entsprechendem finanziellen Ein-
satz der Eltern musste bei ihm niemand sit-
zen bleiben. Schon Hofmannsthal und
Schnitzler waren hier zur Sommerfrische
gewesen, Sigmund Freud nahm den Spa-
zierstock und wanderte hoch hinauf in die
Berge. Nirgendwo sonst in Österreich konn-
te Mahler wegen Alma so unglücklich sein.
Als der junge André Heller von Wien
kommend zum ersten Mal das Klassenzim-
mer in Bad Aussee betrat, warnte der Direk-
tor die Mitschüler vor dem Neuen: „Das ist
der Heller, setzt euch nicht neben ihn, der
hat böses Blut.“ Der Schulleiter kannte sich
aus, mit gutem wie mit bösem Blut: „Er
meinte wohl meinen jüdischen Anteil an
meinen Chromosomen“, wie sich André
Heller später an Wilhelm Höttl erinnerte.
Wilhelm Höttl hatte 1952 seine Privat-
schule erst gegründet, nachdem seine SS-
Karriere zu Ende gegangen war. Als enger
Mitarbeiter von Ernst Kaltenbrunner, dem
Chef des Reichssicherheitshauptam-
tes(RSHA), wusste Höttl, wie die Gestapo
arbeitete. Noch vor Kriegsende war er in
die Schweiz gereist und hatte sich dem
CIC- und späteren CIA-Chef Allen Dulles
als Mitarbeiter angedient. Der Einsatz zahl-
te sich aus. Zum Kriegsverbrecherprozess
in Nürnberg kam SS-Obersturmbannfüh-
rer Höttl nicht als Angeklagter, sondern als
Zeuge. Höttl wusste Bescheid, zum Bei-
spiel darüber, wie seine SS in Budapest die
Juden zusammengetrieben und nach
Auschwitz befördert hatte.


In Nürnberg verriet Höttl ein „Reichsge-
heimnis“, das ihm Adolf Eichmann angeb-
lich anvertraut hatte, nämlich das ganze
Ausmaß des Judenmords: „In den verschie-
denen Vernichtungslagern seien etwa vier
Millionen Juden getötet worden, während
weitere zwei Millionen auf andere Weise
den Tod fanden, wobei der Großteil davon
durch die Einsatzkommandos der Sicher-
heitspolizei während des Feldzuges gegen
Russland durch Erschießen getötet wur-
de.“ Wegen seiner Beteiligung an der De-
portation der Budapester Juden verlangte
Ungarn 1961 Höttls Auslieferung, die Öster-
reich aber nicht gewährte; die Heimat hat-
te ihn bereits begnadigt.
Allen Dulles bezeichnete Höttl als „ge-
fährlichen Nazi“, doch als im „Amt Blank“,
aus dem das bundesdeutsche Verteidi-
gungsministerium hervorging, ein militäri-
scher Geheimdienst aufgebaut wurde, be-
kam Höttl wieder zu tun, diesmal in der be-
ginnenden Demokratie der Bundesrepu-
blik. Der Spion tarnte sich als Verleger des
Nibelungen-Verlags in Linz. Der größte Er-
folg seines Verlags war „Die geheime
Front“, ein Buch, das er selber unter dem
Pseudonym Walter Hagen verfasst hatte.
Ungleich wichtiger aber wurde eine Ausga-
be der Trilogie „Die Throne stürzen“ von
Bruno Brehm, der Abgesang auf das Habs-
burger Reich.
Bruno Brehm, das weiß heute keiner
mehr, war einer der erfolgreichsten
deutschsprachigen Autoren des zwanzigs-
ten Jahrhunderts. Der 1918 als Hauptmann
verabschiedete Kunsthistoriker hat den
großen Roman über den Untergang Kaka-
niens im Ersten Weltkrieg geschrieben.
Nicht Joseph Roths „Kapuzinergruft“,
nicht Karl Kraus’ „Letzte Tage der Mensch-
heit“, schon gar nicht der „Mann ohne Ei-
genschaften“ Musils wurden in Deutsch-
land und Österreich als Darstellung von
Habsburgs Ende gelesen, sondern Brehms
drei Bände.
Sie erschienen zuerst von 1931 bis 1933
unter den Einzeltiteln „Apis und Este“,
„Das war das Ende“ und „Weder Kaiser
noch König“ im Piper-Verlag und brachten
es nach Angaben seines Verlegers bis
Kriegsende auf eine Gesamtauflage von



  1. Auch wenn sie heute weitgehend
    vergessen ist, erlebte Brehms epische
    Untergangserzählung vor Kurzem eine
    überraschende Wiederauferstehung. In
    seinen „Schlafwandlern“ folgt der australi-
    sche Historiker Christopher Clark Brehms
    Vorbild und lässt die Vorgeschichte des
    Ersten Weltkriegs mit der bestialischen
    Ermordung des serbischen Königs
    Alexander Obrenović im Juni 1903 be-
    ginnen.
    Jetzt kann dieSüddeutsche Zeitungein
    besonders absurdes Kapitel der Verlagsge-
    schichte enthüllen. Brehms Geschichtsro-
    man diente als Tarnung für eine Operati-
    on, an der mehrere Geheimdienste betei-
    ligt waren. In der Freiburger Abteilung des
    Bundesarchivs findet sich ein Dokument,
    aus dem hervorgeht, dass der Piper-Verlag
    Wilhelm Höttl bei seinen zwielichtigen Ak-
    tivitäten unterstützte. Weitere Recherchen
    in der Österreichischen Nationalbiblio-
    thek, bei der Stadt Linz, im Deutschen Lite-
    raturarchiv in Marbach, im Archiv des Bun-
    desnachrichtendienstes und in den Natio-
    nal Archives in Maryland bestätigen, dass
    der Blut-Experte Höttl den Piper-Verlag
    als Geldwaschanlage nutzen konnte.
    Ein gewisser A.O. notiert am 17. Mai
    1952 mit den branchenüblichen krypti-
    schen Kürzeln: „J36 ist Gesellschafter
    beim Nibelungen-Verlag. Der zweite Ge-
    sellschafter, Dr. Schott, ist in die Nachrich-
    tenübermittlung aus Wien eingeschaltet.
    Die Geldbeträge nach Österreich laufen
    seit April über ein Konto des Piper-Verla-
    ges, München, an den Nibelungen-Verlag.
    Es ist dies eine legale Geld-Transferie-
    rung, die durch die gemeinsame Herausga-
    be der Trilogie von Bruno Brehm im Jahre
    1951 möglich wurde. Dem Piper-Verlag ist
    hierbei selbstverständlich die einzahlende
    Stelle unbekannt. Geschäftliche Beziehun-


gen oder eine literarische Mitarbeit fallen
für M1 aus.“
Wer ist M 1, wer J 36, wer A. O.? Bei A. O.,
das ist einfach aufzulösen, handelt es sich
um Achim Oster, Sohn des 1945 in Flossen-
bürg ermordeten Generalmajors Hans
Oster, seit 1950 im Bundeskanzleramt am
Aufbau eines militärischen Abschirm-
dienstes beteiligt. Oster musste diese No-
tiz als Erklärung für seinen Vorgesetzten
anfertigen, weil einer seiner Kuriere aufge-
flogen und brisantes Material der Konkur-
renz, dem amerikanischen Militärgeheim-
dienst CIC, in die Hände gefallen war.
Die „gemeinsame Herausgabe der Trilo-
gie“ war nicht ohne Mühe zustande gekom-
men. Alle rückten von ihm ab, beschwerte
sich Brehm bei seinem Verleger, „als wäre
ich ein toller Hund“. Im Stuttgarter Rund-
funkhaus sei ihm „kreischend, mit aufge-
hobenen Armen und geballten Fäusten ein
Irrer“ entgegengestürzt, das sei der junge
Martin Walser gewesen. (Walser, der 1950
tatsächlich beim Süddeutschen Rundfunk
arbeitete, bestreitet auf Nachfrage einen
solchen Vorfall.) Ingeborg Bachmann, seit
1955 Autorin des Piper-Verlags, entschul-
digte sich bei Wolfgang Hildesheimer: „Du
wirst mir glauben, dass mir der Bissen
Brehm auch nicht hinuntergeht.“

Brehm galt 1952 bereits als Mann von
gestern. Das war unter Hitler ganz anders,
da war er Staatsdichter. Der völkische His-
toriker Josef Nadler ergänzte den Titel des
dritten Teils – „Nicht Kaiser noch König“ –
konsequent durch den Zusatz „sondern
der Führer“. Schließlich hatte Adolf Hitler
die Schmach der Niederlage von 1918 ge-
tilgt und das Altreich, Österreich und das
Sudetenland 1938 zu einem deutschen
Volk zusammengefügt, das damit, wie Nad-
ler meinte, zum „Treuhänder der europäi-
schen Völkergemeinschaft“ wurde. Keiner
eignete sich besser zur Stimme dieser Ge-
meinschaft als der sudetendeutsche Bruno
Brehm. Als der Propagandaminister Jo-
seph Goebbels 1939 dem Treuhänder den
nationalen Buchpreis und 100000 Reichs-
mark überreichte, hob er die „nationalpoli-
tische Bedeutung“ von dessen Habsburger
Untergangstrilogie und noch mehr den Au-
tor hervor: „Bruno Brehm ist über seine li-
terarische Leistung hinaus auch als
Mensch eine der soldatischsten Erschei-
nungen des deutschen Schrifttums.“
Die soldatische Erscheinung war so be-
eindruckend, dass sie 1941 statt der übli-
chen zehn bereits 14 Prozent Tantiemen
für ihre Bücher fordern konnte. „Wenn Sie
diese Bedingungen erfüllen“, schrieb der
glücklich reaktivierte Offizier an Ostern
1941 an seinen Verleger Reinhard Piper,
„trete ich gerne in einen neuen Vertrag ein,

den Sie mir ins Feld nachsenden können“,
aus dem er nach Überschreiten der
„griech. Grenze“ mit „Heil Hitler!“ grüßte.
Der Teilhaber Robert Freund hatte
Brehm einst zum Verlag geholt, 1937 muss-
te Freund gehen, weil er Jude war. Nicht
nur Brehm wurde reich mit seinen Bü-
chern, sie sicherten auch seinem Verlag im
Dritten Reich das wirtschaftliche Überle-
ben. In seinen durch seinen Sohn und Nach-
folger Klaus ergänzten Memoiren schilder-
te Reinhard Piper seinen erfolgreichsten
Autor als „Mann, der von seinem Anteil an
der Zeit weiß und der noch Gewichtiges zu
geben haben wird“.
Der Sohn fügte eine Impression aus ei-
ner persönlichen Begegnung hinzu:
„Brehm war soeben wie ein antiker Meer-
gott dem Wasser entstiegen; die Tropfen
perlten noch auf seinem braunen, mächti-
gen Körper.“ Doch in der Nachkriegszeit
wurde der Meergott zum Problem. Piper
legte dann doch nicht mehr so viel Wert auf
das Gewichtige von Brehm; er war peinlich
geworden. Immer wieder beklagte sich der
Autor, er werde nicht mehr geschätzt,
erhalte kein Honorar mehr, sei aus der
Gunst gefallen, „weil ich vielleicht kein
Emigrant oder KZler bin“.

Auf seine erfolgreichsten Bücher war
dennoch nicht leicht zu verzichten. Die
drei Teile sollten deshalb 1951 in einem
Band zusammengefasst neu herauskom-
men, „Die Throne stürzen“, aber um die
schlimmsten völkischen und rassistischen
Passagen bereinigt. „95 Seiten gekürzt!
Blutig bis zu den Ellbogen, Messer an der
Schuhsohle gewetzt“, meldete Brehm am


  1. Mai 1951 an Klaus Piper. Parallel zur
    Ausgabe für Deutschland wurde eine
    Prachtausgabe für Österreich verabredet,
    zehntausend Stück Auflage, 872 Seiten für


128 Schilling, also knapp 22 Mark, ein für
die damalige Zeit stolzer Preis. Brehm durf-
te wieder auf Honorare hoffen. Doch am


  1. April 1952 wurde er ungeduldig: „Bitte,
    überweisen Sie mir so bald Sie können,
    über Hain oder über den Mann in Linz, der
    sich tot wie ein Käfer stellt – ich glaube, die
    Schottenwitze handeln alle vom Geiz, ach,
    wäre es nur Geiz! – 2000 DM.“
    Die Schottenwitze sind eine Anspielung
    auf den nominellen Geschäftsführer des
    Nibelungen-Verlags, auf Otto Schott, den
    auch in der Notiz aus dem Freiburger Mili-
    tärarchiv erwähnten Teilhaber, der aber,
    wie die Meldung besagt, noch einem Ne-
    benerwerb nachgeht, nämlich „in die Nach-
    richtenübermittlung aus Wien eingeschal-
    tet“ ist. Aber welche Nachrichtenübermitt-
    lung soll das sein?
    Westdeutschland war 1952 ein halb-
    wegs souveräner Staat, Österreich aber
    noch unter die vier Siegermächte des Zwei-
    ten Weltkriegs aufgeteilt. Wien und auch
    Linz waren wie damals Berlin zusätzlich
    viergeteilt, was dem ehrwürdigen Beruf
    des Spions ungeahnte Möglichkeiten er-
    öffnete. Nachrichtenübermittler war nicht
    nur Schott, sondern auch der andere Gesell-
    schafter, der als J 36 getarnte Wilhelm


Höttl. Denn der Nibelungen-Verlag war
nur nach außen Verlag, er diente, wie es in
einem CIC-Bericht von 1952 heißt, schlicht
als „Briefkasten“ für Meldungen aus
Deutschland, Österreich und aus dem ge-
samten Balkan. Bezahlt wurden die Nach-
richten von verschiedenen Abnehmern;
Höttl arbeitete zeitweise für zwölf verschie-
dene Geheimdienste gleichzeitig.
Anders als Bruno Brehm hatte sich Wil-
helm Höttl beziehungsweise J 36 ohne Mü-
he über das Ende des Dritten Reiches hin-
wegretten können. München wurde für

den ehemaligen SS-Mann die wichtigste
Relaisstation. Dort saß nicht nur Piper, son-
dern auch eine Außenstelle des Geheim-
dienstes, für den der aktenführende
Achim Oster wirkte. Büroleiter in Mün-
chen war Gerhard Schacht, Codename M1,
ein ehemaliger Fallschirmjäger und Ritter-
kreuzträger, der sich im Dritten Reich bei
der Befreiung Benito Mussolinis hervorge-
tan hatte. Schacht muss die „einzahlende
Stelle“ beim Piper-Verlag gewesen sein.
Bei der „legalen Geld-Transferierung“ han-
delte sich allerdings nicht um eine Hono-
rarzahlung, sondern um Agentenlohn.

So geheim war die Aktion, dass sich in
den Verlagsaufzeichnungen fast nichts
über diese geheimdienstlich gestützte Son-
derausgabe finde. Die Auflage der Welt-
kriegstrilogie sei, wie es in einer von KP, al-
so Klaus Piper selbst formulierten Nieder-
schrift von 1959 heißt, „auf Weisung von
Herrn Piper (...) mit 10000 anzusetzen“, ei-
ne offenbar fiktive Angabe. Den Unterla-
gen, die sich im Literaturarchiv in Mar-
bach befinden, ist nirgends zu entnehmen,
dass Piper seinem Autor Bruno Brehm die
annähernd 22 000 Mark gutgeschrieben
und gar bezahlt hätte, die ihm aus Verlags-
vertrag von 1951 für die Linzer Ausgabe hät-
ten zukommen müssen. Der Piper-Verlag
war damit zu einem Geldbriefkasten ge-
worden.
Piper war kein Einzelfall, solche ge-
heimen Geschäfte kamen im Verlagsgewer-
be der Nachkriegszeit öfter vor: Kiepen-
heuer &Witsch ließ sich Bücher von Igna-
zio Silone, Arthur Koestler und Wolfgang
Leonhard vom „Kongress für kulturelle
Freiheit“ finanzieren, einer Tarnorganisati-
on der CIA. Die Bundeswehr bestellte beim
Rowohlt-Verlag eine Sonderauflage von
50 000 Exemplaren vom Jewgenija Gins-
burgs Gulag-Buch „Marschroute eines Le-
bens“, versah sie mit falschem Impressum,
packte sie wasserdicht ein und beförderte
sie bei günstigem Westwind mit Ballons
über die damalige Zonengrenze als Aufklä-
rungsliteratur in die DDR.
Dennoch ist der Fall Piper einmalig. Ein
Publikumsverlag, in dem Karl Jaspers,
Alexander Mitscherlich und Marcel Reich-
Ranicki erschienen, machte windige Ge-
schäfte mit einem „gefährlichen Nazi“.
Doch da befand man sich in bester Gesell-
schaft. Weil der gefährliche Nazi zugleich
ein nützlicher Nazi war, hielten die Ameri-
kaner eine Zeitlang wenigstens eine Hand
schützend über ihn. So konnte Höttl im
Mai 1952 beim CIC nachfragen, ob ihm die
amerikanischen Agenten beim Einwech-
seln von D-Mark in österreichische Schil-
ling behilflich sein könnten. Der Piper-Ver-
lag in München „schulde ihm erkleckliche

Beträge zugunsten des Nibelungen-Ver-
lags für eine gemeinsame Ausgabe von
Brehms ‚Die Throne stürzen‘“, wie der kon-
taktierte CIC-Agent unter der Überschrift
„finanzielle Transaktion von Dr. Wilhelm
Höttl“ meldete.
Zwei Monate später verabredet sich ein
Mittelsmann von Höttl für den frühen
Abend auf dem Salzburger Kapitelplatz
mit dem amerikanischen Agenten und
bringt einen Umschlag mit genau
4165 Mark in neuen Scheinen mit (die Seri-
ennummern werden genau verzeichnet).
Das Geld, die „letzte Rate der Zahlungen
des Piper-Verlags in München an den Nibe-
lungen-Verlag in Linz“, ist über die Grenze
geschmuggelt worden und soll auf dem
Schwarzmarkt umgetauscht werden. Der
Amerikaner tut wie gebeten, nämlich et-
was in höchstem Maße Illegales: Er wech-
selt die Summe zu einem für Höttl günsti-
gen Schwarzkurs in 24 277,50 Schilling.
Ende 1952 wurde J 36 vom Bonner Ge-
heimdienst entlassen. Bitterlich beschwer-
te sich der ehemalige SS-Mann über das
„Femeverfahren“, „das meine Ehre und
meinen Ruf aufs schwerste schädigt“.
Höttl bewarb sich bei der von den Amerika-
nern finanzierten Organisation Gehlen,
der Vorstufe des Bundesnachrichtendiens-
tes, doch dann wurde er als angeblicher so-
wjetischer Spion verhaftet. Er kam bald
wieder frei, wurde jedoch Anfang 1953
Opfer einer Intrige, die die Organisation
Gehlen zusammen mit Horst Mahnke ver-
anstaltete. Mahnke war wie Höttl bei der
SS gewesen, galt wie Höttl als gefährlicher
Nazi, hatte es aber trotzdem zum Ressort-
leiter beimSpiegelgebracht. Ein weiteres
Gehalt bezog er aus Pullach bei München,
wo Gehlens Geheimdienst residierte.

Dort konnte man am 22. März 1951 ei-
nen schönen Erfolg verbuchen: „Wir ste-
hen seit geraumer Zeit mit Dr. Mahnke in
angenehmer Zusammenarbeit.“ In dem
Enthüllungsartikel „Intermezzo in Salz-
burg“ imSpiegelvom 22. April 1953 wurde
ein Teil des Personals benannt – neben
Höttl tauchte auch Schott auf, der Nibelun-
gen-Verlag wurde ebenfalls erwähnt –,
doch Piper mitsamt den mafiotischen Me-
thoden des Geldtransfers kam nicht vor.
Die Geheimhaltung funktionierte.
Höttl war den Amerikanern auf die Ner-
ven gegangen, weil er Wissen behauptete,
das er nicht besaß oder parallel an andere
Dienste verscherbelt hatte. Bereits im No-
vember 1952 hatte er angekündigt, sich
aus dem geheimen Geschäft zurückzuzie-
hen. So wurde er Lehrer. Nebenbei versorg-
te er die Welt weiter mit wahren und erfun-
denen Geschichten aus der Nazizeit. Er
starb, bis zuletzt als Zeitzeuge geschätzt
und befragt, 1999 hochbetagt in Altaussee.
Ein Rätsel und ungelöst bleibt ein Satz in
Achim Osters Aufzeichnung: „Dem Piper-
Verlag ist hierbei selbstverständlich die ein-
zahlende Stelle unbekannt.“
Irgendjemand, genauer gesagt der Rit-
terkreuzträger Schacht alias M 1, gibt also
Piper Geld für den Nibelungen-Verlag, das
Höttls Spionagetätigkeit mitfinanzieren
sollte, aber bei Piper weiß niemand, woher
das Geld stammt? Seltsam. Klaus Piper,
der es gewusst haben muss, ist 2000 ge-
storben. Bereits sechs Jahre zuvor hat er
seinen Verlag an die schwedische Verlags-
gruppe Bonnier verkauft, bei der – die Lite-
raturgeschichte liebt solche Pointen –
1934 unter dem Titel „Så började det“ (So
fing es an) Brehms „Apis und Espe“ erschie-
nen war. Auch der Verlagsnachlass in Mar-
bach gibt nichts zu den Machenschaften
zwischen dem Bonner Geheimdienst und
Wilhelm Höttl her.
Der Historiker Michael Wildt hat dort
aber etwas anderes entdeckt. Über viele
Jahre war Hans Rößner, ein ehemaliger SS-
Obersturmbannführer und damit ein wei-
terer Eichmann-Kamerad, bei Piper als
Verlagsleiter tätig. Als ihn Bettina Röhl
nach Rößner fragte, antwortete der zeitwei-
lige Piper-Autor Marcel Reich-Ranicki:
„Ich bin doch nie auf die Idee gekommen
zu fragen, was für eine Vergangenheit er ha-
be. Das war damals nicht üblich.“ Angeb-
lich wusste Klaus Piper nicht, wen er sich
da ins Haus geholt hatte, doch sein ehemali-
ger Lektor Hansjörg Graf hat noch kurz vor
seinem Tod im Dezember 2017 versichert,
dass Piper sehr wohl über Rößners Vorle-
ben Bescheid wusste, sich aber nicht daran
störte. Doch angeblich war es niemandem
aufgefallen, dass Rößner der Piper-Auto-
rin Hannah Arendt bei ihrem Buch über Ra-
hel Varnhagen den Untertitel „Lebensge-
schichte einer deutschen Jüdin aus der Ro-
mantik“ ausreden wollte.
Auf persönliches Bitten des Verlegers
verzichtete Hannah Arendt in der deut-
schen Ausgabe ihrer Studie „Eichmann in
Jerusalem“ darauf, den Nazi-Kollabora-
teur Theodor Maunz zu erwähnen, der in-
zwischen bayerischer Kultusminister ge-
worden war. Piper fand das „wirklich no-
bel“. Rößner war allerdings erst 1958 in
den Verlag eingetreten, mit der Brehm-
Transaktion kann er nichts zu tun gehabt
haben. Aber ein Verleger, 1952 Alleinbesit-
zer, der nicht weiß, dass über seine Hono-
rarabteilung Geld gewaschen wird?
Bruno Brehm, inzwischen endgültig ein
Mann von gestern, starb im Juni 1974 in Alt-
aussee. Fast zwei Jahrzehnte später, 1992,
mitten im jugoslawischen Bürgerkrieg, er-
schien seine Trilogie „Die Throne stürzen“
in einer Neuausgabe bei Piper, versehen
mit einem unsäglich apologetischen Nach-
wort von Klaus Piper, der überzeugt war,
dass der Meergott Brehm doch noch Ge-
wichtiges mitzuteilen hatte.
Auf dem Friedhof von Altaussee liegt
nicht nur der Schriftsteller Jakob Wasser-
mann („Mein Weg als Deutscher und Ju-
de“), dort liegen auch die alten Kämpfer
Bruno Brehm und Wilhelm Höttl. Drüber
erheben sich die Berge, schön, wirklich
schön.

Der Meergott und die Geheimdienste


Wie der SS-Mann Wilhelm Höttl, der Erfolgsautor Bruno Brehm und der


Münchner Piper-Verlag in den Fünfzigerjahren als Geldwaschanlage funktionierten. Eine Recherche


Heute wenig bekannt, aber einer der
erfolgreichsten Schriftsteller des


  1. Jahrhunderts: Bruno Brehm (rechts).
    Sein Hauptwerk in einer Ausgabe von
    1951 (oben). Akte aus dem Nachlass
    Achim Oster im Bundesarchiv Freiburg.
    FOTOS: SCHERL/SZ PHOTO/INTERNET/WINKLER


Wusste bei Piper niemand,
woher das Geld für Höttl und den
Nibelungen-Verlag stammte?

München wurde für den
ehemaligen SS-Mann Höttl
die wichtigste Relaisstation

Der gefährliche Nazi
Wilhelm Höttl war zugleich
ein sehr nützlicher Nazi

Bruno Brehms Trilogie über den


Untergang Habsburgs war


schon in der NS-Zeit ein Bestseller


ANZEIGE

(^14) LITERATUR Freitag, 8. November 2019, Nr. 258 DEFGH
IKONEN
WAS WIR MENSCHEN ANBETEN
19 .1 0. 20 19 – 0 1.03.
Ermöglicht durch: Mit freundlicher Unterstützung von: Medienpartner:
Jeff
Ko
ons,
Ba
lloo
n Do
g (
Red)
, 1994






000

Pri

va

tsamml

un

g ©

Jeff

Ko

ons
Free download pdf