Süddeutsche Zeitung - 08.11.2019

(lily) #1

D


ana Loesch trägt Schwarz.
Schwarze Lederjacke, schwar-
ze Hose, schwarze Schnürstie-
fel. Ihre Haare sind schwarz,
um ihre Augen herum hat sie
anthrazitfarbenen Lidschatten aufgetra-
gen, grau und rauchig wie eine Schmauch-
spur. Das sieht martialisch aus, passt aber
zum Anlass: Dana Loesch ist an diesem
Abend in den Mathematik-Hörsaal der Uni-
versity of Colorado in Boulder gekommen,
um über Waffen zu reden.
Im Saal drängeln sich etwa 400 Men-
schen. Für Studenten ist der Eintritt frei,
aber gut fünfzig Besucher haben 250 Dol-
lar für eine VIP-Karte bezahlt. Sie dürfen
vor der Veranstaltung ein Foto mit Loesch
machen. Handschlag, Lächeln, Selfie.
Dana Loesch redet viel über Waffen. Sie
verdient damit ihren Lebensunterhalt. Die
41-Jährige war Sprecherin der National Rif-
le Association (NRA), des Verbands der Waf-
fenbesitzer in Amerika. Die ebenso mächti-
ge wie berüchtigte Lobbyorganisation ver-
sinkt derzeit in einem Strudel aus Intrigen
und Korruption, aber Loesch ist rechtzeitig
abgesprungen. Sie hält jetzt Vorträge und
macht eine sehr erfolgreiche tägliche Ra-
diosendung: „The Dana Show“. Loesch ist
selbst eine geübte Schützin. „Ich kann bei
einer AR-15 das Magazin in unter zwei Se-
kunden wechseln“, sagt sie.
Es gibt Menschen, die Dana Loesch has-
sen. In ihre Zeit als NRA-Sprecherin fielen
einige der schlimmsten Massenschießerei-
en in Amerika: 58 Tote bei einem Country-
Konzert in Las Vegas. 26 Tote in einer Kir-
che in Sutherland Springs, Texas. 17 Tote
in einer Schule in Parkland, Florida. Zehn
Tote in einer Schule in Santa Fe, Texas. Elf
Tote in einer Synagoge in Pittsburgh. Und
jedes Mal erzählte Dana Loesch danach
den Amerikanern, dass all das Blut und all
die Toten nichts mit den laxen Waffen-
gesetzen des Landes zu tun hätten. Dass
das beste Mittel gegen die Waffengewalt
mehr Waffen seien, nicht weniger. Das hat
ihr Morddrohungen eingebracht.


Es gibt aber auch sehr viele Menschen in
Amerika, die Waffen lieben. Organisatio-
nen wie die NRA, die National Association
for Gun Rights oder die Gun Owners of
America haben Millionen Mitglieder. Das
Internet ist voller Blogs, Podcasts, Chats,
Twitter-Feeds, Facebook-Seiten und Insta-
gram-Konten, die sich mit Waffen beschäf-
tigen. Und in dieser sogenannten 2A-Bewe-
gung ist Dana Loesch eine Ikone.
2A steht für Second Amendment, den
Zweiten Zusatzartikel zur amerikanischen
Verfassung. Der wurde 1791 ratifiziert und
besteht aus einem Satz: „Da eine gut ausge-
bildete Miliz für die Sicherheit eines freien
Staates erforderlich ist, darf das Recht des
Volkes, Waffen zu besitzen und zu tragen,
nicht beeinträchtigt werden.“ Die Regie-
rung kann bestimmen, wo man mit Waffen
herumlaufen darf, sie kann den Verkauf re-
gulieren, damit Kriminelle sich nicht ein-
fach ein Sturmgewehr besorgen können.
Aber grundsätzlich hat jeder Amerikaner
das unveräußerliche Recht, so viele Schuss-
waffen zu besitzen, wie er will.
Und die 2A-Bewegung verteidigt dieses
Recht eisern, auch wenn es dazu führt,
dass gelegentlich Kirchgänger oder Schul-
kinder niedergemetzelt werden. Man kann
es sogar noch zuspitzen: Je öfter in Ameri-
ka ein Attentäter auf wehrlose Menschen
feuert, je mehr deswegen in der Bevölke-
rung die Bereitschaft wächst, den Zugang
zu Schusswaffen wenigstens ein wenig zu
beschränken, desto härter wird der Wider-
stand der Waffenfreunde. Ob es denn ir-
gendeine Verschärfung eines Waffengeset-
zes gäbe, der sie zustimmen könnte, wird
Loesch gefragt. Antwort: „Nein.“
Die 2A-Bewegung zieht ihre Kraft dar-
aus, dass sie sich als Verteidigerin der Ver-
fassung darstellt, als breites Bürgerbünd-
nis gegen einen tyrannischen Staat, der die
Amerikaner angeblich entwaffnen will. Sie
profitiert aber auch von einem bemerkens-
werten Konsumtrend: Zumindest im kon-
servativen Amerika sind Sturmgewehre
wie die AR-15 und großkalibrige Pistolen
zu einer Art Accessoire geworden, zu Mode-
artikeln, die zu einem coolen Lebensstil
dazugehören. Wie aufgemotzte Pick-up-
Trucks und patriotische Tattoos. „Tactical
lifestyle“ nennt sich das, es klingt militä-
risch und ein bisschen sexy, und man kann
damit viel Geld verdienen.
Die Firma Alexo zum Beispiel stellt Yoga-
hosen für Frauen her, in deren Bund eine
Tasche für eine Pistole eingenäht ist. Da-
mit die Waffe beim Sport nicht rausfällt. In
Utah haben einige ehemalige Soldaten die
Black Rifle Coffee Company gegründet. Ihr
Kaffee schmeckt zwar nicht anders als der
von Starbucks. Er hat aber ein kerniges
Image, was die Firmenbesitzer dadurch
fördern, dass sie in ihren Werbevideos mit
Pistolen herumballern. Und es gibt etliche
junge Influencerinnen, die gut davon le-
ben, dass sie bei Twitter, Twitch oder Insta-
gram mit großen Gewehren und wenig
Kleidung zu sehen sind.
Dana Loesch passt mit ihren schicken
Springerstiefeln und den Smokey Eyes


sehr gut in diese neue Waffenwelt. Dass sie
doch nur die alten NRA-Argumente wieder-
holt, fällt da nicht so auf. Wurde der Angrei-
fer, der in Sutherland Springs die Kirche
überfiel, nicht von einem mutigen Bürger
erschossen, der zum Glück auch ein Ge-
wehr dabeihatte, fragt sie in Boulder das
Publikum, in dem viele hippe Studenten
mit Bärten und Holzfällerhemden sitzen.
Na also: Gute Leute mit Knarren stoppen
böse Leute mit Knarren. Trotzdem wollten
die Linken den Amerikanern die Waffen
wegnehmen, klagt Loesch. „Gesetzestreue
Bürger sollen für etwas bestraft werden,
was Menschen getan haben, die sich nicht
an die Gesetze halten.“ Die Holzfällerhem-
den nicken und klatschen.
Für Evan Todd haben Waffen nichts mit
Lifestyle zu tun. Sie sind für ihn kein Krims-
krams, den man bei Facebook vorzeigt,
sondern etwas sehr Ernstes. Todd besitzt
Gewehre, und er geht regelmäßig auf den
Schießstand. „Aber ich bin keiner von die-
sen Waffenverrückten“, sagt er. So wie
Todd es sieht, hat er als Amerikaner das
Recht, sich im Notfall mit einer Schusswaf-
fe gegen eine Bedrohung zu verteidigen.
Und dieses Recht will er nicht aufgeben,
um keinen Preis. Nicht nach dem, was vor
zwanzig Jahren passiert ist.

Vor zwanzig Jahren, am 20. April 1999,
war Evan Todd fünfzehn und ging in die
zehnte Klasse der Columbine High School
in Littleton, Colorado. Er war ein breiter,
kräftiger Junge und spielte als Verteidiger
bei den Rebels, der Football-Mannschaft
der Schule. Eigentlich hätte er an dem Tag
mittags Runden um den Sportplatz laufen
sollen. Aber er hatte keine Lust und ging
stattdessen in die Schulbücherei.

Todd hat nie vergessen, was in der Bü-
cherei geschehen ist. Wie auch? Wie hätte
er die Schreie vergessen sollen, die Angst,
das Blut? Die Kinder, die weinten und um
Gnade bettelten. Die Mörder, die johlten
und lachten. Die Schüsse.
Zwölf Schüler und einen Lehrer ermor-
deten Eric Harris und Dylan Klebold an die-
sem Tag in der Columbine High School. In
der Bücherei gingen sie sieben Minuten
lang von Tisch zu Tisch und erschossen
zehn Kinder, unter ihnen vier Freunde von
Todd. Er selbst wurde angeschossen. Als
sie fertig waren, kamen Harris und Kle-
bold zu ihm. „Sie haben mir eine Waffe an
den Kopf gehalten“, sagt Todd. „Dylan hat
zu Eric gesagt: ,Wenn du willst, kannst du
ihn töten.‘“ Aber Harris drückte nicht ab.
„Ich hatte Glück“, sagt Evan Todd.
Jetzt sitzt Todd bei Beantree Coffee in
Aurora, Colorado, nicht weit von seiner
alten Schule entfernt. Er ist immer noch
breit und kräftig, der extragroße Kaffee-
becher sieht in seinen Händen klein aus. Er
erzählt sehr ruhig von dem Grauen, dem er
damals knapp entkommen ist.
Doch eine Sache macht Todd auch nach
zwei Jahrzehnten noch wütend. Und selbst
wenn man Amerikas Umgang mit Waffen
für Irrsinn hält, kann man seine Wut verste-
hen: Die Kinder in der Columbine High
School waren völlig wehrlos. Niemand hat
sie beschützt oder verteidigt. Niemand hat
in der Schule zurückgeschossen. Die Poli-
zei stürmte das Gebäude erst, nachdem
Harris und Klebold sich selbst getötet hat-
ten. „Eric und Dylan sind sieben Minuten
lang ohne jede Furcht in der Bücherei her-
umgeschlendert und haben gemordet“,
sagt Todd. Dann sagt er: „Ich wünschte
wirklich, dass damals in der Schule je-
mand eine Waffe gehabt hätte.“
Das ist keine unumstrittene Meinung.
Die meisten Überlebenden eines Schul-
massakers sind eher der Ansicht, dass die
Täter zu gut bewaffnet waren, nicht die
Opfer zu schlecht. Voriges Jahr waren es ge-

rade Jugendliche von der Marjory Stone-
man Douglas High School in Parkland, in
der ein Attentäter mit einer AR-15 vierzehn
Schüler erschossen hatte, die die Proteste
gegen Amerikas Waffenwahn anführten.
Sie haben gesehen, was die Kugeln einer
AR-15 anrichten. Und sie kämpfen dafür,
dass wenigsten diese Gewehre, die einst
für Kriege entwickelt wurden, nicht mehr
an Privatleute verkauft werden.
Evan Todd hat aus dem, was er erlebt
hat, andere Lehren gezogen als die Park-
land-Schüler. „Ich will nicht, dass meine
Kinder jemals sieben Minuten lang der
Gnade eines Mörders ausgeliefert sind“,
sagt er. Ginge es nach ihm, dann gäbe es in
jeder Schule bewaffnete Lehrer. „Wenn ein
Attentäter damit rechnen muss, dass auf
ihn geschossen wird, dann ist er von den
Schülern wenigstens etwas abgelenkt.“
Todd arbeitet für eine Organisation, die
Bullets Both Ways heißt. Der Name be-
schreibt das Ziel recht gut: Wenn in die
eine Richtung Kugeln fliegen, dann sollen
auch in die andere Richtung Kugeln flie-
gen. Bullets Both Ways verkauft Mützen,
T-Shirts und Fleece-Pullis, auf die marki-
ge Sprüche gedruckt sind: Keep calm and
shoot back. Bleib ruhig und schieß zurück.
Mit dem Geld finanziert die Organisation
Kurse, in denen Polizisten Lehrern zeigen,
wie sie einen Attentäter aufhalten können,
notfalls mit Waffengewalt. „Wir bringen
Lehrern bei zu schießen“, sagt Todd. „Und
den Richtigen zu treffen.“
Längst nicht alle Amerikaner denken so
wie Dana Loesch und Evan Todd. Nach
dem blutigen Sommer dieses Jahres, in
dem allein in El Paso, Dayton und Virginia
Beach 45 Menschen im Kugelhagel gestor-
ben sind, ist die Zustimmung zu härteren
Waffengesetzen gestiegen. Eine große
Mehrheit der US-Bürger ist mittlerweile da-
für, dass Waffenkäufer von der Polizei ge-
nauer überprüft werden; und dass zumin-
dest der Verkauf von Sturmgewehren wie
der AR-15 verboten wird.

Trotzdem passiert politisch so gut wie
nichts. Das liegt zum einen daran, dass Leu-
te wie Loesch mit dem Schlagwort #2A im
Internet jederzeit einen Troll-Mob mobili-
sieren können, der über alle herfällt, die
am gottgegebenen Recht jedes Amerika-
ners zweifeln, eine Waffe zu besitzen.
Es liegt aber auch daran, dass Waffen
eben zu Amerika gehören, selbst wenn das
der Mehrheit der Amerikaner langsam un-
heimlich wird. Dass jedes Jahr 40 000 ih-
rer Mitbürger durch Schüsse sterben, dass
das Second Amendment 228 Jahre alt ist,
spielt für die, die daran glauben, keine Rol-
le. Für sie bedeuten Waffen Freiheit. Und
Amerika ist das Land der Freien.

Diese Sicht ist vielleicht in den Großstäd-
ten nicht so verbreitet. Aber draußen auf
dem Land, in Colorado, wo die Prärie auf
die Rocky Mountains trifft, ist sie es. „Ich
gehe überall bewaffnet hin“, sagt Richard
Hess, ein pensionierter Ingenieur, der in
der Nähe von Boulder wohnt. Er gehört an
diesem Abend zu denen im Hörsaal, die
250Dollar bezahlt haben, um Dana Loesch
die Hand geben zu können. Dabei ist er poli-
tisch gar nicht besonders rechts. Präsident
Donald Trump sei für ihn ein „Verräter und
Verbrecher“, sagt er.
Trotzdem hat Hess bei der jüngsten Kon-
gresswahl für die Republikaner gestimmt.
Den Demokraten, die er sein Leben lang ge-
wählt hat, misstraut er. Die Präsident-
schaftsbewerber der Partei versprechen,
den Verkauf bestimmter Waffen zu verbie-
ten. Sie wollen die Besitzer von Sturmge-
wehren durch „verpflichtende Rückkauf-
programme“ zwingen, diese abzugeben.
Sie reden davon, dass die Polizei Waffen
konfiszieren soll. „Ja, zur Hölle, wir wer-

den euch eure AR-15 wegnehmen“, hat der
Kandidat Beto O’Rourke angekündigt – in
den Augen der 2A-Bewegung eine Kriegs-
erklärung. Als O’Rourke seine Bewerbung
vor einigen Tagen aufgeben musste, riefen
die 2A-Anhänger ihm höhnische Grüße
nach. „Ich bin ein glühender Anhänger des
Second Amendment“, sagt auch Hess. „Mei-
ne Waffen gebe ich nicht her. Da müssen
sie schon kommen und sie holen.“
Steve Reams wäre der Mann, der das ma-
chen müsste – hingehen und die Waffen ho-
len. Reams ist Sheriff von Weld County,
einem Landkreis im Norden von Colorado.
Mit dem Stern am Hemd und dem Revol-
ver am Gürtel sieht er aus, wie ein Sheriff
im Westen Amerikas aussehen soll. Aller-
dings hat Reams mit einem der Gesetze,
über die er wachen soll, ein Problem. „Ich
gehe lieber in mein eigenes Gefängnis, als
dieses Gesetz anzuwenden“, sagt er.
Das Gesetz, das Reams so erbost, ist ein
sogenanntes Red-Flag-Law. Knapp zwan-
zig US-Bundesstaaten haben solche Geset-
ze erlassen, die es der Polizei erlauben, ei-
ner Person vorsorglich die Waffen wegzu-
nehmen, sofern ein Richter diesen Men-
schen als Gefahr für sich oder andere einge-
stuft hat. Der Waffenentzug kann entwe-
der von Familienangehörigen oder der Poli-
zei beantragt werden. Der Betroffene kann
sich zumeist erst nach der Konfiszierung
vor Gericht dagegen wehren.

Colorados Red-Flag-Law tritt am 1. Janu-
ar 2020 in Kraft. Die Befürworter hoffen,
dass dadurch mögliche Gewalttäter ent-
waffnet werden können, bevor sie um sich
schießen: brutale Ehemänner, die ihre
Frauen bedrohen, suizidgefährdete Kriegs-
veteranen, aber auch verdächtige Jugendli-
che, die Waffen und Munition horten und
bei Snapchat damit prahlen, dass sie ihre
Schule in Fetzen schießen werden.
Die 2A-Bewegung allerdings hasst die
Red-Flag-Laws. Dana Loesch, Evan Todd,
sogar Richard Hess, ein freundlicher, gebil-
deter Rentner, der nur in seiner Freizeit ein
bisschen schießen geht, sind empört,
wenn sie darüber reden. Für sie sind diese
Gesetze Teil eines hinterhältigen Plans der
Linken, um aus freien Amerikanern waf-
fenlose, wehrlose Untertanen zu machen.
Als Trump nach den Attentaten in El Paso
und Dayton andeutete, dass er Red-Flag-
Laws für sinnvoll halte, tobte die 2A-Bewe-
gung, bis sein Wahlkampfmanager dem
Präsidenten riet, lieber still zu sein.
Sheriff Reams ist ein Republikaner, in
seinem Büro liegt eine rote Trump-Mütze.
„Make America Great Again“, steht darauf.
Das ist nicht ungewöhnlich. In Amerika
werden die Sheriffs von der Bevölkerung
gewählt, und Weld County ist ein konserva-
tiver Flecken, voller Rancher und Farmer,
die alle gut bewaffnet sind. „Manche sind
besser bewaffnet als wir“, sagt der Sheriff.
Man kann sich vorstellen, was da passie-
ren kann, wenn ein Polizist ankommt und
das Arsenal beschlagnahmen will.
Reams ist in Texas aufgewachsen, und
er schießt, seit er ein Kind ist. Aber er lehnt
das Red-Flag-Law von Colorado nicht ab,
weil er Waffen so mag. Sondern, weil er es
für rechtswidrig hält. Einer Person eine le-
gal gekaufte Waffe wegzunehmen, nur auf
eine Anzeige hin, ohne dass eine Straftat
begangen wurde und ohne dass diese Per-
son vor Gericht zuvor angehört wurde, ver-
stößt für ihn nicht nur gegen den Zweiten
Verfassungszusatz, sondern auch noch ge-
gen den Vierten. Dieser schützt die Ameri-
kaner vor „willkürlicher Durchsuchung,
Verhaftung und Beschlagnahme“.
Der Sheriff will das Gesetz daher ignorie-
ren, wenn es in Kraft ist. „Ich werde keine
Waffen auf der Grundlage dieses Gesetzes
konfiszieren“, sagt er. Reams weiß, dass er
damit im Ernstfall gegen richterliche An-
ordnungen verstößt. Das kann ihm viel Är-
ger einbringen – Rügen, Geldstrafen, bis
zu sechs Monate Haft. Aber das kümmert
ihn nicht. „Ich habe einen Eid geschworen,
die Verfassung der Vereinigten Staaten zu
beschützen“, sagt er. Diesen Eid werde er
halten, auch wenn er dafür in den Knast ge-
gen müsse. Der Sheriff hätte es in den Fall
nicht weit, das Weld County Jail liegt nur
ein paar Meter neben seinem Büro.
Im Mathematik-Hörsaal in Boulder er-
zählt Dana Loesch am Ende ihres Auftritts
noch eine Geschichte. Und danach weiß
man, warum der Streit der Amerikaner
über ihre Waffen so erbittert und ausweg-
los ist. Warum beide Seiten so ineinander
verkeilt sind, dass selbst ein Sheriff, der sei-
ne Bürger vor Gewalt schützen soll, und
ein junger Mann, der ein Schulmassaker
überlebt hat, nicht nachgeben wollen.
Loesch redet über Parkland und eine
AR-15. Aber sie redet nicht über tote Kin-
der und die Mordwaffe. Stattdessen er-
zählt sie, dass sie damals umziehen muss-
te, weil sie so viele Hassbriefe und Droh-
anrufe bekam. Einmal habe die Polizei sie
abends angerufen und vor einem Verdäch-
tigen gewarnt, der es angeblich auf sie ab-
gesehen hatte. „Ich hatte in weniger als ei-
ner Minute meine AR-15 schussbereit“,
sagt Loesch. „Mit der komme ich auch un-
ter Stress gut klar.“

Ein Teil von mir


Das Recht, eine Waffe zu besitzen, ist für viele Amerikaner gottgegeben.


Egal wie viele Kinder in Schulen erschossen werden, sie verfluchen alle, die ihnen ihre


Colts und AR-15 wegnehmen wollen. Die Geschichte einer tödlichen Liebe


von hubert wetzel


Nicht ohne mein Sturmgewehr: Anhänger der Glaubensgemeinschaft „World Peace and Unification Sanctuary“ in Pennsylvania, die ihre AR-15 segnen lassen. Sie
haltendiese Waffen für den „eisernen Stab“ aus der Offenbarung des Johannes. FOTO: SPENCER PLATT/GETTY IMAGES/AFP

Große Knarren, wenig Kleidung.


Davon können einige


Influencerinnen ganz gut leben


DEFGH Nr. 258, Freitag, 8. November 2019 (^) DIE SEITE DREI 3
Nach jedem Attentat die Frage:
Waren die Täter zu gut bewaffnet
oder die Opfer zu schlecht?
Klar, Trump sei ein Verräter, aber
die Demokraten wollen ihm
die Waffen nehmen. Keine Chance
Alle hier sind bewaffnet. Und da
soll ein Polizist hingehen und das
ganze Arsenal beschlagnahmen?

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