Süddeutsche Zeitung - 08.11.2019

(lily) #1
von paul-anton krüger

München–Algerien hat sich seine Unab-
hängigkeit blutig erkämpft, den Krieg ge-
gen Frankreich nennen die Menschen auf
arabisch „Befreiungsrevolution“. Am 1.No-
vember, einem Freitag, jährte sich nun der
Beginn des Aufstands gegen die Kolonial-
macht zum 65. Mal. Es ist ein offizieller Fei-
ertag, zelebriert vom Regime. Die Algerier
aber nutzten den Tag, um zu Hunderttau-
senden auf die Straße zu gehen: Als Protest
gegen die politische Elite, deren führende
Köpfe aus der Zeit der Befreiungsrevoluti-
on stammen. Diese Elite hat über die Jahr-
zehnte ein undurchschaubares kleptokrati-
sches System errichtet, das die Bürger, ver-
ängstigt und verächtlich zugleich, nurle
pouvoirnennen: Die Macht.
Nutznießer dieses Systems ist eine Cli-
que aus Politikern, Offizieren des Militärs
und des Geheimdienstes sowie deren En-
tourage aus Geschäftsleuten. Sie teilen
sich Macht und Reichtum. Die Algerier wol-
len dem Pouvoir ein Ende setzen seit der
ersten Großdemonstration am 22. Februar


  • und rufen nach einer neuen Revolution.
    „Algerien wird seine Unabhängigkeit zu-
    rückgewinnen!“, lautet einer der Slogans.
    Die Proteste sind seit ihrem Beginn nie
    zum Erliegen gekommen; Freitag für Frei-
    tag gehen Menschen auf die Straße.
    Und jetzt erhalten sie sogar wieder
    mehr Zulauf. Allein in der Hauptstadt Al-
    gier waren es zuletzt mehr als 100000 De-
    monstranten, an diesem Freitag dürfte die
    empörte Masse weiter anschwellen. Denn
    Generalstabschef Ahmed Gaïd Salah, 79,


der starke Mann, hat klargemacht, dass er
die für 12.Dezember geplante Präsidenten-
wahl durchziehen will: Sie musste schon
im April und im Juli abgesagt werden, die
Demonstranten hatten den Rückzug des
greisen Staatspräsidenten Abdelaziz al-
Bouteflika erzwungen. Der Generalstabs-
chef will die Phase der Ungewissheit been-
den und die Proteste dazu. Er erklärt, Wah-
len seien „der einzige Ausweg aus der Kri-
se“ und hätten die „volle Unterstützung“
des Volkes. Und das, obwohl die Demons-
tranten jeden Freitag „Keine Wahlen!“
skandieren: Der Offizier sucht die Macht-
probe. Und er droht. Wer sich den Wahlen
entgegenstelle, werde eine „abschrecken-
de Strafe“ erfahren. Übergangspräsident
Abdelkader Bensalah erklärte die Gegner
einer Wahl sogar zur „Minderheit“.

Der Armeechef hatte versucht, den Pro-
testen den Antrieb zu nehmen, indem er ei-
ne Reihe prominenter Figuren des alten Re-
gimes aburteilen ließ. Seit April sind mehr
als 30 frühere Spitzenfunktionäre und Ge-
schäftsleute zu Haftstrafen verurteilt wor-
den, unter ihnen ein Dutzend Ex-Minister.
Den jüngeren Bruder des Ex-Präsidenten,
Said Bouteflika, verurteilte ein Militärge-
richt zu 15 Jahren; dieselbe Strafe erhielten
der berüchtigte frühere Geheimdienst-
chefs Mohammed Mediène alias Toufik
und sein Nachfolger Athmane Tartag. Der

ins Ausland geflohene Ex-Verteidigungs-
minister Khaled Nezzar bekam 20 Jahre.
Die Protestbewegung ließ sich davon
nicht beeindrucken. Sie sieht in den Urtei-
len das Begleichen alter Rechnungen in
den Reihen des Regimes. Ziel sei allein der
Machterhalt. Bis heute nur lose organi-
siert, ohne benennbare Führungsfiguren
und ohne klares Programm, lehnt sie Wah-
len ab, die vom System organisiert werden;
diese könnten weder frei noch fair sein. In
dieser Einschätzung dürften sich die De-
monstranten durch die Entscheidung der
offiziell unabhängigen Wahlkommission
bestätigt sehen. Von 23 Bewerbern ließ sie
nur fünf als Kandidaten zu. Allen Kandida-
ten ist gemein, dass sie zur alten Garde um
Bouteflika gehören oder zumindest fest im
Regierungslager stehen, der Armee mithin
als politisch zuverlässig gelten.
Chancen werden dem ehemaligen Pre-
mier Ali Benflis, 75, eingeräumt, der sich
2003 mit Bouteflika überworfen und ge-
gen ihn kandidiert hatte. Auch Abdelmad-
jid Tebboune, 73, wird genannt, er fungier-
te unter Bouteflika als Regierungschef. An-
treten dürfen auch Ex-Kulturminister Az-
zedine Mihoubi, 60, und der frühere Tou-
rismusminister Abdelkader Bengrina, 59,
ein moderater Islamist, dessen Partei die
Regierung stützt. Ebenfalls zugelassen: Ab-
delaziz Belaïd, Chef der Zukunftspartei,
die der Koalition unter Führung der Natio-
nalen Befreiungsfront (FLN) angehört.
Forderungen der Demonstranten nach
einer echten Verfassungsreform, die Bou-
teflika in den letzten Tagen seiner Amts-
zeit auf den Weg zu bringen versuchte,

lehnt Armeechef Gaïd Salah ebenso ab wie
die weniger ambitionierten Pläne von Inte-
rimsstaatschef Bensalah für einen „natio-
nalen Dialog“. Nun fordern die Demons-
tranten auch Bensalahs Rücktritt und den
von Premier Noureddine Bedoui dazu.
Die Polizei versuchte bisher vergeblich,
die Proteste zu unterbinden. Sie sperrte
Straßen im Zentrum von Algier und die Me-
tro, unterbrach den Zugverkehr in die
Hauptstadt, legte das Internet lahm. Zu-
dem geht das Regime gegen bekanntere
Köpfe der Protestbewegung und gegen
Journalisten vor. Menschenrechtler haben
Dutzende Verhaftungen dokumentiert, es
gibt mit bis zu 15 Jahren Haft erste harte Ur-
teile gegen Aktivisten. Inzwischen streiken
Anwälte, Staatsanwälte und Richter ge-
meinsam für eine unabhängige Justiz.
Und die Demonstranten brechen ein
letztes Tabu: „Schmeißt die Generäle auf
den Müll!“, riefen etliche oder „Gaïd Salah,
geh nach Hause!“ Die Erinnerung an den
jüngsten Bürgerkrieg, der 2002 mit ge-
schätzt 150 000 Toten endete, ist der jun-
gen Generation nicht mehr präsent, 70 Pro-
zent der 43 Millionen Algerier sind unter
30, ein Viertel jünger als 15. Während aller-
dings ein junger Akademiker vor 20 Jahren
mit einer Stelle vom Staat rechnen konnte,
bezahlt aus den Öl- und Gaseinnahmen,
sind heute über ein Viertel der Algerier un-
ter 30 arbeitslos. Das befeuert den Frust.
„Dieses Jahr finden keine Wahlen statt!“,
skandieren die Demonstranten. Vieles deu-
tet darauf hin, dass sie der Machtprobe mit
Armeechef Gaïd Salah nicht aus dem Weg
gehen werden.

Washington –Die Demokraten haben die
ersten öffentlichen Anhörungen in ihren
Impeachment-Ermittlungen gegen Präsi-
dent Donald Trump angesetzt. Am kom-
menden Mittwoch sollen die US-Diploma-
ten Bill Taylor und George P. Kent vor lau-
fenden Kameras im Abgeordnetenhaus
aussagen. Taylor ist der derzeitige Ge-
schäftsträger der USA in der Ukraine, Kent
ist im Außenministerium in Washington
für die Region zuständig. Vor allem von
Taylor erwarten sich die Demokraten Infor-
mationen dazu, ob Trump an die Regie-
rung in Kiew möglicherweise illegale For-
derungen gestellt hat. Am Freitag soll
dann die Aussage von Marie Yovanovitch
folgen, der ehemaligen amerikanischen
Botschafterin in der Ukraine. Sie wirft der
Trump-Regierung vor, sie aus politischen
Gründen aus dem Amt gedrängt zu haben.
Die Ermittlungen der Demokraten dre-
hen sich um die Frage, ob Trump die ukrai-
nische Regierung unter Druck gesetzt hat,
damit diese Ermittlungen gegen den frühe-
ren US-Vizepräsidenten und heutigen de-
mokratischen Präsidentschaftsbewerber
Joe Biden sowie dessen Sohn Hunter einlei-
tet. Hunter Biden war 2014 für das ukraini-
sche Gasunternehmen Burisma tätig – zu
einem Zeitpunkt, als sein Vater für die ame-
rikanische Politik gegenüber der Ukraine
verantwortlich war. Joe Biden hatte Kiew
damals gedrängt, einen Staatsanwalt zu
entlassen, der unter anderem Korruptions-
vorwürfe gegen Burisma untersucht hatte.
Obwohl es keine Belege für ein Fehlverhal-
ten Joe Bidens gibt, wirft Trump ihm vor,
korrupt gehandelt zu haben, um seinen
Sohn und die Firma, für die er arbeitete,
vor rechtlichen Problemen zu schützen.
Nach allem, was man bisher weiß, ha-
ben Trump und diverse seiner Vertrauten
die Regierung in Kiew daher massiv be-
drängt, gegen die Bidens zu ermitteln. En-
de Juli sprach der US-Präsident das Thema
sogar persönlich in einem Telefonat mit
seinem ukrainischen Amtskollegen Wolo-
dimir Selenskij an. Während Trump dar-
auf beharrt, dass er nichts falsch gemacht
hat, haben die Demokraten ein Amtsenthe-
bungsverfahren gegen ihn begonnen: Er
habe seine Position als Präsident miss-
braucht, um sich im Ausland Hilfe gegen ei-
nen möglichen Rivalen im Wahlkampf
2020 zu beschaffen. Das wäre nicht nur po-
litisch verwerflich, sondern auch rechts-
widrig.

Das Weiße Haus hat, so haben Beteiligte
ausgesagt, gegenüber Kiew vor allem zwei
Druckmittel genutzt. Zum einen machte
Trump einen Empfang von Selenskij in Wa-
shington davon abhängig, dass dieser sich
öffentlich auf die Ermittlungen gegen Bi-
den festlegt. Zum anderen hielt der US-Prä-
sident die Auszahlung von knapp 400 Milli-
onen Dollar US-Militärhilfe an die Ukraine
zurück. Die Freigabe, so wurde Kiew signa-
lisiert, hänge von den Ermittlungen ab.
Trumps Verteidigungsargument, er ha-
be sich lediglich Sorgen wegen der grassie-
renden Korruption in der Ukraine ge-
macht, ist insofern wohl nur eine Schutzbe-
hauptung. Tatsächlich gab es offenbar ein
„Quid pro quo“ – eine konkrete Forderung
Trumps an Kiew, die erfüllt werden sollte,
bevor das Geld fließt oder Präsident Selens-
kij ins Weiße Haus kommen darf. „So habe
ich das ganz eindeutig verstanden“, sagte
der Diplomat Bill Taylor laut Mitschrift in
seiner ersten Vernehmung vor dem Abge-
ordnetenhaus, die hinter verschlossenen
Türen stattfand. „Die Militärhilfe sollte
nicht ausgezahlt werden, bevor sich der
ukrainische Präsident zu den Ermittlun-
gen verpflichtet hatte.“
Die Demokraten hoffen, dass politisch
neurale Zeugen wie Taylor – ein angesehe-
ner Karrierediplomat und Vietnam-Vete-
ran – diese Vorgänge in den kommenden
Wochen so erklären, dass eine Mehrheit
der Amerikaner das Amtsenthebungsver-
fahren gegen den Präsidenten unterstützt.
Taylor hatte sich intern mehrmals sehr kri-
tisch über die Forderungen des Präsiden-
ten an Kiew geäußert. Diese wurden nicht
über die offiziellen diplomatischen Kanäle
vorgetragen, sondern vor allem über
Trumps persönlichen Anwalt Rudy Giulia-
ni und über Gordon Sondland, den EU-Bot-
schafter der USA, der formell mit der Ukrai-
ne nichts zu tun hatte. Auch andere Mitar-
beiter im Regierungsapparat waren über
die Form und den Inhalt dieser parallelen
Außenpolitik außerordentlich irritiert, dar-
unter ein zeitweise ans Weiße Haus abge-
stellter CIA-Beamter, dessen interne Be-
schwerde über Trumps Verhalten den gan-
zen Skandal vor einigen Wochen ins Rollen
gebracht hatte.
Wie effektiv Zeugen wie Taylor für die
Demokraten im Kampf um die öffentliche
Meinung sein werden, ist offen. Die meis-
ten sind nicht ranghoch genug, als dass sie
mit Trump persönlich über die Vorgänge
gesprochen hätten. Taylor zum Beispiel
hatte in der Angelegenheit vor allem mit
Giuliani und anderen Mitarbeitern aus
Trumps Umfeld zu tun, nie mit dem Präsi-
denten selbst. Er kann also nur über seine
Einschätzung dazu aussagen, was Trump
gewollt haben könnte. Direkte Anweisun-
gen bekam er von Trump aber nicht.
Die Republikaner dürften diese offene
Flanke nutzen, um ihren Präsidenten zu
schützen, selbst wenn sie dabei die Schuld
auf andere Personen abladen, die auch nur
Befehlsempfänger waren. Das ist eine Me-
thode, die Trump bereits bei den Ermittlun-
gen von Robert Mueller in der Russland-Af-
färe geholfen hat. hubert wetzel

Jerusalem– Ibrahim Mahamid wurde von
einer Kugel getroffen, die ihm nicht galt:
Der 25-jährige arabische Israeli wurde in
Umm al-Fahm am helllichten Tag auf offe-
ner Straße erschossen. Zwei Banden hat-
ten eine Fehde ausgetragen. Laut seines
Bruders Yosef hat es zwanzig Minuten ge-
dauert, ehe die Polizei ankam – und noch
länger, bis ein Krankenwagen eintraf.
Mahamid ist eines der jüngsten Opfer ei-
ner Gewaltwelle in von arabischen Israelis
bewohnten Orten. Seit Jahresbeginn wur-
den 79 arabische Israelis getötet – das ist
ein Anstieg um fast 50 Prozent innerhalb ei-
nes Jahres. Die arabischen Israelis, die
etwa zwanzig Prozent der Bevölkerung aus-
machen, werfen der Polizei und Politik Un-
tätigkeit und Ignoranz vor. Mit Protestakti-
onen versuchen sie daher, auf das Thema
mangelnder Gewaltbekämpfung in ihrer
Gemeinschaft aufmerksam zu machen.
Zehntausende nahmen in den vergange-
nen Wochen an Demonstrationen im gan-
zen Land teil. Seit Sonntag gibt es ein Pro-
testcamp direkt gegenüber vom Sitz des
israelischen Ministerpräsidenten Benja-
min Netanjahu in Jerusalem. In einem Zelt
unter einem Transparent mit der Auf-
schrift „Wir wollen ohne Gewalt und Krimi-
nalität leben“ haben sich zwei Dutzend
Funktionäre und sechs Abgeordnete nie-
dergelassen. Sie sind im Hungerstreik.
„Das ist ein Mittel, um Aufmerksamkeit zu
erregen“, sagt Yousef Jabareen, Abgeordne-
ter der Gemeinsamen Liste. Der Rechtspro-
fessor stammt aus Umm al-Fahm, wo laut
Bürgermeister Samir Mahamid nur zwei
von elf Morden aufgeklärt wurden. „Wenn
Gewaltverbrechen geschehen, dann schal-
tet sich die Polizei meistens nicht ein und
versucht auch nicht herauszufinden, wer
diese verübt hat“, sagt Jabareen. Die Zahl
der Anklagen sei sehr gering verglichen
mit der von Juden. „Es ist klar, dass die Vor-
kommnisse in unserer Gemeinschaft für
die israelische Polizei auf der Prioritätenlis-
te nicht oben stehen.“
Polizisten wiederum beklagen, dass
Ermittlungen in der arabischen Gemein-
schaft schwierig seien, weil oft die Zusam-
menarbeit verweigert werde. Nach Anga-
ben der israelischen Polizei wurden in die-
sem Jahr insgesamt 33 Morde aufgeklärt.
Außerdem seien sieben Polizeistationen in
arabischen Orten eröffnet worden. Premi-
erminister Netanjahu versprach, dass
mehr für die Sicherheit in den arabischen
Gemeinden getan werde. Jabareen reicht
das aber nicht: „Wir planen unsere Protes-
te fortzusetzen, bis wir wirkliche Verände-
rungen sehen und nicht nur Versprechen
hören.“ alexandra föderl-schmid


Tel Aviv/Bern– Der Chef des Hilfswerks
der Vereinten Nationen für palästinensi-
sche Flüchtlinge im Nahen Osten
(UNRWA), Pierre Krähenbühl, hat nach
schweren Vorwürfen seinen Rücktritt ver-
kündet. Ihm war in einem internen Bericht
Missmanagement vorgeworfen worden.
Es gab aber keine Hinweise auf Betrug
oder Unterschlagung von Hilfsgeldern. Vi-
ze-Chef Christian Saunders übernimmt
die Leitung kommissarisch.
Nach seinem Rücktritt nahm der Schwei-
zer Krähenbühl im französischsprachigen
Schweizer Fernsehen (RTS) Stellung. Er ha-
be sein Amt niedergelegt, weil die Situati-
on damit „klarer“ sei. Die UNRWA befinde
sich in einer „hyperpolitisierten“ Situati-
on. Es gebe heftige Attacken politischer, fi-
nanzieller und persönlicher Natur. „Ich ha-
be diese Vorwürfe immer zurückgewiesen
und ich tue es bis heute“, sagte Krähen-
bühl. Er könne versichern, dass es „keiner-
lei Fälle von Korruption, von Betrug oder
von Veruntreuung finanzieller Mittel“ ge-
geben habe. Auch der Vorwurf, er habe ei-
ne Liebesbeziehung mit einer Mitarbeite-
rin gehabt und diese zur Beraterin beför-
dert, habe sich als falsch erwiesen.


Israel kritisiert die UNRWA seit Jahren
und wirft ihr vor allem vor, dass die Organi-
sation mittlerweile 5,5 Millionen Palästi-
nensern den Flüchtlingsstatus zuerkennt:
Nicht nur denjenigen, die im Zuge der
Staatsgründung Israels 1948 flüchteten
oder vertrieben wurden, sondern auch ih-
ren Nachkommen. Das Palästinenser-
Hilfswerk ist unter anderem in Jordanien,
im Libanon, im Westjordanland und dem
Gazastreifen tätig. Das israelische Außen-
ministerium rief dazu auf, den gesamten
Bericht zu veröffentlichen. „Die Suspendie-
rung Krähenbühls ist der erste Schritt in ei-
nem langen Prozess, der notwendig ist, um
Korruption zu eliminieren, Transparenz
zu erhöhen und die Politisierung der Agen-
tur zu verhindern.“
Die USA, einst wichtigster Geldgeber,
hatten nach einer Anordnung von Präsi-
dent Donald Trump die Gelder für das Pa-
lästinenser-Hilfswerk von 360 auf 60 Milli-
onen Dollar im Vorjahr gekürzt. Andere
Geldgeber, insbesondere aus der EU, spran-
gen ein. Deutschland war 2018 als einzel-
nes Land der größte Geldgeber mit rund
177 Millionen Euro.
Nach Bekanntwerden der Vorwürfe ge-
gen den 53-jährigen Krähenbühl hatte
auch sein Heimatland Schweiz die Beitrags-
zahlungen gestoppt. Außenminister Igna-
zio Cassis hatte die Organisation 2018 als
Teil des Palästina-Problems bezeichnet:
„Indem wir UNRWA unterstützen, halten
wir den Konflikt am Leben.“
a. föderl-schmid, i. pfaff


Gewaltwelle in Israels


arabischen Ortschaften


„Schmeißt die Generäle auf den Müll“


Algeriens Armeechef will Präsidentschaftswahlen abhalten und so die Dauerproteste gegen
das alte Regime beenden. Aber das Volk spielt nicht mit und zieht Freitag für Freitag auf die Straße

Israel hatte die UN-Organisation


schon seit Langem kritisiert


Warschau– Gewöhnlich ist es ein Alarm-
zeichen, wenn sich ein Kandidat wenige Ta-
ge vor einer wichtigen Wahl nach einem
neuen Wahlkampfmanager umsehen
muss. Doch Rumäniens Präsident Klaus Jo-
hannis war hochzufrieden, dass ihm Ludo-
vic Orban kurz vor der Präsidentenwahl
am Sonntag den Laufpass gab: Denn Or-
ban beendete diese Aufgabe, um am ver-
gangenen Montag von Johannis als neuer
Ministerpräsident vereidigt zu werden.
Für den 60-jährigen Johannis ist es un-
gewohnt, als Präsident mit einer Regie-
rung zusammenzuarbeiten, statt sich mit
ihr politisch bis aufs Messer zu bekämp-
fen: Seit der Siebenbürger Sachse und frü-
here Bürgermeister von Herrmannstadt
(Sibiu) im November 2014 überraschend
als Präsident gewählt wurde, hatte er es
meist mit der postkommunistischen PSD

als Gegenspieler an der Regierung zu tun.
Diese tat unter dem PSD-Chef und fakti-
schen Regierungschef Liviu Dragnea alles,
um die Justiz unter ihre Kontrolle zu brin-
gen. Sie höhlte den Rechtsstaat aus mit Ge-
setzen und Eilerlassen; Ziel des ganzen:
den wegen Wahlmanipulation vorbestraf-
ten Dragnea in einem zweiten Prozess vor
Verurteilung und Gefängnis zu bewahren.
Nicht immer machte Johannis als Präsi-
dent eine gute Figur. Er wirkt spröde und
lange unentschlossen, er ist kein guter Red-
ner und umgab sich teils mit zweifelhaften
Ratgebern. Und im Februar 2017 entzog
ein Gericht Johannis und seiner Frau end-
gültig ein Haus, das nach Ende des Kom-
munismus und einer Reprivatisierung
nicht rechtmäßig in den Besitz der Johan-
nis‘ kam, das hatte das investigative Rise

Project recherchiert. Etliche Rumänen wa-
ren auch unzufrieden, weil sie fanden, Jo-
hannis unternehme als Präsident nicht ge-
nug gegen rechtswidrige Gesetze der PSD-
Regierung. Doch die Macht von Rumäni-
ens Präsident ist begrenzt: Er kann zwar Ve-
to gegen Gesetze einlegen, doch dieses
kann ziemlich leicht überstimmt werden.
Schlagzeilen machte auch, dass Johan-
nis im Juli 2018 Laura Kövesi entließ, die
überaus populäre Leiterin der Anti-Korrup-
tions-Behörde DNA. Diesen Schritt hatte
Johannis zwar monatelang verzögern kön-
nen, er hatte aber letztlich keine Wahl: Das
Verfassungsgericht, dominiert von der
PSD nahestehenden Richtern, verpflichte-
te den Präsidenten in einem Skandalurteil,
Kövesi entlassen. So wollte es der seiner-

seits höchst umstrittene Justizministers,
um zu verhindern, dass Kövesi weiter Re-
gierungspolitiker der Korruption anklagt.
Seit kurzem ist Kövesi europäische Gene-
ralstaatsanwältin, die EU Chefermittlerin.
Im Vergleich zu der von Skandal zu Skan-
dal taumelnden Regierung machte Johan-
nis aber trotz seiner Mängel gute Figur. Die
vergangenen Monate verliefen sogar fast
ideal für ihn, der nun seine Wiederwahl an-
strebt: Erst bereiteten die Wähler der PSD
bei der Europawahl eine krachende Nieder-
lage, während Johannis‘ konservative Op-
positionspartei PNL zulegte. Dann wurde
Ende Mai PSD-Parteichef Dragnea rechts-
kräftig verurteilt und sitzt im Gefängnis.
Und schließlich zerfiel vor knapp einem
Monat die von seiner Nachfolgerin Viorica

Dăncilă geführte Regierung. Ihr Koalitions-
partner Alde wollte offenbar das sinkende
Schiff rechtzeitig vor der nächsten Parla-
mentswahl verlassen. Johannis‘ Partei-
freund Orban brachte als PNL-Chef im Par-
lament genug kleine Parteien und Ab-
weichler aus der PSD auf seine Seite, um
die Regierung per Misstrauensvotum zu
stürzen und selbst zum Regierungschef ge-
wählt zu werden.
Vor der Präsidentenwahl wirbt Johannis
bei den Rumänen als ein Politiker für sich,
der die Unabhängigkeit der Justiz wieder-
herstellen, Erziehung und Gesundheitswe-
sen reformieren und Investitionen in
Transport und Infrastruktur fördern wolle
ebenso wie eine moderne Landwirtschaft.
Alles, damit Rumänien endlich nicht mehr
das Armenhaus der EU bleiben werde. Das
allerdings sind nicht Aufgaben eines Präsi-
denten, sondern die der Regierung. Die
wird zwar nun von Johannis‘ eigener Partei
gestellt, ist aber nur eine Minderheitsregie-
rung mit kurzem Mandat bis zur planmäßi-
gen Parlamentswahl im Herbst 2020.
Gleichwohl führt Johannis als Präsident-
schaftskandidat mit großem Vorsprung: Ei-
ne Umfrage sieht ihn bei 39 Prozent, eine
andere bei knapp 46 Prozent. Von den rest-
lichen 13Kandidaten erreichen nur drei
mehr als zehn Prozent: die gerade mit ihrer
Regierung gestürzte PSD-Parteichefin Vio-
rica Dăncilă (15 bis 23 Prozent), der von Ex-
Ministerpräsident Victor Ponta und der Al-
de-Partei gestützte Schauspieler Mircea
Diaconu (17 Prozent ) und Dan Barna (13 bis
19 Prozent), Führer der aufstrebenden libe-
ralen Oppositionspartei USR. Um schon
am Sonntag für eine zweite fünfjährige
Amtszeit gewählt zu werden, bräuchte Jo-
hannis mehr als 50 Prozent der Stimmen
der knapp 19 Millionen Wahlberechtigten.
Dies gilt als unwahrscheinlich, so dürfte
die Entscheidung in einer Stichwahl am


  1. November fallen. florian hassel


DEFGH Nr. 258, Freitag, 8. November 2019 (^) POLITIK HF2 9
Das Staatsoberhaupt machte nicht
immereine gute Figur. Aber
andere machten viel schlechtere
Das Volk klagt seine Rechte ein: Eine Algerierin fordert eine zivile Regierung für das nordafrikanische Land. FOTO:RYAD KRAMDI / AFP
Vieles spricht für eine zweite Amtszeit: Anhänger von Präsident Klaus Iohannis vor
seinem Bild bei einer Wahlveranstaltung in Braila. FOTO: DANIEL MIHAILESCU/AFP
Der Präsident soll sein Amt
missbraucht haben, um seinem
Wahlkampfgegner zu schaden
UNRWA-Chef
tritt zurück
Pierre Krähenbühl weist Vorwurf
des Missmanagements von sich
Der Generalstabschef will
die Proteste beenden,
droht und sucht die Machtprobe
US-Diplomaten
im Zeugenstand
Anhörungen könnten Trump
in der Ukraine-Affäre belasten
Gute Karten nach mittelmäßigem Spiel
Rumänien wählt am Sonntag den Präsidenten. Favorit ist Amtsinhaber Klaus Johannis, der die Justiz wiederherstellen will

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