Frankfurter Allgemeine Zeitung - 08.11.2019

(vip2019) #1

SEITE 2·FREITAG,8.NOVEMBER 2019·NR.260 FPM Politik FRANKFURTER AL LGEMEINEZEITUNG


MitihrerWeisheitamEnde
„Der Standard“ (Wien) schreibt zumAtomvertrag
mitIran:


„Nun wirdder 2015geschlosseneKompromissmit
dem Iranwohl bald vomTischsein: allerdings ohne
dassauchnureinesderpolitischenZiele ,diedie Verei-
nigten Staaten mitihremAusstieg verfolgthaben, er-
reicht is t. Fast alle Eskalationsstufen –außer einem
Militärschlag,den Präsident DonaldTrumpverab-
scheut –sind ausgereizt.Aber auc hjene Staaten, die
den Deal erhalten wollen,vor allem die EU-
Deutschland, Frankreich und Großbritannien,sind
mit ihrerWeisheit am Ende:Früher oder späterwer-
den sie aus den iranischenVerstößen Konsequenzen
ziehen müssen. Das wirdTrump bestimmt freuen.
Aber eine Lösung des Problems mit dem iranischen
Atomp rogrammis tesnicht.“


ScholzundKramp-Kar renbauergefordert
Die „Nürnb erger Nachrichten“kommentie rendie
Halbzeitbilanzdergroßen Koalition:
„Daherhabendie(Ex-?)VolksparteieninderKriseei-
gentlichnureineChance:Siemüsstensic hendlichzu-
sammenraufen.Wassie bisher auf denWeggebracht
haben, istteils dur chaus solide,teils unzureichend
(Klimaschutz). Da istnochviel Luft nachoben. Und
dagibt esSchwachstellenimKabinett–vorallemVer-
kehrsministerScheueristzurBelastungfürdieGroKo
geworden.WennMe rkeldasBündnisnichtmehrfüh-
renwill (wonachesaussieht), dann sind andere her-
ausgefordert,FührungskraftunterMerkelzuzeigen–
allen voranein VizekanzlerOlaf Scholz, der ja auch
SPD-Chefwerden will, aber aucheine CDU-Chefin
Annegret Kramp-Karrenbauer,die endlichmal zei-
genmüsste,obsiedasZeugzur Kanzlerinhat.“

Merkelhatsic hverabschiedet
Die„NeueZürcherZeitung“ widmetsich der Rolle
Merkelsim Machtk ampfde rCDU:
„Merkelformuliertihn mit Blickauf Thüringen:
,Mein grundsätzlicherRatandie CDU :einfac hmal
abwarten.‘ Die Devise passt ...zur Tatsache, dass
Merkelsichaus den innenpolitischen Debatten des
Landesfastvollständigverabschiedethatundauchin
den Wahlkämpfenkeine Rolle mehr spielt.Sie pas st
zumof fenenMachtkampfumdienächsteKanzlerkan-
didaturihrerPartei.Undsiepas stzumAlleingangih-
rerVerteidigungsministerin(undWunsch-Nachfolge-
rin)inderSyrien-Politik–unddazu,dassdieKanzle-
rintatenlo szuschaut,wiederAußenministervonder
SPD ebenjeneMinisterin beim Besuchdes Bündnis-
partner sTürkeierstlächerlic hmachtundihranschlie-
ßendsogarvorwirft,dieAußenpolitikdesLandesbe-
schädigt zu haben.Wozu die Devise nicht passt,ist

Merkelsgrundgesetzlichvorgesehen eRolle:,DerBun-
deskanzler bestimmtdie Richtlinien derPolitik und
trägtdafürdieVerantwortung.‘“

ZiemiakzeigtHaltung
Die„Neue Osnabrücker Zeitung“kommen tier tdie
LagederthüringischenCDU:
„Welche Erleichterung: Die CDU-Führungen in Ber-
lin und Erfurtschlagen dasvergifte te Angebo tder
AfD für eineKooperation in Thüringen klar aus. Al-
len voranGeneralsekretärPaul Ziemiak zeigt Hal-
tung und bezeichnetden wichtigstenAfD-Führer in
Erfu rtals das,waserist:ein Nazi. Es is trichtig, dass
dieAfDeinedemokratischgewählteParteiist.Einem
skrupellosenAgitator wie BjörnHöcke die Hand zu
reichen wäreabereinfatalesSignal.Eswürdesover-
standen, als wollten Christdemokraten einenge-
schichtsvergessenen undvölkischen Rechtsextremis-

tensalonfähigmachen.WenndieCDUschonje dwede
Zusammenarbeitmitde mehersozialdemokratischre-
gierende nLinkenBodo Ramelow kategoris ch ab-
lehnt,dannmussdiesumsomehrfürdieAfDgelte n.“

Siegei nerkonstruktivenPolitik
Der„KölnerStadt-Anzeiger“schreibtzumdeutsch-
amerik anischen Verhältnis:
„Amerikaner können ungewöhnli ch selbstgerecht
sein ,Deutscheaber au ch.Soist es au ch jetzt wieder,
im Rückblic kauf den Mauerfall.InA merika wird oft
übersehen,namentlichvonMitgliedernderTrump-Re-
gierung, dass die weltpolitische Sensationvon 1989
nur mö glichwurde du rchdas Geg entei lvon Trumpis-
mus: Eswarder Erfolg ei nerklugenHinwendung zu
dieser Welt mit allihren Komplexi täten; es warder
SiegeinerkonstruktivenPoliti k,diesichlöste vonder
ArroganzderMachtundaufDiplomatiesetzte.“

STIMMEN DER ANDEREN


ERFURT.NachzehnTagenderUnsi-
cherheitatmetendieLiberaleninThü-
ringen am Donnerstag auf, als der
LandeswahlleiterdasamtlicheEnder-
gebnisderLandtagswahlvom27.Ok-
tober bekanntgab. Danachzieht die
FDPmit fünfProzent derStimmen in
den Landtag inErf urtein und istda-
mitwiederineinemostdeutschenPar-
lament vertreten.Am Wahlabendhat-
te die Partei mit lediglichfünf Stim-
men die Fünf-Prozent-Hürde über-
sprungen.Nach abermaliger Auszäh-
lung allerWahlkreisekommt diePar-
teinunaufeinenkomfor tableren Vor-
sprung von73Stimmen.
Gleichwohl istesdas knappste
WahlergebnisfürdieLiberalenbeiei-
ner Landtagswahl überhaupt. Bisher
hieltensie diese n„Rekord“inHam-
burg, wo der FDP 2001 mit 611Stim-
men mehr als nötig der Einzug in die
Bürgerschaftgelang, und in Hessen,
wo sie 2013 911Stimmen über der
Hürdelag.DieWahlhabewiederein-
malgezeigt,wiewichtigjedeeinzelne
Stimmesei,kommentiertederThü rin-
gerFDP-VorsitzendeThomasKemme-
richdasEr gebnis.
Bei den Landtagswahlen in Bran-
denburgundSachsenAnfangSeptem-
ber verfehlte dieFDP den Einzug in
die Landtage.Fürdie Regierungsbil-
dung in Thüringen istder Einzug der
Liberalen nichtvonentscheidender
Bedeutung. Allerdingssteigt dadurch
die Chance auf eineeventuelle rot-
rot-grüne Minderheitsregierung. Lin-
ke,SPD und Grüne haben sichbisher
grob daraufverständigt,ihreZusam-
menarbeit fortzusetzen. Füreine
Mehrheit im Landtag fehlendem
Bündnis jedochvier Stimmen. Zwar
hatFDP-ChefKemmeric heineKoali-
tion oderTolerierungvonRot-Rot-
Grün ausgeschlossen, sichaber eine
„sachbezogeneZusammenarbeit“aus-
drücklic hoffengehalten.Vernünfti-
genVorschlägen,etwa um etwasge-
genden Unterrichtsausfall zu tun,
werdesichseine Fraktion nichtver-
weigern, sagteKemmerich. Mit den
Stimmen ihrer fünf Abgeordneten
könntedieFDPderMinderheitskoali-
tionbeibestimmtenThemenzueiner
Mehrheitverhelfen. Die Linkegratu-
liertederFDP amDonnerstagjeden-
falls schon mal und wünschte:„Auf
guteZusammenarbeit zum Wohle
desFreistaates“.
Die zweiteVariant eeiner Minder-
heitsregierung,einBündnisausCDU,
SPD,GrünenundFDP ,wieesderThü-
ringer CDU-VorsitzendeMikeMoh-
ringvorschlägt,hättesieben Stimmen
zu wenig. Das Bündniswäre bei Ab-
stimmungen auf die Linksparteioder
aufdieAfDangewiesen.SPDundGrü-
ne haben sichzuGesprächen mit der
CDU bereit erklärt, aber auch deut-
lichgemacht,dassihrePräferenzenin
einem Dreierbündnis mit der Links-
parteiliegen. Die CDU wiederum
wiesamDonnerstageinGesprächsan-
gebotder Linkspartei-Vorsitzenden
Susanne Hennig-Wellsowzurück.
AucheinGesprächzwischenMinister-
präsident BodoRamelowund Moh-
ringwerdeesnichtgeben,sagteGene-
ralsekretärRaymondWalkdieserZei-
tung.Nach derWahlhatteMohringer-
klärt, Ramelows Einladung„aus
staatspolitischer Verantwortung“ zu
folgen. Die CDU-Fraktion beschloss
jedochamMittwoch,weder mit der
Linksparteinochmit der AfD zusam-
menzuarbeiten.
Der neugewählteThüringer Land-
tagkommtvoraussichtlicham26.No-
vember zum ersten Mal zusammen.
Ob sic hRamelowdann zurWieder-
wahlstellt,is tnochunklar.Imdritten
Wahlgang könnteermit einfacher
Mehrheitgewählt werden. Der CDU-
Vorsitzende Mohring hält sichweiter
offen, ebenfalls anzutreten. Aller-
dings könnteernur mit Stimmen der
AfD vorRamelowlanden. Der „Bild“
-Zeitung hatteMohring am Donners-
taggesagt, voreiner Wahl ausschlie-
ßen zu wollen, aufStimmen der AfD
angewiesenzusein.Ramelowwieder-
um könnteauchlänger eZeit ge-
schäftsführend regieren. Denn die
Thüringer Verfassung kennt keine
Frist, bis zu der nacheiner Landtags-
wahl ein neuer Ministerpräsident ge-
wähltwerdenmuss. lock.

pca. BERLIN.Verteidigungsministerin
AnnegretKramp-Kar renbauer (CDU)
hat in einer Grundsatzrede mehr deut-
sches Engagement in derSicherheitspoli-
tikverlangtundfürdieBundeswehrinten-
sivierte undneue Einsätze angekündigt.
Zugleichforder te sie, dieStreitkräftein
dennächstenzehnJahrenstarkauszubau-
en und denVerteidigungsetatbis 2031
um mehr als ein Drittel des heutigen
Stands und somit auf zwei Prozent des
Bruttoinlandsproduktszusteigern.
Deutschland soll sichbei internationa-
len Konflikten militärischdeutlichstär-
ker, mutigerundführendengagieren.Das
sagteKramp-Kar renbauer am Donners-
tagbeiihrersicherheitspolitischenGrund-
satzredevorjungen Offizieren derStreit-
kräf te in der Universität der Bundeswehr
inMünchen.BeiBedrohungenderlibera-
len Weltordnung könne Deutschland
„nicht nur einfachamRande stehen und
zuschauen. Nicht abwarten und dann
mehr oderweniger entschlossen mittun
oder auchnicht mittun.“Fürsie gelte, so
Kramp-Karrenbauer:„Wirhaben eine
PflichtundvorallemeinInteresse,unsin
die internationale Debatteeinzubrin-
gen.“ Klar sei aber auch: „FürAbenteuer
wardie Sicherheitspolitik der Bundesre-
publik nie zu haben, und das bleibt auch
so,unddasistauchgutso.“
DieSPD,KoalitionspartnerderUnion,
reagierte zunächs tabwartend auf die
Rede der Ministerin. Der heftigeStreit
der vergangenenWocheüber denVor-
schlagderMinisterinfüreineSicherheits-
zone inNordsyrien solltezunächs tnicht
weiter angeheizt werden. Der Ver-
teidigungspolitikerFritz Felgentreu sagte
dem „RedaktionsnetzwerkDeutschland“:
„Mankann nicht pauschalmehrEinsätze
fordern, sondernmussimEinzelfall prü-
fen, ob ein Einsatz notwendig istund die
Fähigkeitendazuvorhandensind.“
Die Ministerinführte anhandvonBei-
spielenaus,wasdas für Deutschland und
seine Bundeswehr konkret bedeuten
könnte: eine schnelle undvereinfachte
Genehmigung vonAuslandseinsätzen
durch den Bundestag, den Aufbau eines
Nationalen Sicherheitsrates zurkonkre-
tenDefinitionvonstrategischen Interes-
sen,einevermehrtePräsenzauchimpazi-
fisch-asiatischenRaum.
Am Beispiel des Bundeswehreinsatzes
in Mali erläuterte Kramp-Karrenbauer,
wie das sicherheitspolitische Engage-
ment Deutschlands häufig ist–und wie
es sein sollte: Die Bekämpfung des „Isla-
mischenStaats“ liege„überwiegend in
französischerHand,obwohlunsereInter-
essen auchunmittelbar betroffen sind.
Wirmüssen die Lastengemeinsam tra-

gen, die materiellen und die moralischen
Lasten.“ Sie wandtesichdamit gegendie
–teilweise übliche–Arbeitsteilung, dass
nämlichdieDeutschenfürdaslogistische
Rück grat sor gen, die Partner aberkämp-
fen. In Mali istdas derzeitwohl überwie-
gend so derFall, wo die Bundeswehr mit
etwa900SoldatenimNordenbeiGaoein-
gesetztis t.Zurdeutsch-französischenZu-
sammenarbeitgehöre, so Kramp-Karren-
bauer,„auchdieBereitschaft,gemeinsam
mit unserenPartnerndas Spektrum der
militärischen Möglichkeiten auszunut-
zen“, so wie dies in Afghanistander Fall
gewesen sei. „Solidarität istnie und darf
nieeineEinbahnstraßesein.“
Mit „sichtbarenZeichen“ der Solidari-
tätanAustralien undNeuseelandgegen
hegemonialeBestrebungenandererMäch-
teinder Region,gemeintis tChina,sand-
te Kramp-Karrenbauer eine eindeutige
Botschaftandie deutsche Ma rine, die
sichwohl auf eine Entsendungdorthin
einstellen kann. „Wir können nur dann
aufSolidaritätsetzen,wennwirselbstso-
lidarisc hsind“, sagtesie zur Begründung
und mit Blickauf die Tatsache, dasssich
auchferne PartnerwiebeispielsweiseKa-

nada ebenfallsweitab vonzuHause und
fern aktueller Bedrohungen für sie selbst
engagieren,etwa imBaltikum.
Kramp-Karrenbauer führte aus, dass
dieses Bekenntnis zu mehrVerantwor-
tungseit derMünchnerSicherheitskonfe-
renz2014imGrundeKonsenssei.EinEr-
kenntnisproblemgebe es in diesemFall
nicht und überhauptselten in Deutsch-
land. Aber:„Wirhaben Problememit der
Umsetzung. Es istunbestritten, dass
Deutschland angesichts derstrategischen
Herausforderungmehrtunmuss.“
Als einen der Schwerpunkteder kom-
menden deutschen EU-Ratspräsident-
schaf timzweitenHalbjahr2020kündigte
die Ministerinan, man wolle „den euro-
päischen Arminnerhalb derNato stär-
ken.Wirwolleneineselbstbewus steeuro-
päische Verteidigungsunion. Wirsind
stark,wirtschaftlich, politischundmilitä-
risch, wennwiresdennseinwollen.Wol-
len wir es nicht,werden wir unsverzwer-
gen.“ Undanderewürden die Ordnung
neugestalten.
In ihrer sicherheitspolitischen Grund-
satzrede bekanntesichdie Ministerin
abermals zum starkenAufwuchs der

Streitkräf te.Bis 2031 solle das Zwei-Pro-
zent-Ziel erreicht sein. „DieserPfadist
wohl überlegt, und damitkönnen wir der
Nato das liefern,waswir zugesagt ha-
ben.“ Dochesgehe nicht umZusagen an
Amerika oder seinen Präsidenten:„Wir
brauchendas,weilesinunseremeigenen
Sicherheitsinteresseliegt.“ Der Forde-
rung, die parlamentarischen Abläufefür
Auslandseinsätzezuvereinfachen,wider-
sprac hderSPD-PolitkerFelgentreu:„Der
gesamteMandatierungsprozesskann im
NotfallbinnenzwölfStundenabgeschlos-
sen werden und bei sofortigem Hand-
lungsbedarfsogarnachträglicherfolgen.“
Ersehe keinenÄnderungsbedarf.
Kritik an denVorschlägen äußerten
Linkeund Grüne. Der Linke-Vorsitzende
BerndRiexingerwarfKramp-Karrenbau-
ervor, ZielihrerÄußerungensei,„dieBe-
völkerunginDeutschlandfürWirtschafts-
krieg ezusensibilisieren und ihr eigenes
Profil zu schärfen“. Grünen-Politikerin
AgnieszkaBruggersagte,Kramp-Karren-
bauersÄußerungenseienvoralleminnen-
politischmotiviert. Die Ministerin
„wärmt leider nur Debattenvonvor fünf
Jahrenauf,“sagteBrugger.

Knappe


Wahl


FDPschafftSprungin


ThüringerParlament


löw. WIEN.Indie Auseinanderset-
zung über das iranische Atompro-
grammwir djetztauc hdiebislangall-
seits als neutral anerkannteInterna-
tionale Atomenergiebehörde IAEA
hineingezogen. Eine IAEA-Inspek-
teurin warvergangene Woche daran
gehinder tworden,dieAnreicherungs-
anlageNatanszubetreten.Lautirani-
scher Darstellung habe ein Spreng-
stoffde tektorangeschlagen.Derirani-
sche Botschafterbei der IAEA in
Wien wurde am Donnerstag mit den
Worten zitiert, die Inspekteurinwer-
de verdächtigt, sie habe nitratbasier-
tenSpren gstoffindieAnlageschmug-
gelnwollen.
Die EUgabinWien eine Erklä-
rung ab, sie sei „sehr besorgt“ über
den Vorfall, Iranwerdeaufgefordert,
„sicherzustellen,dassdieInspekteure
der IAEA ihreAufgaben“ entspre-
chend denVerpflichtun genTeherans
erfüllenkönnen.EineVertreterinder
Vereinigten Staaten sprachvon einer
„ungeheuerlichen Provokation“ und
einem „nicht hinnehmbarenAkt der
Einschüchterung“durch Iran.


mic. PARIS. Derfranzösische Präsi-
dentEmmanuelMacronhatdieEuro-
päer zu verstärktenVerteidigungsan-
strengungenaufgerufen,dennaufdie
Nato sei kein Verlassmehr.„Waswir
derzeit erleben, istder Hirntod der
Nato“,sagt eerineinemamDonners-
tagveröf fentlichten Gespräch, das er
am 21. Oktober mit dem britischen
Nach richtenmagazin„The Econo-
mist“ im Elysée-Palastführte.Der
Präsident,derinknappeinemMonat
zum Nato-Jubiläums-Gipfel in Lon-
don er wartet wird, will eine Debatte
„über diestrategischeFinalitä tder
Nato“anstoßen.
Er erhob schwereVorwür fe ge gen
PräsidentDonald Trump. „Wir erle-
ben keinerlei Koordinierung über die
strateg ischenEntscheidungen zwi-
schen denVereinigtenStaaten und
denanderenNato-Partne rn“,kritisier-
te er.Trump verbinde mit derNato
nur mehrkommerzielleVorteile für
die eigene Rüstungsindustrie. „Die
Vereinigten Staaten stelleneinengeo-
politischenSchutzschirm,aberimGe-
genzuger wartensie, ...dassamerika-
nischgekauf twird. Frankreic hhat
das nicht unterzeichnet“, sagteMa-
cron.
UnterPräsident Nicolas Sarkozy
warFrankreic h2009 in die integrier-
tenNato-Militärstrukturen zurückge-
kehrt.MacronistseitherdererstePrä-
sident, der öffentlichamNutzen der
transatlantischen Verteidigungsorga-
nisationzweifelt.Mitder Türkeihabe
ein Nato-Partner ohne jeglicheAb-
sprache in Syrien militärischeinge-
griffen,ob wohldor tauchstrategische
Interessen Europas bedroht seien.
DerKampfgegendieTerroror ganisati-
on„IslamischerStaat“(IS)seibislang
die Prioritätgewesen. Dochdies wer-
de nun inFragegestellt .„Wasdapas-
siertist,stelltein enormes Problem
fürdie Natodar“,sagteMacron.
Er äußerte Zweifel an der in Arti-
kel5festgelegten militärischen Bei-
standspflicht unter den Nato-Part-
nern. „Wenndas RegimevonBaschar
al Assadgegendie Türkei zurück-
schlägt,werden wir uns dann militä-
rischengagieren?“, fragteMacron.
DerRückzugderamerikanischenSol-
daten ausNord syrien wie die türki-
scheOf fensiveführtendazu,da ss„un-
sereVerbündetenimKampf gegenIS
geopfer twerden“,beklagteMacron.
WenigeTagenachdem deutsch-
französischen Ministerrat in Tou-
louseermahnteMacrondieBundesre-
gierung, dengeopolitischenWandel
erns tzunehmen.„IchmussdenDeut-
schen keine Lektion erteilen. Sie ha-
ben besser als wir die Jahrhundert-
wendevollzogen“,sagteer.Aberjetzt
geltees, eine Wende in derVerteidi-
gungspolitikzuschaffen.


Nicht amRand stehen:VerteidigungsministerinKramp-KarrenbaueramDonnerstaginMünchen Fotodpa

Als vor30Jahren die Mauerfiel, war
MikePompeo an der innerdeutschen
Grenze stationiert.AmDonnerstagstand
deramerikanischeAußenministerwieder
dort.Das DorfMödlareuth liegt zumTeil
in Ba yern,zum anderen in Thüringen.
„LittleBerlin“hießesbiszurWiederverei-
nigung, denn durch das Dorfverlief die
Grenze .AmAbend in Leipzig erinnerte
Pompeo, der damaligePanzerzugführer,
an den Mut der DDR-Bürger: Die Men-
schen hätten unter demKommunismus
gelitten und sicherhoben. Es sei wichtig
für ihn, hier zu sein.Außenminister Hei-
ko Maas,der damalswegvon der deut-
schen Grenze im Saarland lebte, sagte:
„Du hastpersönliche Erinnerungen an
die Zeit, in der an dieser Grenze noch
schar fgeschossen wurde, an der Du die
Freiheit verteidigt hast.“Ohne dieFüh-
rungskraf tAmerikas hätteeskeine Wie-
dervereinigunggegeben, sagteMaas.
„Wir sind Euchin großer Verbundenheit
und in großer Dankbarkeit verpflicht et.
Wirverdanken unsereFreiheit und unse-
re Einheitganz entschieden Euch.“Auf
Wunsch Pompeos besuchten die beiden
MinisteramAbend die Nikolaikirchein
Leipzig, der Ortder Friedensgebete seit
Anfang der achtziger Jahre, aus denen
sichdie Montagsdemonstrationen entwi-
ckelten. Pompeo nanntedie Kir che„eine
der Geburtstätten der deutschen Frei-
heit.“

Die gemeinsame Erinnerung istfür
Deutsche und Amerikaner in diesenTa-
genmanchmal einfacher als der Aus-
tausch über die Gegenwart.Docham
Donnerstag schlugenPompeo und Maas
auchhier einenversöhnlichenTonan.
„Wir sind Verbündete und Freunde, wir
glaubenanRechtsstaatlichkeitundDemo-
kratieundandereunveräußerlicheWerte,
die unsverbinden und unsereEntschei-
dungen in derAußenpolitikbeeinflus-
sen“, sagtePompeo. Er würdigte sogar
die „multilateralenBemühungen
Deutschlands“. Deutschlandsei ein
„großartiger Partner bei vielen interna-
tionale nProblemen“.„Wir haben diesel-
ben Prinzipien, dieselben Sorgen, gele-
gentlich haben wir einen anderen An-
satz.Das passiert unterguten Freunden
undVerbünde ten.“
Einen anderen Ansatz–auchwenn
das ein sehrvorsichti gerAusdruc kist –
gibtesetwaüberdi edeutschenVerteidi-
gungsausgaben. Wiederhol thatteder
amerikanis chePräsidentDonald Trump
Deutschland scharf dafür kritisiert,dass
die Verteidigungsausgabennachwie vor
das 2-Prozent-Ziel derNato verfehlen.
Am DonnerstagmorgenhatteVerte idi-
gungsministerin AnnegretKramp-Kar-
renbaueraberangekündigt,dieSelbstver-
pfli chtungder Nato-Staaten bis spätes-
tens2031zuerfüllen.Pompeozeigtesich
erfreu t.„DieNatoistsowichtigundinso-

fernmüssenalleLändereinen wichtigen
Beitragleisten“,soPompeo.
Maas nannte die Freundschaft zu den
Vereinigten Staaten „dasFundament für
die Zukunft“ .Erversicher te:„DieVerei-
nigten StaatenbleibenEuropaswichtigs-
terVerbündeterund Deutschlands wich-
tigsterVerbündeteraußerhalb Europas.“
Sicherheit sei nur möglich, „wenn wir an
einem Strang ziehen“. Er habe mitPom-
peo über die schwierigen Aufgaben der
Gegen wart gesprochen, in der Ukraine
undin Nord syrien etwa.
An diesem Freitag wirdPompeo
Kramp-Karrenbauer in ihrem Ministeri-
umbesuchen.Dasistungewöhnlich.Man
magdasdaraufzurückführen,dassdieMi-
nisterinzugleic hauchCDU-Vorsitzende
istund damit diePartei führt, die noch
am ehestenfür transatlantischeVerläss-
lichkeitsteht.Pompeos Begegnung mit
Kramp-Karrenbauer istein Arbeitstref-
fen,de ramerikanischeAußenministerbe-
reitet mit seinerReise auc hdie Nato-Ta-
gung Anfang Dezembervorund will wis-
sen,wasvonDeutschlandzuerwartenist
–Stichwor tAusrüstungundEinsatzbereit-
schaf tderBundeswehr.
Dassdie Amerikaner trotzaller verba-
len Schlägeihres Präsidentengegen die
Europäer und insbesondereDeutschland
im Alltagkeineswegs ihreBeiträg eim
Bündnisvermindern,wirdzuweilenüber-
sehen: So sind derzeit mehr amerikani-

sche Soldaten in der Bundesrepubliksta-
tioniertalszur Zeit vonPräsident Barack
Obama,mehrals30000.AnderOstflan-
ke der Nato stellen die Amerikanerstän-
dig eine Brigade,rund 5000 Männer und
Frauen,diealleneunMonateausgewech-
selt werden und quer dur ch Europa mar-
schieren–wogegen in BrandenburgAfD
und Linkeinseltsamer Eintracht protes-
tieren. Imkommenden Frühjahr sollen
rund20 000SoldatenmitZehntausenden
Fahrzeugen und Containernvon Ameri-
kakommendquerdur chEuropanachPo-
len, ins Baltikum und Georgienverlegt
werden,eine gefechtsbereit eDivision.Ins-
gesamt werden an derÜbung „Defender
20“ des amerikanischen Heeres mehr als
37000 Soldaten beteiligt.Zum Vergleich:
Deutschland hat derzeit nicht einmal ein
Drittel einer solchen Division mitvoller
Ausstattung, erst 2023 soll das soweit
sein. Voneiner AbwendungAmerikas
kann alsokeine Rede sein. Der oberste
Soldat der Bundeswehr,Generalinspek-
teur EberhardZorn, beschrieb Mitteder
Wochebei einerVeranstaltung derUni-
ons-Fraktion im Bundestagdie Lag eso:
„Nac hjedem Tweetvon DonaldTrump
werdeich vollautomatischangerufen aus
Washington odervonder amerikanische
EbenebeiderNato,diemirdasdann,ich
formulierepolitischkorrekt, erklären,
wiees gemeintis t.“Zornglaubt:Deutsch-
land könne sic hweiter auf dieVereinig-
tenStaaten verlassen.

„EuropäischenArm in Nato stärken“


Kramp-KarrenbauerhältsicherheitspolitischeGrundsatzrede/„KeineAbenteuer“


Ungewohnt viele Gemeinsamkeiten


PompeogibtsichbeiseinemDeutschland-Besuchfreundschaftlich/VonHeleneBubrowskiund PeterCar stens


Vorfall mit


IAEA in Iran


„Hirntod der


Nato“


Macronzweifelt


öffentlichamBündnis

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