Frankfurter Allgemeine Zeitung - 08.11.2019

(vip2019) #1

SEITE 20·FREITAG,8.NOVEMBER 2019·NR.260 Wirtschaft FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG


B

undesfinanzministerOlafScholz
(SPD) hat seine EU-Amtskolle-
genaufgerufen,diejahrelangblo-
ckierteDiskussionübereineeu-
ropäische Einlagensicherung mit neuem
Schwung zuversehen und dafür dievon
ihm jüngstvorgelegten Vorschlägeals
Grundlagezunehmen. „Die Zeit des Re-
dens is tvorbei, jetzt mussdie Zeit des
Handelnskommen“, sagteder Minister
voreinem Treffender Eurogruppe am
Donnerstag in Brüssel. Die Diskussion
über eineVollendung der Bankenunion
seiindenvergangenenJahrenimmernur
davongeprägt gewesen, „dass der eine
daseinegutfindetundderanderedasan-
dere“.EsseijetztZeit,alle Vorschlägezur
selbenZeitzudiskutierenundeinenKom-
promis szuf inden.
ScholzhattesichamMittwoc hbereiter-
klärt, in der EU über dasVorhaben einer
europäischenEinlagenrückversi cherung
zureden,das dieBundesregierungbisher
blockierthatte.DiesemVorschlagzufolge
werdendienationalenSparerschutzsyste-
me dur ch einen europäischenFonds er-
gänzt,ausdessenMittelnimFallder Not-
lageeinzelner Banken deren Einlagen
mitabgesi chertwürden.Deutschlandhat-
te diese Rückversicherung bisher mit der
Begründung abgelehnt, dasszuerst die
Bankenrisiken überall in der EUredu-
zier twerde nmüssten,etwa durchdenAb-
baufauler Krediteund neueRegeln für
eine Risikogewichtung derStaatsanlei-
henindenBankbilanzen.Erstdanachlas-
sesic hüberdieEinlagensicherungreden.
Scholz hält an der deutschen Forde-
rung nac heiner Risikosenkungfest,

macht sie aber nicht mehr zurVorbedin-
gung für Gespräche über die Einlagensi-
cherung. EU-Diplomatenvermuten da-
hinter vorallem verhandlungstaktische
Motive.SokönneDeutschland,dasbisher
inderEUfürseineBlockadehaltungkriti-
siertwurde,inderDiskussiondenschwar-
zenPeteranLänderwieItalienweiter rei-
chen, die eine Risikogewichtung von
Staatsanleihenstrikt ablehnen. DerWi-
derstand ausRomgeht darauf zurück,
dassitalienischeBankeneinenhohenAn-
teilanheimischenStaatstitelnhalten,die
wegender hohen italienischenStaats-
schuld als ausfallgefährdetergelten müs-
sen als dieTitelanderer Länder.Wäh-

rend Deutschland auf Risikosenkung
dringt, wollen Italien und andereLänder
mithohenBankenrisikendiesemöglichst
schnel lvergemeinschaften.
DeritalienischeFinanzministerRober-
to GualtierilobteinBrüssel, dasssich
Scholz bewegt habe. Er fügteaber hinzu,
dasssi chdieitalienischePositionzurRisi-
kogewichtun gvon Staatsanleihen nicht
veränderthabe. „Wir sind unverändert
weit auseinander.“ Der niederländische
Ressortchef WopkeHoekstra und der
neue österreichische MinisterEduard
Müllersagtenübereinstimmend,esbleibe
dabei,dasszuerstkonkreteSchrittezurRi-
sikosenkungerforderlic hseien.

Nicht nurwegendieser unterschiedli-
chenInteressendürfteScholz’Vorstoßkei-
nenschnelle nDurchbruchindenVerhand-
lungen über die Einlagensicherung nach
sichziehen.DennderMinisterwillfürdie
BankenuniondasganzgroßePaketschnü-
ren,dasnebenderEinlagensicherungund
derRisikosenkungzweiweiter eVorhaben
enthalten soll: die Harmonisierung des
Bankeninsolvenzrechts und einegemein-
sameBemessungsgrundlagefürdie Unter-
nehmensbesteuerung.BeideVorhabengel-
tenalsäußer st kompliziert,letzteresistin
der EU seit Jahrzehnten in der Debatte
und scheitertimmer wieder an derNot-
wendigkeit,inderSteuerpolitikeinstimmi-

ge Entscheidungen aller Mitgliedstaaten
zutref fen.Hoek stragabinB rüsselzuver-
stehen, dasssein Land einegemeinsame
Bemessungsgrundlagefür die Unterneh-
mensbesteuerungweiterablehne.
Sollteüber eingroßes Paket komplett
verhandeltwerden, wärennachEinschät-
zungvonDiplomatenersteinmalmehrere
neueGesetzesvorschlägederEU-Kommis-
sionnotwendig.Alleindiesewürdenwohl
mehrer eJahreerfordern, die Beratungen
der Mitgliedstaaten danacherstrecht.
AuchdasstütztinBrüsseldieVermutung,
Scholz ’Initiativ eseivorallemtaktisc hmo-
tiviert. Der in der alten und in der neuen
EU-Kommission für den Euround die Fi-
nanzmärktezuständigeVizepräsidentVal-
dis Dombrovskis sagte, das politische Ge-
samtbild änderesichdurchden Vorstoß
nicht.Entscheidendsei,das ssichdie Mit-
gliedstaaten einigten. Auchder Chef der
Eurog ruppe,PortugalsFinanzministerMá-
rioCenteno,wiesdaraufhin,dasszurBan-
kenunionbereitsausgearbeiteteVorschlä-
geaufdemTischlägen.Erhoffe,dassihm
dieStaats-undRegierungschefsdesEuro-
raumsimDezemberdasMandaterteilten,
über dieseVorschlägekonkreteVerhand-
lungenaufzunehmen.
Dieeuropäische Ban kenunionwarbis-
her in dreiTeilen konzipiert, einerge-
meinsamen Bankenaufsicht und Banken-
abwicklung–diese sind bereitsweitge-
hendverwirklicht –sowiede rnochausste-
hendeneuropäischenEinlagensicherung.
Dombrovskis sagte, zur Bankenunionge-
höreaußerdemderKampfgegenGeldwä-
sche undTerrorfinanzierung. Erforderte
die Ministerauf, einschlägigeVorschläge
der Kommission nochindiesem Jahr zu
beschließen. Bisherstreiten die Mitglied-
staaten darüber,obeine EU-Behörde –
etwa die Bankenaufsichtsbehörde Eba –
zusätzlicheKompetenzen imKampfge-
genGeldwäschebekommensoll.
DasTreffenderEurogruppewarbeiRe-
daktionsschlussdieser Ausgabe noch
nicht beendet. Die Ministerwollten die
Bonner Ökonomin Isabel Schnabel als
neues Mitglied des Direktoriums der Eu-
ropäischenZentralbank (EZB) nominie-
ren. Gegen diesenVorschlag werdeessi-
cherkeinenWiderstandgeben,sagteCen-
teno. Schnabel mussnoch vomEZB-Rat
undvomEuropaparlamentangehörtwer-
den.(GroßeKreditrisikenindenBankbi-
lanzen,Seite27.)

wmu. BRÜSSEL.Nachdem soliden
Wachstumder vergangenenJahrerechnet
die EU-Kommission für dieZeit bis 2021
mit einerAbschwächung. „Die EU-Wirt-
schaf tstehtvoreinerZeithoherUnsicher-
heit“, sagteder scheidende EU-Wirt-
schaftskommissar Pierre Moscovici am
Donnerstag bei derVorlageder Herbst-
prognose seiner Behörde in Brüssel. Die
Kommissionerwartetfürdiebeidenkom-
menden Jahrejeweils 1,2 ProzentWachs-
tumim gemeinsamenWährungsraum,für
alle (künftig 27) EU-Staaten fällt die Pro-
gnosemitje1,4Prozentetwasbesseraus.
Deutschland bleibt nachder Prognose
in diesem Jahr mit 0,4 ProzentWachstum
deutlichunter dem Eurozonen-Durch-
schnitt von1,1 Prozent.Auchinden bei-
den kommenden Jahren wirddemnach
das deutscheWachstum mit 1,0 Prozent
nurvonjenemimDauerkrisenlandItalien
unterboten. Dieexportorientierte deut-
sche Wirtschaf tleidetbesondersunterder
SchwächederWeltwirtschaft.Einemögli-
cheweiter eZuspitzungderglobalenHan-
delskonfliktebildetnachMoscovicisWor-
tenzugleic hdasgrößteRisikofürein ewei-
tere Wachstumsabschwächung in den
kommendenJahren.
Bundesfinanzminister Olaf Scholz
(SPD)sagteinBrüssel,ermachesichüber
die deutsche Wirtschaf tkeine Sorgen.

„WirhabeneinestabileLage,unsereWirt-
schaf tist global wettbewerbsfähig, und
dieBeschäftigungistsohochwienie“,sag-
teScholz.DievonMoscoviciabermalsan-
gemahnten zusätzlichen Investitionen in
Deutschland seien schon in Arbeit:„Wir
haben ein Allzeithoch,wasInvestitionen
ausdemBundeshaushaltbetrifft.“Fürdie
nächsten zehn Jahreseien 400 Milliarden
EuroanInvestitionenvorgesehen, hinzu
kämen 150 Milliarden Eurofür Klima-
investitionen.
DasgrößteSorgenkindinderEUbleibt
Italien. Dortwirdlaut Prognose dieWirt-

schaf t2020 und 2021kaum wachsen.
Auch,abernichtnurdeshalbwirdsichder
Anstieg derStaatsverschuldung auf 137,
Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP)
weiter fortsetzen. Die EU trägt dem Land
seit vielen Jahren erfolglos auf, seine
Schulden abzubauen. Fürdie früheren
„Prog rammländer“GriechenlandundPor-
tugaler wartetdieEU-Behördeeinendeut-
lichen Rückgangder Staatsschuld,inGrie-
chenland von178,5 Prozent des BIP
(2016)auf163,1Prozent(2021),inPortu-
galimgleichen Zeitraum von131,5 Pro-
zentauf113,7Prozent.

ppl.LONDON.IndenkommendenJah-
rensolldas WirtschaftswachstuminGroß-
britannien deutlichanziehen,wenn die
Unsicherheit über den Brexit nachlässt
undwiedermehrin vestiertwird.Diessagt
die BankvonEngland voraus. „Das Bild
wirdjetztpositiver“,sagteNotenbankgou-
verneur MarkCarne y. Derzeit liegedas
Wachstum bei gut einem Prozent, in ei-
nem Jahr soll es auf 1,6 Prozent und bis
Ende2022über2Prozentsteigen.DiePro-
gnose beruht auf der Annahme, dassder
nun ausgehandelteBrexit-Deal imParla-
ment angenommen wird. DieNotenbank
beließdenLeitzinsbei0,75Prozent;aller-
dings fordertenzweiStimmen imNoten-
bankrat eine Zinssenkung. Der Pfund-
Kursgabdaraufhi netwasnach.
UnterdessensinddieParteienim Wahl-
kampfineinen Wettbewerb um höhere

Staatsausgaben eingetreten. Labourver-
spricht dreistelligeMilliardenausgaben
für die Infrastruktur,die öf fentlichen
DiensteundmehrSozialleistungen.Insge-
samt400MilliardenPfundneueSchulden
würde Labour dafür aufnehmenwollen,
wie Schattenschatzkanzler John McDon-
nellankündigte.McDonnellistderAr chi-
tekt des Wirtschaftsprogramms, das ne-
ben Verstaatlichungen und höherenSteu-
ernfür Gutverdiener einen höheren Min-
destlohnunddieEinführungder32-Stun-
den-Wochevorsieht.
Zusätzlichzueinem 250-Milliarden-
Pfund-Fondsfür die „grüneTransformati-
on“ derWirtschaf tinden kommenden
zehnJahrenversprichtLabour150Milliar-
den Pfund in den nächstenJahren für
Schulen,denGesundheitsdienstNHS und
Sozialausgaben.FinanzfachleutedesInsti-

tutefor Fiscal Studies warnten, das sdie
Ausgaben dieStaatsschuldenquote–ge-
genwärtig rund 85 Prozent derWirt-
schaftsleistung–auf das höchste Niveau
seit den sechziger Jahren anheben wür-
den, als Großbritannien nochdie Kriegs-
verschuldungabbaute.
Finanzminister Sajid Javidgeißelt die
Pläne vonLabour als unverantwortlich
undverglichsiemitmedizinischenQuack-
salbernund Impfgegnern, die „das Land
krank machenwerden“. Er selbstwill in-
des auc hnicht knickerigerscheinen und
verspricht„eineDekade derErneuerung“
mitIn vestitioneninHöhevon100Milliar-
denPfundindennächstenfünfJahrenfür
Krankenhäuser,Schulen und Infrastruk-
tur.Die bisherigeSchuldenbremse mit ei-
ner 2-Prozent-Defizitgrenze will er dafür
offenbarloc kern.

Britische Notenbank istoptimistisch


SinkendeUnsicherheitüberdenEU-AustrittbringtzusätzlichesWachstum


Wieder in Brüssel:dieneueEZB-ChefinChristineLagardemitdemdeutschenFinanzministerOlafScholz. FotoEPA

Brüssel erwartet längereFlaute


Herbstprognose:WachstuminDeutschlandbleibtunterdemEU-Durchschnitt


Fotografie:So hatman HildegardKnefnochnichtgesehen.
Mode:DieNewYorker Designerin RosieAssoulinverbindetKulturen.
Schmuck:Diamantenlassenauchden Alltag erstrahlen.
Geschichte:Vor75Jahrenverfolgte Hemingwaydie SchlachtimHürtgenwald.
Uhren:AktuelleModelleinterpretierenalteKlassiker neu.

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Morgen
in der F.A.Z.

ppl. LONDON.Nachdem aus der
Übernahme durch einen türkischen
Militär fonds of fenbar nichts wird, ist
nun der chinesische Stahlkonzern
JingyeGroup der Favoritfür den
Kaufdesinsolventen Traditionsunter-
nehmens BritishSteel.Ein Sprecher
vonJingyebestätigteGespräche.Bri-
tishSteelistderzweitgrößteStahlpro-
duzent desVereinigtenKönigreichs
nachTataSteel und beschäftigtfast
5000 Mitarbeiter,zudem sind beiZu-
lieferer nbis zu 20 000 Arbeitsplätze
vondem Unternehmen abhängig. Im
AugustzeigtedertürkischeMischkon-
zernAtaer Holdings,hinter dem der
PensionsfondsOYAK des türkischen
Militär ssteht, Interesse an den briti-
schen Stahlwer kenundunterzeichne-
teschoneinevorläufig eÜbernahme-
erklärung (F.A.Z.vom19. August).
DochdiesesAngebotistnachMedien-
berichten gescheitert, auchwenn
AtaerweiterInteressebekundet.
British Steelging imMai indie In-
solvenzundwirdderzeitunterStaats-
aufsichtweiter geführt. Der mögliche
Verlustvon Industriearbeitsplätzen
in demgroßen Werk im nordengli-
schen Scunthorpe istauchein Politi-
kum. Die konservativeRegierung
warnichtbereit,BritishSteelweitere
geforderteStaatshilfenzugeben,wäh-
renddieLabour-OppositioneineVer-
staatlichung ins Spiel brachte. Der
neueKaufinteressentJingyebeschäf-
tigt in China nachMedienberichten
23000 Arbeiter in einem Mischkon-
zern, zu dem auchHotels und Che-
mieunternehmen gehören. Jingye-
Chef Li Ganpowarschon zu einem
BesuchinScunthorpe und traf sich
mit lokalenPolitikern. Am Montag
soll eineÜbereinkunftunterzeichnet
werden, hieß es. Laut einem Bericht
der„FinancialTimes“ sollendieChi-
nesen anstreben, die Produktion in
Scunthrope deutlichauszuweiten,
von2,5 MillionenTonnen Stahl auf
mehr als3MillionenTonnen. Gene-
rell kämpft die europäischeStahl-
branche mit Überkapazitäten und
niedrigen Preisen sowie dem schar-
fenWettbewerbaus Fernost.

Kommt das große Bankenpaket in der EU?


Kampfum


Stahlkonzern


JingyeGroupnun


FavoritfürBritishSteel


EuropasFinanzminister


reagierenzurückhaltend


aufOlafScholz’Vorstoß


zurBankenunion.


Einschneller Konsens


istausges chlossen.


VonWernerMussler,


Brüssel


Herbstprognose der EU-Kommission


Prognosefür 2019, 2020und 2021. Quelle:EU-Kommission/F.A.Z.-Grafik Piron

RealesBIP zum VorjahrinProzent
2,

2,

1,

1,

0,
16 17 18 19 20 21

Zum Vergleich 2019
Frankreich
Italien
Spanien
Griechenland

1,

1,

0,4 Euroraum

Deutschland

1,

1,

1,1 1,

0,
1,
1,

1,
0,
1,
2,

1,
0,
1,
2,

2020 2021

Wir tschaftswachstum

0,

in Prozent desBIP
100

90

80

70

50
16 17 18 19 20 21

ZumVergleich 2019
Frankreich
Italien
Spanien
Griechenland

98,
136,
96,
175,

98,
136,
96,
169,

99,
137,
96,
163,

2020 2021

Staatsschulden

60

in Prozent desBIP
+ 2
+ 1

0





  • 16 17 18 19 20 21




ZumVergleich 2019
Frankreich
Italien
Spanien
Griechenland


  • 3,

  • 2,

  • 2,
    1,

    • 2,

    • 2,

    • 2,
      1,

      • 2,

      • 2,

      • 2,
        1,






2020 2021

Haushaltsdefizit






    • 0,8 -1,




0,


  • 0,


0,

1,

55,

59,
56,

85,184,
86,
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