V
erläs st man in Essen dieVer-
kehrsader Sommerbergstraße
im Stadtteil Margarethenhöhe,
entsteht der Eindruck, in einer
anderenZeit angekommen zu sein. Man
findetsichinkleinen Straßen mit einer
Vielzahlvon Häusernaus dem Beginn
des 20. Jahrhunderts wieder.Dochpar-
kendortAutosaus der Gegenwart,und
heutigeMenschensindauchunter wegs.
DieRedeis tvomhis torischen Kernder
Margarethenhöhe–einer Wohnsiedlung,
die in den Jahren 1909 bis 1938 entstand
undseit1987unterDenkmalschutzsteht.
Solche Lokalitäten aus der erstenHälfte
des20.Jahrhundertsfindensichinvielen
Städten, häufigspäter modernisiertund
inihremäußerenErscheinungsbilddamit
oftmal sneutralisiert.AndersaufderMar-
garethenhöhe. Hier lohnt diegenauere
Betrachtung. Denn diese Siedlung ist
nichtnurinihrenhistorischenDimensio-
nen etwasBesonderes, sondernauchzu-
kunftsweisend.
Im Jahr1906 brachtedie Namensgebe-
rinMargarethe Krupp anlässlichder
Hochzeit ihrerTochter Be rtha 50 Hektar
Land und eine Million Mark in eineStif-
tung fürWohnungsfürsorge ein. Denn
Wohnraum, zudem bezahlbarer,war
schon damals–nicht nur für die Ange-
stellten und Arbeiter der Krupp-Werke–
gefragt.Bis1938entstandenin29Bauab-
schnitten insgesamt 586 Gebäude mit
1157 Wohneinheiten. Die Gesamt- und
Detailplanung lagvonAnfang anfeder-
führend bei dem jungen Architekten
GeorgMetzendorf.
Derhattesichfür damaligeVerhältnis-
se etwa svöllig Ungewöhnliches einfallen
lassen. GeorgMetzendor fentwickelte
eineVielzahleinzelnerModule,diefürje-
des Hausverwendet, aber sehr unter-
schiedlichvariiertwurden.Sogingschon
vormehr als 100 Jahrenkostengünstiges
Bauenvonstatten,unddas,waswirheute
gerneals Ef fizienz durch Skaleneffekte
bezeichnen,warbereits vorweggenom-
men. Aber es entstand keine vielfachdu-
plizierte und damit monotone Reihen-
hausstruktur,stattdessen wurden lauter
individuellgestalteteGebäude geschaf-
fen. Alle Bauten prägen zwar immer die-
selben architektonischen Elemente.Aber
im De tail is tjedes Gebäude einUnikat,
wenngleic hinder Gesamtheit einer
durchgängigen Identität.Soentstand bei
großer Vielfalt einstilistisc hgeschlosse-
nesSiedlungsbild.
KennzeichnendistauchdieKleinteilig-
keit.Die einzelnen Wohnungen sind
nicht groß, aber attraktiv.Und mitten in
der Siedlungbefinde tsichder zwar im
Verhältnis zur Umgebung weitläufige,
aberdennochals„KleinerMarkt“bezeich-
nete zentrale Platz–mit Wohnhäusern
andenLängsseitensowieandenStirnsei-
teneinem Lebensmittelhandel und einer
Gasts tätte, die heuteals Restaurant und
Hotelbetrieben wird. KleineVor- und
ebensolche rückwärtigeGärtenrunden
oftdasErscheinungsbildab.
„Die Margarethenhöhe isteineinStein
gegossenePoesie“, fasstesHans-Jürgen
Bestzusammen.DerlangjährigePlanungs-
dezernent und jetzige Vorstand des Ge-
schäftsbereichsPlanen derStadtEssenist
kraf tAmtes VorsitzenderdesAufsichtsra-
tesder Mar garethe Krupp-Stiftung. Denn
Margarethe Krupp hatteinden Statuten
festgelegt,das sderOberbürgermeisterder
StadtEssendieStiftungleitet.Dieserwird
zwar mittlerweile vomPlanungschefver-
treten, aberim Grundsatz hat sichandie-
ser Verfügung bis heute nichtsgeändert.
WeitereVorgaben lauten, dassder Wohn-
raumbezahlbar und das Ziel derStiftung
der dauerhafte Erhal tdes Stadtteils ist.
Bis heutewidmetsichdieMargarethe
Krupp-Stiftung fürWohnungsfürsorge ge-
naudiesenAufgaben.
Den Bezugvonden Anfängen zur Ge-
genwartkommentiertHans-JürgenBest
so: „DasgesamteBild oder auchdie ein-
zelnen Gebäudeerobernschnell die Her-
zenderBesucher.MitderMargarethenhö-
he is tein Gesamtkunstwerkgelungen, in
dem dasWichtigste stattfinde t: Die Men-
schen wohnen gernehier.“ Undfügt für
die Entstehung einen Aspekt hinzu,des-
sen Gültigkeit viele sichheutemancher-
orts wünschen würden.„Vielleichtkonn-
te das alles nurgelingen, weil der Archi-
tekt Metzendorfvon allen Bauvorschrif-
tenbefreit war.“Damals gabesalso
schonnichtnurdieEffizienz vonSkalen-
effekten,sondernauchdieBefreiungvon
einengendenRegularien.
Aufder Mar garethenhöhe sind nicht
nur dieFensterläden grün. Zu den klei-
nen Gärtengesellen sichparkähnliche
Strukturen sowie vorallem 50 Hektar
Grünfläche alsweiter eSchenkungvon
Margarethe Krupp. Geradezu visionär
wirktheuteihreAuflage,diesesWaldland
nichtzubebauen.DamitistdiegrüneUm-
gebung gesicher tund gilt die Margare-
thenhöhe als eine der ältestendeutschen
Gartenstädte.
Der Architekt, Landschaftsarchitekt
und Stadtplaner Andreas Kiparstammt
aus dem Essen benachbartenGelsenkir-
chen und leitet das in Mailand ansässige
undmitStandorteninDeutschlandsowie
derSchweizvertretene internationaltäti-
ge PlanungsbüroLAND. Die vierVersa-
lien stehen für Landscape, Architecture,
Natureund De velopment.Auch er gerät
ins Schwärmen: „Kreativität und Innova-
tionergänzensichaufderMargarethenhö-
he in einer erstaunlichen ästhetischen
undnachhaltigenArtundWeise.“Zudem
fassterzusammen: „DreiVoraussetzun-
genhabenbesonderszumEr folgbei getra-
gen: die Einbeziehungaller landschaftli-
chen Begabungen, die kreativeKomposi-
tioneinereinfac hstrukturiertenModular-
bauweise unddieBefreiungvonallenda-
malsgültigenBauvorschriften.“AberAn-
dreasKiparrichtetdenBlic kauchaufdie
Gegen wart und Zukunft. Er bezeichnet
das, wasdie StifterinMargarethe Krupp
ermöglicht undderArchitektGeorgMet-
zendorfumgesetzthat,als„einePlanung,
die aus den damaligen Herausforderun-
genundZwängenmitstädtebaulicherEx-
pertiseundarchitektonischemFeingefühl
eineurbaneSiedlunghervorgebrachthat,
diegeradeindenheutigenZeitenalsBlau-
pause eines engagierten, grünen Woh-
nungsbausgelten kann“.
Undeines bezahlbarenWohnungsbaus
obendrein.DenndieMargaretheKrupp-Stif-
tung, derdie Mar garethenhöhegehört,ist
sichihrer sozialenVerpflichtung nachwie
vorbewusst.SienenntalsDurchschnittsmie-
te 5,48 Eurokaltund verweistauf eine mit
6,78Prozentgerin ge Fluktuation bei den
Mietern.Das verwunder tgenauso wenig
wie die Tatsache, da ss es aus der Bevölke-
rungmehrMietinteressentenfürdieMarga-
rethenhöhealsWohnungengibt.
D
asmüssenparadiesischeUm-
ständegewesensein:diePla-
nung und Errichtung eines
ganzen Stadtteils mit den beinahe
unbegrenzten Mitteln der Familie
Krup p–undbefreit vonallenBauvor-
schrif ten. So entstand die Margare-
thenhöheinEssen,bisheuteeinVor-
bild für beliebtes, bezahlbares und
ökologischverantwortbares Woh-
nen.DieFragedrängtsic h–auchan-
gesichts so mancher misslungener
Neubausiedlungen–auf, ob derVer-
zichtaufRegulariengenerellsinnvoll
seinkönnte.
Aufden er stenBlickerscheint das
aber nicht als dasPatentrezep t: Für
viele Architekten und Stadtplaner
dürften strengeVorgaben und die
ÜberprüfungihrerEinhaltungdurch-
aus sinnvoll sein. Auch jenseits der
Landesgrenzen darfnirgendwoge-
werkelt werden, wie es dem Bau-
herrngerade pas st. Aber in Deutsch-
landgehtes wenigerumdieAbschaf-
fungderBauregeln.Vielmehrsollten
siegründlichgestraf ftundneugeord-
netwerden. Dabeifallen weniger die
Skur rilitäteninsAuge,etwawennfür
Sozialwohnungen jeweils zwei Gara-
genplätzefälligwerden,sondernviel-
mehr die überhoheZahl der 20000
Bauvorschriftenund das ungeregelte
NebeneinandervonBundes-, Lan-
des-undKommunalregelungen.Eine
Entrümpelungkönntehiervielbewir-
ken: nicht unbedingt neueVorzeige-
siedlungen, aber günstigeres und
schnelleresBauen.
Welche Bedeutung haben Stiftungen für
die Immobilienbranche?
Ziel einerStiftun gist es,der Gesell-
schaf timSinne des jeweiligenStiftungs-
zwec ks etwaszurückzugeben.Das gilt
auchfürStiftungenderImmobilienbran-
che. Neben ihr er originärenTätigkeit,
Wohnrau mzuschaffen,engagier tsich
zumBeispieldieStiftun gBerliner Leben
imSinnederihranvertrautenMenschen.
SieschafftlebenswerteNachbarscha ften
undRäumefür ein tolerantes Miteinan-
der. Aufgabe der Branche imVerbund
mitihren StiftungenunddenVerantwort-
lichen de rStadtentwicklung istes, im
Zeital terdesdemographischenWandels,
derKlima veränderun gund de rdigitalen
Revolutio ndie da raus resultierenden
Herausforde rungen zumNutzender Be-
wohnerauszubalancie renundPerspekti-
ve zu scha ffen. Denndas Gut „Wohnen“
hateinen überragenden Einflussauf die
Entwicklung der Gesellschaft in ihrer
Gesamthei t.DerStadtplane rRudolf Hil-
lebrecht bezeichnetedie Wohnung 1948
als„Schlüsselzur Zukunft“ .Sowurde
ein Bezug zurWeimarer Reichs verfas-
sung 1919hergestellt.Indieser wi rd das
Rechtauf Wohnen alsAusweis einer so-
ziale nWohnraumpolitikund Element
derDemokr atisi erung verstanden .Ein
Gedanke, der Aktualitätbesitzt undals
Kompassdienenkann.Dieübe rgeordne-
tenZiele der Wohnraumbeschaffung
existieren nämlichnachwie vor: Mit
demBau der Wohnung, des Quartiers,
desStadtteilsundder städtischenAnbin-
dung wirdauchdarüber entschieden,
wie unsereGesellschaft in Zukunftver-
fasstseinwird.
Wiekönnen sich StiftungenimNiedrig-
zinsumfeldambesten behaupten?
Momentan istesschwierig, die für die
Zweckverwirklichung ausreichende Er-
tragskraftzuerzielen undRisikenfür das
Grunds tockvermögen zuvermeiden. Ne-
ben der klassischenVermögensverwal-
tung und den Aktivitäten im ideellen Be-
reich is tesaber möglich, einen Zweck-
und einen Wirtschaftsbetrieb im Ein-
klang mitdem Stiftungsrecht aufzubau-
en, der in der Phase der Niedrigzinsen
Ausfälle kompensiert. Hier bedarfesklu-
gerIdeen,diesichamStiftungszweckori-
entieren,undeinerBegleitungdurchöko-
nomischeFachleute.
Haben Stiftungenmit zusätzlichen ge-
meinnützigenAufgaben ausreichenden
Spielraum, um die notwendigen Rendi-
ten im Immobiliengeschäft zuerwirt-
schaften?
WieinjedemUnternehmenist dies eine
FragederAblauforg anisationundderda-
mit einher gehenden Qualifikationder
Mitarbeiter .SindinderStiftun gImmobi-
lien zu bewirtschafte n, dann erfolgt dies
durcheinen Spezialisten.Analog giltim
Fall der Berliner Leben, dass Quartiers-
projekt edurch einenStädtebauer bezie-
hungs weise einenSoziologen betreut
werden.
Sollten gemeinnützigeAufgaben–inIh-
remFall dieFörderung von Kunst, Kul-
tur und Sportzur Verbesserung der Le-
bensqualität vor Ort und der Stabilisie-
rung vonQuartieren–nicht besser di-
rekt von der demokratisch legitimierten
Politik übernommen werden?
Wohnungsbau undStadtentwicklung
sindAufgaben,dieindenletzten120Jah-
renvon Politik,Verwaltung undWirt-
schaf tgemeinsamwahrgenommen wur-
den.Dashatsichbewährtundsollt ewie-
der vermehrtinden Blic kgenommen
werden. SozialutopischeÜberlegungen
vonEbenezer Howard bis BrunoTraut
standen den Vertretern des modernen
Städtebaus wie Ludwig Mies vander
Rohe, Ludwig Hilberseimerund Le Cor-
busiergegenüber.EingemeinsamerWoh-
nungs-undStädtebauistDienstamF ort-
schritt.
Stiftun genschaffenMehrwerte.Folge-
richtig übe rnehmen siegemeinnützige
Aufgabe nwieim FallderBerlinerLeben
durch die Förd erun gstabiler nachbar-
schaftlicher Strukturen ,die Schaffung
vonsozialem Ausgleich unddie Integra-
tionunt ersc hiedlicherBevölkerungsgrup-
penindenQuartieren.Im Zusammenwir-
kennicht zuletzt mit Kulturprojekten
werden Quartierelebenswert.DennBil-
dungsanreize überKulturprojekte schaf-
fenIdentifikationund Identität.Ergo
schaf ftsozialeTeilhabedieVoraussetzun-
genfür eine nander Zukunftorientier-
tenWohnungs- undStädtebau, der den
Dienst an derGesellschaftind enMittel-
punktstellt.
DieFragenstellteMichaelPsotta.
Das Gestrüpp
VonMichaelPsotta
VIER FRAGEN AN: Hans-MichaelBr ey,StiftungBerlinerLeben
In Bestform:Derhis torische KernderEssenerMargarethenhöhe Fotos Andr éSchuster
Grün als Hauptfarbe:EinesderWohnhäuserimEssenerVorzeigeviertel
Kostengünstiger,
bezahlbarerund
naturverbundener
Wohnungsbau istsehr
gefragt .Der kamin
EssenimRuhrgebiet
schon vor100Jahren
aufden Weg.Und
funktioniertbisheute.
VonAndreasSchiller,
Essen
GewinnerundVerliererdes
Mietendeckels.SeiteI3
Servicetelefon: 0800-333 33 09 http://www.von-poll.com
Uralt –und auf der Höhe der Zeit
„Kultur macht Quartierelebenswert“
ÜberStiftungenundihreRolleim WohnungsbauundinderStadtentwicklung
NR.260·SEITEI1