Handelsblatt - 08.11.2019

(Barré) #1

KONJUNKTUR 5


Sonderveröffentlichung zum Thema „IMMOBILIENWIRTSCHAFT“ | November 2019 HandelsblattJournal


belächen, Durchmischung und eine nachhaltigere
Mobilität bieten können. Solche internationalen Vor­
bilder sollten auch für deutsche Städte eine Inspira­
tion sein. Doch auch bei deutschen Städten zeigt sich
bereits eine größere Diferenzierung. Während in
Köln, München und Berlin der Wohnungsbau immer
noch hinterherhinkt, sind Hamburg, Frankfurt und
Düsseldorf auf einem guten Weg. In diesen Städten
hat zuletzt auch die Mietendynamik deutlich nachge­
lassen, was zeigt, dass der Wohnungsbau den Markt
schnell und efektiv entlasten kann.


Soziale Wohnungspolitik sollte sich auf Menschen
konzentrieren, die Hilfe dringend benötigen.
Wer einer Vollzeitbeschäftigung nachgeht, ist in
der Regel nicht auf Unterstützung angewiesen, aber
es gibt natürlich auch Menschen, die von der allge­
meinen Lohnentwicklung nicht proitieren. Auf diese
Menschen sollte sich die Politik konzentrieren und sie
etwa über das Wohngeld unterstützen. Hierzu zäh­
len zum Beispiel Studenten, Alleinerziehende oder
auch Rentner. Das Wohngeld ist eine sehr trefsichere
Sozialleistung, da jeder, der die Einkommensgren­
zen unterschreitet, einen Anspruch auf die Leistung
hat und diese nur solange erhält, wie das Einkommen
nicht ausreicht.
Wichtig wäre es aber, dass Wohngeld zu stärken
und vor allem die Leistungen regelmäßiger an die
Entwicklung im Wohnungsmarkt anzupassen. Ein
alternativer und ergänzender Ansatz sind Sozialwoh­
nungen, die auch wirklich den Bedürftigen zur Verfü­
gung gestellt werden. Die Fehlbelegung ist nach wie
vor ein großes Problem der Sozialwohnungen. Nur
etwa 45 Prozent der Mieter gelten als armutsgefähr­
det. Wenig hilfreich ist es, wenn 50 Prozent der Mie­
ter einer Stadt Anrecht auf einen Wohnberechtigungs­
schein erhalten, aber nur ein kleiner Teil wirklich
zum Zuge kommt. Im Zweifelsfall proitieren dann


Haushalte am oberen Rand der Einkommensgrenzen,
die möglicherweise nach kurzer Zeit sogar ganz den
Anspruch verlieren.

Die Politik sollte den Zugang zu
Wohneigentum erleichtern.
Trotz der hohen Attraktivität des Wohneigentums
stagniert die Wohneigentumsquote bei rund 45 Pro­
zent. Das liegt vor allem am enormen Eigenkapital­
bedarf. Die Banken erwarten 10, besser 20 Prozent
Eigenkapital und rund weitere 10 Prozent müssen
für Erwerbsnebenkosten, wie Makler, Grunderwerb­
steuer, Notar und Grundbuch aufgebracht werden.
Haushalte müssen also rund 20 Prozent oder mehr
des Kaufpreises bereits gespart haben – je nach Objekt
und Lage können das deutlich mehr als 50.000 Euro,
oft sogar mehr als 100.000 Euro sein. Doch nur elf
Prozent der Mieter haben mehr als 50.000 Euro
gespart.
Darum ist es wichtig, den Kapitalbedarf zu ver­
ringern, etwa durch eine Reform der Grunderwerb­
steuer. Ein mögliches Modell wäre der englische
Ansatz: Dort gibt es einen Freibetrag und einen Stuf­
entarif. Dadurch ließen sich Einnahmeausfälle für die
Länder begrenzen, gleichzeitig würden aber Gering­
und Normalverdiener deutlich entlastet. Auch staat­
liche Garantien können helfen, weil dann die Eigen­
kapital­Quote sinken kann – solange dies an lange
Sollzinsbindungen und höhere Tilgungen geknüpft
ist, sind die Risiken für den Staat gering.
Die Wohnungspolitik muss ihren Fokus ändern
und dabei vor allem die Chancen der aktuellen Lage
nutzen. Insbesondere aufgrund der Zinsentwicklung
besteht die Möglichkeit, mehr Menschen zu Wohn­
eigentümern zu machen und die Städte größer und
zukunftsfähiger zu machen. Aktuell gehen diese
Chancen aber in der allgemeinen Regulierungswut
(Stichwort Mietendeckel) leider unter.

Prof. Dr. Michael Voigtländer,
Leiter Kompetenzfeld Finanz- und
Immobilienmärkte, Institut der
deutschen Wirtschaft

„ Es ist wichtig, den


Kapitalbedarf für


Wohneigentum zu


verringern, etwa


durch eine Reform


der Grunderwerb-


steuer.“

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