Handelsblatt - 08.11.2019

(Barré) #1

Geldpolitik


Minuszinsen bei Commerzbank


Die Frankfurter Bank bittet


nach Firmen nun auch


vermögende Privatkunden


zur Kasse. Zudem kassiert sie


ihre Gewinnprognose.


Andreas Kröner Frankfurt


B


isher hat die Commerzbank
die Negativzinsen der Euro-
päischen Zentralbank (EZB)
nicht an Privatkunden weitergege-
ben. Aber damit ist es nun vorbei.
„Wir haben zahlreiche Kunden ange-
sprochen und beginnen nun, uns mit
ihnen auf Maßnahmen zu verständi-
gen“, sagte Finanzchef Stephan En-
gels am Donnerstag.
Kleinsparer seien bisher nicht be-
troffen, sondern „eher Kunden, die
alle deutlich über eine Million ha-
ben“. Negativzinsen für Einlagen in
der Größenordnung von 100 000
Euro oder darunter seien derzeit
kein Thema. „Wir kehren die Treppe
von oben“, sagte Engels. „Wie weit
wir die Treppe dann runterkehren
werden, hängt davon ab, wie der ein-
zelne Kunde darauf reagiert und wie
weit wir damit kommen.“ Die Com-
merzbank hat in Deutschland gut elf
Millionen aktive Privatkunden.
Banken müssen seit 2014 Negativ-
zinsen bezahlen, wenn sie über-
schüssige Spargelder ihrer Kunden
bei der Notenbank parken. Im Sep-
tember senkte die Notenbank den
Einlagesatz auf minus 0,5 Prozent.
An Brisanz gewonnen hat das Thema
zudem, weil die EZB die Negativzin-
sen für lange Zeit zementiert hat.
Mehrere kleine und mittelgroße
Geldhäuser haben mittlerweile Nega-
tivzinsen beziehungsweise Verwahr-
entgelte für Privatkunden eingeführt



  • oft für Einlagen ab 100 000 Euro.
    Auch die Deutsche Bank habe ent-
    schieden, Negativzinsen nicht an
    durchschnittliche Privatkunden wei-
    terzugeben, erklärte Vizechef Karl
    von Rohr in dieser Woche. „Aber die
    Frage ist relevant für große Firmen-
    kunden und sehr vermögende Privat-
    kunden.“


„Kunden nicht vertreiben“


Die Commerzbank hat als eines der
ersten Finanzinstitute in Deutschland
Negativzinsen von Firmenkunden
verlangt. Nach der jüngsten Senkung
des Einlagesatzes auf minus 0,5 Pro-
zent werde die Bank bei den Firmen-
kunden nun noch einmal nachschär-
fen, kündigte Engels an. Zudem wer-
de das Institut die individuellen
Limits überprüfen, bis zu denen Un-
ternehmen aktuell umsonst Geld auf
ihren Konten parken können.
Privatkunden mit hohen Einlagen
spreche das Institut individuell an
und diskutiere mit ihnen zunächst
über alternative Anlagemöglichkei-
ten, sagte Engels. „Wir wollen die
Kunden nicht vertreiben.“ Aber die
Belastungen durch die Negativzinsen
seien mittlerweile so groß, dass die
Bank diese nicht allein tragen könne.
Der Finanzchef geht davon aus, dass
sich die vermehrte Weitergabe von
Negativzinsen in den kommenden
Quartalen positiv auf die Zahlen der
Commerzbank auswirken wird. „Das
Potenzial ist groß.“
Im dritten Quartal hat die Com-
merzbank ihren Gewinn um 35 Pro-
zent auf 294 Millionen Euro ausge-
baut. Im Gegensatz zum großen


Nachbarn Deutsche Bank schaffte es
das Institut, seine Erträge leicht aus-
zubauen. Außerdem sanken die Kos-
ten sowie die Risikovorsorge für aus-
fallgefährdete Kredite. Die Befürch-
tung mancher Analysten, dass es bei
der Commerzbank im Zuge des Kon-
junkturabschwungs zu einer Flut an
Kreditausfällen kommt, hat sich da-
mit bislang nicht bewahrheitet.

Große Unsicherheit
Trotz des Gewinnsprungs im dritten
Quartal kassierte das Institut seine
Prognose, den Vorjahresgewinn von
865 Millionen Euro im laufenden Jahr
leicht zu übertreffen. Stattdessen
rechnet Deutschlands zweitgrößte
Privatbank nun mit einem rückläufi-
gen Jahresüberschuss.
Die Bank begründete dies mit ei-
ner Verschlechterung des Marktum-
felds. Die Einführung von höheren
Freibeträgen bei der EZB werde das
Institut zwar um einen mittleren
zweistelligen Millionenbetrag entlas-
ten. Insgesamt führe die weitere Lo-
ckerung der Geldpolitik aber zu ei-
nem stärkeren Margendruck und be-
laste das Ergebnis.
Zudem hätten makroökonomi-
schen Unsicherheiten zugenommen,
insbesondere wegen der globalen
Handelskonflikte. Darüber hinaus
rechnet die Commerzbank damit, im

vierten Quartal mehr Steuern zahlen
zu müssen. Das Institut hat Ende
September seine neue Strategie vor-
gestellt. Die Bank will 4 300 Stellen
streichen, die Direktbank Comdirect
integrieren und die polnische Toch-
ter M-Bank verkaufen. Für das Jahr
2023 hat das Institut das Ziel ausgege-
ben, eine Eigenkapitalrendite von
mehr als vier Prozent zu erzielen.
Viele Investoren kritisieren das als
wenig ambitioniert, zumal die Com-
merzbank bereits im dritten Quartal
auf eine Eigenkapitalrendite von 4,4
Prozent kam. Aber die Frankfurter
wollen dieses Mal nicht zu viel ver-
sprechen, nachdem sie in den ver-
gangenen Jahren regelmäßig die aus-
gegebenen Ziele verfehlt haben.
Vorstandschef Martin Zielke vertei-
digt das Renditeziel als neuen Realis-
mus in schwierigen Zeiten. „Wunsch-
denken ist angesichts niedriger Zin-
sen, Konjunktureintrübung und
geopolitischer Unsicherheiten nicht
angesagt.“ Sein Vorstandskollege En-
gels hat in den vergangenen Wochen
mit zahlreichen Investoren gespro-
chen und den Eindruck gewonnen,
dass sie den Ansatz nachvollziehen
können. „Der nüchterne Blick wird
von vielen geschätzt – auch wenn das
Resultat dann so ist, wie es ist.“


Kommentar Seite 31



Italiens Banken


Besser, aber


noch lange


nicht gut


Regina Krieger Rom


E


s war eine beruhigende Wo-
che für Italiens Bankensys-
tem: Mit Unicredit und Intesa
Sanpaolo präsentierten die beiden
größten Geldhäuser Milliardengewin-
ne und bessere Zahlen als erwartet.
Beide kündigten hohe Dividenden an
und erklärten, dass der Abbau fauler
Kredite schneller läuft als geplant.
„Unser Nettogewinn von 1,1 Milliarden
Euro für das dritte Quartal ist das beste
Ergebnis seit einer Dekade“, freute
sich Unicredit-Chef Jean-Pierre Mustier.
Intesa-Chef Carlo Messina hatte zwei
Tage zuvor für die ersten neun Monate
des Jahres einen Nettogewinn von 3,3
Milliarden Euro verkündet, 9,9 Prozent
mehr als im gleichen Zeitraum 2018.
Vor allem der hohe Anteil notleiden-
der Kredite in den Büchern hatte Ita-
liens Banken in den vergangenen Jah-
ren in Schieflage gebracht. Doch die
Zeiten, als sich die faulen Darlehen auf
beinahe 300 Milliarden summierten,
sind vorbei. „Monte dei Paschi hatte in
den vergangenen Jahren einen sehr
erfolgreichen Turnaround, jetzt wird
das Thema Konsolidierung dringend“,
erläutert Fabrizio Pagani vom Vermö-
gensverwalter Muzinich & Co.
Zugute kommt den Banken auch die
Entspannung an den Märkten, seit
die neue Regierung in Rom den Kon-
frontationskurs gegen die EU been-
det hat. Der Aufschlag für zehnjähri-
ge italienische Staatsbonds im Ver-
gleich zu Bundesanleihen ist seitdem
stark gesunken – und damit auch die
Refinanzierungskosten der Banken.
Eine neue Systemkrise schließen
Banker, Politiker und Ökonomen im
Prinzip aus. Das heißt zwar noch
nicht, dass die Bereinigung der Bank-
bilanzen abgeschlossen ist. Dieses
Ziel sei aber ganz klar zu erreichen,
sagte Wirtschafts- und Finanzminis-
ter Roberto Gualtieri.
Doch längst nicht alle Probleme sind
gelöst. Das zeigt der Beinahecrash
der Regionalbank Carige, davor
musste der Staat mehrere Regional-
banken retten, und es gibt das Dauer-
problem Monte dei Paschi. Obwohl
die vom Staat gerettete Bank wieder
schwarze Zahlen schreibt, ist fraglich,
ob sie wie mit der EU vereinbart bis
Ende des Jahres zurück an den Markt
gehen kann. „Wir haben noch einen
langen Weg vor uns“, räumte Bank-
chef Marco Morelli ein.
Lokale Krisen könnten in Italiens
Bankensystem wieder ausbrechen,
vor allem im Süden, warnt der Öko-
nom Marcello Messori. Die seien
zwar zu handhaben, hätten aber ihre
Kosten. Für ihn liegen die Probleme
tiefer. Noch immer hätten die Banken
Schwierigkeiten, günstig Kapital zu
bekommen. „Die Branche hat die
schlimmsten Momente überwunden,
aber die Anfälligkeit bleibt“, erklärt
er, „denn die Margen der ganzen
Branche sind strukturell zu niedrig.“
Zu viele Banken, Filialen und Mitar-
beiter, das sind die Probleme, die seit
Langem bekannt sind. „Konsolidie-
rung ist unvermeidlich“, betont Mes-
sori. Notenbankgouverneur Ignazio
Visco mahnt anderes an: Die Banken
müssten Kosten reduzieren durch In-
vestitionen in Technologie. Es gebe
zwar Verbesserungen, doch die seien
nicht ausreichend, um den digitalen
Wandel zu bewältigen.

Commerzbank-Zentrale
in Frankfurt: Im Zuge der
neuen Strategie fallen er-
neut Tausende Stellen weg.

Moment Select/Getty Images


Wunschden -


ken ist


angesichts


niedriger


Zinsen,


Konjunkturein -


trübung und


geopolitischer


Unsicher -


heiten nicht


angesagt.
Martin Zielke
Commerzbank-Chef

Finanzen & Börsen
WOCHENENDE 7./8./9. NOVEMBER 2019, NR. 216^35

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