Handelsblatt - 08.11.2019

(Barré) #1

Katrin Terpitz Eppelheim


S


eit 30 Jahren lebt Hans-Pe-
ter Wild in der Schweiz,
doch auch mit 78 Jahren
schaut der Inhaber von
Capri-Sun alle paar Wo-
chen in der Zentrale in Eppelheim
bei Heidelberg vorbei. Denn das welt-
bekannte Kindergetränk durchlebt
just im 50. Jubiläumsjahr turbulente
Zeiten.
Drei Packungen mit Capri Sun (bis
2017 „Capri-Sonne“) hat der drahtige
Unternehmer vor sich auf dem Tisch
aufgebaut: den klassischen Alubeutel
mit Trinkhalm, den großen Alubeutel
mit Schraubverschluss und das neue
Capri-Sun Bubbles in der Dose. „Ra-
ten Sie mal, welche Verpackung am
ökologischsten ist, aber am meisten
verteufelt wird?“, fragt Wild und deu-
tet auf den Silberbeutel mit Halm.
Mehr als sechs Milliarden Capri-
Sun und genauso viele Halme wer-
den weltweit im Jahr produziert. Der
ikonische Beutel, den Generationen
von Kindern gerne aufblasen und mit
einem Knall zertreten, wiegt nur vier
Gramm und ist pfandbefreit. Umwelt-
schützern sind vor allem die Plastik-
halme ein Dorn im Auge. Spätestens
2021 sind diese EU-weit verboten.
„Dabei haben Schraubverschlüsse
zigmal so viel Plastik wie unsere Hal-
me“, wundert sich Wild.
„Das plötzliche Strohhalmverbot
ist eine Existenzfrage für uns“, kon-
statiert er. Der Safthersteller mit etwa
800 Mitarbeitern wollte eigentlich
seinen Eigenumsatz mittelfristig auf
eine Milliarde Euro verdoppeln:
durch neue Produkte, Zukäufe und
mehr Eigenabfüllung im Ausland
statt Lizenzvergabe. Denn die Umsät-
ze der Lizenznehmer weltweit einge-
rechnet erwirtschaftet Capri-Sun
heute schon 1,5 Milliarden Euro.
Doch statt an Wachstumsstrategien
tüfteln die Eppelheimer nun vorran-
gig an alternativen Trinkhalmen samt
neuen Maschinen. „Die Umstellung
ist ein riesiger Akt für uns mit beacht-
lichen Kosten“, sagt Wild. Zunächst
soll es einen imprägnierten Papier-
halm geben. Auch Bambus und ande-
res Naturmaterial sei denkbar, aber
längst nicht serienreif.
Umweltschützer kritisieren nicht
nur die Plastikhalme, sondern auch
die unverrottbaren Beutel. „Verpa-
ckungen aus nicht recyclingfähigen
Verbundmaterialien sind eine Um-
weltkatastrophe“, sagt Viola Wohlge-
muth von Greenpeace. Die Umwelt-
schützerin hat Capri-Sun-Beutel auf
illegalen Deponien in Polen und so-
gar in Malaysia entdeckt. „Wir for-
dern, dass Capri-Sun komplett auf re-
cyclingfähige Verpackung umstellt“,
so Wohlgemuth. Die Firma müsse
endlich ihre Verantwortung für die
Verschmutzung ganzer Regionen mit
ihrem Plastikmüll übernehmen.
„Es ist eine Schande, dass deut-
scher Plastikmüll in Asien die Meere
verschmutzt“, meint auch Wild. „Wir

sollten endlich die Müllexporte stop-
pen und durch Verbrennen die Ener-
gie rückgewinnen.“ In modernen An-
lagen könne das Aluminium recycelt
werden. Der Beutel, der sich durch
die Alufolie auch im Sommer kühl
anfühlt, hat nur eine 0,008 Millime-
ter dünne Metallschicht in der Mitte.
Wild lässt nun an Alternativen zum
Alu-Verbundstoff forschen. In Italien
hat er einen Verpackungsspezialisten
zugekauft. Einen Beutel aus durch-
sichtiger Folie testet Capri-Sun gerade
in England. Bei der Durchlässigkeit
von Licht und Luft gebe es große
Fortschritte, so dass der Saft nicht
nur ein paar Monate halte.
Wild hat Capri-Sun zu einem inter-
nationalen Bestseller gemacht. Wilds
Vater Rudolf, ein Chemiker, gründete
1931 die Zickzack-Werke, die rein na-
türliche Aromen und Grundstoffe für
Nahrungsmittel herstellten. 1951 kam
die Limonade Libella auf den Markt.
Der Durchbruch gelang, als der Vater
den sogenannten Heidelberger Mixer
entwickelte. „Die Mischmaschine

platzierte er kostenlos bei 50 Geträn-
keherstellern – unter der Bedingung,
dass sie unsere Grundstoffe abneh-
men“, erzählt der Sohn. „Seitdem
sind wir auch Maschinenbauer.“
1956 kamen die Deutschen Sisi-
Werke hinzu, die 1969 Capri-Sonne
auf den Markt brachten. Der Clou
war der Standbeutel. Damals gab es
Getränke für unterwegs im Tetraeder
etwa von Sunkist aus Kalifornien.
„Den Marktführer haben wir lange
bekämpft, bis er vom Markt ver-
schwand“, so Wild. Gegen rund 40
Nachahmer zog er weltweit zu Felde.

Partner Muhammad Ali
Das Patent für die Saftbeutel-Maschi-
ne hielt ein Franzose, der sonst Näh-
maschinen produzierte. Noch als Stu-
dent verhandelte Hans-Peter Wild da-
mals mit dem Erfinder. „Ich war der
Einzige in der Firma, der Fremdspra-
chen konnte“, sagt der Diplomkauf-
mann und Jurist, der an der Sor-
bonne promovierte. „Die Maschine
war eine Katastrophe“, erinnert sich

Wild. „Die Beutel liefen ständig aus.“
Der Vater entwickelte eine bessere.
1974 wechselte der Sohn aus der Ölin-
dustrie ins Familienunternehmen
und startete die weltweite Expansion
von Wild Flavors und Capri-Sun.
Wilds wohl spektakulärster Coup
war sein Werbedeal mit Muhammad
Ali. Der Boxer trank ohnehin Capri-
Sun und ließ sich 1979 zu einem Wer-
befilm überreden. „Den Spot haben
wir ohne Drehbuch in einer
Schule in Jacksonville ge-
dreht, Kinder dazu von der
Straße gecastet“, so Wild. Er
bat Ali, etwas zum Produkt
zu erzählen, da sprach der
Boxer spontan den legendä-
ren Satz: „I am now the
greatest, but when I stop bo-
xing Capri-Sun is gonna be the
greatest.“ Das brachte den
Durchbruch in den USA und
weltweit. „Alle dachten, wir
sind eine wichtige Firma“, lacht
Wild. Ali war mehrmals in Eppelheim
zu Besuch. Aber weil der Boxer seine
Werbeverpflichtungen schleifen ließ,
kam Wild sehr günstig weg.
„Hans-Peter Wild ist einer der gro-
ßen Unternehmer Deutschlands“,
konstatiert Johannes Huth, Europa-
chef von Finanzinvestor KKR. „Wild
Flavors hat zwar sein Vater gegrün-
det, aber er hat es zu einem weltwei-
ten Marktführer aufgebaut.“ Huth ar-
beitete vier Jahre „eng und gern“ mit
HPW, wie er intern genannt wird, zu-
sammen. Denn 2010 hatte Wild den
US-Finanzinvestor an seiner Aro-
mensparte beteiligt, die rund eine
Milliarde Euro Umsatz machte. 2014
übernahm der US-Nahrungsmittel-
konzern ADM Wild Flavors – für satte
2,3 Milliarden Euro. „Der Verkauf
war ein gutes Geschäft – für ihn und
uns“, freut sich Investor Huth.
Mit dem Geld will Wild mit Geträn-
ken expandieren. „In China ist Capri-
Sun ein Premiumgetränk, da bauen
wir nun die zweite Fabrik.“ In den
USA wird Capri-Sun von Kraft Heinz
in Lizenz produziert und vertrieben.
Seit einer Preisanhebung gehen dort
die Geschäfte zurück, was Wild är-
gert: „In Deutschland haben wir auch
die Preise erhöht, aber genauso die
Mengen und Umsätze.“
„Wir werden in Schlüsselregionen
wieder mehr selbst produzieren“,
verrät Wild. „Das ist zwar risikorei-
cher, aber auch lukrativer.“ Geld hat
er seit dem ADM-Verkauf genug auf
der hohen Kante. „Meine Strategie
lautete immer: Kapital aus einem Ge-
schäft abziehen und damit etwas
Neues aufbauen.“
Nur einmal rutschte Capri-Sun in
die Verlustzone. „Vor 15 Jahren pro-
duzierten wir zu viel Ausschuss“,
räumt Wild ein. Er ist stolz, mit den-
selben Leuten die Firma wieder auf
Kurs gebracht zu haben. Auch einige
Getränke floppten. Zuckerreduzierte
Capri-Sun wollte keiner trinken, ge-
nauso wenig wie ein Mineral-Sportge-
tränk und eine Bio-Schorle. Dafür

Hans-Peter Wild


Der Sonnenkönig


Der Unternehmer hat mit Capri-Sun eine Weltmarke geschaffen. Nun will er den Umsatz verdoppeln,


indem er wieder mehr selbst abfüllt. Doch das Plastikhalmverbot bringt die Firma in Nöte.


Hans-Petee r Wild:
Capri-Sun forscht
an recyclefähigen
Trinkhalmen und
Beuteln.

imago/PanoramiC [M]


Das


plötzliche


Strohhalm -


verbot


ist eine


Existenzfrage


für uns.


Hans-Peter Wild
Capri-Sun

Capri-Sun


Familienunternehmen


des Tages
1

(^68) WOCHENENDE 7./8./9. NOVEMBER 2019, NR. 216

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