W
er sich eine Fußball-WM kaufen
will, muss schon wissen, wer zu
kaufen ist. Und glaubt man mut-
maßlichen Geheimdossiers, die in dieser
Woche auf der russischen Enthüllungsseite
»The Insider« auftauchten, dann waren
2010 einige Männer aus der Fifa käuflich –
bei der Vergabe der WM 2018 an Russland.
Über einen Fifa-Granden notierten russi-
sche WM-Werber demnach: »Könnte wert-
volle Geschenke positiv bewerten.« Über
den nächsten: »Von der Möglichkeit eines
direkten Stimmenkaufs ist auszugehen.«
Gut ansprechbar soll auch der hier ge-
wesen sein: »Nach Informationen aus meh-
reren Quellen neigt er dazu, seine Stimme
für eine finanzielle Vergütung von einer
bis anderthalb Millionen Euro zu verge-
ben.« Oder der: »Wird die Bewerbung un-
terstützen, für die ihm der höchste Betrag
in Aussicht gestellt wird.«
Schließlich einer noch: Der Berater
»bietet dessen Stimme an gegen groß -
zügige Bezahlung seiner Beraterdienste –
3 Millionen Euro«. Dieser letzte Wahl-
mann soll sich zwar nicht groß von den
anderen aus dem Klub der Gierigen unter-
schieden haben. Aber es geht dabei um
das Dossier eines deutschen Fußballhel-
den: Franz Beckenbauer, 74.
Es hat in den vergangenen Jahren viele
Meldungen über den Abstieg des Kaisers
gegeben. Die erste Meldung, nach der Be-
ckenbauer als Chef der deutschen Som-
mermärchen-WM 6,7 Millionen Euro an
einen korrupten Scheich geschickt hatte,
löste noch Erstaunen aus. Die zweite, drit-
te ein resigniertes »Auch das noch«. Was
danach kam, als der Kaiser schon nackt
war, lediglich: »Mein Gott, Franz!«.
Und da steht Beckenbauer heute: WM-
Organisationschef Alexej Sorokin bestreitet
zwar die Echtheit der Dossiers, und Becken-
bauer hat stets gesagt, er habe sich nie an
die Russen verkauft. Aber seine Glaubwür-
digkeit ist so ruiniert, dass ihm viele in Fuß-
balldeutschland auch das noch zutrauen.
All die sowieso schon beschmutzten Namen
aus den Dossiers sind jetzt Namen, die mit
»Beckenbauer« in einem Atemzug genannt
werden. Wie konnte es so weit kommen?
In der deutschen Begeisterung für den
»Franz«, dem alles zu gelingen schien, lag
immer auch die Illusion, dass der Charak-
ter auf und neben dem Platz der gleiche
sein würde. Hier der Edeltechniker, der
die Mannschaft führt, dort der Gentleman,
der zum Vorbild taugen sollte. In Wahrheit
war die verlorene Ehre des Franz B. auch
vorher schon eine ziemlich verlogene
Ehre, hatte er doch bereits als Spieler mehr
ans Geld gedacht als ans Gesetz.
In seiner Biografie erzählte er 1992 non-
chalant, wie er nach Freundschaftsspielen
von Bayern München bündelweise Schei-
ne einsteckte, von denen weder der DFB
noch das Finanzamt wissen durften.
»Schwarzgeld-Touren« nannte er das. 1977
* Am 28. September beim Spiel Hoffenheim gegen
Mönchengladbach in Sinsheim.
verlegte er seinen Wohnsitz offiziell in die
Schweiz, um auf seine Millioneneinnah-
men nur ein paar Tausend Franken Steu-
ern zu zahlen. Der Versuch, auch noch
Geld aus einem Firmenverkauf am Fiskus
vorbeizuschleusen, ging schief, er musste
nachversteuern. Aber Beckenbauer mach-
te weiter, als schwebte er nicht nur über
den Rasen, sondern auch über den Regeln.
Als er die Heim-WM 2006 organisierte,
ließ er wissen, dass er nur für die Ehre und
sein Land arbeite. Später enthüllte der
SPIEGEL, dass ihm der Ehrenjob in Wahr-
heit 5,5 Millionen Euro vom Sportwetten -
anbieter Oddset gebracht hatte. Hätte er
das vorher gesagt, vermutlich hätte es ihm
keiner krummgenommen. Aber die Gier
sollte sein heimlicher Begleiter bleiben,
und es gab noch einen Begleiter, der dazu
passte: seinen Berater Fedor Radmann.
Der Mann für die klandestinen Einnah-
men der Lichtgestalt Beckenbauer.
2007 bekam Radmann, der in der aktu-
ellen Russlandaffäre jede Schuld bestreitet,
5,4 Millionen Franken von dem Milliardär
Robert Louis-Dreyfus. Die Hälfte reichte
er an Beckenbauer weiter. Wofür? Bis heu-
te ungeklärt. Fünf Jahre später schloss
Beckenbauers Vermarktungsfirma einen
lukrativen Vertrag mit russischen Gas -
unternehmen ab; diesmal mit öffentlicher
Ankündigung. Beckenbauer wurde Sport-
botschafter der Russen, bestritt aber, dass
das etwas mit seinem Abstimmverhalten
bei der WM-Vergabe an Russland andert-
halb Jahre vorher zu tun hatte. Auch das
könnte nun vor dem Hintergrund der an-
geblichen Mails anders aussehen.
Sein Ruhm überstrahlte damals die Fra-
gen, die Zweifel. Alles kippte erst, als sich
sein größter Erfolg, die Sommermärchen-
WM, gegen ihn drehte. Er hatte sie ins
Land geholt, aber mit Millionen getrickst
und damit ein Märchen für Millionen be-
schädigt. Wie genau, warum? Er war nicht
bereit, das aufzuklären. Andere sollen da-
für heute den Kopf hinhalten, in einem
Strafverfahren in der Schweiz. Er selbst
hat sich krankgemeldet, vernehmungs -
unfähig. Das kann gut sein, Atteste be-
scheinigen ihm, dass er sich nach zwei
Herzoperationen nicht mehr aufregen darf.
Aber so weit ist der Kaiser jetzt: Das
Einzige, was ihm noch bleibt, ist Mitleid,
und selbst das hilft ihm nicht mehr. Früher
hat Beckenbauer auf dem Platz Verant-
wortung übernommen, heute erkennt
man, dass er das neben dem Platz nie tun
wollte. Der Mensch Beckenbauer war kein
Kaiser, sondern auch nur ein Mann mit
Fehlern und Schwächen. Früher konnte
man es nicht sehen, heute mag man es
nicht mehr länger mitansehen.
Jürgen Dahlkamp, Christian Esch,
Gunther Latsch, Jörg Schmitt,
Jens Weinreich
106 DER SPIEGEL Nr. 45 / 2. 11. 2019
Sport
Mein Gott,
Franz!
FußballObskure Geheimdossiers
aus Russland belasten
Altstar Beckenbauer. Er steht
in einer Reihe mit
korrupten Funktionären.
UWE ANSPACH / PICTURE ALLIANCE / DPA
Ehemaliger Fifa-Mann Beckenbauer (r.)*:Ans Geld gedacht