Der Spiegel - 02.11.2019

(Brent) #1

ne Note zu viel. »Je weniger Signale du
hast, je weniger Frequenzen du setzt, um -
so besser wird es«, sagt Westernhagen.
Diesen Ansatz mag man altmodisch fin-
den. Er ist aber auch klassisch. »Ich wan-
dere von Ort zu Ort«, sagt Westernhagen,
»und am Ende kehre ich heim«, zu den
Quellen seiner Musik, meint er.
Vielleicht besteht das eigentliche Expe-
riment darin, ein letztes Mal die kulturelle
Bindung einer ganzen Generation an die
USA zu beschwören. Ästhetisch sind die
Aufnahmen am späten Johnny Cash ge-
schult. Präsentieren will er sie seinem Pu-
blikum nur im intimen Ambiente kleiner
Theater, wie der späte Springsteen. Das
verwitternde Denkmal, es erstrahle in neu-
em Glanz.
Das ist Arbeit. Und es ist ein Wagnis,
künstlerisch wie kommerziell. Dabei hätte


es ihn nur ein Fingerschnippen gekostet,
einfach ein weiteres Best-of zu veröffent-
lichen, Coverversionen oder Duette. Si-
cherheitshalber hätte er die Vergangenheit
auch mit den alten Kumpels wiederauf -
leben lassen können, wie er sagt: »Jungs,
noch einmal wie früher, ja?«
Der Plattenfirma, der er vertraglich
noch ein Album schuldete, wäre eine sol-
che sichere Nummer vermutlich lieber ge-
wesen. Westernhagen aber hatte es sich in
den Kopf gesetzt, als Regisseur den alten
Film neu zu inszenieren. Mit seinem Wis-
sen von heute, sozusagen als Director’s
Cut. Und er ist ein berüchtigter Geschäfts-
partner.
Gelernt hat er das von einem berühmten
Kollegen, als er schon in großen Hallen
spielte, aber nur »5000 Mark pro Auftritt«
bekam. »Damals dachte ich, ich bin der

* In »Theo gegen den Rest der Welt«, 1980.

Größte! Und dann kam Udo, das ist ein
schlaues Kerlchen«, erzählt er und imitiert
das typische Genuschel von Udo Linden-
berg: »Jetzt hör mal zu, das muss ich mal
ausrechnen, Tickets kosten so viel, da krie-
gen die so und so viel Geld, und die Hal-
lenmiete kostet das und das ... Das wusste
der alles! Da wurde mir klar: Ich brauche
einen Anwalt. Und dann hatte die Platten-
firma nicht mehr so viel Spaß mit mir.«
Überhaupt hatte die ganze Plattenindustrie
nicht mehr so viel Freude an ihren wich-
tigsten Künstlern. Zu einer Zeit, als die
Branche boomte wie nie zuvor und nie-
mals danach, surfte Westernhagen ganz
oben auf der Welle. Er hatte gute Anwälte,
sehr gute Verträge.
Seine Position in den Gesprächen zu
»Das Pfefferminz-Experiment« schildert
er so: »Wenn ihr von mir noch eine Platte

haben wollt, dann nach meinen Regeln.
Ich schlage euch sogar Folgendes vor: Ihr
werdet nicht wissen, wann ich ins Studio
gehe, und ich werde alles vorfinanzieren.
Das ist mein Risiko. Wenn ihr es nicht
wollt, schütteln wir uns die Hände – und
ich gehe nach Hause.«
So kann verhandeln, wer mit sieben
Studioalben auf Nummer eins der deut-
schen Charts landen konnte, davon sechs
in Folge. Westernhagen hatte die meis-
ten Millionenseller-Alben in Deutschland,
noch vor Phil Collins, Herbert Gröne -
meyer und Michael Jackson. Er war das
eigensinnige Zugpferd einer ganzen In-
dustrie – bis er sich selbst fremd wurde
und »nur noch rauswollte« aus dem gol-
denen Käfig.
Wer das neue Album braucht? Interes-
siert ihn nicht. Er braucht es, das genügt.
Der Hype um seine Person ist vorbei,
die Welle ausgelaufen. Manchen bedeutet

seine Kunst noch immer etwas. Andere
können ihm nicht verzeihen, dass er sie
einmal so sehr berühren konnte. »Freiheit
ist das Einzige, was zählt«? Kitsch!
Deshalb sucht er nun nach »dem Echten,
der Substanz« seines Werks. Will sich
vergewissern, dass da wirklich etwas war.
Ob ein Song gut ist, das merke auch sein
Urheber »sowieso erst nach zehn Jahren.
Vorher weißt du das gar nicht«. Es muss-
ten ihm überhaupt erst andere sagen,
Freunde, Bekannte, Weggefährten. Leute,
die ganze Texte auswendig konnten, auch
nach 40 Jahren noch.
In der Dokumentation treten einige
dieser Zeitzeugen auf, als Kronzeugen
auch für den zeitgeschichtlichen Stellen-
wert von »Mit Pfefferminz bin ich dein
Prinz«: Iris Berben erinnert sich, wie ihr
Schauspielkollege Westernhagen aus dem
Kellerfenster einer Villa gekrochen kam,
in der er damals mit Udo Lindenberg
und Otto Waalkes in einer WG wohnte:
»Da muss die Post abgegangen sein in
diesem Keller.«
Noch immer sieht jeder in Westernha-
gen das, was er sehen will. Im Grunde re-
den alle Beteiligten dabei über sich selbst.
Jürgen Klinsmann lobt das sportliche
Ethos des Künstlers, Hape Herkeling den
Erfindungsreichtum. Auch Joschka Fischer,
laut Selbsteinschätzung »einer der letzten
Live-Rock-’n’-Roller der deutschen Poli-
tik«, hat die Lieder angeblich damals als
Taxifahrer in Frankfurt gehört. In Western-
hagen will er den Sprecher einer Genera-
tion erkannt haben, jener, »die in der ers-
ten Welle der großen Veränderungen er-
wachsen wurde und die ganze Naivität der
Jugend beanspruchen konnte«.
Näher als den Grünen war Western -
hagen immer der SPD. So nah, dass er
noch 2005 mit seinem Gesicht für die deut-
sche Steinkohleförderung warb: »Kohle
glänzt nicht, aber sie wärmt. Weil sie vielen
Menschen Arbeit gibt.« Heute findet er
»Figuren wie Greta Thunberg wichtig, ganz
egal was die redet, einfach als Fixpunkt für
junge Leute, dass wir wieder eine Vorstel-
lung kriegen von Werten, von Moral«.
So gibt er auf seine alten Tage den Pre-
diger mit verstaubtem Mantel, der »von
Ort zu Ort« wandert und von edler Einfalt,
stiller Größe spricht. Vielleicht ist das
die Maske, mit der er vom Olymp hinab-
gestiegen ist. Vielleicht ist es aber auch
der »wahre Marius«. Wirklich abgerundet
wäre das Lebenswerk erst, wenn er nach
mehr als 30 Jahren als Schauspieler zu-
rückkehren würde.
Hin und wieder bekommt er Drehbücher
zugeschickt. Er liest sie auch, wie damals.
Aber er legt sie dann beiseite: »Je länger
du nicht spielst, desto größer wird ja die
Legende. Und ich weiß gar nicht, ob ich
so gut war, um ehrlich zu sein.« Arno Frank

128 DER SPIEGEL Nr. 45 / 2. 11. 2019

Kultur

UNITED ARCHIVES / ULLSTEIN BILD
Schauspieler Westernhagen*: Gute Anwälte, sehr gute Verträge
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