Der Spiegel - 02.11.2019

(Brent) #1

28 DER SPIEGEL Nr. 45 / 2. 11. 2019


Bremen

Üppig abgesicherter


Bürgermeister


 Der Bund der Steuerzahler kritisiert
den im August zum Regierungschef
in Bremen gewählten Andreas Boven-
schulte, 54, scharf. Hintergrund ist der
Abgang des Politikers aus der nieder-
sächsischen Gemeinde Weyhe. Als
Bovenschulte im Mai für die SPD als
Abgeordneter in die Bremer Bürger-
schaft gewählt wurde, war der Jurist
Bürgermeister von Weyhe und damit
Wahlbeamter. Für sein Mandat in Bre-
men ließ sich Bovenschulte in Weyhe
beurlauben. Im Sommer wählte der
Gemeinderat den Bürgermeister ab,
um einen Nachfolger wählen zu kön-
nen. »Das war unsauber«, kritisiert
Bernhard Zentgraf, Vorsitzender vom
Bund der Steuerzahler in Niedersach-
sen und Bremen, »durch die Abwahl
stehen Bovenschulte üppige Versor-
gungsansprüche zu.« Sollte er in Bre-
men als Politiker scheitern, müsste
ihm Niedersachsen monatlich mehr
als 4500 Euro überweisen, moniert
der Bund der Steuerzahler. Eine Alter-
native wäre laut Zentgraf ein »anstän-
diger Rücktritt« gewesen. Damit
wären ihm die Ansprüche erst nach
dem 67. Lebensjahr erwachsen, so
Zentgraf. Die Abwahl als Bürger -
meister von Weyhe sei »rechtsmiss-
bräuchlich«. Bovenschulte sieht sich
zu Unrecht beschuldigt. Er habe le -
diglich von dem Recht Gebrauch
gemacht, sich als Beamter ohne Be -
züge beurlauben zu lassen. Alle
Versorgungsansprüche würden voll-
ständig mit den Bezügen als Abgeord-
neter oder Bürgermeister in Bremen
verrechnet. GUD

Justiz


Weniger Rechtsschutz


für Opfer


 Opferbeauftragte kritisieren die geplan-
te Beschränkung der Zahl der Neben -
kläger in Gerichtsverfahren. Laut einem
Gesetzentwurf des Bundesjustizminis -
teriums soll für mehrere Opfer mit »gleich-
gerichteten Interessen« künftig ein ge -
meinsamer Rechtsbeistand bestellt wer-
den können. Damit reagiert die Regie-
rung auf Mammutverfahren wie den
NSU-Prozess mit fast 60 Nebenklage -
anwälten oder den Loveparade-Prozess,
der wegen der vielen Beteiligten im Düs-
seldorfer Kongresscenter verhandelt wird.
Roland Weber, Opferbeauftragter des
Landes Berlin, kritisiert das Vorhaben
der Großen Koalition als »rückschritt-
lich«. Es stehe auch im Widerspruch zu
Versprechen der Bundesregierung, die
nach dem Breitscheidplatz-Anschlag ver-

kündet hatte, Gewaltopfer und Hinter-
bliebene besser zu unterstützen. Groß-
prozesse mit mehreren Dutzend Neben-
klägern seien die Ausnahme, erklärt
Weber: »Die Funktionsfähigkeit der
Gerichte ist nicht in Gefahr.« Auch der
Terroropfer-Beauftragte der Bundesregie-
rung, Edgar Franke (SPD), warnte kürz-
lich vor den Reformplänen. Ein »Opfer -
anwalt auf Staatskosten ist eines der wich-
tigsten Rechte von Opfern im Strafverfah-
ren«, schrieb er an das von seiner Partei-
freundin Christine Lambrecht geführte
Justizministerium. »Eine Regelung, mit
der dieses Recht beschränkt wird, ist
daher kritisch zu betrachten.« Das Bun-
deskabinett winkte den Gesetzentwurf
Ende Oktober trotzdem durch, nun muss
der Bundestag entscheiden. WOW

Hamburg


Ermittlungen gegen


Ex-Innensenator


 Der frühere Hamburger Innensenator
Michael Neumann (SPD) muss nach dem
Verlust seines Doktortitels strafrechtliche
Konsequenzen fürchten. Die Staatsan-
waltschaft der Hansestadt führt gegen
den 49-Jährigen ein Ermittlungsverfah-
ren, wie eine Sprecherin sagt. Anlass sei
die »Strafanzeige eines Hochschulprofes-
sors«. Es gehe um den Verdacht der fal-


schen eidesstattlichen Versicherung im
Rahmen der Promotion. Die Universität
der Bundeswehr hat Neumann kürzlich
den ihm dort 2017 erteilten Doktorgrad
wieder entzogen. Die Sprecherin der
Staatsanwaltschaft erklärt, nach der Ent-
scheidung habe man die Unterlagen an -
gefordert. Im Juli 2018 standen erstmals
Plagiatsvorwürfe gegen Neumanns Dis-
sertation im Raum. Neumann, der mittler-
weile an der Führungsakademie der Bun-
deswehr in Hamburg arbeitet, hat sich
bisher nicht dazu geäußert; für eine Stel-
lungnahme war er nicht erreichbar. SMS

SEBASTIAN WIDMANN
Nebenklageanwälte im NSU-Prozess 2015

Restitution


Hohenzoller soll Hitler-


Gegner gewesen sein


 Die Hohenzollern können sich im Streit
mit dem Land Brandenburg um eine
Millionenentschädigung auf ein bislang
unbekanntes Gutachten stützen. Darin
schreiben die Historiker Wolfram Pyta
und Rainer Orth, 1932/33 habe der dama-
lige Kronprinz Wilhelm »aktiv an der
Verhinderung« der Kanzlerschaft Adolf
Hitlers »mitgewirkt«, und verweisen auf
Wilhelms Nähe zu Reichskanzler Kurt
von Schleicher. Schleicher zählt zwar
zu den Totengräbern der Weimarer Repu -
blik, wollte seinen Rivalen Hitler aller-
dings stoppen. Laut Gutachten erwog
er daher, entweder den Hohenzoller
als »Reichsverweser« (Treuhänder der
Reichsgewalt) zu installieren oder die
NSDAP zu spalten und mit deren linkem
Flügel ohne Hitler zu regieren. Wilhelm
soll beide Vorhaben unterstützt haben;
Reichspräsident Paul von Hindenburg
setzte jedoch auf Hitler. Bei dem aktuellen
Rechtsstreit geht es um Immobilien der


Hohenzollern, welche die Sowjets nach
1945 enteigneten. Brandenburg lehnt bis-
lang eine Entschädigung mit der Begrün-
dung ab, Wilhelm habe dem Nationalso-
zialismus »erheblichen Vorschub« geleis-
tet – was die Hohenzollern bestreiten.
Beiden Seiten stehen jetzt je zwei Gut -
achten zur Verfügung (SPIEGEL31/2019).
Allerdings widersprechen sich die Ex -
perten der Hohenzollern-Seite: Pyta/
Orth schreiben Wilhelm zu einer wichti-
gen Anti-Hitler-Figur hoch, Christopher
Clark – der andere Gutachter – urteilt hin-
gegen, Wilhelm habe mit den Nazis sym-
pathisiert, sei aber unbedeutend gewesen:
»Der Mann war eine Flasche.«KLW

BPK
Hitler, Wilhelm von Preußen 1933
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