Der Spiegel - 02.11.2019

(Brent) #1
Auf Talfahrt
Abschneiden der Unionsparteien
bei Landtagswahlen seit
der Bundestagswahl 2017

(^2017) 32,9 %
(^2018) 37,2 – 10,5
Bayern (CSU)
2018 27,0
Hessen



  • 11,3


(^2018) 26,7
Bremen



  • 4,3
    (^2019) 32,1
    Sachsen



  • 7,3


2019 15,6

Brandenburg


  • 7,4


(^2019) 21,8
Thüringen



  • 11,7


2017 33,6

Niedersachsen


  • 2,4

  • 8,6


Bundestagswahl

Veränderung
gegenüber
der Vorwahl,
in Prozentpunkten

dete Angela Merkel leistete einen wichti-
gen Beitrag dazu, dass ihre Nachfolgerin
ins Wanken geriet.
Anfangs schien Kramp-Karrenbauer al-
les zu glücken. Weil fast die Hälfte der
CDU-Delegierten nicht für sie gestimmt
hatte, bemühte sie sich, die Anhänger von
Merz und des im ersten Wahlgang ausge-
schiedenen Gesundheitsministers Jens
Spahn zu versöhnen. Sie besuchte den
Wirtschaftsflügel, bot Friedrich Merz eine
vertrauensvolle Zusammenarbeit an. Und
sie veranstaltete ein Werkstattgespräch zur
Flüchtlingspolitik, das die Kritiker von
Merkels Politik wieder mit der Partei ver-
söhnen sollte.
Dann kippte die Stimmung. Karnevals-
scherze über Toiletten für das dritte Ge-
schlecht, schiefe Aussagen über die Mei-
nungsfreiheit im Internet und Andeutun-
gen über einen Parteiausschluss des CDU-
Rechtsaußen Hans-Georg Maaßen hätte
die Partei einer Landespolitikerin viel-
leicht durchgehen lassen. Doch bei einer
CDU-Chefin, die eines der wichtigsten
Industrieländer führen will, wird jeder
Satz wie unter dem Mikroskop seziert.
Auf Kritik reagierte Kramp-Karrenbau-
er oft patzig. Mal erklärte sie, die Deut-
schen seien »das verkrampfteste Volk, das
überhaupt je auf der Welt rumläuft«, mal
warf sie den Medien absurde Unterstellun-
gen vor.
Noch verhängnisvoller waren Kramp-
Karrenbauers strategische Fehlschläge, mit
denen sie ihre Fans vor den Kopf stieß. Li-
berale Parteifreunde, die sich für sie und
gegen Merz eingesetzt hatten, klagten bald
nach der Vorsitzendenwahl, die neue Che-
fin interessiere sich wenig für ihren Rat.
»AKK« verbringe zu viel Zeit damit, hieß
es, Parteifreunde zu versöhnen, die ohne-
hin nie ihre Verbündeten sein würden.
Tatsächlich haben sich die von ihr so
umworbenen Unternehmer und Verbände
längst wieder von Kramp-Karrenbauer
abgewandt. Wie wenig nachhaltig ihre
Charme offensive bei der Mittelstands -
union war, zeigt sich daran, dass der Wirt-
schaftsklub Friedrich Merz in seinen Bun-
desvorstand holen will. Ein konkreter
Anlass fehlt, offensichtlich will man den
heimlichen Herausforderer einfach an sich
binden. Vizechef des CDU-Wirtschaftsrats
ist Merz ohnehin schon.
Die Enttäuschung des »AKK«-Lagers
über den Kurs der Chefin verstärkte sich
nach ihrem Werkstattgespräch zur Migra-
tion. In einem Interview erklärte sie, in
der Flüchtlingspolitik komme als »Ultima
Ratio« auch eine Schließung der deutschen
Grenzen infrage. Selbst für die Zurück -
weisung von Flüchtlingen an der Grenze
zeigte sie sich offen.
Damit distanzierte sich Kramp-Karren-
bauer von Merkel – obwohl sie die Kanz-
lerin in diesen Fragen stets gestützt hatte.


Die Parteirechten, versammelt in der Platt-
form WerteUnion, dankten es ihr nicht.
Aber ihr Verhältnis zu Merkel kühlte sich
deutlich ab.
Die Kanzlerin bezog öffentlich Stellung
gegen die CDU-Chefin: »Gerade was das
Thema der Zurückweisung an der Grenze
anbelangt, haben wir ja in den vergange-
nen Monaten sehr viel diskutiert«, sagte
sie in Anspielung auf den Streit mit der
CSU, der die Union im Sommer 2018 fast
gesprengt hätte. »Und da hat sich an mei-
ner Meinung nichts geändert.«
Von nun an gingen Kramp-Karrenbau-
ers Helfer intern auf Distanz. Die Chefin
der Frauen-Union, Annette Widmann-
Mauz, ermahnte die Vorsitzende in klei-
nem Kreis, sich darauf zu besinnen, wofür

die Delegierten sie gewählt hätten. Und
die Mitbegründerin der »Union der Mitte«,
die schleswig-holsteinische Bildungsminis-
terin Karin Prien, sagte: »Wir dürfen nicht
den falschen Eindruck erwecken, dass die
CDU nach rechts rückt.«
Weiteren Ärger zog Kramp-Karrenbau-
er auf sich, als die Parteizentrale am
Abend der Europawahl mit ihrer Billigung
eine Wahlanalyse verbreitete. Darin wur-
de die Schuld für das schlechte Abschnei-
den der Union auf alle möglichen Akteure
verteilt: die Junge Union, die WerteUnion,
den schwachen Spitzenkandidaten Man-
fred Weber und die abwesende Bundes-
kanzlerin – nur die Parteivorsitzende
schien schuldlos.
Als sie die Partei dann auch noch mit
ihrer Entscheidung überrumpelte, das Ver-
teidigungsministerium zu übernehmen,
war der Rückhalt endgültig dahin. Zumal
sie erst kurz zuvor verkündet hatte, die
CDU brauche ihren vollen Einsatz.
All diese Fälle zeigen ein Muster:
Kramp-Karrenbauer agiert oft vorschnell
und ohne große Absprachen, allein um des
taktischen Vorteils willen. So wie zuletzt,
als sie in der vorvergangenen Woche eine
aktivere deutsche Außenpolitik und die
Einrichtung einer Schutzzone in Syrien
forderte. Die Idee war diskussionswürdig,
aber weil Kramp-Karrenbauer sie inhalt-
lich weder vorbereitete noch hochrangige
Koalitionspartner einbezogen hatte, scha-
dete sie ihrem eigenen Anliegen.
Ja, es sei ein »Alleingang« gewesen,
räumte Kramp-Karrenbauer jüngst im
CDU-Präsidium ein.

Angela Merkel saß mit in der Führungs-
rundeund dürfte sich ihren Teil gedacht
haben. Merkel ist kein Fan allzu hastiger
Entscheidungen. Manche behaupten, sie
sei kein Fan von Entscheidungen an sich.
Wie es um das Verhältnis der zwei Spit-
zenpolitikerinnen steht, darüber rätseln
Parteifreunde, seit sich das holprige Tan-
dem gebildet hat. An sich galt Kramp-Kar-
renbauer immer als Wunschnachfolgerin
Merkels bei Parteivorsitz wie Kanzleramt,
auch wenn die Kanzlerin es vermied, sich
öffentlich auf einen Favoriten festzulegen.
Doch die politische Freundschaft der
Frauen wurde mit dem Machtwechsel in
der CDU auf eine harte Probe gestellt.
Von Anfang an wollte sich die neue Par-
teichefin von der Kanzlerin absetzen,
ohne illoyal zu wirken. Sich gegenseitig
unterstützen und entlasten – und so den
Machtwechsel vorbereiten –, das war der
Plan.
Die Hoffnung wurde enttäuscht: Die
beiden arbeiten nebeneinanderher, ähn-
lich wie Partner in einer längst erkalteten
Gewohnheitsehe.
Bei Merkel schlich sich Misstrauen ein,
als Kramp-Karrenbauer auf dem Werk-

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Deutschland

MAURICE WEISS / OSTKREUZ
Netzwerker Spahn
Kontakte weit über die CDU hinaus
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