Der Spiegel - 02.11.2019

(Brent) #1
Strippenzieher
Die Rolle von Ex-Staatssekretär Gerhard Schulz
bei der geplanten Einführung der Pkw-Maut

Januar 2013 Wahlkampfthema der CSU:
eine Pkw-Maut auf Autobahnen, die inländische
Fahrer nicht belasten soll. Gerhard Schulz ist
zu dieser Zeit Unterabteilungsleiter im Bundes-
verkehrsministerium (BMVI).


  1. März 2015 Der Bundestag beschließt
    die Einführung der Pkw-Maut.

  2. September 2016 Die EU-Kommission
    verklagt Deutschland. Schulz steigt in dem
    Jahr zum Abteilungsleiter auf.

  3. März 2018 Andreas Scheuer wird neuer
    Bundesverkehrsminister und beruft wenig
    später Gerhard Schulz zum Staatssekretär.


November/Dezember Das BMVI führt soge-
nannte Aufklärungsgespräche mit den Bietern,
um die Angebotssumme zu drücken. Parallel
trifft sich Schulz mindestens viermal heimlich
mit den Bieterfirmen. Die Gespräche werden
nicht protokolliert.


  1. Dezember Vertragsunterzeichnung
    mit der Betreiberfirma Autoticket in Berlin.
    Um die Kostengrenze einzuhalten, soll der
    Lkw-Mautbetreiber Toll Collect wichtige
    Aufgaben des Mautsystems übernehmen.

  2. Oktober Kapsch
    und Eventim geben
    ihr erstes finales An-
    gebot über rund drei
    Mrd. Euro ab – gut
    eine Milliarde mehr,
    als der Bundestag
    bewilligt hatte.
    Die Bewilligung der
    Gelder gilt zudem
    nur bis Ende 2018.

  3. März 2019 Schulz wird zum Vorsitzenden
    der Geschäftsführung bei Toll Collect berufen.

  4. Mai Erweiterung des Geschäftszwecks
    von Toll Collect: Aufbau und Betrieb eines
    Pkw-Mautsystems

  5. Mai Der Bund und Autoticket unterzeichnen
    eine Vereinbarung über die Integration von
    Toll Collect in die Pkw-Maut.

  6. Juni Der EuGH erklärt die Mautpläne für rechts-
    widrig. Scheuer erklärt die Maut für gescheitert
    und kündigt am nächsten Morgen den Vertrag.

  7. Oktober Der Bundestag beschließt
    die Einsetzung eines Untersuchungs-
    ausschusses zur Pkw-Maut.


OLIVER BERG / PICTURE ALLIANCE

G


erhard Schulz hat geschafft, wo-
von viele Staatsdiener träumen.
Er fing als Referent im Bundes-
verkehrsministerium an und ar-
beitete sich bis zum höchsten Posten hoch,
den ein Beamter im Haus erreichen kann:
Staatssekretär.
Zehn Ministern diente der 53-Jährige,
roten, schwarzen, egal von welcher Partei
sie auch waren, auf Schulz war Verlass.
»Ich bin ein Kind des Hauses«, sagt er über
sich selbst.
Die Loyalität des Beamten zahlte sich
aus. Schulz ist heute Chef von Toll Collect,
dem bundeseigenen Betrieb zur Erhebung
der Lkw-Maut. Er empfängt seine Besu-
cher nicht mehr in der ehemaligen Preußi-
schen Geologischen Landesanstalt, wo das
Verkehrsministerium untergebracht ist,
sondern in einem Raum mit viel Glas am
Potsdamer Platz. Mit einem Jahresgehalt
von 398 000 Euro verdient Schulz mehr
als die Kanzlerin.
Den lukrativen Job hat er seinem alten
Chef zu verdanken, Verkehrsminister An-
dreas Scheuer (CSU). Es war wohl auch
ein Dankeschön für die treuen Dienste des
Beamten: Zuerst kümmerte sich Schulz im
Ministerium um die Lkw-Maut, dann ver-
handelte er die Verträge für die Pkw-Maut
aus, den Wahlkampfschlager der CSU. Die
Kollegen nannten den Staatssekretär bald
nur noch »Mr Maut«.
Am 18. Juni erklärte der Europäische
Gerichtshof (EuGH) die Infrastruktur -
abgabe, so der offizielle Name, für rechts-
widrig. Als das Projekt scheiterte, konnte
sich Schulz den Schlamassel bereits aus
sicherer Entfernung ansehen. Der Minister
hingegen musste Rede und Antwort ste-
hen und kämpft um sein Amt. Der Bun-
destag wird das Desaster bald in einem
Untersuchungsausschuss aufarbeiten.
Spätestens dann wird die Vergangenheit
auch Mr Maut einholen. Die Abgeordne-
ten werden ihm einiges vorwerfen können.
Schulz dokumentierte mindestens vier
Treffen mit den Bieterfirmen nicht, was ei-
gentlich seine behördliche Pflicht gewesen
wäre. In den Wochen vor Vertragsschluss
drückte Schulz die Angebotssumme der
beiden Bieterfirmen, Kapsch TrafficCom
und CTS Eventim, von drei auf zwei Mil -
liarden Euro und lagerte die übrige Mil -
liarde in eine Art Schattenhaushalt aus.
Eine zentrale Funktion beim Verstecken
des Geldes fiel dem Unternehmen zu, des-


sen Chef er anschließend wurde: Toll Col-
lect. Um die Kosten zu senken, übernahm
der Lkw-Mautbetreiber wichtige Aufga-
ben bei der Pkw-Maut.
Der Bundesrechnungshof prangert das
Vorgehen bei der Pkw-Maut in einem
noch unveröffentlichten Bericht massiv an.
Nach SPIEGEL-Informationen bemängeln
die Rechnungsprüfer die Nachverhandlun-
gen mit den Bietern und das Auslagern
von Kosten. Diese hätten dem Bundestag
transparent gemacht werden müssen.
Außerdem hätte das Ministerium die an-
deren Bieter einweihen müssen, dass sich
mit der Übertragung von Aufgaben an Toll
Collect der Umfang der Leistungen geän-
dert hatte. Nach Ansicht der Prüfer hat
das Verkehrsministerium gegen Vergabe-
und Haushaltsrecht verstoßen.
Nicht nur für Minister Scheuer wird es
also eng, sondern auch für Mr Maut. Er
könnte für die entstandenen Kosten als
Geschäftsführer von Toll Collect haftbar
gemacht werden. Offen ist, wie weit
Schulz seinen Minister über die Trickse-
reien informiert hatte. Eine Anfrage dazu
beantwortete er nicht.
Es war im November 2017, kurz nach
der Bundestagswahl, als das Verkehrs -
ministerium erste Verhandlungen mit
Bietern für das Pkw-Mautsystem führte.
Zu diesem Zeitpunkt war noch unklar,
wer die Nachfolge von Alexander Do -
brindt als Verkehrsminister antreten wür-
de. Doch Gerhard Schulz, damals noch
Abteilungsleiter, trieb das Projekt unbeirrt
voran. Die Pkw-Maut werde kommen,
sagte er in einer Verhandlungsrunde mit
Bietern, »unabhängig vom politischen Ge-
schehen«.
Als sich Union und SPD auf einen neu-
en Koalitionsvertrag geeinigt hatten, wur-
de wieder ein CSU-Mann ins Ministeramt
berufen: Andreas Scheuer. Für Schulz be-
deutete der Personalwechsel einen Karrie-
resprung. Scheuer machte ihn zum Staats-
sekretär. Mr Maut sollte der Garant dafür
sein, dass der Wegezoll endlich kommt.
Die meisten Leitungsvorlagen zur Pkw-
Maut landeten fortan auf dem Schreibtisch
von Schulz. Im Verkehrsministerium gilt
es als offenes Geheimnis, dass Scheuer sei-
nem Staatssekretär freie Hand ließ.
Mitte 2018 geriet das Vergabeverfahren
zur Erhebung der Pkw-Maut ins Stocken.
Nach Verhandlungen mit mehreren Bie-
tern zeichnete sich ab, dass die Unter -

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Deutschland

Der trickreiche Mr Maut


VerkehrIn der Affäre um die gescheiterte Pkw-Maut gerät Ex-Staatssekretär Gerhard Schulz in den
Fokus. Er fädelte den riskanten Milliardenvertrag ein und wurde mit einem Traumjob belohnt.
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