Der Spiegel - 02.11.2019

(Brent) #1

DER SPIEGEL Nr. 45 / 2. 11. 2019 41


Deutschland

E


in Mann trifft eine Frau. Die beiden
sprechen miteinander, er findet sie
sympathisch, doch er weiß nicht viel
über sie. Er weiß nicht, wie sie heißt oder
wie er sie erreichen kann. In den meisten
Fällen wäre die Geschichte jetzt zu Ende.
Doch der Mann ist Polizist. Er sieht das
Autokennzeichen der Frau, das reicht ihm.
Im Zentralen Verkehrsinformationssystem
fragt er die Daten ab. Jetzt weiß er, wie
sie heißt und wo sie wohnt. Er wendet sich
an die Bundesnetzagentur und erschleicht
sich Festnetz- und Handy nummer. Drei
Tage später ruft der Polizist die Frau an.
Doch sie erstattet Anzeige, der Beamte
aus Baden-Württemberg muss 1400 Euro
Bußgeld zahlen.
Neugierige Polizisten, die ihre Dienst-
privilegien zu privaten Zwecken nutzen,
gibt es viel häufiger als bislang bekannt.
Eine Umfrage des SPIEGELunter den Da-
tenschutzbeauftragten des Bundes und der
Länder sowie in den Innenressorts ergab:
Ab Anfang 2018 liefen mindestens 158 Ver-
fahren gegen Beamte, weil sie rechtswid-
rig geschnüffelt haben sollen. In mindes-
tens 52 Fällen verhängten die Behörden
Geldbußen. »Die Systeme werden immer
wieder missbraucht, um Nachbarn, Fami-
lienmitglieder oder Kollegen auszuspio -
nieren«, sagt die Berliner Datenschutz -
beauftragte Maja Smoltczyk.
In Mecklenburg-Vorpommern soll eine
Beamtin die neue Partnerin ihres Ex-
Mannes ausgeforscht haben. Sie fand he-
raus, dass die Frau zu einer Haftstrafe ver-
urteilt worden war – und konfrontierte
sie damit. Das Verfahren gegen die Poli-
zistin läuft noch.
In Brandenburg gefiel einem Beamten
ein Sportwagen. Zwei Abfragen waren nö-
tig, dann hatte er Namen und Adresse des
Besitzers. Kurz darauf stand er vor dessen
Tür und sagte, er wolle das Auto kaufen.
Der Halter erstattete Anzeige, 200 Euro
Bußgeld wegen eines Datenschutzversto-
ßes wurden für den Polizisten fällig.
Ein besonders gravierender Fall wurde
in diesem Jahr in Mecklenburg-Vorpom-
mern bekannt: In einem Verfahren wegen
Kindesmissbrauch hatte ein Polizist aus
Schwerin eine Zeugin vernommen – wäh-


rend eine 13 Jahre alte Freundin der Ju-
gendlichen anwesend war. Der Polizist bat
das Mädchen um dessen Kontaktdaten, an-
geblich für eventuelle Nachfragen. Doch
die nutzte er, um dem Kind per WhatsApp
»sexuelle Avancen« zu machen, wie es
im Bericht des Datenschutzbeauftragten
heißt. Der Beamte sollte 1500 Euro zahlen,
das Amtsgericht Schwerin hob das Buß-
geld aber aus formalem Grund auf. Gegen
den Beamten lief auch ein Disziplinarver-
fahren, das mit einer Strafe von 300 Euro
endete. Der Polizist wurde versetzt.
Dieser Fall wäre früher wohl nie öffent-
lich geworden. Seit Mai 2018 gilt die Da-
tenschutz-Grundverordnung in Deutsch-
land. Und inzwischen sind im Bund und
in acht Ländern nicht mehr die Polizeibe-
hörden selbst oder die vorgesetzten Innen-
ministerien für die Verfolgung derartiger
Verstöße zuständig, sondern die Daten-
schutzbeauftragten.
Seither werden Sicherheitsmängel nicht
nur häufiger öffentlich, sondern sie haben
auch Folgen. In Brandenburg gaben Poli-
zisten 2018 aus dem System WebView
offenbar interne Details zu Polizeieinsät-
zen an Außenstehende weiter oder veröf-
fentlichten sie auf Facebook. Auf Drängen
der Datenschutzbehörde reagierte das In-
nenministerium: Statt 5000 haben inzwi-
schen nur noch 3000 Polizisten Zugriff auf
die Informationen.
Die Berliner Datenschutzbeauftragte
Smoltczyk beschäftigt sich derzeit mit
Mängeln in den Systemen der Hauptstadt-
polizei. Dort gibt es zwar für jede Abfrage
ein Feld, in das Polizisten schreiben sollen,
warum sie die Informationen brauchen.
»Doch da könnte man auch ›Donald Duck‹

eintragen«, sagt Smoltczyk. Es werde nicht
ausreichend kontrolliert.
Die Menge der bekannten Verstöße
scheint angesichts der Zahl der Zugriffe auf
die Datenbanken klein zu sein. Baden-
Württembergs Datenschutzbeauftragter
Stefan Brink schätzt, dass manche Polizis-
ten jährlich sechsstellige Abrufzahlen hät-
ten. »Das ist deren täglich Brot«, sagt er. In
Hessen gibt es jeden Tag bis zu 45 000 Ab-
fragen, rund die Hälfte davon automatisch.
Mitarbeiter in sensiblen Bereichen wie
der Rüstungsindustrie oder auf Flughäfen
beispielsweise werden regelmäßig über-
prüft.
Das hessische Innenministerium über-
wacht den Wissensdurst seiner Polizisten
mit Stichproben. Sie sollen jede 200. Ab-
frage im System schriftlich begründen. Die
Politik re agierte damit auf den Fall der
Frankfurter Rechtsanwältin Seda Basay-
Yildiz, die Drohungen per Fax erhalten
hatte. Eine Spur führte zum 1. Polizeire-
vier in Frankfurt. Von einem der Dienst-
rechner war kurz zuvor die Adresse der
Strafverteidigerin abgefragt worden.
Die Neugier hessischer Beamter trifft
auch Prominente. Der Auftritt der Schla-
gersängerin Helene Fischer in Frankfurt
sorgte in den Reihen der Polizei offenbar
für Betriebsamkeit. Unbekannte Beamte
durchforsteten die dienst lichen Datenban-
ken und fragten ab, ob die Sängerin schon
einmal aufgefallen war. Sie blieben hartnä-
ckig: Laut Landespolizeipräsident tippten
sie immer wieder »Helene Fischer« in den
Computer – insgesamt 83-mal in einer
Nacht.Jean-Pierre Ziegler
Mail: [email protected]

Die Privat -


schnüffler


PolizeiBeamte missbrauchen
ihren Zugriff auf Daten-
banken, um Nachbarn, Ex-
Partner und Bekannt schaften
auszuspionieren.

UWE ANSPACH / DPA
Polizist in Einsatzzentrale: Sex-Avancen per WhatsApp
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