Ungleich eingeteilt
Wahlkreise bei der Bundestagswahl 2017
über der Soll-Einwohnerzahl
unter der Soll-Einwohnerzahl
Quellen:
Bundeswahlleiter,
RWTH Aachen
(Bevölkerungsstand:
- September 2017)
und Ausgleichsmandaten sogar mehr als
800 Abgeordnete werden. Die Politik
steht unter Rechtfertigungsdruck: Wie
kann man erklären, dass das Parlament
wächst und teurer wird, wenn die Bevöl-
kerungszahl sich nur minimal erhöht?
Parlamentspräsident Wolfgang Schäub-
le (CDU) setzt daher Ende 2017 eine Ar-
beitsgruppe mit Vertretern aus allen Frak-
tionen ein. Sie soll sich auf eine Wahl-
rechtsreform einigen, die den Bundestag
wieder auf Normalmaß schrumpfen lässt.
Es wird ein Herzensprojekt Schäubles.
schiedlich waren die Interessen, zu groß
war die Angst, dass eine Wahlrechtsreform
die Macht der einen oder anderen Partei
beschneiden könnte. Wenige Monate spä-
ter fordern 102 Staatsrechtler in einem
offenen Brief, den Bundestag endlich zu
verkleinern. Das aktuelle Wahlrecht habe
einen »geradezu entdemokratisierenden
Effekt«, warnen sie.
Mitte Oktober unternehmen FDP, Lin-
ke und Grüne einen neuen, gemeinsamen
Vorstoß für eine Wahlrechtsreform. Auch
ihr Vorschlag sieht vor, die Zahl der Wahl-
kreise zu reduzieren, konkret von 299
auf 250. Eine komplette Neueinteilung
Deutschlands wäre also unvermeidbar.
Die Union steht dem Vorschlag skep-
tisch gegenüber, weil er in ihren Augen die
Oppositionsparteien bevorzugen würde.
Doch mit dem neuen Antrag erhöht sich
der Druck auf das gesamte Parlament, end-
lich einen Kompromiss zu finden.
Versammelt sich der Bundestag tatsäch-
lich hinter einem Reformvorschlag, hat Go-
derbauers Software gute Chancen, wieder
zum Einsatz zu kommen. Allein aus Zeit-
gründen: Für den letzten Neuzuschnitt im
Vorfeld der Wahl 2002, als die Zahl der
Wahlkreise von 328 auf 299 sank, brauchte
die Reformkommission etwa ein Jahr.
Lediglich die Einwohnerzahlen müsste
Goderbauer noch einmal auf den neuesten
Stand bringen, damit die Software präzise
arbeitet. Dazu müsste er wieder viel tele-
fonieren – diese Arbeit nimmt ihm noch
kein Algorithmus ab. Marcel Pauly
Grafik
So könnten die neuen
Wahlkreise aussehen
spiegel.de/sp452019wahlkreise
oder in der App DER SPIEGEL
Im Juni 2018 klingelt in Aachen das Te-
lefon. Goderbauer steckt gerade mitten in
seiner Doktorarbeit, das Büro des Bundes-
wahlleiters ist dran. »Herr Goderbauer,
wir brauchen Sie. Jetzt!« Der Wahlleiter
soll für die Schäuble-Gruppe verschiedene
Vorschläge durchrechnen: Wie wäre der
Bundestag heute zusammengesetzt, wenn
bei der Wahl 2017 das eine oder das andere
diskutierte System gegolten hätte? Für die-
se Berechnungen braucht er Goderbauers
Hilfe: Wie könnten die Wahlkreise zuge-
schnitten sein?
Goderbauer hat sein Modell mittlerwei-
le ausgebaut und zusammen mit Studen-
ten in eine Software überführt. Er arbeitet
sich durch die Vorschläge, Unterstützung
bekommt er auch von seinem Doktorvater
Marco Lübbecke, der Goderbauer 2012
auf das Thema gestoßen hatte.
Sie tragen zunächst alle aktuellen Daten
zusammen und telefonieren viel mit Ein-
wohnermeldeämtern. Dann kann die Soft-
ware loslegen. Nach dem Eingeben der
Wahlkreiszahl sucht der Algorithmus,
Bundesland für Bundesland, nach der op-
timalen Aufteilung.
Mehrere Stunden dauert so ein Durch-
lauf. Für jede mögliche Wahlkreiszusam-
mensetzung bewertet die Software, wie
groß die Abweichung vom Durchschnitts-
wahlkreis ist und wie groß der Teil der
Außengrenze ist, den der Wahlkreis mit
Landkreisen und Regierungsbezirken teilt.
Die Größenabweichung sollte möglichst
klein, die Übereinstimmung der Grenzen
möglichst groß sein. Die ersten Ergebnisse
schickt Goderbauer nach Wiesbaden.
Doch seine Mühen sind umsonst.
Im April 2019 stellt die Parlamentarier-
gruppe ihre Arbeit ergebnislos ein. Die
Parteienvertreter konnten sich auf keinen
der Vorschläge verständigen, zu unter-
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