Der Spiegel - 02.11.2019

(Brent) #1

J


ahrelang flog die Frau entspannt in
die Türkei. Meistens über Istanbul
nach Elazığ, in den Osten des Landes.
Dort lebt ihre Familie. Es gab nie Proble-
me. »In diesem Jahr war sie sogar zweimal
da«, sagt ihr deutscher Ehemann, »zuletzt
ab August, ihr Bruder lag im Sterben.« Sei-
ne kurdische Frau, 64 Jahre alt, ist Sozial-
pädagogin, sie arbeitet für das Jugendamt
in Hannover und besitzt sowohl die deut-
sche als auch die türkische Staatsbürger-
schaft. Am 14. Oktober wollte sie nach
Hause zurückfliegen, doch in Istanbul en-
dete ihre Reise: Bei der Passkontrolle wur-
de sie festgenommen.
Der Vorwurf: Mitgliedschaft in dem
deutsch-kurdischen Verein Nav-Dem. So
berichtet es ihr Mann. Dabei sei sie bereits
seit Jahren nicht mehr in dem Verein aktiv
gewesen. Nach ein paar Tagen brachte die
Polizei die Frau nach Ankara. Dort kam
sie nach einer Anhörung vor Gericht frei.
»Sie darf das Land aber nicht verlassen,
bis in ihrer Sache ein Urteil gefällt wurde«,
sagt ihr Mann. Das könne Monate dauern.
Der Fall gehört zu einer Reihe von Fest-
nahmen in der Türkei, die auf eine neue
Härte der dortigen Sicherheitsbehörden
im Umgang mit Kurden aus der Bundesre-
publik schließen lassen. »Seit Anfang Ok-
tober sind uns insgesamt 14 Verhaftungen


deutscher Staatsangehöriger in der Türkei
wegen des Tatvorwurfs einer Mitglied-
schaft in einer terroristischen Vereinigung
(PKK) bekannt geworden«, teilt das Aus-
wärtige Amt mit. Zehn Leute seien mitt-
lerweile wieder auf freiem Fuß. Bei man-
chen hätten die Türken »Ausreisesperren
oder sonstige Auflagen verhängt«.
Nach Auskunft des Ministeriums hatten
die Betroffenen offenbar Verbindungen zu
kurdischen Vereinen in Deutschland. Zu-
mindest Nav-Dem ist laut deutschen Si-
cherheitsbehörden eine Teilvereinigung
der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei
PKK. Gleichwohl ist eine Mitgliedschaft
hierzulande erlaubt.
Berlin tut sich schwer damit, die Fälle
zu beurteilen. Es gibt kaum Informationen,
dem Auswärtigen Amt liegen bislang kei-
ne Anklageschriften vor. Die deutschen
Diplomaten müssen sich auf das verlassen,
was Angehörige und Anwälte ihnen be-
richten.
Und das klingt brisant: Die Rede ist von
einer Festnahmewelle, die sich gegen Kur-
den aus Deutschland richte. Den meisten
sei vorgehalten worden, dass ihre Namen
auf einer Mitgliederliste deutsch-kurdi-
scher Vereine stünden. Hunderte Kurden
seien darauf notiert, sagen Angehörige
und Anwälte. Überprüfen lässt sich das
nicht. Selbst die Verteidiger durften die
Unterlagen bislang nicht einsehen, da die
Verfahren als »geheim« eingestuft sind.
Die türkische Botschaft in Berlin schweigt.
Auch dem Auswärtigen Amt berichte-
ten Angehörige von einer Liste vermeint-
lich problematischer Mitgliedschaften in
Deutschland. Dass die türkischen Behör-
den über entsprechende Informationen
verfügten, sei »plausibel«, heißt es aus
dem Ministerium. Aber: In welcher Form
diese vorlägen, »können wir derzeit nicht
verifizieren«.
Als Reaktion auf das Vorgehen der türki -
schen Behörden ließ Außenminister Heiko

44

Im falschen


Verein


ErmittlungenMit neuer Härte
geht Ankara gegen Kurden aus
Deutschland vor. Türkeireisen
werden riskant, im Oktober wur-
den 14 Menschen festgenommen.

M. CZAPSKI / SNAPSHOT-PHOTOGRAPHY

Prokurdische Demonstranten in Berlin
Free download pdf