Der Spiegel - 02.11.2019

(Brent) #1

Maas (SPD) jetzt die Reise- und Sicher-
heitshinweise für die Türkei verschärfen:
»Es kommt in letzter Zeit vermehrt zu Fest-
nahmen deutscher Staatsangehöriger, die
in Deutschland in kurdischen Vereinen ak-
tiv sind oder waren«, heißt es nun auf der
Internetseite des Auswärtigen Amtes.
Für Nebahat Y., 58, aus Hamburg kommt
die Warnung zu spät. Die Erzieherin sitzt
seit Wochen in der Türkei fest. Im Septem-
ber war die Deutsche nach Diyarbakır zu
Verwandten geflogen. Als sie am 3. Okto-
ber zurückreisen wollte, erwartete die
türkische Polizei sie am Flughafen. Die
Beamten brachten Y. nach Ankara, wie ihr
Mann erzählt.
Im Verhör hätten die Beamten gesagt,
sie wüssten, dass seine Frau Vorsitzende
des Vereins Hevkar – Jugendvereine sei,
sagt der Mann, der selbst Vorsitzender der
Kurdischen Gemeinde in Hamburg ist.
»Wir haben mit der PKK nichts zu tun«,
sagt er. Zudem werde seiner Frau vor -
geworfen, sie habe den Präsidenten Re -
cep Tayyip Erdoğan in den sozialen Me -
dien beleidigt. In der Türkei ist das eine
Straftat.
Im Fall der deutsch-türkischen Sozial-
pädagogin aus Hannover engagiert sich
nun der ehemalige Oberbürgermeister der
niedersächsischen Landeshauptstadt, Her-
bert Schmalstieg (SPD). Er spricht von
einer »skandalösen Verfolgung unschuldi-
ger Deutscher durch einen autokratischen
Staat« und verlangt von der Bundesregie-
rung, energisch für die Rechte der Beschul-
digten einzutreten.
Schmalstieg ist Sprecher des Beirats der
Kurdischen Gemeinde Deutschland und
hat sich bereits vor Wochen für die Frei-
lassung eines weiteren Bediensteten der
Stadt Hannover eingesetzt. Der 45-jährige
Kurde war aufgrund eines internationalen
Haftbefehls unter Terrorverdacht in Italien
festgenommen worden, er saß zehn Tage
lang in Isolationshaft.
Vor mehr als 20 Jahren hatte er als
Student an PKK-Aktionen teilgenommen
und war daraufhin aus der Türkei geflo-
hen. In den Neunzigerjahren erhielt er
politisches Asyl in Deutschland. Der Kur-
de, den seine Vergangenheit bei einem
Wanderurlaub in den Dolomiten einholte,
kam erst wieder frei, nachdem Schmal-
stieg in Berlin und Brüssel Alarm geschla-
gen hatte.
Ali Ertan Toprak, Vorsitzender der Kur-
dischen Gemeinde Deutschland, vermutet,
dass es Ankara vor allem darum gehe, die
Kurden einzuschüchtern und mundtot zu
machen. »Die Leute sollen Angst haben,
ihre Meinung zu äußern«, sagt Toprak.
»Und sie sollen Angst haben, sich politisch
zu engagieren.«
Katrin Elger, Hubert Gude
Mail: [email protected]


DER SPIEGEL Nr. 45 / 2. 11. 2019 45

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