Der Spiegel - 02.11.2019

(Brent) #1

SPIEGEL:Herr Schulz, wenn man Ihnen
vor einem halben Jahr gesagt hätte, dass
Sie gemeinsam mit Olaf Scholz ein Inter-
view geben – was hätten Sie da entgegnet?
Schulz:Vor einem halben Jahr hätte es ja
gar nicht die Notwendigkeit gegeben. Aber
die Situation der SPD ist ernst, und das ist
der Grund, warum wir hier sind.
SPIEGEL: Dass wir überhaupt hier sitzen,
ist trotzdem eine kleine Sensation, weil
das Verhältnis zwischen Ihnen beiden seit
Jahren äußerst schwierig ist, um nicht zu
sagen: zerrüttet. Wie kam es dazu?
Schulz:Olaf Scholz und ich sind sowohl
von unserem Temperament als auch von
der Sichtweise auf Politik her sehr unter-
schiedlich. Und dann gab es eine Zeit lang
auch ein echtes Konkurrenzverhältnis zwi-
schen uns an der Parteispitze.
SPIEGEL: Damals waren Sie noch SPD-
Chef, hatten gerade krachend die Bundes-
tagswahl verloren, und Scholz saß Ihnen
im Nacken. Herr Scholz, man kann schon
sagen, dass das ein harter Machtkampf
war, oder?
Scholz:Ich neige nicht dazu, bei der Zu-
sammenarbeit an der Spitze der SPD in sol-
chen Kategorien zu denken. Auch Brandt,
Schmidt und Wehner haben es trotz voll-
kommen unterschiedlicher Charaktere ge-
schafft, gemeinsam etwas hinzukriegen. Es
ist nun die Verantwortung unserer Genera-
tion, das ebenfalls gut hinzubekommen.
SPIEGEL: Sie haben kurz nach der Nieder-
lage von Martin Schulz in einem Papier
eine »schonungslose Betrachtung der La -
ge« gefordert und beklagt, dass die SPD
im Wahlkampf nicht konkret genug gewe-
sen sei. Das waren echte Messerstiche.
Scholz:Nein. Wir hatten uns miteinander
darüber verständigt zu diskutieren, welche
Lehren wir für die Zukunft der SPD aus der
Niederlage ziehen wollten. Es ging uns bei-
den, Martin Schulz und mir, immer darum,
dass unsere Partei mit ihrer Verantwortung
für den Zusammenhalt in unserem Land ihre
historische Mission weiter erfüllen kann.
SPIEGEL: Herr Schulz, wie haben Sie das
damals empfunden?
Schulz:Wir hatten uns unmittelbar nach
der Wahl ausdrücklich Beiträge zu der De-
batte gewünscht, wie es nun weitergeht.


Das Gespräch führten die Redakteure Christoph Hick-
mann und Veit Medick.


Insofern war es Olafs gutes Recht, dieses
Papier vorzulegen. Allerdings habe ich es
so empfunden wie viele andere auch: als
klare Ansage von Olaf Scholz, dass Martin
Schulz nicht auf dem richtigen Weg ist. Da
war ich schon irritiert. Das haben wir dann
in einem Gespräch noch ganz gut meistern
können. Aber dabei blieb es ja nicht.
SPIEGEL: Was folgte dann?
Schulz:Ich will es mal so sagen: Es gab
eine Phase, in der ich den Eindruck hatte,
dass die 20,5 Prozent, die wir bei der Wahl
geholt hatten, als meine ganz persönliche
Niederlage dargestellt werden sollten. Da
habe ich mich im Stich gelassen gefühlt.
Scholz:Das Wahlergebnis galt der Partei
und war nie allein einer Person zuzuschrei-
ben. Die komplette Parteiführung hat sich
gefragt, wie es nach einem solchen Ergeb-
nis weitergehen kann.
SPIEGEL: Gab es einen Moment, in dem
Sie gesagt haben: Jetzt habe ich keine Lust
mehr, mit dem Olaf zu reden?
Schulz:Ja, die Momente gab’s. Aber das
war nicht auf Olaf Scholz beschränkt. Nach
dem Scheitern der Verhandlungen über
eine Jamaikakoalition haben wir uns doch
noch zu Gesprächen über eine Große Ko-
alition bereit erklärt. Daraus wurde: Schulz
fällt um. Und meine Kollegen an der Spitze
der Partei haben das mit befeuert. Da gab
es Momente, wo ich den einen oder ande-
ren, Olaf eingeschlossen, auf die erdabge-
wandte Seite des Mondes gewünscht habe.
SPIEGEL: Und jetzt will ausgerechnet Olaf
Scholz Ihr Nachnachfolger als Parteichef
werden. Was sagen Sie dazu?
Schulz:Dass ich ihm meine Stimme geben
werde.
SPIEGEL: Das ist angesichts der Vorge-
schichte mindestens erstaunlich.
Schulz:Die Vorgeschichte ist die eine Sa-
che. Wir können hier noch lange auf per-
sönlichen Differenzen rumreiten. Olaf
wird sich sicherlich auch irgendwann sa-
gen, na ja, der Schulz ist mir auch auf den
Senkel gegangen. Aber darum darf es jetzt
nicht mehr gehen. Damit muss in der SPD
endlich Schluss sein. Wir müssen uns auf
die Herausforderungen konzentrieren.
SPIEGEL: Welche meinen Sie?
Schulz:In Deutschland, in ganz Europa
ist die extreme Rechte auf dem Vormarsch.
Die internationale Lage, und zwar ökono-
misch, ökologisch und sicherheitspolitisch,

könnte nicht gefährlicher sein. Deutsch-
land übernimmt im zweiten Halbjahr 2020
die Ratspräsidentschaft der Europäischen
Union, die vor epochalen Herausforderun-
gen steht. Deshalb halte ich es für fahrläs-
sig, eine Debatte darüber zu führen, ob
die SPD aus der Regierung aussteigen soll.
Ich will jemanden wählen, der sagt: Ich
stehe zu diesem Koalitionsvertrag. Ich
sehe in der zweiten Halbzeit der Regie-
rung richtige Chancen. Diese Haltung
haben meiner Einschätzung nach nur Olaf
Scholz und Klara Geywitz. Ich rate von
der Wahl von Kandidaten ab, die aus der
Regierung aussteigen wollen.
SPIEGEL: Mit dieser Option liebäugeln die
Gegenkandidaten Saskia Esken und Nor-
bert Walter-Borjans.
Schulz:Es kommt noch etwas hinzu. Die
Bundesrepublik ist der größte Mitglied-
staat der Europäischen Union, die viert-
größte Industrienation der Welt. Ich glau-
be, man braucht als Politiker ein inter -
nationales Netzwerk, um eine Partei wie
die SPD zu führen. Deshalb komme ich
zu dem Schluss, dass ich bei allen Diffe-
renzen Olaf Scholz mehr vertraue als den
anderen Bewerbern. Und ich kann sagen,
leicht fällt mir dieser Schritt nicht.
SPIEGEL: Herr Scholz, fühlen Sie sich
geehrt?
Scholz:Sehr, diese Unterstützung ist mir
wichtig. Sie zeigt, dass wir trotz manch
unterschiedlicher Sichtweisen zusammen-
stehen können in der SPD. Denn die Lage
ist ernst: Das Leben in unserem Land wäre
ein anderes, wenn die SPD keine starke
Partei bliebe. Die SPD muss dafür sorgen,
dass die Bürger zuversichtlich in die Zu-
kunft schauen. Da geht es um den Klima-
wandel genauso wie um die technologi-
schen Herausforderungen der Digitalisie-
rung. Es ist ja kein Zufall, dass in Ländern,
in denen die sozialdemokratischen Par -
teien schwächer werden, die Zuversicht
schwindet.
SPIEGEL: Jetzt machen Sie beide gemein-
sam Wahlkampf, dabei stehen Sie für ein
vollkommen unterschiedliches Verständ-
nis von Politik. Herr Schulz hat im Bun-
destag gerufen, die AfD gehöre »auf den
Misthaufen der Geschichte«, während Sie,
Herr Scholz, Ihrer Partei mal geraten ha-
ben, möglichst ruhig und gelassen mit der
AfD umzugehen. Was braucht die SPD

DER SPIEGEL Nr. 45 / 2. 11. 2019 47


Deutschland

»Olaf, ich würd’ dir gern was sagen«


SPIEGEL-GesprächNach der letzten Bundestagswahl schlug ihre Rivalität in


tiefe Abneigung um. Jetzt kündigt Ex-SPD-Chef Martin Schulz, 63, an, bei der Wahl zur
Parteispitze für Vizekanzler Scholz, 61, zu stimmen. Der Versuch einer Versöhnung.
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