Der Spiegel - 02.11.2019

(Brent) #1

SPIEGEL: Frau Morgan, Sie sind die erste
und einzige Frau an der Spitze eines Dax-
Unternehmens, noch dazu des wertvolls-
ten. Taugen Sie zum Symbol?
Morgan: Ganz ehrlich: Ich fand es sehr
überraschend, dass ich die erste Frau bin,
die ein Dax-Unternehmen führt. Verste-
hen Sie mich nicht falsch, es ist eine Ehre,
natürlich. Aber ich war verwundert, als
ich mein Foto in jeder deutschen Zeitung
sah. In den USA war das nicht so.
SPIEGEL: Eine Normalität sind Frauen in
Toppositionen dort allerdings auch nicht.
Morgan: In den USA mussten und müssen
Frauen ebenfalls für ihre Position in Un-
ternehmen kämpfen. Aber dort haben die
Diskussionen über Gleichberechtigung
und Vielfalt viel früher begonnen. Heute
sehen wir die Ergebnisse.
SPIEGEL: Sehen Sie sich als Vorbild?
Morgan: Mit meiner Berufung hat SAP
die Messlatte für Frauenkarrieren in
Deutschland angehoben. Das ist eine Ehre,
aber der Maßstab ist immer noch zu nied-
rig. Ich werde versuchen, ihn deutlich hö-
her zu legen. Darauf können Sie sich ver-
lassen.
SPIEGEL: Wie haben Sie es in dem Män-
nerladen SAP nach ganz oben geschafft?
Morgan: Der Durchbruch war, als Bill
McDermott mich zur Nordamerikachefin
beförderte. Ich übersprang damit zwei Po-
sitionen und stand plötzlich über meinem
bisherigen Vorgesetzten. Viele dachten,
nun ist Bill völlig verrückt geworden. Das
war die Zeit, als wir die ersten Cloud-Fir-
men übernahmen. Die Kultur änderte sich,
in der Firma und in der gesamten Tech -
industrie. Das wäre selbst für einen alt -
gedienten Manager eine große Herausfor-
derung gewesen. In dieser Situation jeman-
den zwei Hierarchiestufen überspringen
zu lassen war fast schon frech. Mir war
selbst ein bisschen mulmig. Aber Bill
glaubte an mich. Und versorgte mich mit
den nötigen Leuten, die mich unterstütz-
ten. Und siehe da: Es funktionierte.
SPIEGEL: Braucht man Mut, um eine fähi-
ge Frau zu befördern?
Morgan: Auch bei der Besetzung von
Männern braucht man Mut. Gerade
herrscht große Aufregung, weil mein Co-
Chef Christian Klein erst 39 Jahre alt ist.
Das stimmt. Na und? Warum nicht?
SPIEGEL: Christian Klein und Sie wurden
vor drei Wochen scheinbar Hals über Kopf
an die Spitze von SAP befördert.


Morgan: Wir wussten, dass wir potenzielle
Nachfolger sein könnten. Es hat mich also
nicht überrascht, dass es passiert ist, son-
dern dass es so schnell ging. Es gab keiner-
lei Anzeichen dafür, dass Bill McDermott
aufhören wollte. Der sauste wie üblich mit
Vollgas durchs Unternehmen. Am Ende
des Quartals bat er mich eher beiläufig,
nach Kalifornien zu kommen, um mit SAP-
Gründer und Aufsichtsratschef Hasso
Plattner und ihm übers Geschäft zu spre-
chen. Wir trafen uns in einem netten Re-
sort in Kalifornien. Hasso war sehr ernst,
fast feierlich. Und dann teilte er mir mit,
dass ich zusammen mit Christian SAP lei-
ten soll. Ab dem nächsten Tag.
SPIEGEL: Warum die Eile?
Morgan: Wenn es so weit ist, ist es eben
so weit. Die Firma steht stark da, und die
beiden trauten uns zu, zu übernehmen.
SPIEGEL: Es gab kein Zerwürfnis?
Morgan: Ich bin stolz darauf, wie reibungs-
los und professionell wir die Übergabe hin-
gekriegt haben. Das hat alles wie am
Schnürchen geklappt. Es gab keinen Mo-
ment der Verunsicherung.
SPIEGEL: Sie treten als Doppelspitze an.
Eine solche Konstruktion lädt zu Macht-
kämpfen geradezu ein.

Morgan: Christian und ich arbeiten sehr
gern zusammen und haben eine überein-
stimmende Vision für die Firma. Wir sind
uns einig, wo die Probleme und Chancen
liegen.
SPIEGEL: Das klingt jetzt sehr kuschelig.
Morgan: Ist es aber nicht. Bei uns stimmt
die persönliche Chemie. Wir machen ei-
nen harten Job. Das geht nur, wenn man
Spaß hat und Vertrauen zueinander. Chris-
tian und ich haben das, das ist ein groß -
artiges Fundament.
SPIEGEL: Hätten Sie es auch allein ge-
macht?
Morgan: Ja, aber zu zweit zu sein ist ein
echter Vorteil. Wir haben doppelte Power.
Und es sendet das richtige Signal in die
Firma: dass Teamarbeit gefragt ist.
SPIEGEL:Signale sind schön. Aber Ihre
Kunden warten auf Lösungen. Nahezu
alle fürchten die Kompliziertheit der
SAP-Programme und -Systeme. Die Inte-
gration der verschiedenen Firmen, die Sie
aufgekauft haben, zieht sich. Was ist aus
dem alten SAP-Slogan »Run simple« ge-
worden?
Morgan: Es gibt Beispiele, wo wir die Ver-
einfachung sehr gut hingekriegt haben. Da-
rauf müssen wir aufbauen. Die Hauptauf-
gabe für mich und Christian ist es, die
Firma so zusammenzubringen und die Be-
reiche so zu integrieren, dass uns das in
großem Maßstab gelingt.
SPIEGEL: Wie soll das gehen?
Morgan: Mir gefällt das Konzept der An-
fänger-Denke. SAP baut, weil die Firma
schon lange existiert, meist auf Bestehen-
dem auf, statt Dinge völlig neu zu denken,
wie es Anfänger tun. Wir müssen lernen,
selbst einfacher zu werden, sonst können
wir keine einfachen Lösungen bieten. Und
schon gar nicht einfach erklären.
SPIEGEL: Ihre Kunden verlangen prakti-
sche Lösungen, Investoren wie der aggres-
sive Hedgefonds Elliott fordern Rendite
um jeden Preis, die Mitarbeiter mehr Ent-
wicklungszeit.
Morgan: Bedient man die Interessen nur
einer Gruppe, hat man kurzfristig Ruhe,
verliert aber die Loyalität der anderen und
hat gleich wieder ein Problem. Wenn die
Investoren eine bessere Marge wollen,
muss man ihnen klarmachen, dass das nur
gelingt, wenn man am Erfolg des Kunden
arbeitet. Wer langfristige Ziele verfolgt,
muss in alle Richtungen kommunizieren.
SPIEGEL: Sie werden viel zu reden haben.
Morgan: Wir wollen erst mal zeigen, dass
wir zuhören, dass wir dazulernen. Es geht
um die Art, wie wir kommunizieren, mit
wem wir reden. Ich brauche keine forma-
len Lagebesprechungen mit 48 Leuten im
Raum. Ich brauche keine Titel und Hier -
archien. Ich will mit demjenigen sprechen,
der die meiste Erfahrung bei einem Thema
hat. Mir geht es um Talent, nicht um Titel.
Um Leistung, nicht um Firmenpolitik. Ich

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Wirtschaft

»Ich hasse Dünkel«


ManagementJennifer Morgan, 48, Co-Chefin des Softwarekonzerns
SAP, über ihren abrupten Aufstieg an der Spitze des Dax-
Unternehmens, moderne Führung und Gleichberechtigung im Job

2010 2019

80

40

0

118,92


33,08


Quelle: Refinitiv Datastream; Stand 31. Oktober

Rosige Zeiten
SAP-Aktienkurs in Euro

Die größten Konkurrenten
Unternehmenssoftware-Anbieter* nach Umsatz, 2018

*Enterprise Resource
Planning (ERP)-Software
Quelle: Gartner

SAP 7,7 Mrd. Dollar

Oracle 3,9

Workday 2,3
Sage 2,1

Infor 1,7

Microsoft 1,3
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