kann Anspruchsdenken nicht leiden. Ich
hasse Dünkel.
SPIEGEL: Das klingt gut – aber wie zeigen
Sie das konkret?
Morgan: Ein kleines Beispiel: Heute Mor-
gen bin ich in dem Hotel, in dem wir ge -
rade ein dreitägiges Kundenevent veran-
stalten, aus dem Bett gerollt, habe meine
Jogginghose angezogen und bin noch un-
gewaschen in die Lounge gegangen, um
mir schnell einen Kaffee zu holen.
SPIEGEL: So weit, so normal.
Morgan: Denken Sie! Meine Assistenten
haben mich später gefragt, warum ich
nicht sie geschickt habe. Ist das zu glau-
ben? Ich bin ja wohl in der Lage, mir selbst
einen Kaffee zu holen. So eine kleine Ges-
te ist tatsächlich ein wichtiges Symbol. Alle
sollen wissen, dass wir nicht im Elfenbein-
turm sitzen.
SPIEGEL: In jeder großen Firma gibt es
Büropolitik, Hierarchiekämpfe, Flurfunk.
Kommen Sie dagegen an, indem Sie Ihren
Kaffee selbst holen?
Morgan: Glauben Sie mir, ich werde sehr
deutlich machen, was ich bereit bin zu ak-
zeptieren, und was nicht. Und ich werde
kein vergiftetes Klima im Unternehmen
dulden. Man braucht eine gesunde Umge-
bung, um schnell zu sein, um Ideen vorzu-
bringen, Probleme zu lösen. Meine Leute
werden nie von jemand anderem als mir
hören, was ich über sie denke. Es geht um
Vertrauen und Respekt.
SPIEGEL: Nicht um Durchsetzungsfähig-
keit?
Morgan: Das reicht nicht mehr aus. Wir
haben fast 100 000 Mitarbeiter. Die kön-
nen Sie nicht einfach mitschleppen. Sie
müssen motiviert, begeistert werden. Bei
Führung geht es um Selbstlosigkeit. Ich
habe immer versucht, Mitarbeiter zu fin-
den, die in manchen Dingen besser und
schlauer sind, die Dinge anders sehen als
ich. Mein Job ist es, sie glänzen zu lassen
und aufs Podium zu bringen. Das zieht
alle anderen mit hoch.
SPIEGEL: Haben Sie das selbst erlebt?
Morgan: Als mein damaliger Mentor Pat
Bakey zu SAP wechselte, wollte er mich
mitnehmen. Ich werde nie vergessen, wie
mich Bill McDermott das erste Mal anrief.
Das war fünf Tage nach der Geburt meines
zweiten Sohnes, ich war gerade wieder zu
Hause. Den Säugling auf dem Arm, ein
Kleinkind am Bein, ich war erschöpft. Ich
sagte ihm: Das klingt toll, aber ich habe
gerade ein Kind bekommen und möchte
den Sommer freinehmen. Bill sagte: Nimm
dir alle Zeit, die du brauchst. Sag Bescheid,
wann du anfangen willst. Das habe ich ihm
nie vergessen.
SPIEGEL:Ihre Karriere hätte an dem
Punkt auch zu Ende sein können, oder?
Morgan: Das Wichtigste ist: Wenn es um
Frauenförderung geht, müssen die Männer
mit am Tisch sitzen. Es hat keinen Sinn,
wenn nur Frauen darüber reden. Das Netz-
werken untereinander ist zwar extrem
wichtig, aber die meisten Entscheider sind
nun mal immer noch Männer. Die müssen
Geschlechtergerechtigkeit als eine Füh-
rungsaufgabe ansehen, sonst wird das nie
etwas.
SPIEGEL:Was halten Sie von einer Quote?
Morgan: Ich glaube nicht, dass es gut wer-
den kann, wenn jemand gezwungen wer-
den muss, etwas zu tun. Das macht nie-
mandem Spaß. Ich kenne genügend Un-
ternehmensführer, die freiwillig Frauen in
ihre Vorstände geholt haben. Es liegt in ih-
rer Hand.
SPIEGEL: Bei SAP liegt es jetzt in Ihrer.
Morgan: Eben, ganz ohne Gesetz, ohne
Quote. Ich habe mir vorgenommen, in
meiner Rolle das Thema Gleichberechti-
gung überall anzusprechen. Und immer
nur eines zu fragen: warum nicht?
Interview: Michaela Schießl
DER SPIEGEL Nr. 45 / 2. 11. 2019 71
COREY PERRINE / THE WALL STREET JOURNAL
Co-Vorstandsvorsitzende Morgan: »Bei Führung geht es um Selbstlosigkeit«