Der Spiegel - 02.11.2019

(Brent) #1
gewählt, einer Firma, die Old timer online
versteigert. In der geräumigen Halle in San
Franciscos Viertel Potrero Hill stehen er-
lesene Schönheiten, darunter ein grüner
Porsche 911T aus dem Jahr 1972, ein
1956er Mercedes 300 SL mit Flügel türen
und ein knallroter Chrysler 300B aus den
Fünfzigerjahren.
Die Autos, mit denen hier gehandelt
wird, kommen aus einer Ära, als Fahrzeu-
ge noch keinen Bordcomputer hatten und
von ihren Besitzern mit ein paar Schraub-
schlüsseln selbst repariert werden konnten.
Sie er innern daran, wie weit der Mensch
und die Industrie sich entfernt haben vom
Automobil als einem Produkt, dessen Ein-
zelteile und Funktionsweise seinen Nut-
zern zugänglich und verständlich waren.
Roy, Tüftler und Techniker, der seine Ral-
lyewagen mit allen erlaubten und un -
erlaubten Hilfsmitteln umbaut und auf-
motzt, hat für diese Art der Beziehung
zwischen Fahrer und Fahrzeug große
Sympathien.
Trotzdem glaubt er, wie er sagt, »dass
das selbstfahrende Auto unvermeidlich
ist«. Zur Filmpremiere ist er mit einem
Tesla-Elektrowagen gekommen, einem
Auto, das sich laut einem Kolumnisten der
»Washington Post« anfühlt, als würde man
»ein riesiges iPhone fahren«, samt Benut -
zeroberfläche, die man per Fingertippen
bedient. Die Technik eines Tesla ist für
den Nutzer, auch für Roy, genauso abstrakt
und undurchdringlich wie viele andere
moderne Geräte unseres Alltags – Fern -
seher, Drucker, Smartphone. Diese Dinge
führen ein komplexes Eigenleben, das für
den Menschen verschlossen bleibt und
dem er nicht auf die Sprünge helfen kann,
wenn etwas kaputtgeht. Technologie, die
dem Besitzer zu Diensten, aber auch ent-
glitten ist.
Doch selbst wenn sich die technischen,
juristischen und regulatorischen Schwie-
rigkeiten des autonomen Fahrens irgend-
wann werden lösen lassen, bleibt unklar,
ob das selbstfahrende Auto als Massenpro-
dukt überhaupt erstrebenswert ist. Roy
hat oft darauf hingewiesen, dass der Be-
weis, dass Roboterautos mehr Sicherheit
bieten als von Menschen gesteuerte, erst
noch erbracht werden muss, bevor sie in
den Massenbetrieb entlassen werden. Und
auch die gern wiederholte Hoffnung der
Selbstfahrenthusiasten, dass autonome
Fahrzeuge das Problem der am Verkehr
erstickenden Städte lösen werden, könnte
sich als Trugbild erweisen.
Adam Millard Ball, Professor für Stadt-
planung an der Universität Santa Cruz,
hat kürzlich in einem Aufsatz auf die Ge-
fahr hingewiesen, dass die Roboterautos
die Lage gar verschlimmern: Weil es billi-
ger sei, autonome Fahrzeuge, statt sie zu
parken, einfach herumfahren zu lassen, so-
lange man sie nicht braucht, könnten In-

nenstädte von unbemannten, herumvaga-
bundierenden Vehikeln verstopft werden.
In den ersten Tagen seines neuen Jobs
setzte Roy den ihm zur Verfügung gestell-
ten Dienstwagen, einen Ford Edge, in der
Argo-Parkgarage gegen eine Säule. Erst
war es ihm peinlich. Er, der Mann, der ei-
nen BMW M5 ohne Kratzer im Tiefflug
vom Atlantik zum Pazifik steuerte, der
Mann, der das Unmögliche möglich macht
und das Unsichere sicher, demoliert einen
Ford im Keller eines führenden Unterneh-
mens für Roboterautos.
Dann aber, sagt Roy, habe die Episode
ihm die Augen dafür geöffnet, welche Art
von selbstfahrender Zukunft er sich tat-
sächlich wünsche. »Das ultimative auto-
nome Auto«, wie Roy es sich vorstellt,
»verfügt über eine Selbstfahroption für
Stadt- und Autobahnfahrten, die nachweis-
lich sicherer ist als der durchschnittliche
Mensch am Steuer«. Diese muss sich de-
aktivieren lassen. Sobald der Mensch die
Kontrolle übernimmt, wird ein Assistenz-
system aktiv, das Unfälle verhindert oder
mildert. Ebenfalls muss es einen Privat -
modus geben, der die Vernetzung mit allen
anderen Verkehrsteilnehmern unterbricht,

wenn der Fahrer das will. Und: »Es
braucht ein Selbstparksystem für Idioten
wie mich.«
Ob er daran mittüftelt und was genau
er bei Argo tut, verrät das Unternehmen
nicht. Ein Sprecher der Firma sagt, man
habe Roy engagiert, weil er über »enorme
Kompetenzen im Bereich des autonomen
Fahrens« verfüge, doch die Projekte, an
denen er arbeite, seien geheim.
Roys Crosscountry-Rekord mit einem
Verbrennungsmotor ist mittlerweile unter-
boten worden (um 2 Stunden und 14 Mi-
nuten), und er lässt es (»vermutlich«) da-
bei bewenden. Aber er hat in einen neuen
Wettstreit eingegriffen: die schnellste Fahrt
quer durch die USA mit Elektroantrieb.
Ende 2017 setzte er hier gemeinsam mit
Beifahrer Dan Zorrilla eine neue Bestmar-
ke, mit 50 Stunden und 16 Minuten, in ei-
nem Tesla – der braucht länger als ein Ben-
ziner wegen der Aufladezeiten an der
Steckdose. Auch dieser Rekord wurde ge-
brochen, doch Roy wird wieder antreten.
Er möchte ebenfalls der Erste sein, der
eine Rekordfahrt in einem selbstfahrenden
Auto versucht. »Sofern es einen Ausschalt-
knopf hat«, sagt er. Guido Mingels
Mail: [email protected]

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Wirtschaft

DER SPIEGEL Nr. 45 / 2. 11. 2019

Mit einem Elektroauto
2017 quer durch die USA
in neuer Bestzeit: 50
Stunden und 16 Minuten.

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