Neue Zürcher Zeitung - 02.11.2019

(Grace) #1

INTERNATIONALE AUSGABE


16 FINANZEN Samsta g, 2. November 2019

Bitte nicht plündern!


Der Vorbezug von Pensionskasse-Kapital für den Kauf einer Immobilie ist heikel


MICHAEL FERBER


Für viele Menschen ist der Erwerb einer
Immobilie der grösste finanzielle Ent-
scheid im Leben.Oft ist ein solcher Kauf
nur möglich, wenn Kapital aus derPen-
sionskasse dazu verwendet wird – zumal
die Immobilienpreise vielerorts in den
vergangenenJahrenstarkgestiegensind.
Vertreter der Grossbank UBS haben am
Donnerstag an einemAnlass dafür plä-
diert,denErwerbeinerLiegenschaftund
den Ruhestand zusammen zu planen.


Drohende Lücken


Dies ist nur schon deshalb sinnvoll, weil
Lücken bei der Alterssicherung drohen,
wenn man die berufliche Vorsorge für
den Kauf vonWohneigentum «plün-
dert». Davon kann dieRede sein, je
mehr Kapital bezogen wird und je spä-
ter dies geschieht. DieRente wird da-
durch geschmälert. In derRegel sei auch
der Risikoschutz derPensionskasse bei
Invalidität undTod währenddes Er-
werbslebens eingeschränkt, hiess es an
dem Anlass.
Grundsätzlich sind beimVorbezug
von Pensionskassengeldern genaueRe-
geln zu beachten. So kann Kapital aus
der beruflichenVorsorge für den Kauf
einerLiegenschaft nurvorbezogen wer-
den, wenn der Käufer diese selbst be-
wohnt. Im Allgemeinen ist ein solcher
Vorbezug nur bis dreiJahre vor derPen-
sionierung möglich. Der Mindestbetrag
für einen Vorbezug beträgt 20000 Fr.,
ein solcher ist nur alle fünfJahre mög-
lich. Ab dem 50.Altersjahr gelten be-
sondere Regeln.
Angesichts der sinkendenRenten in
der beruflichenVorsorge gibt es aller-
dingsKonstellationen, bei denen der
Kauf einerImmobil ie mit Geld aus der
zweiten Säule sinnvoll sein kann. Die


Umwandlungssätze in der zweiten Säule
sind in den vergangenenJahren stetig
gesunken, und angesichts der anhalten-
den Null- bis Negativzinsen spricht vie-
les für weiterhin sinkendeRenten.
Die wachsende Umverteilung von
aktiven Erwerbstätigen zu Rentnern
innerhalb der beruflichen Vorsorge
schaffe Anreize, dasPensionskassen-
kapital oder einenTeil davon vor dem
Renteneintritt zu beziehen, hiess es an
dem Anlass. Zudem liessen die nied-
rigerenKosten einer eigenen Liegen-
schaft gegenüber denAusgaben für ein
vergleichbares Mietobjekt einen Kauf
grundsätzlich vorteilhaft erscheinen.
MancheVersicherte beziehen beim
Eintritt in denRuhestand dasPensions-
kassengeld als Kapital und kaufen sich
damit eine Immobilie, die sie vermieten
mit dem Ziel, mit den Mieteinkünften

die schrumpfendenRenten aus AHV
und zweiter Säule zukompensieren.

Als letztes Mittel


Aus Sicht vonRaphael Ebneter, Be-
reichsleiter St. Gallen und Kreuzlin-
gen beimFinanzdienstleister VZVer-
mögenszentrum, ist es prinzipiell gut,
im Alter verschiedene finanzielle Stand-
beine zu haben.Als Einkommensquelle
eigneten sich solche Renditeliegenschaf-
ten aber vor allem für kapitalkräftige
Personen. Schliesslich stehe und falle
eine solcheStrategie mit der Immobilie.
Es braucheein geeignetes Objekt, und
dieses ist nicht immer leicht zu finden.
VerschiedeneFaktoren beeinflussen,
ob und wie dasPensionskassenkapital
für den Kauf vonWohneigentum ge-
nutzt werden sollte. Die UBS-Vertre-

ter nannten die Arbeitsplatzsicherheit,
ob beidePartner einerPensionskasse
angeschlossen sind, wie viel Kapital in
der privatenVorsorge aufgebaut wurde


  • und wie die finanzielle Situation der
    Pensionskasse aussieht.
    PauschaleRegeln zumVorbezug der
    Pensionskasse lassensich nicht aufstel-
    len. Für Ebneter sollte man beimVorbe-
    zug der Pensionskasse aber genaurech-
    nen. Dieser sollte erst nach dem Bezug
    der freien Mittel, einem möglichen Erb-
    vorbezug,dem Bezug der Säule 3a und
    einer möglichenVerpfändung vonPen-
    sionskassengeldern kommen. «Wenn
    sich der Erwerb einer Immobilie ohne
    den Vorbezug derPensionskassereali-
    sieren lässt,ist es sicherlich besser»,sagt
    er. Ein weiterer Nachteil einesVorbe-
    zugs ist, dass nach einem solchenkeine
    steuerbegünstigten Einkäufe in diePen-
    sionskasse mehr möglich sind, bis das
    Kapital zurückbezahlt wurde.
    Erfahrungsgemäss machten nicht in
    erster Linie solche Leute einenVorbe-
    zug, denen die niedrigen Umwandlungs-
    sätze in der zweiten Säule einfach ein
    Dorn imAuge seien, sondern vor allem
    Leute, die sonst nicht über das nötige
    Geld für den Erwerb einer Liegenschaft
    verfügten,sagt Ebneter. Oftmals seien
    diese Menschen dann imRuhestand
    mit einer geschwächtenPensionskasse
    und einer hohenHypothekenbelastung
    gleichzeitigkonfrontiert. In der Pra-
    xis vonFinanzhäusern sollte diese Be-
    lastung zum Zeitpunkt desRuhestands
    nicht mehr als 65% desWerts der Lie-
    genschaft betragen.
    Eine möglicheVariante ist dieVer-
    pfändung vonPensionskassenkapital.
    Dieses dient dem Hypothekargeber
    dann als Sicherheit. So lassen sich oft
    bessereKonditionen bei den Hypothe-
    kenaushandeln.Auch beiVerpfändung
    giltesabermöglicheNachteilezuprüfen.


TAGESGESPRÄCH

Ein Profiteur


der niedrigen


Zinsen


Aktie des Sanitärtechnikherstellers
Geberit erreicht neuen Höchstst and

DANIEL IMWINKELRIED

Die niedrigen Zinsen lösen weitherum
Unmut aus – allerdings nicht bei den
Bauzulieferern. Das günstige Kapital
hält dieBaukonjunktur fast europaweit
am Laufen.Das dürfte auch ein Grund
sein, warum die Aktie des Sanitärtech-
nikherstellers Geberit am Donnerstag
einenKurshöchststand von über 500Fr.
erreicht hat. Mit ihren Quartalszahlen
konnte die Gesellschaft einmal mehr
brillieren. In den ersten neun Monaten
des Jahres nahm der Umsatz imVer-
gleich mit demVorjahr um 4% zu, der
für die Dividende oder die Aktienrück-
käufe massgebliche freie Cashflow stieg
um 19,7%.
So gut läuft dasBaugeschäft in vie-
len europäischenLändern,dass zahlrei-
che Unternehmen Mühe haben, dieAuf-
trägeeinigermassen zeitgerecht zu er-
ledigen. In Deutschland beispielsweise
schieben die Sanitärinstallateure ein en
Arbeitsvorrat von 13Wochen vor sich
her. Deshalb ist es wohl auch nicht dra-
matisch, dass die Zahl derBaugenehmi-
gungen in vielenLändern jüngst etwas
rückläufig war; wenn nichts Dramati-
sches passiert, haben dieBaufirmen auf
jedenFall noch einige Zeit viel zu tun.
Das gilt insbesondere im Fall von
Deutschland, wo Geberit rund 30% des
Umsatzes erzielt. In den Städten sind
Wohnungen knapp und als Anlage-
objekte bei Investoren entsprechend
beliebt. Und nirgendwo ärgern sich
die Menschen wahrscheinlich so stark
über dieWährungspolitik der Europäi-
schenZentralbank wie in unserem nörd-
lichen Nachbarland. Experten übertref-
fen sich denn auch gegenseitig mitRat-
schlägen, was die beste Alternative zum
niedrig verzinsten Sparkonto sei: «Das
Haus altersgerecht umbauen», lautete
unlängst derTipp einesFinanzexperten
in der ARD.
So zeigt die Gesamtkonjunktur in
Europa zwar Schwächen, es würde aber
nicht überraschen, wenn sich dieBau-
branche vorerst diesemTrend entziehen
könnte. DieseUmstände haben denTi-
tel von Geberit mittlerweile auf ein sehr
hohesKursniveau getrieben.Auch wenn
der hohe Cashflowes derFirma erlau-
ben wird, die Dividende weiter zu er-
höhen, beträgt dieRendite mittlerweile
nur noch 2,4%.Das ist zwarkein wirk-
lich niedrigerWert, es scheint jedoch
zweifelhaft, ob er noch für viele Inves-
toren ein Kaufargument darstellt.
Möglicherweise ist die Geberit-Aktie
in jüngster Zeit zu stark gestiegen, so
dass einKursrückschlag durchaus be-
vorstehenkönnte. Eine solche Entwick-
lung würden die Investoren angesichts
der äusserst soliden Verfassung von
Geberit dann wohl wieder als Anlage-
möglichkeit sehen.

Ausländer entdecken Franken-Kapitalmarkt


BMW, Orange, Hyundai und andere ausländische Emittenten nutzen den Schweizer Anleihemarkt intensiv


ANNE-BARBARA LUFT


Das Emissionsvolumen ausländischer
Firmenanleihen ist in diesemJahr im
Vergleich zu 2018 um 40% gestiegen.
Auch ausländischeBanken nutzenden
Franken-Obligationenmarkt intensiver.
Insgesamt haben Emittenten aus dem
Ausland seitJahresbeginn mehr als 17
Mrd.Fr. am Schweizer Kapitalmarkt
aufgenommen, das ist ein Plus von fast
20%.Für die höherenTransaktionsvolu-
men gibt es verschiedene Gründe, einer
davon sind die attraktiverenWährungs-
swaps. Für manche Emittenten ist es
heute günstiger, Kapital inFranken auf-
zunehmen statt in Dollar oder Euro.


Tauschenin Lokalwährung


Nur wenigeausländische Emittenten am
SchweizerKapitalmarkt benötigten tat-
sächlichFranken,sagt Stefan Böslvom
Syndikat der Commerzbank Schweiz.
Sie wechselten das aufgenommene Ka-
pi tal in ihre Lokalwährung. Deswegen
spiele die Entwicklung an denWäh-
rungsswap-Märkten eine wichtigeRolle.
Zudem benötigen Emittenten in der
Regel frisches Kapital in der Höhe von
100bis 50 0Mio.Dollar.Doch so kleine
Stückelungen gibt es nicht am Dollar-
oder Euro-Bond-Markt, da sind Emis-
sionsvolumen von mindestens 500 Mio.
üblich.AmFranken-Obligationenmarkt
lässt sich eine Emission besseruntertei-
len, da auch kleine Platzierungen gut
aufgenommen werden.


AuchdasniedrigereZinsniveauinder
Schweiz ist einArgumentfür eine Emis-
sionamFranken-Kapitalmarkt.Invielen
europäischenLändernsinddieRenditen
für Staatsanleihen in negativesTerrain
abgerutscht,aber in der Schweiz sind die
Renditen noch niedriger als andernorts.
Deutsche Bundesanleihen mit zehnJah-
renLaufzeitwerdenzu–0,4%gehandelt,
dievergleichbarenSchweizerTitelhaben
aktuell eineRendite von –0,6%. Zwar
sind die Zinsen heute rund 50Basis-

punkte höher als MitteAugust,doch was
nach viel klingen mag, ist nach wie vor
ext rem wenig, wenn man bedenkt,auf
was für einem niedrigen Niveau sich die
Zinsen bewegen.
Die meisten ausländischen Emit-
tentenkommen aus Deutschland. Mit
einem Emissionsvolumen von mehr als
3 Mrd.Fr. seit Jahresbeginn führen sie
die Liste ausländischer Schuldner am
Schweizer Bond-Markt an (siehe Gra-
fik). Die Platzierung zweier Anleihen

miteinem Gesamtvolumen von 600
Mio. Fr. von BMW und die Emission
eines 500 Mio. Fr. schweren Bonds der
DeutschenBahn haben einen gewichti-
gen Beitrag dazu geleistet. Es sind die
beiden bisher grössten Neuemissionen
des Jahres amAuslandsegment.Fran-
zösische Emittenten belegen 2019 den
zweiten Platz. Der Mobilfunkanbieter
Orange hat MitteJuni 400 Mio. Fr. auf-
genommen. DerFranken-Kapitalmarkt
wird aber auch von südkoreanischen
Emittenten –Korean Oil,Korean Gas
und Hyundai – genutzt.

Feuerwerkan Neuemissionen


Die Kreditqualität der Emittenten am
Schweizer Kapitalmarkt ist nach wie vor
sehr gut. Neuemissionen von Bonds mit
einerRating-Note unterhalb des soge-
nannten investierbaren Bereichs sind
Raritäten,sagt MichaelWölfle , Lei-
ter Debt Capital Marketsbei der ZKB.
Die guteBonität spiegelt sich in niedri-
gen Renditen.Sobald Obligationen mit
schwächerenRating-Notenundhöheren
Coupons platziert werden, zeigen sich
auch wieder Privatanleger. Diese haben
sich in denvergangenenJahren wegen
der niedrigen und negativen Zinsen fast
vollständig zurückgezogen.
Für November erwartetWölfle ein
Feuerwerk an Emissionen, bevor Mitte
Dezember dieWeihnachts- und Neu-
jahrsruhe einkehrt. Sowohl in- als auch
ausländische Emittenten hätten bereits
zahlreiche Platzierungen angekündigt.

Ruhestand und Kauf einer Immobilie sollten zusammen geplantwerden. C. RUCKSTUHL / NZZ

Euro/Fr.
1,10260.20%

Dollar/Fr.
0,98730.06%

Gold($/oz.)
1509,70-0.11%

Erdöl(Brent)
60,732.03%

SMI
10266,120.45%

DAX
12974,440.84%

EuroStoxx 50
3626,650.62%
Stand

15.50 Uhr
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