Süddeutsche Zeitung - 02.11.2019

(Barré) #1

DEFGH Nr. 253, Samstag/Sonntag, 2./3. November 2019 11


BUCH ZWEI


Erie

D

ie Rankine Avenue verläuft
schnurgerade, und wer sie
entlanggeht, kommt vorbei an
Häusern aus hübschen Holz-
schindeln. Erst einmal. In den
Vorgärten ist der Rasen getrimmt, Hi-
biskussträucher blühen pink. Geputzte
Fensterscheiben. Wer die Rankine Avenue
weiterläuft, kommt aber auch vorbei an
Häusern aus dunklem Ziegelstein. Diese
Häuser sind alle ähnlich: Treppenstufen,
Veranda, Fliegengittertür. Auf einer Veran-
da schwingt eine Hollywoodschaukel, der
weiße Bezug ist versifft und verschlissen.
Auf einer anderen Veranda türmen sich
Benzinkanister, Angelruten, Eimer, das Ge-
rümpel der Jahre. Da hängt nicht mal eine
amerikanische Flagge – und hier hängen
echt viele amerikanische Flaggen.
Eine erste Annäherung an ein Haus mit
Bauschutt im Vorgarten. Klingeln. Warten.
Ein Mann öffnet, blinzelt in die Morgenson-
ne und sagt, dass er gerade von der Schicht
heimgekommen sei. Also lieber weiter.
Es ist der erste Tag eines Versuchs. Die
Idee: eine Straße, zehn Häuser, eineinhalb
Wochen Türenklopfen. Das Ziel: den USA
in die Seele schauen. Aber nicht da, wo die
Menschen schon immer über Donald
Trump den Kopf geschüttelt haben, in den
liberalen Hochburgen an den Küsten, in
New York oder Los Angeles. Sondern im In-
neren dieses großen Landes, im Durch-
schnittsamerika, dort, wo Trump Präsi-
dent geworden ist. In Erie, Pennsylvania.
Hier wohnen die Gabelstaplerfahrer, Zim-
mermänner und Sekretärinnen, die ihn ins
Weiße Haus gehievt haben – hier entschei-
det sich, ob er es wieder schafft.
Das Erie County, der Landkreis Erie, ist
nach dem mächtigen See benannt, an dem
es liegt, durchs Wasser verläuft die Grenze
zu Kanada. 272 000 Menschen leben hier,
mitten im „Rustbelt“, dem Rostgürtel, wo
einst das Herz der US-Industrie schlug.
Pennsylvania ist einer der „Swing States“,
die mal demokratisch und mal republika-
nisch wählen – und die besser gewinnen
sollte, wer in Washington regieren will.
Kehrt die weiße Arbeiterklasse reumü-
tig zu den Demokraten zurück, denen sie
jahrzehntelang treu gewesen war? Oder
wählt sie wie 2016: Donald Trump? Damals
gewann er, weil er den Leuten Arbeitsplät-
ze versprach und ihren alten Fabriken neu-
en Glanz. Den Versprechungen folgte ein
Präsident, der irrer und wirrer wurde, der
jetzt vielleicht sogar seines Amtes entho-
ben wird. Endlich. So sehen es zumindest
viele Menschen in Europa und an den ame-
rikanischen Küsten. Aber die Wahl wird
nicht in den Wolkenkratzern von Manhat-
tan entschieden, sondern in den Rankine
Avenues des Landes.


Am Ende des Versuchs wird man zwar
keine repräsentative Umfrage im Block ha-
ben, aber doch eine Ahnung. Die Präsident-
schaftswahl im November 2020 könnte vie-
le Menschen überraschen – mal wieder.

Haus Nummer 1: Larry


Das Haus ist aus Ziegelsteinen gebaut,
im Vorgarten wächst nur Gras. Auf der Ve-
randa steht die Hollywoodschaukel mit
dem verschlissenen Stoff. Larry Leech
schwingt hin und her. Er ist sechzig Jahre
alt, die Jogginghose schlabbert um die
Schenkel, das Shirt hat er in den Bund ge-
stopft. Leech schaut auf die Uhr, halb elf,
zu früh für ein Bier. Andererseits: Kann es
zu früh sein für Bier? Er zündet sich dann
doch nur eine Marlboro an. Zieht tief, redet
ruhig. Leech ist Zimmermann, zuletzt hat-
te er einen Job in der Schule, hat Holzwän-
de geschleppt, sechzig Stück am Tag, eine
Wand wog 38 Kilogramm. Gerade arbeitet
er gar nicht. „Pff“, sagt er. Er glaubt nicht,
dass er lange arbeitslos bleibt, schließlich
ist er in der Gewerkschaft. Ohne die ginge
es Arbeitern wie ihm schlecht.
Neben ihm sitzt seine Frau, ihre Hand
liegt auf seinem Knie. Als er sagt, dass die
Reichen mehr Steuern zahlen sollten, als er
die Gewerkschaften lobt, nickt sie. Sie ar-
beitete lange für die Gewerkschaft und
auch für die Fabrik, die das Haus gebaut
hat, in dem sie heute wohnen. General Elec-
tric stellte Diesellokomotiven her, ganz
Erie lebte davon. Dann wurden Leute ent-
lassen. Einmal, zweimal, dreimal. Leech
ging mit ihnen auf die Straße. Bei einem
der Streiks traf er Bernie Sanders, der jetzt
für die Demokraten Präsident werden will.
„Sanders hilft den Arbeitern“, sagt der Ar-
beiter Leech. Dann sagt er, wen er gewählt
hat. Trump. Trump? Der hat die Steuern
für die Reichengesenktund die Rechte der
Gewerkschafteneingeschränkt. Aber das
ist Leech egal. Für ihn zählt nur eines: „Da
draußen sind Jobs!“
Wer sich mit Wahlen in den USA beschäf-
tigt, stößt eher früher als später auf eine
alte Weisheit: It’s the economy, stupid. Auf
die Wirtschaft kommt es an.
Aber nicht nur auf die Wirtschaft. Larry
Leech pickt die Zigarettenstummel aus
dem Aschenbecher, steckt sie in die leere
Schachtel. Die Asche kippt er über die Ve-
randa. Seine Frau, die Gewerkschaftssekre-
tärin, ist nach drinnen gegangen, und er er-
zählt, was ihm noch wichtig ist. Dass ein
Präsident ihm seine Waffen lässt. „Sagen
wir so: Ich habe genug.“ Im Auto zum Bei-
spiel liege eine, aber nein, nein, nicht
falsch verstehen. Er hat nicht nur Waffen,
er hat auch Gründe. Er werde nie verges-
sen, wie das war, als er überfallen wurde.

Er hielt an einer Ampel am Ortsausgang,
plötzlich sei da ein Pistolenlauf an seiner
Schläfe gewesen, er habe das Portemon-
naie durch das geöffnete Fenster gewor-
fen. Nur weg. Leech weiß noch, wer die
Pistole hielt. Er flüstert jetzt, als dürfe man
das nicht laut sagen: Ein dicker Typ. Ein
Schwarzer.
Schwarze, Weiße, das schien unter Ba-
rack Obama nicht mehr ganz so wichtig zu
sein. Seit Trump im Amt ist, geht es plötz-
lich wieder darum, wer welche Hautfarbe
hat, wer wo geboren wurde. Oder? „Nope.“
Ist Donald Trump ein Rassist? „Nee... der
denkt nur nicht nach, bevor er redet.“ Aber
er ist der Präsident der USA. „Er ist auch
nur ein normaler Typ.“
Larry Leech mag den Präsidenten dafür,
dass er ein wenig ist wie er selbst. Leech re-
det auch manchmal, ohne groß nachzuden-
ken. Nur dass bei ihm allenfalls seine Frau
motzt, nicht die gesamte Ostküste.

Eines hört man von vielen Menschen in
der Rankine Avenue, immer wieder, in so
ziemlich jedem Haus: Ich sage, was ich den-
ke, egal, was andere davon halten. Dann
amüsieren sich vor allem Männer darüber,
was heute alles verboten sei. Glühbirnen,
Plastikstrohhalme. Das Wort „schwul“,
jetzt heiße es ja „homosexuell“.
Donald Trump ist all das egal. Eine
seiner Firmen verkauft Plastikstrohhalme
mit seinem Namen, zehn Stück für 15 Dol-
lar, er schimpft auf abgehobene Eliten. Aus-
gerechnet er. Sohn eines Immobilienmo-
guls, Republikaner, Millionär. Er hat sich
einen Kampf zu eigen gemacht, den einst
die Demokraten geführt haben: Wir da un-
ten gegen die da oben. Früher kämpften
die da unten für einen Mindestlohn. Heute
kämpfen sie mit Trump gegen Transgen-
der-Toiletten. Aus einem Klassenkampf
ist auch ein Kulturkampf geworden.

Haus Nummer 2: Travis


Travis Brown öffnet die Tür in der Trai-
ningshose und entschuldigt sich gleich da-
für. Am Morgen war er in der Kirche, da-
nach hat er nur auf der Couch rumgehan-
gen. Sonntag eben. Brown, 29, lehnt die
Haustür an, damit die Katze nicht raus-
springt, und erzählt von seinem Glauben.
Er betet vor jedem Essen. Er ist über-
zeugt, dass Gott die Erde in sieben Tagen
geschaffen hat, wie es in der Bibel steht.
Überhaupt die Bibel. Er liest sie vor dem
Einschlafen, er weiß, was darin steht – und
was nicht. „It was Adam and Eve, not Adam
and Steve“, sagt Brown, und dass er gleich-
geschlechtliche Ehen deshalb nicht unter-
stützen könne. Ebenso wenig wie die ganze
Diskussion um Sex und Gender – geboren

würde man doch als Mann oder als Frau,
mit Penis oder Vagina. Abtreibung hält er
für Mord. Selbst eine Frau, die vergewal-
tigt wurde, solle das Kind bekommen, sie
könne es ja zur Adoption freigeben. Ihm ge-
fällt, dass Trump bei diesen Themen hart
durchgreift. Als Brown das erste Mal wäh-
len durfte, er studierte gerade Grafik-
design, hat er für Barack Obama gestimmt.
Aber der habe eben nicht hart durchgegrif-
fen. Der sei einfach nur smart gewesen.
Travis Brown redet und redet, von sei-
nen Eltern, die stets die Republikaner wähl-
ten und wollten, dass er Latein lernt. Vom
liebevollen Miteinander in seiner Familie,
die „wohlhabend“ sei, „aber nicht reich“.
Wenn ihn an Trump etwas stört, dann die
Sache mit den Flüchtlingskindern in Käfi-
gen an der Grenze zu Mexiko. Und die Ukra-
ine-Geschichte. Dass Trump dort offenbar
nach Schmutz wühlen ließ, der seinen Kon-
kurrenten Joe Biden belasten könnte, fin-
det Brown falsch. Aber: Niemand mache
alles richtig. Er selbst ja auch nicht.
Der gute Christ Brown druckst ein biss-
chen rum, ja, okay, er hatte schon Sex, ob-
wohl er nicht verheiratet ist. Was will man
machen? „Sex macht Spaß.“ Er wuschelt
sich durch die Haare, lieber wieder über Po-
litik reden. Der Präsident sei auch nur ein
Mensch, dem vergeben werden müsse.
Deshalb werde er ihn wiederwählen, sagt
Travis Brown und schiebt die Katze mit
dem Fuß zurück nach drinnen.

Haus Nummer 3: Chris


Auf der anderen Straßenseite hat Chris
Moffett gerade eine Spülmaschine auf den
Rasen vor seinem Haus gehievt und
„FREE“ auf ein Schild geschrieben. Er
selbst habe im Leben nie etwas geschenkt
bekommen, sagt er, niemand in seiner
Familie. Deshalb hätten sie auch alle die De-
mokraten gewählt, die Partei der Arbeiter.
Nicht die Republikaner, die Partei der Rei-
chen. So einfach war das.
Chris Moffett führt auf die Veranda, sei-
ne Verlobte bringt Dosenbier. Zzsch. Die
nächsten eineinhalb Stunden wird sie still
hinter ihm stehen bleiben, während er er-
klärt, warum heute alles komplizierter ist.
Er erzählt vom Bowling, seiner Leiden-
schaft, und dann vom College. Er hat es an-
gefangen und abgebrochen, Studiengang
Elektrotechnik, den Kredit zahlt er noch
immer ab, insgesamt eine eher dumme
Aktion, aber er hat dann einfach Telefon-
bücher verkauft, Satellitenschüsseln auf-
gehängt. In einer Firma hat er sich zwölf
Jahre lang hochgearbeitet, bis zum „Gene-
raldirektor“, er ist noch heute stolz darauf.

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Der


Weg


ins


Weiße


Haus


Rankine Avenue, Erie, Pennsylvania:


Eine Straße, zehn Häuser – und eine Antwort


auf die Frage, warum Donald Trump


2020 wieder zum Präsidenten der


Vereinigten Staaten gewählt werden könnte


von gianna niewel und lisa schnell


Haus Nummer 1: Larry Leech, Zimmermann FOTOS:GIN/NELL
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