interview: david steinitz
V
or einem etwas anstrengenden
Hipster-Hotel in der Nähe des
Alexanderplatzes steht eine
freundliche Berliner Auto-
grammjägerin älteren Semes-
ters und fragt: „Wann die Emilia Clarke
rauskommt, wissense nich’ zufällich, wa?“
Nein, das weiß man leider nicht so genau,
denn seit Emilia Clarke durch die Serie
„Game of Thrones“ weltberühmt wurde,
muss sie in Hotels wie diesem sehr viele In-
terviews geben. Dieses Jahr lief die achte
und letzte Staffel der Fantasy-Saga, im An-
schluss hat die 33-jährige Britin dringend
etwas Abwechslung gebraucht und eine
Weihnachtskomödie gedreht. „Last Christ-
mas“ startet am 14. November im Kino und
ist der Anlass für dieses Treffen. Aber ganz
ohne „Game of Thrones“ geht es im Ge-
spräch natürlich nicht.
SZ: Miss Clarke, wussten Sie, dass es eini-
ge Hardcore-Fans von „Game of Thrones“
gibt, die ihre Kinder tatsächlich Khaleesi
genannt haben, nach Ihrer Rolle in der Se-
rie?
Emilia Clarke: Ja, oh je, das habe ich auch
gehört.
Abgesehen davon, dass Khaleesi vermut-
lich nicht mit allzu vielen Nachnamen har-
moniert – das ist schon ein bisschen merk-
würdig, oder?
Das ist es. Trotzdem konnte ich es bis zur
siebten Staffel irgendwie verstehen, dass
Eltern ihrer Tochter den Namen dieser star-
ken Frau geben wollen ... Aber da wussten
sie natürlich noch nicht, dass die Figur sich
im Finale zu einer tyrannischen Despotin
entwickelt. Tut mir leid für all die kleinen
Khaleesis da draußen!
In der Serie hatten Sie eine ernste Rolle,
nun haben Sie mit „Last Christmas“ eine
Weihnachtskomödie gedreht. Comedy
soll ja für jeden Schauspieler die schwie-
rigste Kunst sein. Hatten Sie Bedenken?
Nein. Wenn das Drehbuch von Emma
Thompson stammt, die eine der lustigsten
Personen überhaupt ist, und wenn Paul
Feig Regie führt, der „Bridesmaids“ ge-
macht hat, muss man sich als Schauspiele-
rin zum Glück keine Sorgen mehr machen.
Die hätten mir schon rechtzeitig Bescheid
gesagt, falls ich es vergeige.
Haben Sie bestimmte Rituale, um eine
neue Rolle anzupacken?
Ja, ich bereite mich seit der Schauspiel-
schule immer gleich vor. Ich weiß, es ist
nicht sehr umweltfreundlich, aber ich
drucke das Drehbuch aus und klebe es in
ein Notizbuch, immer auf die linke Seite.
Auf der rechten Seite mache ich mir zu je-
der Szene Notizen. Es gibt ja verschiedene
Traditionen und Herangehensweisen in
der Schauspielerei, ich komme aus einer
eher puristischen Schule, wo man sagt:
Alles, was du an Informationen brauchst,
findest du im Drehbuch.
Sie spielen Kate, eine junge Frau, die
Schauspielerin werden möchte und er-
niedrigende Castings erlebt. Kennen Sie
solche Situationen auch selbst?
Oh ja. Interessanterweise sind aber meist
die Vorsprechen, bei denen man denkt,
dass sie eine Katastrophe waren, die, nach
denen man genommen wird. Als ich für die
Schauspielschule vorsprach, lief es furcht-
bar. Die einzige Reaktion an diesem Tag
kam von einer der Frauen im Auswahlko-
mitee. Sie sagte: Mir gefällt Ihr Rock. Und
ich dachte: Na toll. Ich war 18, ich fand das
so gemein, ich war am Boden zerstört.
Aber sie haben mich genommen. Umge-
kehrt passiert es oft, dass man denkt, lief
doch super – und dann ruft niemand an.
Im Frühjahr haben Sie in der Zeitschrift
The New Yorkereinen Artikel geschrie-
ben, in dem Sie von zwei Gehirnaneurys-
men berichten, an denen Sie fast gestor-
ben wären, und den Depressionen und
Selbstzweifeln, in die Sie dadurch gefal-
len sind. Die Frau, die Sie in „Last Christ-
mas“ spielen, hat auch eine lebensbedroh-
liche Krankheit hinter sich. Haben Sie
sich deshalb für die Rolle entschieden?
Also ich würde nie eine Rolle annehmen,
nur, weil sie einer persönlichen Erfahrung
nahekommt, die ich gemacht habe. Aber es
stimmt, dass ich mir dachte, dass diese jun-
ge Frau etwas durchgemacht hat, das mir
nicht fremd ist. Trotzdem bin das nicht ich
in dem Film, das ist eine erfundene Figur.
In Ihrem Artikel schreiben Sie, dass Ihre
erste Reaktion auf die Diagnose des ers-
ten Aneurysmas war: „Ich habe dafür jetzt
keine Zeit.“
Wenn man in seinen Zwanzigern ist, denkt
man, dass man keine Zeit für Pausen hat,
um auf sich selbst aufzupassen. Das war
der große Lerneffekt aus dieser Erfah-
rung: Nimm dir Zeit für dich. Pass auf dich
auf. Leg dich einfach mal hin. Ich gehöre zu
der Sorte Mensch, der es schwerfällt,
nichts zu tun, ich bin eigentlich immer auf
Achse. Aber manchmal geht das halt nicht.
Ich musste mich zum Ausruhen zwingen,
meinem Körper erlauben, gesund zu wer-
den.
Kommen Sie während Dreharbeiten
manchmal frustriert heim, weil Sie eine Fi-
gur auch nach Feierabend nicht loswer-
den, und denken sich, puh, heute brauche
ich einen Drink oder muss eine Stunde jog-
gen gehen?
Ergänzen Sie bitte noch ins Kissen schrei-
en bei Ihrer Aufzählung! Das gehört bei
mir auch zu den Möglichkeiten, einen har-
ten Tag loszuwerden. Wobei das nur für
die ganz schlimmen Fälle reserviert ist,
normalerweise reicht eine lange Dusche.
Vermissen Sie manchmal eine Figur,
wenn Sie sie lange gespielt haben?
An sich würde ich sagen, dass man die
meisten Figuren in der Regel nach ein paar
Wochen wieder abschüttelt. Aber mit Kha-
leesi aus „Game of Thrones“ habe ich na-
türlich ein besonderes Verhältnis, weil ich
sie so lange gespielt habe. Sie ist wie eine
Schwester oder eine gute Freundin, sie ist
fast schon physisch ein Teil von mir gewor-
den, und das wird vermutlich für immer so
bleiben.
Gibt es so etwas wie Lampenfieber auch
am Filmset, oder ist das dem Theater vor-
behalten?
Doch, das gibt es, in der Regel aber nur in
den ersten Drehtagen, dann legt sich das.
Auch wenn man es schon oft getan hat,
muss man sich doch immer wieder daran
gewöhnen, dass hinter der Kamera
200 Leute stehen, die einen anstarren. Da
bin ich merkwürdigerweise immer wieder
überrascht, wie komisch sich das anfühlt.
Für den ersten Tag planen Regisseure
dann vermutlich keine Knutschszenen?
Ach, Knutschszenen sind überhaupt kein
Problem. Erstens küsst man da ja als je-
mand anderes, und zweitens hat man ei-
nen Partner vor der Kamera, der auch ange-
starrt wird. Mulmig wird mir vor allem,
wenn ich in einer Szene ganz allein vor der
Kamera stehe und sich alle nur auf mich
konzentrieren.
Dann müssen die Dreharbeiten zu „Game
of Thrones“ mit all den Statisten sich ja
recht relaxt angefühlt haben?
Das ist wiederum ein anderes Problem. An
einem Drehtag mit 300 Statisten wird ja
nur der Bruchteil einer Serienfolge ge-
dreht. Da müssen Sie dieselbe Szene wie-
der und wieder spielen, damit die Regisseu-
re sie aus vielen verschiedenen Blickwin-
keln filmen können, um sie hinterher mög-
lichst spektakulär zusammenzuschnei-
den. Da muss man dann von morgens bis
abends die Spannung halten, um für jede
neue Aufnahme denselben Satz noch mal
mit derselben Intensität aufzusagen.
Und mit welchem Trick kommt man am
besten durch so einen Tag?
Immer die Nahaufnahmen zuerst! Wenn
man zwölf Stunden später dieselbe Szene
in der Großaufnahme mit der kompletten
Kulisse dreht, fällt es nicht mehr so auf,
wenn man etwas schlapp ist.
Sie kommen durch die Schauspielschule
eigentlich vom Theater, haben am Broad-
way schon die Holly Golightly in „Früh-
stück bei Tiffany“ gespielt. Fehlt Ihnen
bei Filmdrehs manchmal der direkte Ap-
plaus des Publikums?
Ja, dieses zeitversetzte Arbeiten ist immer
etwas merkwürdig. Man dreht monate-
lang einen Film, ist fertig – und es passiert
überhaupt nichts. Keine Reaktionen, in kei-
ne Richtung, keiner buht, keiner applau-
diert. Und dann, sechs Monate später,
wenn der Film fertig geschnitten und ver-
tont ist, kommt der Anruf vom Filmstudio,
dass es jetzt langsam mal eine Premiere ge-
ben wird. Deshalb habe ich beschlossen,
dass ich so bald wie möglich mal wieder
auf einer Theaterbühne stehen muss.
Ihr Vater hat als Tontechniker am Theater
gearbeitet. Diese Welt war Ihnen dann ver-
mutlich schon als Kind sehr nah?
Ja, das muss mich sogar sehr beeinflusst
haben. Denn meine Eltern sagen, dass ich
schon mit drei, vier Jahren lautstark ver-
kündet hätte, ich wolle Schauspielerin wer-
den. Die anderen Kinder wollten Super-
held, Astronaut oder Zahnarzt sein, ich
quietschte: Schauspielerin! Außerdem
wurde das Theater für mich zu dem Ort, an
dem ich mich sicher und geborgen fühle,
bis heute. Die Gerüche vom Kostümfun-
dus, diese hektische Betriebsamkeit kurz
bevor es losgeht, die Schminke, die Schein-
werfer, das hat eine irre beruhigende Wir-
kung auf mich. Das Theater ist die älteste
Form des Geschichtenerzählens, wohler
kann man sich als Schauspieler vermut-
lich gar nicht fühlen.
Waren Ihre Eltern besorgt wegen Ihres Be-
rufswunschs?
Sehr. Mein Vater fürchtete, dass ich mein
Leben lang arbeitslos sein würde – er kann-
te vom Theater ja die prekären Lebensver-
hältnisse von Schauspielern. Neulich habe
ich einen Podcast gehört, in dem ein Psy-
chologe erklärt hat, dass man das Glück ei-
nes Menschen je nach seinem Berufs-
wunsch statistisch vorhersagen könne,
wenn man genug Leute 60 plus zu ihrer Le-
benszufriedenheit befragt, die schon mit
18 einen festen Berufswunsch hatten.
Und?
Bei Menschen, die schon mit 18 sagen, dass
sie Künstler werden wollen, liegt laut die-
sem Wissenschaftler die Wahrscheinlich-
keit, dass sie im Alter auf ein unglückli-
ches, unbefriedigendes, finanziell prekä-
res Berufsleben zurückblicken, bei 45 Pro-
zent. Das ungefähr war auch ohne Statistik
der Glaube und die Angst meines Vaters,
durch seine Erfahrungen am Theater. Und
er wollte doch, dass seine Tochter glück-
lich wird, deshalb hat er ziemlich oft ge-
fragt, ob nicht vielleicht doch Zahnärztin
infrage käme. Glücklicherweise ist er alt ge-
nug geworden, um erleben zu können,
dass es bei mir doch geklappt hat.
Wann haben Sie zum ersten Mal gemerkt:
Oh, ich bin berühmt?
Das ist bei mir langsam passiert, weil ich
im echten Leben ja ganz anders aussehe
als in „Game of Thrones“. Mein Serienkolle-
ge Kit Harrington zum Beispiel ist auch auf
der Straße als Jon Snow erkennbar. Auf
den haben sich die Leute schon nach der
ersten Staffel gestürzt. Mich haben sie ge-
beten, die Fotos zu machen, weil sie mich
noch nicht erkannt haben. Das fand ich ei-
gentlich ganz angenehm. Aber es hat sich
natürlich nach und nach geändert, und ir-
gendwann war es dann halt vorbei mit der
Privatsphäre.
Wo ist es am schlimmsten?
An Flughäfen! Da haben die Leute Zeit und
schauen sich um, und Sie können nicht
weglaufen, weil man ja nicht einfach aus
dem Sicherheitsbereich flüchten kann. So
um Staffel fünf und sechs hatte es schon
absurde Züge angenommen, aber da habe
ich so viel gedreht, dass ich eh kaum am
normalen Leben teilgenommen habe. Erst
dieses Jahr, um die achte Staffel herum,
fiel mir auf, wie heftig das geworden ist. Da
liegt man dann schnarchend im Flugzeug
und wird von jemandem wachgerüttelt,
der ein Autogramm oder ein Foto will.
Und was macht man dann?
Augen zu und durch. Das kann schnell wie-
der vorbei sein, also sollte man sich nicht
allzu sehr beschweren. Und dann bin ich
plötzlich 80, und meine Enkelkinder wer-
den nicht glauben, dass die Leute mal ein
Foto von ihrer Oma haben wollten wegen
dieser uralten TV-Serie.
„Meine Enkel werden nicht
glauben, dassdie Leute ein
Foto von ihrer Oma wollten.“
Liegen
lernen
Die Schauspielerin Emilia Clarke
über „Game of Thrones“,
die Folgen des Ruhms
und ihre Weihnachtskomödie
„Last Christmas“
„Ich war 18, ich fand
das sogemein, ich war
am Boden zerstört.“
„Mein Vater fürchtete,
dass ichmein Leben lang
arbeitslos sein würde.“
Bilder des Berliner Malers Otto Nagel
werden in Mecklenburg-Vorpommern
derzeit auf ihre Herkunft geprüft. Insbe-
sondere beim Umgang mit dem Nach-
lass des Künstlers hätten die Erben An-
haltspunkte, dass die SED massiv Druck
auf die Familie ausgeübt habe, teilte das
Staatliche Museum Schwerin am Freitag
mit. Zudem gebe es Hinweise, dass Bil-
der von Otto Nagel unrechtmäßig aus
öffentlichen Sammlungen über den
staatlichen Kunsthandel der DDR ver-
kauft wurden. Die Staatlichen Kunst-
sammlungen Mecklenburg-Vorpom-
mern beherbergen nach eigenen Anga-
ben fünf Werke von Otto Nagel. dpa
Nach einer umfassenden Sanierung
steht die Staatsbibliothek Unter den
Linden vor ihrer Wiedereröffnung. In
mehreren Abschnitten war der 1914
vollendete Bau seit 2005 renoviert wor-
den. Am Montag findet die offizielle
Schlüsselübergabe statt. Die Arbeiten
auf dem gut 100000 Quadratmeter
Grundfläche umfassenden Komplex
sollten ursprünglich bereits 2012 fertig-
gestellt sein. Die Kosten für das Projekt
stiegen von einst 326 auf 470 Millionen
Euro. Bis zur kompletten Eröffnung im
Mai 2020 müssen nun die Leseräume
eingeräumt werden oder Mitarbeiter
umziehen. Dann wird der bereits 2012
eröffnete große Lesesaal für Nutzer auf
der historischen Achse über Eingangs-
halle, Brunnenhof und die imposante
Haupttreppe erreichbar sein. dpa
„Knutschszenen sind
überhaupt keinProblem.“
Emilia Clarke wollte
schon als Kind
Schauspielerin werden.
FOTO: PICTURE ALLIANCE / AP
Deutschland und Indien wollen die Zu-
sammenarbeitihrer Museen vertiefen.
In Neu-Delhi unterzeichneten Vertreter
der Stiftung Preußischer Kulturbesitz,
des Humboldt Forums, der indischen
National Gallery of Modern Art und des
Indian Museum Kolkata der Bundesre-
gierung zufolge eine entsprechende
Vereinbarung. Dabei geht es insbesonde-
re um Kooperationen in den Bereichen
Forschung, Ausstellungen und Leihga-
ben, Restaurierung, Residenzprogram-
me und Expertenaustausch. Grütters,
die mit Bundeskanzlerin Angela Merkel
(CDU) und ihrer Delegation nach Neu-De-
lhi reiste, traf dort ihren indischen Amts-
kollegen Shri Prahlad Singh Patel. Bei
dem Austausch ging es den Angaben
zufolge unter anderem um die Künstler-
förderung in beiden Ländern. kir
Provenienzprüfung
Schlüsselübergabe in Berlin
DEFGH Nr. 253, Samstag/Sonntag, 2./3. November 2019 FEUILLETON 17
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