Süddeutsche Zeitung - 02.11.2019

(Barré) #1
TaschenMeinenKorb habe ich mir mit
17 auf dem Barrique Market im Londoner
West End gekauft, er war aus Portugal.
Weil ständig irgendwas kaputt gegangen
ist, meist der Deckel, musste ich ihn im-
mer wieder nachkaufen. Auf einem Flug
von New York nach Paris traf ich 1984
Jean-Louis Dumas, den Chef der Luxus-
marke Hermès. Ich erzählte ihm, dass
mir seine Kelly Bag zu klein sei. Also hat
er mir extra eine Tasche anfertigen las-
sen, die Birkin Bag, die fünfmal so groß
sein sollte wie eine Kelly. Als sie fertig
war, rief er mich an: „Alle sind verrückt
nach deiner Tasche, können wir sie nach
dir benennen?“ Ich fühlte mich geehrt.
Lange war mir gar nicht klar, dass sich
die Birkin Bag bis heute so gut verkauft.
Meine jüngste Tochter Lou sagte schließ-
lich: „Mama, das ist die erfolgreichste Ta-
sche der Welt! Sie steht sogar im MoMA
in New York.“ Das ist doch verrückt.

SchauspielereiBei meinem ersten Vor-
sprechen am Theater habe ich den Text
vergessen. Die Rolle habe ich trotzdem
bekommen, denn ich sollte eine Taub-
stumme spielen. Meinen Durchbruch
hatte ich schließlich mit dem Film
„Blow Up“. Michelangelo Antonioni, der
Regisseur und ein stets sehr elegant ge-
kleideter Herr, versprach mir den Part,
sofern ich bereit wäre, mich nackt aus-
zuziehen. John Barry, mein Mann, mein-
te damals, dass ich mich das nie trauen
würde, weil ich ja immer das Licht aus-
machte, wenn ich nackt war. Weil Anto-
nioni aber einer der besten Filmema-
cher dieser Zeit war, habe ich mich ge-
traut. Es gab einen großen Skandal,
man nannte mich Jane „Blow Up“ Bir-
kin, doch zu meiner Freude standen die
Menschen in langen Schlangen vor den
Kinos an, um den Film zu sehen. Auf
dem Foto sieht man mich mit dem
Schauspieler David Hemmings, ein rei-
zender Mann. Mein Haar wurde für den
Film extra blond gefärbt, und ich hatte
grüne Strumpfhosen an. Als der Film
herauskam, war ich hochschwanger
und so dick, dass ich lange kein Angebot
mehr bekommen habe.

Serge GainsbourgDieses Bild zeigt
einen wirklich innigen Moment Ende
der Sechzigerjahre in Cannes. Als ich
Serge kennenlernte, fand ich ihn arro-
gant und eingebildet. Doch nachdem
ich ihn an unserem ersten Abend auf die
Tanzfläche gezogen hatte, wurde mir
klar, dass er einfach unglaublich
schüchtern war – und nicht tanzen
konnte. Nachts nahm er mich mit in
sein Hotelzimmer. Ich verdrückte mich
erst mal ins Bad, um etwas Zeit zu gewin-
nen, so aufgeregt war ich. Als ich ins
Zimmer kam, schlief er tief und fest,
zum Glück. Ich bin dann in einen Laden
um die Ecke gelaufen, habe die Schall-
platte „Yummy Yummy Yummy (I Got
Love in My Tummy)“ vonOhio Express
gekauft, sie ihm zwischen die Zehen ge-
steckt und bin nach Hause gefahren. Al-
les, was Serge umgab, war so erfri-
schend. Plötzlich war da dieser außerge-
wöhnliche Mann, sehr russisch, sehr jü-
disch, ein Clown und einfach umwer-
fend attraktiv. Im Vergleich zu ihm war
der Rest der Welt furchtbar langweilig.
Wir waren das bekannteste Paar dieser
Zeit und standen unter ständiger Beob-
achtung. Mir war das lange egal, so viel
Spaß hatten wir damals miteinander.
Erst als sich das Leben zum Drama wen-
dete und ich in Ruhe gelassen werden
wollte, wurden die Paparazzi zur Last.

KindsbrautVom Mädchen zur Ehefrau
und Mutter: Meine Eltern waren gegen
die Hochzeit, doch kaum war ich volljäh-
rig, heiratete ich John Barry, einen be-
kannten Filmkomponisten. Hätte ich
doch gewusst, was für ein Desaster das
werden würde! Die Ehe mit mir muss
entsetzlich langweilig gewesen sein. Ich
wartete den ganzen Tag darauf, dass er
endlich nach Hause kam und sich um
mich kümmerte. Er war völlig überfor-
dert. Dann kam Kate, ein Geschenk. All
die Freude, die ich an ihr hatte, nahm
mir die Traurigkeit meiner Ehe. Wenige
Monate nachdem sie auf der Welt war,
haben wir uns getrennt. Ich hätte nie
geglaubt, dass in ihrem Leben etwas
schieflaufen könnte. Seit ihrem Tod im
Jahr 2013 bin ich nicht mehr die Gleiche,
sie ist aus einem Fenster gestürzt. Ein
Teil von mir ist seitdem weg, vor allem
mein Vertrauen ins Leben.

TeenieDas Bild stammt von meinem Bru-
der Andrew, da war ich 16 und saß in der
Achterbahn „Big Dipper“ im Londoner
Battersea Park. Ein Jahr später traf ich
meinen ersten Mann, John Barry. Zu die-
ser Zeit wurde mir bewusst, dass ich gut
aussah; also habe ich alles dafür getan, an-
deren zu gefallen. Heute hadere ich mit
mir: Ich habe es nicht verdient, Schauspie-
lerin zu sein und hätte mir mehr Mühe ge-
ben müssen. Alles, was ich konnte, war
nur schön auszusehen. Schade, dass ich
mich damals so geschminkt habe, das
sieht doch langweilig aus. Dass Jugendli-
che heute viel öfter ihr wahres Ich zeigen,
finde ich deutlich interessanter.

MunkeyDen Affen hat mein Onkel bei ei-
ner Tombola in einem Pub gewonnen, ein
geschmackloses Plüschtier, aber unser
Talisman. Niemand in meiner Familie ist
je ohne ihn in ein Flugzeug gestiegen
oder operiert worden, selbst seine Kla-
motten habe ich wie Glücksbringer ver-
teilt: Mein Vater hatte seinen Pyjama,
Serge die Jeans, meine Töchter seine
Capes. Die Kleider galten aber nur, wenn
sie aus meiner Kindheit stammten. Mein
Vater sagte: „Wenn wir mal in den Him-
mel kommen, wird Munkey dort stehen,
um uns zu begrüßen – mit weit geöffne-
ten Armen und seinem angsteinflößen-
den Gesicht.“ Einmal haben Serge und
ich ihn in einem spanischen Hotel verges-
sen, das haben wir aber erst am Flugha-
fen bemerkt. Ich bin zwei Stunden mit
dem Taxi zurückgefahren und habe den
Flieger verpasst, um ihn vor der Müllver-

brennungsanlage zu retten. Als Serge
starb, legte ich ihm Munkey in den Sarg.
Nur so konnte er ihn auch nach seinem
Tod beschützen.
Auf dem Bild bin ich etwa zehn Jahre
alt, damals habe ich angefangen, Tage-
buch zu schreiben. An Munkey, meinen
engsten Vertrauten. Ich habe bis zum Tod
meiner Tochter Kate geschrieben, dann
habe ich damit aufgehört. Weil ich nicht
wusste, was ich der Welt von mir hinter-
lassen könnte, habe ich sie jetzt veröffent-
licht. Ich wollte zeigen, dass vieles in mei-
nem Leben sehr viel banaler war, als es
lange den Anschein hatte. Manche Ge-
schichten darin sind nicht unbedingt
schmeichelhaft, eine Weile wollte ich die
Veröffentlichung auch stoppen. Dann
dachte ich: Was soll’s? Ich zeige mich
ganz nackt, aber immerhin so, wie ich
wirklich bin.

FOTOALBUM


FamilieSo oft es ging, habe ich Kate und
Charlotte mit zum Dreh genommen, wie
hier 1974 in Aix-en-Provence. In Serges
Wohnung in der Rue de Verneuil in Paris
lebten wir zwölf Jahre, aber wir durften
nichts anfassen, denn er mochte keine
Veränderungen. Charlotte bekam nicht
mal ein neues Bettchen, obwohl ihre Fü-
ße schon herausragten. Wir sind viel aus-
gegangen, kamen aber stets pünktlich
nach Hause, um mit den Kinder zu früh-
stücken, und standen auf, um sie am
Nachmittag von der Schule abzuholen.

MusikQuebec 2018:eines der besten
Konzerte meines Lebens. Leider habe ich
erst spät entdeckt, wie gerne ich auf Tour
bin. Es ist wunderbar, da dem Leben zu
entschwinden. Für ein paar Stunden ist
man frei, niemand kommt dir in die Que-
re, nichts kann passieren. Nach Serges
Tod 1991 habe ich eine Zeitlang aufgehört
zu singen, aber ich habe die Bühne zu
sehr vermisst. Am liebsten mag ich die
großen Klassiker wie „Fuir le bonheur“
oder „Les dessous chics“, die Serge nach
unserer Trennung geschrieben hat.
Wenn ich die singe, fühle ich seinen
Schmerz und werde ein Stück weit zu
ihm. Das macht mich sehr glücklich.
Ganz anders ist es mit „Je t’aime“: Wenn
ich das Lied im Radio höre, schalte ich so-
fort um. Es wird wohl ewig an mir kleben.

HELL’S KITCHEN (XLII)


RATTELSCHNECK


von christian zaschke

Die Lederjacke habe ich in Kiel gekauft
und inEdinburgh erstmals flicken
lassen. Sie hatte damals einen kleinen
Riss am Ärmel. In Belfast ließ ich ein
neues Innenfutter einziehen. In Mün-
chen kamen jedes Jahr zwei, drei neue
Flicken dazu. In London war die Jacke
so porös geworden, dass sie zur besten
Freundin eines Schneiders in Belsize
Park wurde, weil sie ihm ein regelmäßi-
ges Einkommen bescherte.
Alle drei, vier Wochen riss das Leder
irgendwo, und alle drei, vier Wochen
nähte der Schneider neue Flicken
drauf. Die Jacke wurde dicker und
dicker, und mit jedem neuen Flicken
wurde es mir unmöglicher, mich von
ihr zu trennen.
„Du wirst diese Jacke noch tragen,
wenn wir längst nicht mehr zusammen
sind“, sagte K. einmal.
„Wir werden immer zusammen
sein“, sagte ich.
„Genau das meine ich“, sagte sie.


Ich trug die Lederjacke tatsächlich
fast immer, außer, es war zu nahelie-
gend. Wenn ich zum Beispiel Inter-
views mit Rock- oder Popmusikern
führe, was nicht oft, aber doch gelegent-
lich vorkommt, trage ich grundsätzlich
einen Anzug. Als ich Jimmy Page traf,
den Gitarristen der BandLed Zeppelin,
trug ich einen grauen Dreiteiler, dazu
ein hellblaues Hemd mit dunkelblauer
Krawatte und ein Einstecktuch. Es ist
wichtig, dass das Einstecktuch nicht
die Farbe und schon gar nicht das Mus-
ter der Krawatte hat. Es muss das Mo-
tiv der Krawatte aufnehmen, aber es
darf es auf keinen Fall kopieren. Als
Musiker verstand Page das sofort.
Phil Collins traf ich in einem hellen
Sommeranzug mit fast unsichtbarem
Karomuster. Weißes Hemd. Gefährlich
dünne Krawatte in Grün. Collins wollte
als erstes wissen, wo man exakt diesen
Anzug bekommt. Zum Gespräch mit
Art Garfunkel erschien ich in einem
Nadelstreifenanzug von Paul Smith.
Das Innenfutter hat Smith komplett
psychedelisch gestaltet. Garfunkel fiel
das umgehend auf. Er liebte es.
Man kann eine Lederjacke, die so
lange mit einem gereist ist, nicht ein-
fach wegschmeißen. Man muss ihr ein
würdiges Ende bereiten. Also zog ich
sie in dieser Woche ein letztes Mal an
und spazierte, nein: Ich schritt von
meiner bescheidenen Bleibe in Hell’s
Kitchen rüber zum Central Park. Die
Ärmel waren unflickbar verloren, im
Rücken klafften zwei faustgroße Lö-
cher. Sie war tot.
Wir kamen über den Columbus
Circle in den Park, das ist die beste
Route, vorbei an den Rikschafahrern,
vorbei an allem. Am Eingang der
Prachtallee The Mall, die von Ulmen
und Statuen gesäumt wird, hielten wir
inne. Ich blickte nach Südosten, wo K.
in 7082 Kilometern Entfernung in
Afrika arbeitet, und ich nickte ihr zu.
Dann zog ich die Jacke ein letztes
Mal aus und bettete sie am Denkmal
des größten Lederjackendichters, der
jemals lebte. Ich bettete sie zu Füßen
von Robert Burns.


Risse


Sie versteckt sich hinter einer Sonnenbrille, dochJane Birkin,72, erkennt man in dem Kölner Hotel


natürlich sofort an ihrer knallvollen, mit Anhängern und Aufklebern verzierten Birkin Bag. Die Tasche ist


so schwer, dass die Britin sie kaum tragen kann. Gleich wird die Schauspielerin und Sängerin aus ihrem


Leben erzählen, der erste Teil ihrer Tagebücher „Munkey Diaries“ ist jetzt im Penguin Verlag erschienen


protokolle: julia rothhaas

Phil Collins traf ich in
einem hellenSommeranzug.
So einen wollte er auch

FOTOS: IMAGO (3); ANDREW BIRKIN, PRIVATARCHIV (4); GETTY IMAGES (2)

50 GESELLSCHAFT Samstag/Sonntag,2./3. November 2019, Nr. 253 DEFGH

Free download pdf