Süddeutsche Zeitung - 02.11.2019

(Barré) #1
von renate winkler-schlang

Berg am Laim– AmNachmittag vor der
abendlichen Informationsveranstaltung
schon hatte die Bürgerinitiative „Lebens-
wertes Berg am Laim“ auf dem Acker an
der Truderinger Straße große rote Luftbal-
lons an einer fast 50 Meter langen Leine in
den Himmel geschickt: 15 Stockwerke
oder genau 46,60 Meter hoch soll der
höchste Bau in diesem Neubaugebiet für
rund 820Wohnungen werden – für die
meisten Nachbarn viel zu wuchtig. Am
Abend fanden sich viele im voll besetzten
Saal des Pfarrheims ein: Der Bezirksaus-
schuss Berg am Laim hatte das Planungs-
referat, Planer, Eigentümervertreter und
Gutachter zu einer freiwilligen Infoveran-
staltung über das umstrittene Projekt ge-
beten. Der Vorsitzende Robert Kulzer
(SPD) erklärte, diese sei zwar gesetzlich
im Bebauungsplanverfahren nicht vorge-
sehen, doch der Bezirksausschuss, der En-
de des Monats seine Stellungnahme zum
Bebauungsplan abgeben soll, wolle vor-
her die aktuelle Stimmungslage der Bür-
ger erkunden.

Und die schwankte zwischen harscher
Kritik an der Dichte und dem daraus resul-
tierenden Verkehr, der Angst, in diesem
Planungsprozess ohnmächtig danebenzu-
stehen und der Einsicht in die grundsätzli-
che Notwendigkeit des Wohnungsbaus.
Zwei offizielle Veranstaltungen hatte es be-
reits gegeben, in denen die Nachbarn ihre
Befürchtungen kundgetan und ihre Wün-
sche auf Zettel geschrieben hatten. Die Ab-
lehnung eines Hochhauses war dabei im-
mer ganz deutlich geworden. Dennoch
hat das Planungsreferat in der Zwischen-
zeit außer der Verlagerung von Tiefgara-
genausfahrten kaum etwas geändert an
dem Siegerentwurf des städtebaulichen
Wettbewerbs, den das Büro 03 Architek-
ten mit den Landschaftsplanern von real-
grün gewonnen hat.
Warum, fragte da mancher. Und so ge-
riet der Abend auch zu einer Art Nachhilfe-
stunde in Stadtplanung und Baurecht, in
dem vor allem Teamleiterin Eva Regens-
burger vom Planungsreferat immer wie-

der geduldig Planungsprozesse erläuter-
te. Sie könne nicht so einfach ein paar
Stockwerke des Hochhauses streichen, er-
klärte sie, schließlich gebe es ein Wettbe-
werbsergebnis. In der Jury habe im Übri-
gen auch ein Vertreter des Bezirksaus-
schusses, also ein Repräsentant der Bür-
gerschaft, gesessen. Robert Kulzer vertei-
digte sein Votum für den Entwurf, der ja
auch vieles richtig mache: „Die anderen
hätten Sie nicht sehen wollen, zum Teil
richtige Trutzburgen.“ Er machte aber
auch darauf aufmerksam, dass bei der Ma-
cherei, einem anderen Berg am Laimer
Großprojekt, durchaus Korrekturen am
Siegerentwurf vorgenommen würden.
Heiko Menzel, Projektentwickler der
Büschl-Unternehmensgruppe, deren
Tochterfirma das Gebiet gemeinsam mit
einer privaten Eigentümerfamilie ver-
marktet, ließ jedoch erkennen, dass für
Änderungen keine Bereitschaft bestehe.
Und ein Stadtrat sei im Saal nun mal nicht
zu sehen, klagte Kulzer. Er machte darauf

aufmerksam, dass der Bezirksausschuss
in seiner ersten Stellungnahme bereits we-
sentliche Kritikpunkte der Bürger aufge-
griffen hatte – darauf aber keine Antwort
aus dem Rathaus bekam.
Michael Wimmer von 03 Architekten
zeigte anhand von Verschattungsstudien,
dass das Hochhaus keine negativen Fol-
gen haben werde. Doch dass die Bürger
wenig Vertrauen in Planer und Gutachter
haben, offenbarte sich in vielen Äußerun-
gen. Einer erklärte den Experten, dass sie
abends wieder heimfahren dürften, er
aber werde Tag für Tag mit den Auswüch-
sen von deren Arbeit konfrontiert sein.
„Wir wollen einfach, dass Sie uns nicht
mit Beton zuscheißen“, rief ein Mann in
Richtung Podium, „Masse statt Klasse“,
urteilte ein anderer. Auf Frischluftschnei-
sen werde keine Rücksicht genommen,
fürchtete eine Bürgerin.
Ihr erklärten Grünplaner Matthias Con-
rad aus dem Planungsreferat und Wolf
Auch von realgrün, dass der Acker nicht in

einer Frischluftschneise liege. Es müssten
für den Bau von Rad- und Fußweg auf der
Nordseite des Gebiets Bäume weichen,
doch die seien ohnehin vom Eschentrieb-
sterben betroffen. 140 neue würden ge-
pflanzt, unter anderem am neu entstehen-
den Bett für den Hachinger Bach.
2000 Fahrten mehr am Tag prophezeit
das Verkehrsgutachten, davon 170 mor-
gens zur Spitzenstunde. 120 werden den
Knoten vor der Bahnunterführung belas-
ten, für diesen bedeute das aber lediglich
eine Zunahme von sechs Prozent“, hieß es.
Die Bürger aber prophezeiten Kollaps und
Chaos, Schadstoffe und Lärm, nicht zu-
letzt von hupenden Autofahrern – und lie-
ßen sich nicht auf die S-Bahn verweisen:
Die sei doch ebenfalls chronisch überfüllt.
Unverständnis äußerten einige auch am
Umzug der Kicker des ESV vom Acker an
die Thomas-Hauser-Straße „ins letzte
Eck von Berg am Laim“. Am Ende aber gab
es Beifall für den Bezirksausschuss, der
die Diskussion ermöglicht hat.

Haidhausen– Der nächste Stadtteil-Spa-
ziergang des Hobby-Historikers Rudolf
Hartbrunner beschäftigt sich mit dem
Leben und Arbeiten in den Haidhauser
Herbergsvierteln. Mit der Ziegelherstel-
lung und dem wachsenden Baugewerbe
des Großabnehmers München gab es
dort für die Menschen Arbeit und die
Aussicht auf ein festes Auskommen.
Viele Arbeitssuchende ließen sich, guten
Verdienst und einen neuen Lebensmittel-
punkt erhoffend, in der Gegend nieder.
Sie bauten sich die typischen Herbergs-
häuser zum Eigenbedarf und vergrößer-
ten auf diese Weise das Dorf stetig. Da
damals in Haidhausen die strengen
Münchner Baubestimmungen nicht
galten, konnte jeder nach seinen Mög-
lichkeiten bauen. Treffpunkt für Rudolf
Hartbrunners Führung aus dem Volks-
hochschul-Programm ist an diesem
Sonntag, 3. November, um 11 Uhr, am
U-Bahn-Ausstieg auf dem Max-Weber-
Platz. Die Teilnahmegebühr beträgt
sieben Euro. re


Messestadt Riem– Kinder lieben Kne-
ten und Modellieren mit Ton: In der
Töpferwerkstatt des Kinder- und Ju-
gendtreffs „Quax“ an der Helsinkistra-
ße 100 können sie von kommendem
Montag, 4. November, an wieder unter
Anleitung töpfern und ihr eigenes Kunst-
werk bemalen oder glasieren. Eltern
oder Großeltern dürfen auch mitma-
chen. Die Kurse finden immer montags
statt, bis zum 16. Dezember. Dabei läuft
der Kurs Nummer eins von 15.30 bis
17 Uhr, Kurs Nummer zwei von 17 bis
18.30Uhr. Die Teilnahmegebühr für die
sieben Einheiten beträgt insgesamt
35 Euro. Für die Kurse ist eine Anmel-
dung unter der Telefonnum-
mer 94 30 48 45 oder via E-Mail an of-
[email protected] erforderlich. re


Viel Platz hinter den Gleisen: Auf die freien Flächen sollen 820 Wohnungen kommen, besonders umstritten ist ein
15 Stockwerke hohes Gebäude. FOTO: SZ-ARCHIV/JAKOB BERR

Messestadt Riem– Elf Hochhäuser an
der Willy-Brandt-Allee: Dieser Vorschlag
der Landschaftsarchitektin Andrea Geb-
hard war im Sommer via Presse bekannt
geworden – und führt nun zu kontrover-
sen Diskussionen in der Bewohnerschaft.
Grünen-Stadtrat Herbert Danner erklärt
dazu, Stadtbaurätin Elisabeth Merk habe
sich mit dieser Art der Öffentlichkeitsar-
beit „wie ein Elefant im Porzellanladen“
bewegt. Danner fordert nun gemeinsam
mit seinen Fraktionskollegen Paul Bickel-
bacher, Anna Hanusch und Katrin Haben-
schaden in einem Antrag an Oberbürger-
meister Dieter Reiter (SPD) einen mode-
rierten Bürgerbeteiligungsprozess für
die wohnungspolitische Weiterentwick-
lung der Messestadt.

Die Grünflächen an der Willy-Brandt-
Allee sollten dabei nicht allein im Fokus
stehen. Danner denkt vor allem an das im-
mer noch ungenutzte Gewerbe-Grund-
stück westlich der Messe an der Olof-Pal-
me-Straße, das einmal als Standort für
den Interims-Konzertsaal im Gespräch
gewesen war. Zudem sollten auch die gro-
ßen Freiflächen östlich der Messe in den
Diskussionsprozess mit den Bürgern ein-
bezogen werden. Wenn es nach Danner
geht, sollen erst am Ende eines mehrstufi-
gen Beteiligungsprozesses im Rahmen ei-
ner umfassenden Machbarkeitsstudie
die dann identifizierten Flächenpotenzia-
le für den Wohnungsbau untersucht wer-
den.
München brauche Wohnungsbau,
doch die Vorgehensweise im Fall dieses
Hochhaus-Bandes allein habe schon Wi-
derstand provoziert. Mehrere ablehnen-
de Anträge auf der Bürgerversammlung
und eine gut besuchte Info- und Diskussi-
onsveranstaltung in der Messestadt hät-
ten gezeigt, wie groß der Diskussionsbe-
darf sei. Die Messestadt habe „für zusätz-
lichen Wohnungsbau durchaus noch Ent-
wicklungspotenzial“, doch oberste Forde-
rung sei eine frühzeitige und ernsthafte
Beteiligung der Bewohner: „Das nächste
Mal am besten, bevor solche weitreichen-
den Pläne in die Öffentlichkeit gestellt
werden“, rät Danner. Auch der Bezirks-
ausschuss Trudering-Riem müsse früh-
zeitig eingebunden werden. re

Investor verteidigt Hochhaus-Pläne


„Masse stattKlasse“ – Bei einer Infoveranstaltung zum Neubaugebiet an der Truderinger Straße äußern
die Nachbarn Kritik – die Projektverantwortlichen aber lassen keine Bereitschaft zu Änderungen erkennen

Haidhausens Herbergen


Töpfern und glasieren


„Elefant im


Porzellanladen“


Grüne kritisieren Prozedere bei den
Messestädter Hochhaus-Plänen

Die Planer wollen keine
Stockwerke streichen, es gibt ja
ein Wettbewerbsergebnis

Das Viertel hat noch Potenzial,
finden selbst Kritiker

OSTEN


R12 STADTVIERTEL PGS Samstag/Sonntag,2./3. November 2019, Nr. 253 DEFGH


Heribert Prantl


Vom Widerstand.


Ein Angebot der Süddeutsche Zeitung GmbH,
Hultschiner Str. 8, 81677 München
Foto: Natalie Neoimi Isser

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oder 089 / 2183 – 1810


Heribert Prantl ist Kolumnist und
Autor der Süddeutschen Zeitung

VOM GROSSEN UND
KLEINEN WIDERSTAND
Heribert Prantl

Hardcover mit
Schutzumschlag
368 Seiten | 24,90 €

Gedanken zu Zeit und Unzeit


Dieses Buch ist eine Laudatio auf


Widerständler und Whistleblower.


Es ist ein Lobpreis auf die Unangepassten,


auf die Demokraten des Alltags, auf


die Verteidiger der Grundrechte.


Das Buch ist eine Verbeugung vor den


Geschichten und der Geschichte


des Widerstands. Es ist ein kleines


Denk-Mal für die Gedenktage,


für Feiertage und die Sonntage.

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