Süddeutsche Zeitung - 02.11.2019

(Barré) #1
von arne perras

Singapur –Rechtzeitig zumMonatsende
meldete die Marine von Bangladesch: Al-
les bereit. Die Arbeiten auf der vorgelager-
ten Insel Bhasan Char sind demnach so
gut wie abgeschlossen, alle Unterkünfte
fertig. Nun fehlen nur noch die Bewohner,
die Premierministerin Sheikh Hasina dort
gerne ansiedeln möchte. 100000 Men-
schen hätten Platz in den neuen Behausun-
gen von Bhasan Char, erklärt die Regie-
rung. Doch Kritiker haben große Zweifel,
dass eine kleine Schlickinsel im Indischen
Ozean tatsächlich geeignet ist für einen sol-
chen Umzug.
Bhasan Char – kaum doppelt so groß
wie Amrum – provoziert Streit weit über
die Grenzen des asiatischen Staates hin-
aus. Es geht um die Sicherheit von Flücht-
lingen und um deren Würde.
Bangladesch möchte einen Teil der ver-
triebenen Rohingya aus Myanmar, die
sich seit 2017 in riesigen Lagern entlang
der Grenze drängen, auf die entlegene In-
sel umsiedeln. Dafür hat der Staat umge-
rechnet 250 Millionen Euro investiert und
drei Jahre lang gebaut. Luftbilder zeigen

auf der Insel eng stehende, lange Gebäude
mit roten Dächern, die an eine Militärka-
serne erinnern. Rund um die Siedlung ha-
ben Bautrupps Flutbarrieren errichtet,
weil man weiß, dass die Insel bei schwe-
rem Wetter leicht überschwemmt wird.
Der Staat versichert, dass der Hochwasser-
schutz taugt, aber Flüchtlingshelfer sind
skeptisch. Die USA wollen, dass Dhaka den
Umzug zumindest so lange aufschiebt, bis
unabhängige Experten die Insel überprüft
haben. Ob sich die Regierung darauf ein-
lässt, ist bisher offen, immer wieder hat
sie auf einen baldigen Transfer gedrängt.
Um Bhasan Char zu erreichen, braucht
man von der nächsten menschlichen Sied-
lung mit dem Boot mehr als zwei Stunden.
Vor zwanzig Jahren hat es diesen Ort noch
gar nicht gegeben, 2002 wurde die Insel
erstmals gesichtet. Sie besteht aus abgela-
gerten Sedimenten, wie sie von den gro-
ßen Strömen Südasiens – Meghna, Brah-
maputra und Ganges – durch das Delta in
den Indischen Ozean hinaustragen wer-
den. Bhasan Char bedeutet auf Bengali
„schwimmende Insel“, sie hat seit ihrer
Entstehung mehrfach ihre Form und Grö-
ße verändert, wie Satellitenbilder zeigen.

Sie ist mit Wasserkanälen durchzogen,
rundherum wachsen Mangroven, aber es
hat sich hier nie jemand dauerhaft nieder-
gelassen, was darauf hindeutet, dass die
Einheimischen großen Respekt vor den Tü-
cken dieser noch recht jungen Insel haben.
Bhasan Char ist so flach, dass große Tei-
le in kürzester Zeit überfluten, wenn es in
den Monsunmonaten heftig regnet oder

wenn Zyklone auf das Delta zurasen und
Sturmfluten aufpeitschen. Ein Bericht der
Forstbehörde listete die Gefahren schon
im Februar 2017 auf, doch die Regierung
ging dennoch voran, sie kam zu dem
Schluss, dass man mit technischen Mit-
teln der Risiken schon Herr werden könne.
Sie ließ also rundherum Flutbarrieren er-
richten, dazu mächtige Pylonen, die eine
Erosion des Bodens verhindern sollen.
Und turmähnliche Schutzräume für die
künftigen Bewohner, wenn Stürme toben.
Flüchtlingsexperten reagierten an-
fangs sprachlos, manche hielten das Vorha-
ben für einen Witz, was sie so allerdings
nur in privaten Gesprächen äußerten. Ban-
gladesch ließ sich unterdessen nicht vom
Plan abbringen. Solartechnik wird dort
draußen Strom liefern, Sammelanlagen
Regenwasser auffangen. Und die ersten
Flüchtlinge könnten schon im November
übergesetzt werden, berichteten Medien
in Bangladesch.
In lokalen Zeitungen ist von 4000 bis
7000 Flüchtlingen die Rede, die auf Listen
der Regierung stehen und den Anfang ma-
chen sollen. Niemand solle zu einem Um-
zug gezwungen werden, versichern Vertre-

ter der Regierung. Aber das Wort „freiwil-
lig“ hat einen hohlen Klang für Menschen,
die zur Flucht aus ihrer Heimat gezwun-
gen wurden und nun in eine ungewisse Zu-
kunft blicken. Der Flüchtling Abul Kalam
sagte der ZeitungNew Age, dass die Regie-
rung ihnen Versprechungen gemacht ha-
be. Der neue Ort auf der Insel sei sicher
und es werde für sie gesorgt. „Wir haben ja
kaum eine andere Wahl, als dorthin zu ge-
hen, denn wir können nicht zurück nach
Hause nach Rakhine.“ Er spricht von sei-
ner Heimat im Westen Myanmars, wo das
Militär 700 000 Muslime vertrieb. Es war
der größte asiatische Exodus seit dem Viet-
namkrieg. Myanmar verweigert den Ro-
hingyas Staatsbürgerrechte. Die UN bekla-
gen, dass die religiöse Minderheit 2017 mit
„genozidaler Absicht“ aus dem überwie-
gend von Buddhisten bevölkerten Myan-
mar vertrieben worden sei. Die Täter blie-
ben bisher straffrei.

Für die Rohingya bedeutet dies, dass ih-
nen der Weg in die Heimat versperrt ist, ei-
ne Rückkehr nach Myanmar wäre lebens-
gefährlich. Viele lehnen einen Umzug auf
die Insel ab. Als die Regierung die Pläne
für Bhasan Char, erstmals bekannt mach-
te, sagten manche Rohingya, dass sie lie-
ber sterben wollten als hinaus aufs Meer
zu ziehen. Der 23-jährige Maung Maung
Soe sagte dem australischen Newsnet-
work ABC: „Bhasan Char wird wie ein Ge-
fängnis für die Rohingya sein.“
Brad Adams von Human Rights Watch
Asia drückte in einem Kommentar aus,
was viele Flüchtlingshelfer denken: „Ver-
folgte und traumatisierte Menschen ein-
fach auf Bhasan Char abzuladen, wo ihr Le-
ben erneut in Gefahr ist, das bringt keine
Lösung“. Er nannte den Plan schon 2017
„grausam“ und „nicht umsetzbar“. Hinzu
kommen Befürchtungen, dass eine mas-
senhafte Umsiedlung an ungeeignete Orte
neue Krisen provoziert. Erfahrungen mit
Flüchtlingszentren auf pazifischen Inseln,
die Australien nutzt, um Migranten fernzu-
halten, sind warnende Beispiele. Sie glei-
chen Internierungslagern, Menschen lei-
den dort unter gewaltigem psychischen
Stress, weil die Orte keine Beschäftigung
bieten, weil sie ausweglos erscheinen.
Dhaka drängt darauf, dass die Internati-
onale Gemeinschaft die Pläne absegnet,
die Vereinten Nationen sind noch damit be-
schäftigt, das Vorhaben zu prüfen. Der
Druck aber wächst, denn kaum ein Land
ist bereit, Rohingya aufzunehmen, um
Bangladesch zu entlasten. Insofern sieht
sich Dhaka gezwungen, selbst neue Plätze
zu finden in einem Staat, der schon ohne
Flüchtlinge extrem dicht besiedelt ist und
durch einen steigenden Meeresspiegel
auch noch viel Land verlieren wird.

Peking –Der Handelsstreit mit den USA,
das abflauende Wirtschaftswachstum
und der anhaltende Massenprotest in
Hongkong setzen Chinas Regierung seit
Monaten unter Druck. Anlass für Kritik an
Präsident Xi Jinping scheint das aber in
den eigenen Reihen bisher nicht zu sein.
Zumindest nicht auf offener politischer
Bühne. Diese Woche traf sich die Füh-
rungsspitze der Kommunistischen Partei
zu dem wichtigsten politischen Ereignis
dieses Jahr in China. 370 Mitglieder und
Kandidaten des Zentralkomitees kamen
für das lang erwartete vierte Plenum des
Zentralkomitees zusammen. Das viertägi-
ge Treffen startete mit einer deutlichen
Verspätung. Vor 20 Monaten hatte sich die
Parteispitze zuletzt in diesem Rahmen ge-
troffen. Eine ungewöhnlich lange Zeit-
spanne, die zu Spekulationen über mögli-
che Querelen innerhalb der Partei geführt
hatten.

Am Freitag war davon aber nichts zu hö-
ren. Die Staatsmedien verkündeten ge-
schlossen, das Plenum habe die Parteifüh-
rung in ihrem Kurs bestärkt. Kritiker am
Präsidenten, die sich in den vergangenen
Monaten teilweise auch öffentlich geäu-
ßert hatten, haben sich damit anschei-
nend nicht durchsetzen können. Zugleich
erwähnt die Staatsführung in ihrem recht
vagen Abschlusskommuniqué am Don-
nerstag lediglich „wachsende Herausfor-
derungen zuhause und im Ausland“. Mög-
liche Strategien oder konkrete Reformvor-
schläge fehlten in dem kurzen Dokument.
Dafür forderte das Plenum „die gesamte
Partei und alle Menschen in China“ dazu
auf, sich noch enger hinter dem Zentralko-
mitee und dem „Genossen Xi Jinping in
dessen Zentrum“ zu versammeln.
Beschlüsse solcher Plenen können
durchaus weitreichend sein. 1978 kündig-
te Deng Xiaoping bei einem Plenum des
Zentralkomitees die Wirtschaftsreformen
an, die später den ökonomischen Aufstieg
der Volksrepublik ermöglichten. Diese
Woche blieben solche grundlegenden Ent-
scheidungen aber aus. Auch wenn einige

Beschlüsse erst in einigen Wochen und
Monaten folgen könnten, wirkt das offizi-
elle Dokument eher so, als solle es vor al-
lem beruhigen. Der Handelsstreit mit den
USA, indem weiterhin keine langfristige
Einigung in Sicht ist, wird gar nicht er-
wähnt. Ebenso Xinjiang und die Kritik an
der Politik Xis in der Provinz. Erst am
Dienstag hatten Deutschland, Großbritan-
nien und die USA mit 20 weiteren Staaten
die willkürliche Inhaftierung von Uiguren
und Angehörigen anderer muslimischer
Gemeinschaften angeprangert.
Bemerkenswert sind allerdings einige
wenige Zeilen zu Hongkong. Nach Mona-
ten der Massendemonstrationen in der
Stadt will Peking die autonome Sonderver-
waltungsregion anscheinend besser in
den Griff bekommen. So soll das „Rechts-
system und die Vollstreckungsmechanis-
men zum Schutz der nationalen Sicher-
heit“ verbessert werden. Wohlstand und
Stabilität müssten langfristig gesichert
werden. Welche Schritte dafür genau un-
ternommen werden sollen, ging aus dem
Kommuniqué nicht hervor.
In einer Pressekonferenz am Freitag
kündigte die Regierung in Peking zudem
an, das Bildungssystem in Hongkong re-
formieren zu wollen und dort stärker die
„Verfassung, das Hongkonger Grundge-
setz und die nationalen Begebenheiten
Chinas“ lehren zu wollen. „Durch histori-
sche und kulturelle Bildung sollen die Mit-
bürger in Hongkong und Macau ihr Natio-
nalgefühl und ihren Patriotismus stär-
ken“, so ein Sprecher. Die Idee weckt Erin-
nerungen an die Proteste in Hongkong vor
sieben Jahren, als die Regierung bereits
einmal Patriotismus zu einem Pflichtfach
in der Schule machen wollte. Damals hat-
ten die Behörden die Pläne nach Massen-
protesten zurücknehmen müssen.
Parallel zu der Ankündigung aus Pe-
king erwirkte die Regierung in Hongkong
Beschränkungen der digitalen Kommuni-
kation in der Stadt. Ein Gericht erließ am
Donnerstag eine einstweilige Verfügung
und verbot Nutzern von Messengerdiens-
ten wie Telegram oder dem Onlineforum
LIHKG Botschaften zu verbreiten, die zu
Gewalt „ermutigen oder anstiften.“ Das
Verbot erging auf Antrag des Justizminis-
teriums und nannte als Ziel ausdrücklich
Aktivisten der Bewegung. lea deuber

Bethlehem– Um von Bethlehem zu „Da-
hers Weinberg“ und dem Olivenhain zu
kommen, muss man über einen fast
mannshohen Schuttberg klettern. Denn
die Straße wird seit 2002 von jüdischen
Siedlern blockiert. Statt zehn Minuten
braucht der Palästinenser Daoud Nassar ei-
ne halbe Stunde, um zu seinem Grund-
stück zu gelangen.
Das 42 Hektar große Gelände, neun Ki-
lometer von Bethlehem entfernt, liegt na-
he der palästinensischen Ortschaft Naha-
lin im Westjordanland auf einem Hügel –
umgeben von fünf jüdischen Siedlungen,
die immer näherrücken. Newe Daniel mit
seinen 2370 Einwohnern ist nur wenige
hundert Meter entfernt. Die 1982 gegrün-
dete Siedlung gehört zu Gusch Etzion, ei-
nem der größten Siedlungsblöcke im West-
jordanland.
Als Daoud Nassars Großvater Daher das
Grundstück 1916 kaufte, herrschten die
Türken. Damals unüblich, hat er das Land
registrieren lassen – bei jedem Wechsel
der Herrscher aufs Neue: zuerst bei den
Türken, dann bei den Engländern und Jor-
daniern und schließlich bei der israeli-
schen Regierung. 1991 erklärte Israel ei-
nen Teil des Grundstücks zu Staatsbesitz.


Das Gelände liegt im sogenannten C-Ge-
biet im Westjordanland, das von Israel ver-
waltet wird. Familie Nassar zog vor Ge-
richt und wartet seit 28 Jahren auf ein ab-
schließendes Urteil. 180 000 Dollar haben
die gerichtlichen Auseinandersetzungen
bisher gekostet. „Aber wir sind noch im-
mer hier und haben kein Land verloren.
Auch wenn wir immer mehr Probleme be-
kommen haben“, sagt Daoud Nassar.
Vor allem 2001 sind die Auseinanderset-
zungen mit den radikalen Siedlern eska-
liert. „Sie haben unsere Bäume ausgeris-
sen, uns mit Maschinengewehren bedroht
und mehrmals versucht, eine Straße
durch das Gelände zu bauen.“ 2014 hat das
israelische Militär zehn Tage vor der Ernte
die Plantage mit Aprikosenbäumen zer-
stört. „Wir haben hier auch juristisch re-
agiert, aber bis jetzt nichts gehört.“


Der 49-Jährige lebt mit seiner Frau und
den drei Kindern zeitweise auf dem Gelän-
de. Der christliche Palästinenser hat die
evangelisch-lutherische Schule Talitha
Kumi in Beit Dschala besucht und spricht
Deutsch. Nach einem Betriebswirtschafts-
studium in Bethlehem hat er in Bielefeld ei-
nen Aufbaulehrgang für Tourismus absol-
viert. Er arbeitete auch in dem Bereich,
ehe es ihn wie seine Vorfahren zur Land-
wirtschaft und auf sein Grundstück zog.
Er lebt allerdings nicht mehr in einer Höh-
le auf dem Gelände wie sein Großvater Da-
her und sein Onkel Nayef bis Ende der
Achtzigerjahre.
Inzwischen gibt es Hütten auf dem
Grundstück. Aber sie sind von Abriss be-
droht, weil es keine Baugenehmigung von
israelischer Seite gibt. Einen Raum, den
man für Besprechungen nutzen kann, hat
Nassar deshalb wie einen Keller in die Er-
de gebaut. Und er hat keine Leitungen für
Wasser und Strom.
Zur Erntezeit reisen seit 2002 freiwilli-
ge Helfer an. Der Großteil von ihnen
kommt aus Deutschland, viele aus christli-
chem Umfeld. Es ist nicht nur ihre Arbeits-

kraft willkommen, sondern sie haben
noch eine andere Funktion: „Gott sei Dank
sind sie hier bei uns. Die internationale
Präsenz spielt eine große Rolle, das ist eine
Schutzfunktion“, sagt Nassar.
Denn der Olivenhain der Familie blieb
trotz der exponierten Lage während der
Erntezeit von Angriffen radikaler Siedler
verschont, seit Ausländer da sind. Wie bei
der Familie Nassar hängt für viele Palästi-
nenser das Einkommen von der Olivenern-
te ab. Etwa hunderttausend Familien le-
ben davon. Ungefähr ein Fünftel der land-
wirtschaftlichen Produktion besteht aus
Oliven.
Die Olivenernte ist alljährlich eine Zeit,
in der es zu Auseinandersetzungen zwi-
schen Israelis und Palästinensern kommt.
Dieses Jahr ist es besonders schlimm: Der
Nahostkonflikt wird auf den Feldern aus-
getragen. 22 Angriffe von radikalen Sied-
lern gab es laut palästinensischen Medien-
berichten in den ersten zwei Wochen seit
Beginn der Ernte. Besonders brutal war ei-
ne Attacke in der Nähe des palästinensi-
schen Dorfes Burin. Dort halfen Mitglie-
der der Gruppe „Rabbiner für Menschen-

rechte“ Palästinensern bei der Ernte. Nach
ihren Angaben wurden sie von einer Grup-
pe maskierter Männer mit Steinen und Ei-
senstangen angegriffen. Der 80-jährige
Rabbiner Mosche Jehudai wurde mit Ver-
letzungen am Kopf und an den Armen in
ein Krankenhaus gebracht. Vier weitere
freiwillige Helfer aus den USA und aus Eu-
ropa wurden verletzt.
Drei Tage später kam es in der Nähe er-
neut zu einem Überfall, drei Bauern wur-
den verletzt, ein Teil der Ernte gestohlen
und ein Olivenhain in Brand gesteckt. Die
Angreifer sollen aus den umliegenden
Siedlungen und illegalen Außenposten ge-
kommen sein.
„Bisher hat es uns nicht getroffen“, sagt
Daoud Nassar. Dass er und die anderen sie-
ben freiwilligen Erntehelfer aus Deutsch-
land als Art Schutzschild fungieren, ist
Götz Salisch bewusst: „Natürlich! Es ist
wichtig, dass immer Leute da sind. Eine in-
ternationale Repräsentanz schreckt ab.“
Der 78-jährige ehemalige Sozialpädagoge
aus einem Ort nahe Lübeck ist schon zum
fünften Mal hier und bedauert, dass es in
diesem Jahr vergleichsweise wenige Oli-
ven gebe.
„Jedes Mal, wenn wir herkommen, ist
die Siedlung wieder ein stück weiter ge-
baut. Mittlerweile wohnen hier 60 000
Menschen“, sagt er mit Blick auf den in
Sichtweite liegenden Ort Betar Illit. Das ist
die zweitgrößte jüdische Siedlung im West-
jordanland, die sich hinter dem palästinen-
sischen Dorf Nahalin mit seinen 6000 Ein-
wohnern den Hügel hinaufzieht. „Wenn
man abends sieht, wie Nahalin fast im Dun-
keln liegt und dann ist da die Riesenbe-
leuchtung der Siedlung und Rasenspren-
ger laufen. Und hier wird um Wasser ge-
kämpft. Da muss man sich zusammenrei-
ßen.“
Der 80-jährige Dietrich von Bodel-
schwingh aus dem nordrhein-westfäli-
schen Bünde hilft schon seit 2010 immer
wieder bei der Ernte und den anfallenden
Arbeiten auf Nassars Grundstück mit. Er
glaubt fest daran, „dass sich die Zeiten än-
dern und wir hier einmal Lehmhäuser bau-
en können“. Auch Daoud Nassar gibt die
Hoffnung nicht auf: „Irgendwann werden
wir als gleichberechtigte Nachbarn hier le-
ben und in Ruhe unsere Ernte einbringen
können.“ alexandra föderl-schmid

Istanbul/Moskau– In Nordsyrien haben
die Türkei und Russland mit gemeinsa-
men Patrouillen an der türkisch-syri-
schen Grenze begonnen. Das berichteten
die türkische Agentur Anadolu und der
Sender TRT am Freitag. Dem türkischen
Verteidigungsministerium zufolge gin-
gen die Militärs zunächst östlich der syri-
schen Grenzstadt Al-Darbasia auf Strei-
fe. Das Moskauer Verteidigungsministeri-
um bestätigte, dass die erste Patrouille
sich in Richtung Westen die syrisch-türki-
sche Grenze entlang bewege. Es seien
„neun Einheiten, Sicherungsfahrzeuge
und Transporter der russischen Militär-
polizei“ unterwegs. Die Patrouillen sind
Ergebnis des Abkommens der Türkei mit
Russland vom 22. Oktober, rund zwei Wo-
chen nach Beginn der international kriti-
sierten türkischen Militäroffensive ge-
gen die Kurdenmiliz YPG in Nordsyrien.
Die Türkei betrachtet die YPG als Terror-
organisation und wollte sie aus dem
Grenzgebiet vertreiben. Russland ist
Schutzmacht der syrischen Regierung.


Das Abkommen, das auf eine Waffenruhe
hinauslief, sah zunächst den Abzug der
YPG aus Grenzgebieten bis Dienstag vor.
Russland zufolge ist er abgeschlossen.
Die Türkei hatte gedroht, ihre Offensive
fortzusetzen und das Gebiet von „Terro-
risten“ zu „säubern“, sollten Kämpfer ver-
bleiben. Laut Abkommen sollten sich die
YPG-Kämpfer auf 30Kilometer von der
türkischen Grenze zurückziehen. Die tür-
kisch-russischen Patrouillen sollen zehn
Kilometer tief nach Syrien vordringen.
Währenddessen haben die Außenmi-
nister der mit Syrien befassten „Small
Group“ die Konstituierung des Verfas-
sungskomitees für das Bürgerkriegsland
begrüßt. „Dies ist ein lang ersehnter posi-
tiver Schritt, der ernsthafte Bemühun-
gen und Einsatz erfordert, um Aussicht
auf Erfolg zu haben“, teilten die Minister
der USA, Frankreichs, Großbritanniens,
Deutschlands, Saudi-Arabiens, Ägyptens
und Jordaniens in einer am Freitag in Ber-
lin verbreiteten Erklärung mit. Dies kön-
ne die Umsetzung weiterer Aspekte der
UN-Sicherheitsratsresolution 2254 er-
gänzen, „darunter die tatsächliche Beteili-
gung aller Syrer am politischen Prozess,
insbesondere der Frauen“. Die Außenmi-
nister unterstützten Bemühungen zur
Schaffung eines Umfelds, das freie und
faire Wahlen unter UN-Aufsicht ermögli-
che. Sie fordern sofortigen landesweiten
Waffenstillstand, für die Krise könne es
keine militärische Lösung geben, nur ei-
ne politische Einigung auf Grundlage der
Resolution 2254 des Sicherheitsrats.
Am Vortag hatte der neu gegründete
syrische Verfassungsausschuss in ange-
spannter Atmosphäre und mit hitziger
Debatte über die Rolle der Armee im Bür-
gerkrieg die Arbeit begonnen. Die Erfolgs-
erwartungen sind gering. dpa


700 000 Muslime
sind vom Militär aus Myanmar
vertrieben worden

Dem Untergang geweiht


Bangladesch will Tausende Rohingya-Flüchtlinge auf eine entlegene Insel umsiedeln. Das Problem:
Das aus Sediment-Ablagerungen entstandene Eiland wird bei Stürmen in kürzester Zeit überflutet

Zeit der Ernte, Zeit des Ärgers


Der Olivenbauer Daoud Nassar träumt von einem gleichberechtigten Leben neben den Siedlern im Westjordanland


Kurs halten


Chinas KP bestärkt ihre Führung und verzichtet auf Kritik an Xi


22 Angriffe von radikalen


Israelis gab es in den ersten


zwei Wochen der Ernte


Gemeinsame


Patrouillen


Russische und türkische Soldaten
im nordsyrischen Grenzgebiet

Außenminister begrüßen


Verfassungskomitee für Syrien


DEFGH Nr. 253, Samstag/Sonntag, 2./3. November 2019 HMG POLITIK 9


Vertrieben und verlassen: Zwei Kinder spielen im Rohingya-Flüchtlingslager Kutupalong in Bangladesch. FOTO: MUNIR UZ ZAMAN/AFP

Golf von
Bengalen

Bhasan Char

BANGLADESCH

INDIEN

MYANMAR

60 km
SZ-Karte/Maps4News

Dhaka

Das Einkommen von etwa 100000 palästinensischen Familien hängt von der
Olivenernteab. FOTO:HAZEM BADER / AFP

Peking will die Situation
in Hongkong
besser in den Griff bekommen
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