Berliner Zeitung - 02.11.2019

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Berliner Zeitung·Nummer 255·2./3. November 2019–Seite 25
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Feuilleton


„AusschließenisteineganzblödeHaltung.Herablassungauch.“


CorinnaHarfouchimGesprächüberKunstundGesellschaft Seiten 26 und 27


W


as für eine familiäre
Kooperation! Margot
(Barbar aAuer)organi-
siertals Mitarbeiterin
derominösen„Koko“(Kommerzielle
Koordinierung) den Verkauf von
DDR-HäftlingenindenWesten.Ihre
SchwesterSilvia (Nicolette Krebitz)
empfängt im westdeutschen Auf-
nahmelager dieNeu-Bundesbürger.
Siewar als jungeMutter einst mit
Margots Hilfe ausgereist und hatte
ihreKinder der großen Schwester
überlassen.DieMauer störte nicht
etwa unsereGeschäfte,die Mauer
war unserGeschäft, kommentiert
dazu einGenosse aus dem Off, der
neu in der „KoKo“vonAlexander
Schalck-Golodkowski arbeitet und
dem Zuschauer immer wieder er-
klärt,wieundwarumdiesezwielich-
tige Abteilung Geschäfte machte:
DerStaatbrauchteDevisen.
DieMauer alsGeschäft –das gilt
auch für dieFernsehsender,die zu
jedem Jahrestag neue DDR-Melo-
dramen liefern.DieFixierung auf
wenige historischeDaten hatte der
Medienwissenschaftler Matthias
Steinle,deranderPariserSorbonne
lehrt, 2015 in einemAufsatz analy-
siert: „Die DDR steht in den deut-
schen Nachwendedokudramen nur
als Ruine auf, derenVerfall anhand
vondreiKrisendaten erzählt wird–
1953-1961-1989.“ Nunkönnte ein
GroßprojektwiedieserZDF-Dreitei-
ler anno 2019 aber durchausNeues
oderandereserzählenalsDutzende
Flucht-Stasi-Wende-Melodramen
zuvor .Die MünchenerProduzentin
Gabriela Sperl, die mit vielSen-
dungsbewusstsein deutsche Ge-
schichte imFernsehen aufarbeitet
und hier auch alsDrehbuchautorin
fungierte,erklärt: „Wir erzählen die
Zersetzung einer korrupten DDR-


Elite,die sich zunehmend mitRe-
pressionanderMachthieltunddie
niebelangtwurde,weilsiedenWes-
ten mit ihrem Wissen erpressen
konnte.“ Gleichzeitig solle aufge-
zeigt werden, „wie derWesten die
Schwächen desSystems wirtschaft-
lichfürsichausnutzte“.
SchonimZDF-Mehrteiler„Tann-
bach“,derineinemgeteiltenthürin-
gisch-fränkischenDorfspielte,hatte
Sperl deutsch-deutscheHistorie ge-
geneinander geschnitten.Ihre Ko-
Produzenten bei „Tannbach“ wie
auch bei „Preis der Freiheit“ sind
MaxWiedemann undQuirin Berg,
diemiteinemDDR-Melodrameinst
ihreKarrier egestartet hatten: „Das
Leben der Anderen“.DerFilm von
Florian Henckel vonDonnersmarck
hattemitderFigureinesgeläuterten
Stasi-Offiziers tatsächlich eine an-
derePerspektivegefunden.
Gefühlt jeder dritteTV-Krimi der
90er-Jahrebrachte eine kriminelle
Stasi-SeilschaftinsSpiel.Inzwischen
sinddie OstgeisterimTV-Krimizwar
inRentegegangen,vertuschteDDR-
Verbrechen spielen aber immer
noch eine großeRolle,wie etwa in
der kommenden Woche mehrere
Krimis zeigen. So suchen dieSoko
Leipzig und dieSokoWien gemein-
sam nach Leuten, die geheimes
DDR-Vermögender„Koko“nachÖs-
terreich schmuggelten. Im neuen
ErzgebirgskrimidesZDFgehtesum
AltlastendesUranabbaus,derkom-
mendeBerliner„Tatort“wirdsichan
derDDR-Todesstrafeabarbeiten.
Dabeihatteesindenverg angenen
Jahren eine ganzeReihe Kino- und
FernsehfilmeüberdieDDRgegeben,
die nicht aufklären, belehren oder
gruseln wollten, sondernden Men-
schen Individualität zugestanden,
abzulesen schon anFilmtiteln wie

„Barbara“, „Kruso“ oder „Gunder-
mann“. Auffällig auch, dass dievom
Grimme-Institut prämierten Filme
überdieDDRselteninJubiläumsjah-
renentstanden, in denen offenbar
eine höhereBotschaft mitzuschwin-
genhat.So gabes2015denPreisfür
zwei Serien,beidenensichderZDF-
DreiteilerumdieungleichenSchwes-
ternjetztbedient:dieARD-Familien-
saga„Weissensee“unddieSpionage-
serie„Deutschland83“vonRTL.
Schon letztereProduktion hatte
mit der Devisenjagd der„Koko“ ge-

spielt –dortaber wirklich sehr frei
und unbekümmert, oft als absurde
Farce. DasZDF stellt dieses Thema
nun dröhnend in denMittelpunkt,
zeigt, wie dieGeheimtruppe nicht
nur am Häftlingsverkauf, sondern
auch an der Übernahme desWest-
berliner Mülls und dem internatio-
nalenWaffenhandelverdiente.Ind er
obligatorischen Begleit-Dokuwer-
den die historischenDetails erklärt,
gernmit dem Verweis„wie auch im
Spielfilm gezeigt“. Zu jenemThema
aber,dasdiezweiteHälftedesDrei-

TorstenWahl
hat sich durch den Dreitei-
ler tapfer durchgekämpft.

DieMauer


istihr


Geschäft


DerZDF-Dreiteiler


„DerPreisderFreiheit“führtvor,


woranDDR-Melodramenimmer


wiederscheitern


VonTorstenWahl


teilersbestimmt,nämlichdieVersu-
che der„Koko“, dasGeheimvermö-
gen nach demMauerfall beiseite zu
schaffen, liefertdie Doku nur einen
einzigenSatz: „Bis heute wirdüber
veruntreute Millionenspekuliert.“
Repräsentiertwirddie „Koko“in
dem Film zum einenvonThomas
Thieme als Schalck-Golodkowski,
der seit „Das Leben der Anderen“
immerwiederDDR-Funktionärege-
spielt hat und der hier eine Artver-
hindertenReformer verkörpert. Für
die Drecksarbeit zuständig ist sein
Mitarbeiter Schneider,dem Oliver
Masucci den Charme eines Ge-
brauchtwagenhändlersmitgibt.
Wie„Weissensee“ will dasvom
SchweizerMichael Krummenacher
in Szene gesetzte ZDF-Pendant alle
Konflikte der späten DDR in einer
Familie zusammenführen. Zu den
beiden Schwestern, die jeweils auf
der anderenSeite der Grenzeden
Häftlingsverkauf organisieren,
kommt noch eine dritte namens
Lotte (NadjaUhl), die sich in der
Umweltbewegung engagiert. Doch
zukeinerSekundepassendiesedrei
Frauen als Schwesternzusammen–
ihregemeinsameHerkunftwir dnur
behauptet.Ihre Mutter,gespieltvon
Angela Winkler als unbarmherzige
Stalinistin, schleudertstets politi-
scheParolenvonsich.Dialogehören
sich dann so an: „Wie vieleMen-
schen willst du noch auf deinem
Bonzen-Altar opfern?“, fragt Lotte,
worauf dieMutter ihr eerwachsene
Tochte rzurecht weist: „Mach das
Westradio aus–sofort!“ „Komplett
abwesend in allen Filmen ist die
SphäredesAlltagsinseinerbanalen
Form“, stellteMedienexperteMat-
thias Steinle 2015 in seiner Analyse
über DDR-Dramen heraus,das gilt
überweiteStreckenauchhier.

Selbst die Generation derKinder
wirdnurüb erpoliti scheSchablonen
beschrieben:MargotsAdoptivtoch-
terChristaverkündetstolzihreKan-
didatur für die SED und hört1987
nochdiePuhdys,ihrBruderda gegen
will vorder offenbar völlig überra-
schendenEinberufung zur Armee
überdieSpreefliehen,wirdaberge-
stelltundkommtinsGefängnis.Lot-
tesSohnIngowir dvonVolkspolizis-
ten verprügelt, lerntvonNeonazis
den Hass au fdie„rotenDrecksäue“
undlandetimJugendwerkhof.
Wiedie friedensbewegteMutter
um denSohn kä mpft, wäre einen
Extrafilm wert.Nadja Uhls Spiel ge-
hörthierzudenwenigenwahrhafti-
gen Momenten. DieSchau spieler
haben es schwer,ihreFiguren von
den Konstruktionen zu befreien.So
wirktMargot als Schalcks rechte
Hand betont ambivalent.Einerseits
verhöker tdie Frau skrupellos selbst
schwerkranke DDR-Häftlinge gen
Westen ,andererseits will sie aber
eine Reformerin sein, die für den
wahren Sozialismus streitet.Diesen
Spagat kann keiner spielen, selbst
BarbaraAuernicht. Doch nicht nur
die Ost-Figurenwerden als politi-
sche Lautsprecher ausgestellt–die-
sesMankotrifftihrewestlichenPen-
dantsgenauso.Som ussFabianHin-
richshier die Arroganz derBonner
Politikausspielen.
Gabriela Sperl hofft, ihr Film
möge zur deutsch-deutschenVer-
söhnung beitragen.Dazu müsste er
erst einmal das deutsch-deutsche
LebenzurKenntnisnehmen.

„Der Preis derFreiheit“: Else Bohla (Angela Winkler,2.v.r.) mit ihren TöchternIna (Nicolette Krebitz, l.), Lotte (Nad-
ja Uhl, 2.v. l.) und Margot (Barbara Auer,r.). ZDF Mediathek, 4.–6. 11., 20.15 Uhr,ZDF ZDF/MATHIAS BOTHOR

„Der vierte Mann“: SpurensichererFranzWohlfahrt(Helmuth Bohatsch), Major CarlRibarski (Stefan Jürgens) und
Kriminaloberkommissar Jan Maybach (Marco Girnth,v. l.)). 8. 11., 20.15 Uhr,ZDF ZDF/PETRO DOMENIGG

„Erzgebirgskrimi: DerTote im Stollen“:Kommissarin Szabo (Lara Mandoki) sucht ErichFichtner (Christian Grashof)
in seinem Laden mit Handwerkskunst auf. 9. 11., 20.15 Uhr,ZDF ZDF/UWE FRAUENDORF

„Tatort: Das Leben nach demTod“: Nina Rubin (Meret Becker) überrascht Karow (MarkWaschke) in einem Moment
der Einsamkeit undTrauer.10.11., 20.15 Uhr,ARD ARD

Das fliegendeAuge:
BerlinerFilmfestival
„Soundwatch“
Seite 28
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