Berliner Zeitung - 02.11.2019

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Berliner Zeitung·Nummer 255·2./3. November 2019 3 **·························································································································································································································································································

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WasverbindetHerthanerundUnioner?


WasistausderFreundschaftderBerlinerFansinOstundWest,


dieindenSiebzigerjahrenbegann,geworden?


Warumhatmansichauseinandergelebt?


EineGeschichteüberFußballundGefühl


vordemgroßenBundesliga-Derby


B


erlin-Lichtenberg,Mitte der Sieb-
zigerjahre.InderWohnungderFa-
milieKleinsteigteineGeburtstags-
feier,mit dabei ist wie immer die
Verwandtschaft ausWest-Berlin.Solche Fa-
milienfeste müssen wegen der Berliner
Mauer stets imOsten der Stadt stattfinden.
Bleibt die spannendeFrage für den damals
10-jährigenTorsten-JörnKlein,welchesMit-
bringsel dieVerwandten aus demWesten
wohldabeihabenwerden.DiesesMalistes
eine blau-weißePudelmützemit dem Logo
desFußball-BundesligistenHerthaBSC. Va-
terund OnkelsetzendemJungendieMütze
mitden Wortenauf:„DubistabjetztHertha-
ner,sow ie unsereganzeFamilie.“Diese
WortewerdenfortanvonBedeutungsein.
Torsten-Jörn, der jungeFußballanhänger,
verfolgt fortan intensiv dieSpiele der Mann-
schaftausWedding.SeitGründungderBun-
desliga imJahr 1963 spielt dieHertha im
Olympiastadion–nicht allzuweit wegvon
Lichtenbergunddochsofern.
Vier Jahrespäter,imF rühjahr 1978, will
Torsten-Jörn,inzwischen14,dieHertha-Pro-
fisendlicheinmalausderNähesehen.Diese
selteneGelegenheitbietetsichbeieinemVer-
gleich innerhalb des deutsch-deutschen
Sportkalenders zwischenDynamo Dresden
undder Hertha.InderDDRwirddiesesDuell
als „InternationalerFußballvergleich“ titu-
liert, der Begriff „F reundschaftsspiel“ ist
streng verboten.FreundschaftmitdemKlas-
senfeind?Diedarfesa uchim Sporttrotzklei-
nererAnnäherungsversuchenichtgeben.


MitdemrotenSkodanachPrag

Torsten-JörnKlein will unbedingt nach
Dresden,seinVaterverbietetihmdieReise.
„Junge ,duh ast keineEintrittskarte,und es
ist ohnehin zu gefährlich“, sagt er.Knapp
ein Jahr später erfüllt sich derTraum, die
Hertha liv ezus ehen, doch noch. „Ich
konnte meinenVater überreden, mit mir
nachPragzufahren,woHerthaimUefa-Po-
kalbei DuklaPragantretenmusste“,erzählt
Klein,inzwischen55Jahrealt.Manreisteim
rotenSkodader Familie.Kleinerinnertsich:
„Über2000Hertha-FanswarenimStadion,
davon circa die Hälfte ,rot-weißeHertha-
ner‘,alsoFansdes1.FCUnion.Eswareine
tolle Stimmung.Mein erstesSpiel, das ich
vonmeinerHerthaliv egesehenhabe,bleibt
fürmichunvergessen.“
Torsten-JörnKlein,erfolgreicherMedien-
manager undInvestor,viele Jahreauch Ge-
schäftsführerdesBerlinerVerlages,istheute
imEhrenamtVorsitzenderdesAufsichtsrates
vonHertha BSC.Da hat sich ein Kreis ge-
schlossen, ein Kreis,der durchaus auch für
dieEinheitvonOstund Weststeht.
Klein sagt, es sei schade,aber wahr-
scheinlichauchnormal,dassausdereinsti-
genFan-FreundschaftzwischenHerthaund


Union mittlerweile eine Rivalität geworden
ist. „Nur die Anhänger beiderVereine,die
über 50Jahrealt sind, leben noch diese
Freundschaft, die überMauergrenzen hielt.
DiejungenLeuteleidernichtmehr.“
ÄhnlichseheneszweiZeitzeugen,diewie
Kleinvormehrals40Jahrendabeiwaren,als
die ersten zartenBande zwischen denFans
vonHerthaundUniongeknüpftwurden.
AndreasSattler,56JahrealtundausBran-
denburg/Havel,istUnion-Fanundweißna-
türlich noch genau, wann er das ersteMal
einSpielanderAltenFörstereibesuchthat.
„Daswar1973,undwirgewannenmit2:1ge-
genErfurt.“ AufderanderenSeiteder Mauer
gingKnutBeye r, 58,schonalskleinerJunge
mit seinemVater,einem Sportjournalisten,
insOlympiastadion–„dieHerthasehen“.
Sattler undBeye rerlebten am 26.April
1978 dasDuell zwischenDynamo Dresden
undHerthaBSC –ohnesichzukennen.„Ich
hatte immer auch einenBlick zu Hertha
überdieMauerhinweg“,sagtSattler,dessen
Bruder Holger in denAchtzigerjahren für
den1.FCUnioninderAbwehrspielte.„Wir
sindmitdemTrabinachDresdengefahren
undhabenspätervielgefeiert.VordemSta-
dion trafen wir auf dieHerthaner undver-
brüderten uns“, erzähltSattler.Und Beye r,
dasHertha-Urgestein,sagt:„InDresdenha-
benwirunsereUnion-Kumpelskennenund
schätzen gelernt.Aber erste loseKontakte
gabesschonzuvor,alsHerthainderInter-
Toto-Runde imJuli 1977 beiSlovan Bratis-
lavaind erCSSRantretenmusste.“
Irgendwo in diesemZeitraum kann man
den Beginn derFanfreundschaft zwischen
Hertha und Union vero rten. In den Siebzi-
gerjahren zogder Bundesligist Hertha,
1974/75 immerhin Meisterschaftszweiter
hinter Borussia Mönchengladbach, viele
FansausderDDR,speziellausOst-Berlinan,
eswarenvorallemAnhängervonUnion.Die
standen in heftiger Rivalität zum BFCDy-
namo,der vonden Sicherheitsorganen der

VonMichaelJahn


„Dass diesesZusam-


mengehörigkeitsgefühl


nicht vonDauer war,


ist sehr schade,


aber jeder musste nun


seinen eigenenWeg


finden.“


Andreas Sattler,Union-Fan

DDRunterstütztwurde.DerWiderstandge-
gendenvonderStaatsmachtgehätschelten
BFCgefielauchdenHertha-Anhängern,die
sichzureherkleinenUnionhingezogenfühl-
ten. Undumgekehrtsahen dieUnioner die
HerthahinterderMaueralseineArtUnder-
dog an, was teilweise stimmte,weil Hertha
zahlreiche Skandale und sogar einen

Zwangsabstieg erlebt hatte und in den gro-
ßen Bundesligaskandalvon1971 verwickelt
war,weil auchBerliner Profis Bestechungs-
gelderangenommenhatten.
KnutBeye r, zusammenmitThomasMat-
zat Autor des Buches „111Gründe,Hertha
BSCzulieben“,sagt:„DergroßeDurchbruch
in Sachen Freundschaft war das Uefa-Pokal-
spielderHertha1979inPrag.“Beye rschreibt
inseinemBuchüberdieZugreise ,beiderdie
Fangruppen ausWest und Ostaufeinander-
trafen:„I nderErinnerungbliebmir,dasswir
auf der Fahrtwahnsinnig viel gesungen, ge-
trunken und gefachsimpelt haben. Obwohl
ich die meistenZugestiegenen nicht kannte,
hatteichdasGefühl,als wennmanschonseit

MichaelJahn
freu tsichauf die heißeAtmosphäre an
der Alten Försterei.

JahrengemeinsamzumFußballging.Einege-
fühlteEwigkeitsangenwirgemeinsamimmer
wieder:Ja,wirhaltenzusammenwiederWind
unddas Meer,dieblau-weißeHerthaundder
FCUnion.“
ImStadionhatteHerthamit NorbertNig-
burim Tor,„Funkturm“UweKliemanninder
Abwehrund RegisseurErichBeer angesichts
dervereintenFankulisseeingefühltesHeim-
spielgegenDuklaPrag–undgewan nmit2:1.
Später,sagt Beye r, „war es Ehrensache,
dass wir unsereUnion-Kumpels besuchen
wollten“.Sofuhren Beye rundseineFreunde
immerwiederandieAlteFörsterei.„Daswar
auch eine ArtAbenteuer“, sagtBeye r, „mit
den Unionernauf den Rängen haben wir
symbolischdenDDR-OberendenMittelfin-
gerge zeigt.“
Auch Manfred Sangel, 60, der dreißig
Jahrelang das bekannte„Hertha-Echo“, ein
RadiovonFansfür Fans,gelei tetundmode-
rierthat,hatsichoftunterdieFansinKöpe-
nickgemischt.„Daswarfürmichaucheine
Zeitreise in denOsten, da hatesimBauch
immergekribbelt.Wirriefenoftallezusam-
men,EisernBerlin!‘“,sagter.
Knut Beye rist heuteStadtplaner.Ersagt
überseinefrüherenAusflügegenOsten:„Ich
bin als Lokalpatriot erzogen worden und
wollte immer meine gesamteHeimatstadt
erleben.MichhatauchderAlltaginOst-Ber-
lininteressiert,dashatmeinenHorizonter-
weitert.“
Union-Fan AndreasSattler, seit langem
mit Beye rbefreundet, erinnertsich beson-
ders ger nand as erste Derbynach demFall
derMauer.„ImJanuar1990beim2:1derHer-
tha gegenUnion vorüber 50000Fans im
OlympiastadionlagenwirunsalleindenAr-
men und haben dieNacht durchgefeiert.
Dass dieses Zusammengehörigkeitsgefühl
nichtvonDauerwar ,istsehrschade,aberje-
dermusstenunseineneigenenWegfinden.“
Beye rbezeichnet dasAuseinanderleben
der Fangruppen als „schleichenden Pro-

zess“.„DieMauer war weg, auch der unge-
liebteBFCDynamospieltekeineRollemehr.
AllemusstendenAlltagbewältigen.Vieleun-
serer Union-Freunde plagten sich bald mit
Existenzängsten herum.DieOstdeutschen
musstenjadieWeltneulernen.Undauchin
West-Berlinverändertesicheiniges.Fußball
rückteinszweiteGliedzurück.“
LeutewieAndreasSattlerundKnutBeyer
erinner nsich allerdings auch heute noch
gernand ie Abenteuer zuMauerzeiten und
halten dieFreundschaft hoch.Sattler geht
immer mit einemHertha-Union-Schal zu
den Spielen, wechselweise insOlympiasta-
dionundinsStadionAnderAltenFörsterei.
Er ver weist auf eineFacebook-Gruppe mit
dem Namen „Hertha-Union-Fanfreund-
schaft“. Diehat 2029 Mitglieder.„Vordem
letztenDerbyinderZweitenLigahabenwir
uns an derWeltzeituhr am Alex getroffen“,
sagt Sattler,„dann sind wir gemeinsam mit
derS-BahninsOlympiastadiongefahren.“
Solche Erlebnisse sind selten geworden.
Sattler bedauertes, dass sich die Anhänger
beider Vereine nur noch als Rivalen sehen.
„DiejungenFansinteressierensichkaumfür
die bewegteGeschichte.“UndKnut Beyer
stel ltnüchternfest:„DieFreundschaftistge-
gessen, aber sie bleibt ein wichtigerTeil der
GeschichtebeiderVereine.“

DieKlassenkampf-Frage
Herthas Aufsichtsratschef Torsten-Jörn
Klein, der einst alsJunge aus Ost-Berlin die
Hertha im Uefa-Cup inPrag unterstützte
und bestaunte,geht sogar nochweiter.Er
würde dieFreundschaft gernneu beleben.
Underi stnichteinverstandenmitdem,was
Unions Präsident Dirk Zingler in einemIn-
terview derBerliner Zeitung imJuni dieses
Jahresun teranderem gesagt hat:„Für mich
ist das einDerby, das steht für Rivalität, für
Abgrenzung.UndfürFußball-Klassenkampf
inder Stadt.“
Klein hingegen sagt: „Die Klassen-
kampf-Metapher trifft heute so gar nicht!
Dennvor1989waresKlassenkampf,wenn
die gesamte Alte Försterei ,HaHoHeHer-
thaBSC‘und‚HerthaundUnion–EineNa-
tion‘intonierte.Unddamalswardassogar
mutig!“
Kleinsagt,fürihnwäreeseinegroßeper-
sönlicheFreude,wenneskünftigwiederen-
gereBande zwischen den beidenBerliner
Vereinengäbe.„ZweiFußballvereineineiner
Stadt,diesichgegenseitigschätzen,dasgibt
esnirgendwoaufderWelt.Daswäreeintol-
lesAlleinstellungsmerkmalfürBerlin.“

Januar 1990:Fans beim ersten Derbynach demFall der Mauer im Olympiastadion. DPA/THOMAS WATTENBERG


Ehrensachen

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