von julia bergmann
D
ie Preise für Grundstücke, Wohnun-
gen und Häuser in München stei-
gen und steigen – daran hat auch
die schwächelnde Konjunktur in den ver-
gangenen Monaten nichts geändert. Zwi-
schen zwei und sechs Prozent mehr als
noch vor einem halben Jahr müssen Käu-
fer laut dem aktuellen Marktbericht des
Immobilienverbands IVD heute im Schnitt
ausgeben. Damit habe sich der Anstieg
zwar etwas verlangsamt, die Gefahr einer
Immobilienblase in München, die dem-
nächst platzen könnte, sieht Stephan Kip-
pes, Leiter des IVD-Marktforschungsinsti-
tuts, aber nicht.
Es sei nicht zu erwarten, dass die Nach-
frage nach Wohnraum in unmittelbarer Zu-
kunft drastisch zurückgehe. „Wir haben in
München einen jährlichen Bevölkerungs-
zuwachs von 0,75 Prozent“, sagt Kippes. Da-
zu komme der Trend zu Einpersonenhaus-
halten. Aktuell lebten 55 Prozent aller
Münchner allein in einer Wohnung, 1971
waren es lediglich 42 Prozent. „Sie bean-
spruchen die größte Wohnfläche pro
Kopf“, sagt Kippes. Problematisch, weil
der Wohnraum immer knapper wird. „Der
Zuzug und die zunehmende Singularisie-
rung sind die beiden Effekte, die uns deutli-
che Probleme machen“, sagt er. Das zeigt
sich auch bei den Kaufpreisen, die in allen
Bereichen in München gestiegen sind: Für
ein freistehendes Einfamilienhaus zahlt
man laut IVD nun im Durchschnitt 1,7 Milli-
onen Euro, das sind 4,2 Prozent mehr als
noch im Frühjahr dieses Jahres. Ein Rei-
henmittelhaus kostet inzwischen 970 000
Euro und eine Doppelhaushälfte 1,3 Millio-
nen Euro. Den größten Preisanstieg ver-
zeichnen die Marktforscher bei Grundstü-
cken für den Geschosswohnungsbau, hier
müssen Käufer 6,3 Prozent mehr ausge-
ben als vor einem halben Jahr. Relativ mo-
derat fiel das Plus dagegen bei den Kauf-
preisen für neu gebaute Eigentumswoh-
nungen aus, dort ist der Quadratmeter in
den vergangenen beiden Halbjahren je-
weils „nur“ um 200 beziehungsweise 150
Euro teurer geworden. Im Halbjahr zuvor
waren es noch 500 Euro.
Im Zehnjahresvergleich haben sich die
Preise für bestehende freistehende Einfa-
milienhäuser, Reihenmittelhäuser und
Doppelhaushälften in München mehr als
verdoppelt. Das Gleiche gilt auch für Eigen-
tumswohnungen, egal ob Bestand oder
Neubau.
Erste Anzeichen für eine Abschwä-
chung des Trends sehen die Makler aber in-
zwischen. Mittlerweile sei deutlich spür-
bar, dass sich das Kaufverhalten der Inter-
essenten ändere, sagt Immobilienmakle-
rin Martina Wesseling aus Pfaffing. Sie
könne etwa feststellen, dass sich Interes-
senten mittlerweile wieder striktere Preis-
grenzen beim Kauf einer Immobilie set-
zen. Sie seien wieder kritischer. „Die Leute
hinterfragen einen Immobilienkauf im-
mer mehr“, sagt Kippes. Häufiger würden
wieder mehr Gutachten zu den jeweiligen
Objekten gewünscht. Man müsse sogar die
Verkäufer angesichts des vermeintlichen
Misstrauens immer öfter beruhigen. Was
die Kaufbereitschaft der Interessenten an-
gehe, spiele auch die Lage der Immobilien
eine große Rolle, sagt Immobilienmakler
Andreas Hammerl aus Starnberg.
Der Münchner Speckgürtel habe sich
bis vor fünf Jahren auf den S-Bahn-Be-
reich beschränkt. „Heute reicht er deutlich
darüber hinaus.“ Das hohe Preisniveau
Münchens wirke sich zunehmend auf um-
liegende Landkreise aus. „Hier zeigt sich
der Ripple-Effekt“, sagt Kippes. „Der
Münchner geht ein Stück weiter raus und
bringt seine spezielle Preisvorstellung
mit.“ Der Effekt lasse sich dann ein ganzes
Stück weit fortsetzen, sagt Wesseling. „In
den nördlichen Landkreis Rosenheim drü-
cken die Käufer aus dem Landkreis Ebers-
berg und dort die aus München.“
Die Preisspirale bewege sich bayernweit
unermüdlich nach oben, sagt Kippes. Bau-
grundstücke sind im landesweiten Schnitt
inzwischen 6,1 Prozent teurer als im Früh-
jahr, Einfamilienhäuser um 5,8 Prozent.
Einzige Ausnahme ist Ingolstadt. Dort sind
die Preise gesunken. „In Ingolstadt sieht
man die Bremsspuren der Automobilwirt-
schaft und ihrer Zulieferer“, sagt Kippes.
Dass Münchner Wohnungen teuer sind,
das weiß nun wirklich jeder. Aber wie teuer
genau? Einfach mal nachschauen können,
was die eigene Mietwohnung wohl auf
dem Markt wert wäre, oder die des Nach-
barn, oder die des Chefs – das könnte
schon spannend sein, geht aber natürlich
nicht, solange die Wohnung nicht zum Ver-
kauf steht. Ein neues Start-up will genau
das ändern. Die Internetplattform „Scoper-
ty“ schätzt den Wert von Immobilien, die
gar nicht angeboten werden. Man gibt ein-
fach seine Adresse im Internet ein und be-
kommt – mehr oder weniger genaue –
Schätzwerte für den Kaufpreis.
Erst in diesem Jahr gegründet, hat das
Münchner Unternehmen Anfang Novem-
ber seine Plattform in den vier deutschen
Millionenstädten plus Frankfurt am Main
gestartet. Für München verzeichnet Sco-
perty gut 1,3 Millionen Wohnungen und
Häuser mit ihrem jeweils geschätzten
Wert. Damit wolle man für ein bisschen
mehr Transparenz auf dem Immobilien-
markt sorgen, sagen die Firmengründer.
„Es ist als Eigentümer oder Interessent
schwierig, sich ein Bild davon zu machen,
was in München ein fairer Preis ist“, sagt
Scoperty-CEO Michael Kasch. Über die
gängigen Internetplattformen mit ihren In-
seraten könne man sich zwar informieren,
die Preise dort zeigten aber eher den
Wunsch der Verkäufer als den tatsächli-
chen Wert. „Diese Differenz versuchen wir
mit den Schätzwerten abzubilden“, erklärt
Kasch.
Ein Algorithmus schätzt auf Basis von
Grundstücksgröße, Wohnfläche und Lage
den Preis, auch der örtliche Mietspiegel
und andere öffentlich zugängliche Daten
fließen in die Berechnung mit ein, sagt der
Firmenchef. Die Eigentümer selbst kön-
nen die Ergebnisse noch verfeinern, indem
sie etwa das Baujahr angeben oder wann
die letzte Renovierung stattgefunden hat.
Absolut exakt ist das Ergebnis zwar nicht,
aber eine Annäherung.
Ein Modellversuch in Nürnberg habe ge-
zeigt, dass viele Eigentümer es schätzen,
sich unverbindlich informieren zu können,
berichtet Kasch. „Viele wollen wissen, was
ihre Wohnung ungefähr wert ist, ohne dass
sie gleich zu einem Makler gehen müssen.“
Und ähnlich wie ein Gebrauchtwagenhänd-
ler seine Visitenkarte an geparkte Autos
steckt, können potenzielle Käufer auf Sco-
perty ihre digitale Visitenkarte an der
Haustür des Eigentümers hinterlassen. So
bekunden sie ihr Interesse an einer Immo-
bilie, die gar nicht zum Verkauf steht – und
bringen damit vielleicht den Eigentümer
erst auf die Idee, zu verkaufen. So würden
Kaufinteressenten an ein „handverlesenes
Makler-Netzwerk“ vermittelt, erklärt
Kasch.
Der Immobilienverband Deutschland
(IVD) fürchtet das neue Onlineangebot of-
fenbar nicht als Konkurrenz. „Es wird kei-
ne Plattform geben, die den Makler über-
flüssig macht“, teilt der Verband auf Nach-
frage mit. Makler könnten ihr Geschäft
über digitale Plattformen erweitern, die
persönliche Bindung und das Verständnis
für den lokalen Markt aber könne kein Al-
gorithmus ersetzen. Die Zusammenarbeit
mit Maklern ist dann auch eine der Einnah-
mequellen von Scoperty, denn die bezah-
len bei einer Vermittlung Provision an das
Unternehmen. Außerdem verdient Scoper-
ty Geld, wenn es einem Nutzer eine Baufi-
nanzierung vermittelt.
Der nächste Schritt für das junge Unter-
nehmen ist es nun, bald nicht mehr nur ein
paar wenige Großstädte abzubilden:
Schon nächstes Jahr sollen Nutzer alle gut
40 Millionen Wohnimmobilien im Land ab-
Ein Preisschild für jedes Haus: Die Schätzwerte von Scoperty, hier am Gärtnerplatz. SCREENSHOT:SCOPERTY rufen können. bernhard hiergeist
Paul Schmidmaier, 48, arbeitet seit 20 Jah-
renals Immobilienmakler. Lange Zeit hät-
ten sich in München die Kaufinteressen-
ten gegenseitig mit noch höheren Preisen
überboten. Aber die Zeiten sind vorbei,
sagt Schmidmaier.
SZ: Auf Ihrer Homepage steht, es sei eine
gute Zeit, um eine Immobilie in München
zu verkaufen. Heißt das, im Moment geht
alles?
Paul Schmidmaier: Man kann alles verkau-
fen, aber nur, wenn der Preis auch zum Ob-
jekt passt. Die Preise sind sehr hoch, aber
dass in München jeder Preis bezahlt wird,
stimmt nicht. Daran merkt man, dass der
Markt noch funktioniert.
Wo genau liegen dann die Grenzen?
Für eine gebrauchte Immobilie in einer
durchschnittlichen Lage 8000 Euro pro
Quadratmeter zu verlangen – das gibt der
Markt nicht her. Gerade Eigentümer, die ei-
ne sehr persönliche Beziehung zu ihrem
Objekt haben, blenden die Nachteile aus
und nehmen einen Verkaufswert, den sie ir-
gendwo mal gelesen haben, als Referenz.
Sie sehen aber nicht, dass der Preis für eine
ganz andere Immobilie gezahlt wurde.
Trotzdem werden für Immobilien in Mün-
chen teils horrende Preise aufgerufen.
Das Angebot ist knapper geworden, die Zin-
sen sind nur noch ein Viertel oder weniger
von dem, was vor zehn Jahren bezahlt wur-
de. Die Gehälter sind gestiegen und der
Zuzug hat zugenommen. Das hat die Nach-
frage stark angeheizt. So sind die Preise in
die Höhe gegangen.
Beim Verkauf von Bestandsimmobilien
um mehr als das Doppelte in den vergan-
genen zehn Jahren.
Bei einigen Objekten haben sie sich sogar
verdreifacht.
Und die können sich dann nur noch Besser-
verdiener leisten?
Viele unserer Kunden sind Durchschnitts-
münchner, die ein bisschen was angespart
haben und einen sicheren, aber keinen
High-End-Job haben. Es gibt auch die, die
sehr gut verdienen oder etwas geerbt ha-
ben. Aber wir haben in der Regel mit sehr
vielen sehr normalen Menschen zu tun.
Also hat sich an der Klientel und der Be-
reitschaft zu kaufen, nichts verändert, ob-
wohl die Preise gestiegen sind?
Ich sehe immer noch eine sehr starke Nach-
frage, aber im Moment auch längere Ver-
marktungszeiten und auch eine gewisse
Abflachung der Preissteigerungen der Im-
mobilien. Die großen Sprünge der letzten
Jahre sehe ich nicht mehr.
Weil die Kaufpreise viele Münchner ab-
schrecken?
Ja. Aber ich glaube auch, wenn man sich in
Ruhe hinsetzt, strategisch und langfristig
plant, können sich mehr Leute eine Immo-
bilie kaufen, als sie denken. Das war die
Triebfeder, warum ich mich mit Immobi-
lien beschäftigt habe.
Inwiefern?
Vor 25 Jahren hat eine Dreizimmerwoh-
nung in München auch schon eine halbe
Million D-Mark gekostet. Ich war als jun-
ger Mann schon kaufmännisch orientiert
und habe mich gefragt, wer bitte hat eine
halbe Million D-Mark unter dem Kopfkis-
sen? Der Gedanke hat mich nicht losgelas-
sen. Ich habe mich damit beschäftigt, wie
es klappen könnte.
Wie könnte es denn klappen?
Für den Nicht-Millionär mit Sparen und zu-
nächst mit dem Kauf einer kleinen Immo-
bilie. Danach kann man sich mit einem
Wiederverkauf langsam hochentwickeln.
Ich habe ja in jedem Fall den Tilgungsan-
teil in der Rate an die Bank und zusätzlich
beim Immobilienbesitz eine Chance auf
eine Wertsteigerung.
Aber keine Garantie darauf, dass es so
bleibt. Immer wieder ist die Rede davon,
dass die Immobilienblase irgendwann
platzen könnte.
Ich bin kein Statistiker, aber ich bin nicht
der Meinung, dass sie platzt. Es kann sein,
dass sich die wirtschaftliche Lage ver-
schlechtert und dann auch die Immobilien-
preise sinken. Das würde ich aber nicht als
platzende Blase bezeichnen, sondern als
Marktschwankung, die man mit langfristi-
ger Orientierung aussitzen kann. Für mich
überwiegen die Chancen, in der Rente in
einer mietfreien Wohnung zu leben, aus
der einen keiner rausbringen kann.
interview: julia bergmann
Nach oben offen
Trotz der schwächeren wirtschaftlichen Entwicklung sind die Immobilienpreise
in München auch im vergangenen Halbjahr wieder deutlich gestiegen – allenfalls zarte Anzeichen
deuten nach Meinung der Makler auf eine Abschwächung des Trends hin
Paul Schmidmaier, 48,ist
Immobilienmakler. Er
betreibt ein Maklerbüro
mit fünf Mitarbeitern in
Laim und konzentriert
sich auf den städtischen
Immobilienmarkt. In
seinem Beruf arbeitet er
bereits seit 20 Jahren.
FOTO: PRIVAT
Wunsch, Wirklichkeit – und ein Algorithmus
Was kostet wohl das Haus vom Chef? Auf einer neuen Internetseite kann man Schätzwerte für Immobilien abrufen, die gar nicht zum Verkauf stehen
Teures EigentumEgal, obWohnung, Reihenhaus oder Grundstück – die meisten Immobilien
in München kosten heute mehr als doppelt so viel wie vor zehn Jahren. Wie viel jedes einzelne Objekt
tatsächlich wert sein soll, kann man nun ganz einfach im Internet nachschauen
Ein Einfamilienhaus
kostet inzwischen im
Durchschnitt 1,7 Millionen Euro
Die Preisspirale bewege sich
bayernweit unermüdlich
nach oben, sagt Kippes
In den vergangenen zehn Jahren gab es für die Immobilienpreise in München nur eine Richtung: aufwärts. FOTO: NICOLAS ARMER/DPA
Der Markt gibt
nicht alles her
Makler Paul Schmidmaier über zu
hohe Preise und potenzielle Käufer
Baugrundpreise
Geschossbau Einfamilienhäuser in Euro pro Quadratmeter, guter Wohnwert Freistehende Einfamilienhäuser
Reihenmittelhäuser/Bestand
in Euro pro Quadratmeter
jeweils gute Wohnlage
jeweils guter Wohnwert
Preise für Eigentumswohnungen/Bestand Preisein Tausend Euro pro Objekt
SZ-Grafik; Quelle: IVD-Institut
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R2 – (^) THEMA DES TAGES Mittwoch,6. November 2019, Nr. 256 DEFGH