Süddeutsche Zeitung - 06.11.2019

(Tina Sui) #1
von sabine reithmaier

B


ilder und Grafiken besitzen eine
ganz eigene suggestive Kraft, ver-
mitteln sie doch den Eindruck einer
gesicherten Wirklichkeit. Dabei geben sie
oft nur einen Ausschnitt der Realität wie-
der. Wie Zeitungs- oder Internetbilder un-
sere Wahrnehmung von Politik und Gesell-
schaft beeinflussen und sogar manipulie-
ren, ist das Thema der sehenswerten Aus-
stellung „Framing“ im Ismaninger Kall-
mann-Museum.
Sachlich nähert sich der junge Düssel-
dorfer Künstler Andreas Langfeld dem Ge-
genstand. Er untersucht den Fotoauswahl-
prozess in Bildredaktionen. „Newsroom-
Editeure“ (seit 2017) nennt er die raum-
hohe, über Eck gebaute Foto- und Videoin-
stallation, in der er Redakteure der ältes-
ten internationalen Nachrichtenagentur
Agence France-Presse beobachtet, wie sie
am Computer aus der ungeheuren Masse
an einlaufenden Bildern die jeweils geeig-
neten herausfiltern, hält hoch konzentrier-
te Szenen fest, die vor Anspannung fast vi-
brieren. Analytisch spürt D. H. Saur den
überraschenden Wegen ikonografischer
Bilder im Internet nach. In der Langzeitstu-
die „Hope 2008-17, Version I“ verfolgt der


Berliner Künstler den Weg des berühmten
Hope-Plakats von Barack Obama. Das Ori-
ginalplakat stammt vom Street-Art-Künst-
ler Shepard Fairey und basiert auf dem
Pressefoto eines Agenturfotografen. Das
Bild, in den amerikanischen Farben Blau,
Weiß und Rot gehalten und mit der Bildun-
terschrift Hope versehen, entwickelte im
Internet ein rasantes Eigenleben. Saur do-
kumentiert die verschlungenen Pfade und
die ständig wechselnden Kontexte in einer
Collage. Durch ihre Fülle an Verbindungen
und Transformationen wirkt sie wie eine
Landkarte, die der Künstler durch hand-
schriftliche Notizen ergänzt hat.

Auch Peter Pillers Arbeit basiert auf
einem einzigen Bild. Für „Nachkriegsord-
nung“ (2003) hat der in Hamburg lebende
Künstler unmittelbar nach Beginn des Irak-
kriegs aus 35 internationalen Tageszeitun-
gen jeweils die Aufmacherfotos vom ameri-
kanischen Angriff auf Bagdad ausgeschnit-
ten und jedes einzelne freihändig mittig
auf ein DIN-A4-Blatt geklebt. Auf jeder Ti-

telseite wirken die Fotos anders, sie unter-
scheiden sich in Farbigkeit, Format und
Ausschnitt. Letztlich variieren sie aber alle
das einzige, offiziell freigegebene Presse-
foto vom nächtlichen Bombenangriffs. Pil-
ler greift nicht lenkend ein, aber trotzdem
beginnt man sich zu fragen, warum es nur
ein einziges Bild gab.
Bestürzend ist Rabih Mroués Videoar-
beit „The Pixelated Revolution“ (2013), ei-
ne Reflexion über grausame Momente der
Gleichzeitigkeit. Der libanesische Künst-
ler, der in seiner „Non-academic-Lecture“
die unscharfen, verwackelten Videos syri-
scher Demonstranten mit den Filmen der
Dogma-95-Bewegung vergleicht, zeigt
Syrer, die mit ihren Handys Scharfschüt-
zen filmen. Während sie durch die Linse
schauen, um das Geschehen zu verfolgen,
schwenkt das Gewehr auf sie, die Men-
schen filmen ihren eigenen Tod.
Da wirken die Übermalungen Monika
Hubers fast wohltuend. Die Münchner
Künstlerin bearbeitet in ihrer Serie „Eins-
dreissig“ (2011–2013) Nachrichtenbilder
mit Zeichenstift oder Pinsel und fotogra-
fiert sie anschließend wieder. Auf diese
Weise entstehen Unschärfen, die einen
neuen Blick auf bekannt erscheinende Bil-
der ermöglichen.

Auf veränderte Sehweisen zielt auch die
Recherche der interdisziplinären Gruppen
Forensic Oceanography/Forensic Architec-
ture ab. Die Gruppe von Architekten, Jour-
nalisten, Filmemachern, IT-Spezialisten
und Grafikern nutzt ihr Können, um Zu-
sammenhänge zu entdecken, die Wahrheit
hinter offiziellen Bildern zu ergründen
und Lügen zu entlarven. Für die Documen-
ta 14 (2017) beschäftigten sie sich mit der
Ermordung des Kassler Halit Yozgat durch
die Terrorgruppe NSU. In ihrer Rekonstruk-
tion kamen sie zu dem Ergebnis, dass der
deutsche Verfassungsschutz mit hoher
Wahrscheinlichkeit involviert war.
Im Kallmann-Museum sind sie mit der
Videodokumentation „The Seizure of the
Iuventa“ (2018) vertreten.Iuventahieß das
Schiff, mit dem die deutsche Organisation
„Jugend Rettet“ von Juli 2016 an Flüchtlin-
ge vor dem Ertrinken rettete. Im August
2017 wurde das Schiff beschlagnahmt. Der

Vorwurf: Mitarbeiter der Organisation
hätten sich bei drei Rettungsaktionen im
September 2016 und im Juni 2017 der „Bei-
hilfe zum illegalen Grenzübertritt“ schul-
dig gemacht. Forensic Oceanography hat
sich der Geschichte angenommen. Ihre Do-
kumentation, erstellt mithilfe von Bildana-
lysen, dreidimensionalen Modellen und
Wetterdaten, entkräften die Vorwürfe ge-
genüber den zivilen Seenotrettern.
Bleibt noch Altmeister Harun Farocki.
Der 2014 verstorbene Filmemacher hat
sich in zahlreichen Filmen mit Technisie-
rung und Dehumanisierung moderner
„sauberer“ Kriegsführung beschäftigt, in
denen Opfer zwar billigend in Kauf genom-
men, aber bewusst ausgeblendet werden.
In „Erkennen und Verfolgen“ (2003) klärt
er darüber auf, dass diese Methode Traditi-
on hat. Schon 1942 gelang es, einer deut-
schen Fernlenkwaffe eine Fernsehkamera
einzubauen. Die Waffe kam nicht mehr
zum Einsatz. Erst 1991, aus dem Krieg der
Alliierten gegen den Irak, gab es öffentlich
Bilder zu sehen, die von Kameras in der
Spitze des Projektils aufgenommen waren.

Framing – Medien Macht Bilder; Di. bis Sa., 14.30
bis 17 Uhr, So., 13 bis 17 Uhr, Kallmann-Museum, Is-
maning, Schloßstraße 3b, bis 1. Dezember

München– InMünchen ist es schwierig,
auf dem umkämpften Mietmarkt eine be-
zahlbare Wohnung zu finden. Ähnlich
schwierig ist es aber auch, beim Konzert
der britischen Indie-RockbandThe Liberti-
nesin der Tonhalle – die Kartenpreise la-
gen bei 50 Euro – einen angenehmen Steh-
platz zu finden. Da wirft ein adrett-aggres-
siver Mittfünfziger schon mal jungen Frau-
en seine Regenjacke ins Gesicht. Generell
wird viel geworfen, vor allem Becher, was
an der ausgelassenen Musik liegt. Und Pe-
ter Doherty, neben Carl Barât einer der bei-
den Frontmänner und Leadgitarristen,
wirft sein Mikro in die Menge. Barât und
Bassist John Hassall tragen Hüte auf dem
langsam ergrauenden Haar, das Doherty
fröhlich zur Schau stellt. Der, in diesem
Jahr immerhin 40 geworden, kann nach
langen Jahren des exzessiven Drogenkon-
sums durchaus als medizinisches Wunder
durchgehen. Die Drogen waren es auch,
die für Streit und Trennung sorgten. Jetzt
performen sie jedoch einträchtig vor
einem begeisterten Publikum, das tanzt
und alle Songs mitgrölt. Der gitarrenlasti-
ge, erfrischend rotzig vorgetragene Rock
war in den Nullerjahren wegweisend für an-
dere britische Indie-Bands.
Auf die Zugabe muss man allerdings
erst einmal warten. Dafür gibt es dann
aber gleich sieben Songs, darunter einige
Hits wie „What Katie Did“ und „Don’t Look
Back Into The Sun“. Die Fans strömen zum
Merchandise-Stand, an dem es unter ande-
rem ein gespraytes „Gemälde“ von Doher-
ty zu kaufen gibt. Für 500 Euro. Mit den
Münchner Preisen können die Libertines
wirklich mithalten. anna weiss

München– Es hat stets etwas Heroisches
an sich, wenn einer allein mit seinem Vio-
loncello auftritt. Doch was Daniel Müller-
Schott an diesem Abend im Studio 2 des
Bayerischen Rundfunks Vielfalt und Ver-
schiedenartigkeit von Musik aus gut 300
Jahren auf seinem Goffriller-Cello bot,
zeigte, wie sehr gerade aus vermeintlicher
Beschränkung große Komponisten uner-
hörte Klangwelten schaffen können. Es be-
gann mit dem „Alten Testament“ aller Cel-
losolomusik, mit Johann Sebastian Bachs


  1. Suite, die Müller-Schott überaus vital ge-
    staltete und sich vor Romantisierungen hü-
    tete. In den Wiederholungen tauchten Ver-
    zierungen wie selbstverständlich auf.
    Im Gespräch mit Meret Forster erzählte
    der Cellist vom Reichtum des gar nicht be-
    grenzten Cello-Repertoires. Für Paul Hin-
    demiths Sonate von 1922 fand Müller-
    Schott einen rhythmisch federnden Zu-
    gang, Hans Werner Henzes neunsätzige Se-
    renade von 1949 spielte er als geistreich
    kurzweiligen Klangbilderbogen. Sergei
    Prokofjews Sonate von 1952, erst lange
    nach seinem Tod in den Siebzigerjahren
    aus Entwürfen hergerichtet, vermittelte er
    als Stück großer Linien, während George
    Crumbs ausdrucksvolles Stück von 1955
    sehr stimmig entstand. Zum Schluss spiel-
    te Müller-Schott wenigstens den Kopfsatz
    aus dem „Neuen Testament“: Zoltán Ko-
    dálys Sonate op. 8 von 1915. Es gibt keine
    Cellomusik nach 1915, die nicht von die-
    sem Universum der Cellomöglichkeiten
    zehren würde. Souveräner, im besten Sin-
    ne selbstbewusster als Daniel Müller-
    Schott es tat, lässt sich dieses Programm
    nicht darstellen. harald eggebrecht


München– Vielleicht kann man es auch so
sagen: Der Geiger Gregor Hübner wollte
sich noch nie festnageln lassen. Weder auf
Klassik noch auf Jazz, wo sein Instrument
ohnehin immer noch eine Exotenrolle hat;
weder auf Tradition oder Avantgarde; we-
der auf Spaß oder Ernst; weder auf Solo,
Band, Kammermusik oder Orchester; we-
der auf München, wo er eine Professur hat,
noch auf New York, wo er wohnt. Also hat
er einfach immer alles gemacht. War eine
solche Bandbreite zu den Jugendzeiten des
heute 52-Jährigen noch rar, so liegt es
heute im Trend der jungen Musiker aller
Genres. Hübner hat also Mitstreiter bekom-
men, oder, um es in seinen Worten zu sa-
gen: „Die Genre-Grenzen werden immer
ungenauer und blenden sich gar selbst
aus. Der stetige Austausch von Musikern
und Ensembles rüttelt an den Grundpfei-
lern des musikalischen Establishments.“
Nirgendwo ist dieses Rütteln so heftig wie
in der Weltmusikhauptstadt New York,
weswegen Hübner dort schon vor zwei Jah-
ren sein „Progressive Chamber Music Festi-
val“ vom Stapel ließ, im für ungewöhnliche
Projekte berühmten „Spectrum“.
Einen vergleichbaren Club gibt es in
München seit ein paar Jahren mit der Mil-
la, überdies ist Gerd Baumann dort der
künstlerische Leiter, Freund und Professo-
renkollege von Hübner an der Musikhoch-
schule. Auch Baumann gehört seit jeher zu
den Grenzüberschreitern, als Gitarrist,
Komponist, Filmmusiker, Produzent und
Label-Chef. Die beiden sind nun also die
Säulen des seit dem vergangenen Jahr in
New York und München situierten Festi-
vals, das sich an zwei Abenden der Begeg-
nung von Musikern verpflichtet hat.
Acht Short-Cut-Konzerte, nicht länger
als eine Dreiviertelstunde, gibt es da zu er-
leben, zweimal mit Hübners New YorkerSi-
rius Quartetmit Fung Chern Hwei an der
zweiten Violine, Ron Lawrence an der Viola
und Jeremy Harman am Cello, das mit sei-
ner musikalischen Ausrichtung zwischen


Klassik, Jazz und Avantgarde der Nukleus
des Projektes ist. Am ersten Tag trifft man
aufParade, ein Trio mit dem jungen Pianis-
ten Sam Hylton, dem Bassisten Benjamin
Schäfer und der Sängerin und Multiinstru-
mentalistin Maria Moling, am zweiten auf
die vor allem durchQuadro Nuevo– mit
Frontmann Mulo Francel unternahm sie
noch wenige Tage zuvor einen anstrengen-
den Trip auf die Berge des Sinai – bekann-
te Harfenistin Evelyn Huber, wobei auch
das gerade erschienene gemeinsame Al-
bum „Para Un Mejor Mundo – For A better
world“ vorgestellt wird.
Eröffnen dürfen das Festival dieMunich
Opera Hornszusammen mit demPentane-
mos Bläserquintett, weitere Programm-
punkte sind das Bläserquartett Tetra
Brass, der Sound-Experimentator Alex
Maschke,The Twiolinsund dasSpelunken
Orchestra, ins Finale geht es mit dem viel-
köpfigenMunich Composer Collectiveaus
Studierenden, Lehrenden und Alumni der
Musikhochschule. oliver hochkeppel

Progressive Chamber Music; Do. und Fr., 6. und


  1. Nov., 20 Uhr, Milla, Holzstraße 28


München –Mira, daskann im Spanischen
„Blick“ oder „Visier“ heißen oder als direk-
te Aufforderung „schau!“. Und auch wenn
es am Ende vielleicht nur ein schöner, inter-
kultureller Zufall ist: Vom Schauen, An-
schauen, in die Augen blicken ist auf der
Solo-Debüt-EP „Ich mag das“ der Münch-
ner Musikerin Mira Mann tatsächlich viel
die Rede. Ums Hören und Berühren geht es
auch, ganz elementare Dinge, um „Fehler,
Träume, Angst und Liebe“, wie es im Cho-
rus des abschließenden Stückes „Einfach“
heißt. Wenn man von einem Chorus wirk-
lich sprechen kann. Klassische Popsongs
gibt es nämlich nicht auf der EP, welche die
als Sängerin und Bassistin der Münchner
Noise-BandCandelillabekannt geworde-
ne Mann an diesem Mittwoch im Blitz im
Rahmen des Theaterfestivals „Spielart“
vorstellt, zusammen mit Ludwig Abra-
ham, DJ Mira Sacher und weiteren Gästen.
Was es stattdessen gibt, sind Stimme
und Computer, klackernde Beats und expe-
rimentelle Elektroniksounds, die zuweilen
den Klang von Schlagzeug, Keyboard oder
Synthesizer evozieren, aber dann doch wie-
der ins Unbenennbare ausbüxen. Ausgetüf-
telt hat sie Ludwig Abraham, der als Regis-
seur und Komponist am Staatstheater
Darmstadt, dem Theater Bremen und den
Münchner Kammerspielen gearbeitet hat
und seit diesem Sommer Mitglied des neu-
en Ensembles am Schauspielhaus Zürich
ist. Freie Rundfunk- und Theaterarbeiten
hat er ebenfalls gemacht. Mira Mann wie-
derum ist nicht nur Musikerin, sondern
auch DJ, Herausgeberin des Magazins
Ultra Soft, Journalistin und Autorin und
hat fünf Jahre lang als Bookerin in der Mil-
la gearbeitet und dafür gleich dreimal den
wichtigen deutschen Spielstätten-Pro-
grammpreis „Applaus“ bekommen.
Darüber hinaus hat die Münchnerin im
Januar dieses Jahres beim Verlag Parasiten-
presse den Band „Gedichte der Angst“ ver-
öffentlicht, mit Texten, in denen sie ihre
im Sommer 2017 erhaltene Diagnose Mul-

tiple Sklerose verarbeitet. Von diesen Ge-
dichten der Angst ist die beim österreichi-
schen Label Problembär Records erschie-
nene EP „Ich mag das“ inspiriert. Aber
nicht im Sinne einer direkten musikali-
schen Vertonung. Eher ist es so, dass die
insgesamt sechs Stücke in Text und Musik
auf Situationen, Stimmungen und einzel-
ne Satzfragmente aus den Gedichten
reagieren. Entwickelt wurden sie von
Mann und Abraham in einem Studio in der
Nähe des Münchner Hauptbahnhofs. Und
obwohl sie dort teures Equipment um sich
hatten, haben sie, so Mira Mann, ganz be-
wusst nur ein Mikrofon und den Computer
von Abraham verwendet.
Reduktion heißt also die Devise. Ein-
fachheit und Klarheit in der Form. Und tat-
sächlich heißt es im Stück „Ich spür’ die Vi-
bration“: „Eigentlich will ich alles, das ist
klar, ich bin groß verzweifelt und will den
ganzen Aufbau nicht mehr.“ Mit Aufbau

könnten Bass, Gitarre, Schlagzeug und die
Verstärker bei Candelilla gemeint sein,
aber vielleicht doch auch noch etwas mehr.
Was die Lieder ebenfalls von Candelilla un-
terscheidet ist, dass Mira Mann die Texte
nicht mehr wie früher in Noise-Punk-Ma-
nier schreit, sondern in relativ nüchter-
nem Ton spricht oder wie bei „Alles wird
gut“ auch mal flüstert. Ansonsten sind die
minimalistischen Texte den Candelilla-Ly-
rics gar nicht so unähnlich, und da sich
Strukturen und Sätze wiederholen, könnte
man durchaus von Strophen und Refrains
sprechen. Andererseits hat das Wiederho-
len auch etwas von einem Vor und Zurück,
einem sprachlichen Herantasten.

Die neue Stille, Reduktion, die konzen-
trierte Textarbeit, das sei, so Mira Mann, je-
denfalls etwas, was sie aktuell sehr mag.
Das Laute, das Schreien wie bei Candelilla
vermisse sie dagegen nicht, und tatsäch-
lich steht laut Mann aktuell noch immer
nicht fest, ob und wie es mit der Münchner
Noise-Band weitergehen wird. Seit etwa
zwei Jahren machen Candelilla eine Krea-
tivpause und die vier Musikerinnen gehen
alle eigenen Projekten nach. Für Mira
Mann folgen nach dem Auftritt im Blitz
und den bereits vergangenen Konzerten
mit Andreas Spechtl in Berlin und der
Münchner BandFazerbeim Überjazz Festi-
val in Hamburg zunächst noch mal zwei
Auftritte am 23. und 24. November in Nürn-
berg und in Wien. Darüber hinaus hat sie
im Sommer einen neuen Gedichtband fer-
tig gestellt, der, so hofft sie, im nächsten
Jahr herauskommt. Und alles andere wird
man dann sehen. jürgen moises

Mira Mann: Ich mag das(Problembär Records), live
am Mittwoch, 6. Nov., 21 Uhr, Blitz, Museumsinsel 1

München– Vor drei Jahren gewann das
Quatuor Arodüberraschend den ARD-Mu-
sikwettbewerb, nicht zuletzt dank kompro-
misslos wagemutiger Kühnheit. Seither
sind Jordan Victoria, Alexandre Vu, Tan-
guy Parisot und Samy Rachid reifer gewor-
den, ohne an aufregendem Klang zu verlie-
ren. Zwei bemerkenswert gelungene CDs
legten sie vor: Die erste galt Mendelssohn,
die zweite umfasst Webern, Schönberg
und das große, 40-minütige zweite Streich-
quartett von Alexander von Zemlinsky.
Damit beschließen die vier jetzt auch ihr
Konzert in der Allerheiligen-Hofkirche. Sie
begannen mit dem C-Dur-Quartett des
16-jährigen Schubert. Dessen schwermü-
tig chromatisch in die Tiefe sinkendem Be-
ginn folgt veritable Schrammelmusik und
ein nicht minder wienerisch jugendfri-
sches Finale. Umso schmerzhafter Bartóks
viertes Quartett, das die vier Streicher
allenfalls im Finale nicht bis in die letzte Fa-
ser abgründig ausformulieren. Dafür wird
Zemlinskys op. 15 zum Ereignis: Es ist
wahrlich kein leichtes Werk am Rande der
Tonalität, das vor allem in der zweiten Hälf-
te immer wieder neu ansetzt und erregt
kämpfende in traumverloren abhebende,
schnelle in langsame Passagen übergehen
lässt. Nicht selten könnte man hier ein au-
ßermusikalisches Programm vermuten.
Das muss freilich Spekulation bleiben,
doch man darf sich an einer ebenso plasti-
schen wie farbigen Wiedergabe erfreuen,
die unendlich viele Zwischentöne kennt
und dem Zuhörer ein reiches Spektrum an
Assoziationen erlaubt. Großer Beifall in
der leider nur halb besetzten Allerheiligen-
Hofkirche und Weberns „Langsamer Satz“
als Zugabe. klaus kalchschmid

Ein Violinduo in der Milla: die Geschwis-
ter Marie-Luise und Christoph Dingler
alsThe Twiolins. FOTO: CHRISTOPH ASMUS

Bei den leisen Tönen angekommen: Multi-
talent Mira Mann. FOTO: THOMAS GOTHIER

Die Macht der Bilder


In derAusstellung „Framing“ des Ismaninger Kallmann-Museums beschäftigen sich Künstler mit der Frage,


wie Medien die Wahrnehmung von Gesellschaft, Geschichte und Politik beeinflussen


Lieb und teuer


„The Libertines“ spielen in
der ausverkauften Tonhalle

Ganz allein


Daniel Müller-Schott spielt
im BR-Studio Cello-Solowerke

Vom Genre befreit


„Progressive Chamber Music“ in der Milla


Stille als Stil


Die „Candelilla“-Sängerin Mira Mann stellt ihre erste Solo-EP vor


Reifer geworden


Das junge „Quatuor Arod“
in der Allerheiligen-Hofkirche

Ein neuer Gedichtband
soll im kommenden
Jahr erscheinen

Ausschnitt aus der
Videodokumentation „The
Crime of Rescue – The Iuventa
Case“ (2018) von Forensic
Oceanography. VIDEO-STILL:
PROJEKTTEAM FORENSIC OCEANOGRAPHY

Es geht darum,
die Wahrheit zu ergründen
und Lügen zu entlarven

KURZKRITIK


R20 – (^) KULTUR Mittwoch,6. November 2019, Nr. 256 DEFGH

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