Süddeutsche Zeitung - 06.11.2019

(Tina Sui) #1
von georg mascolo

Berlin– Es ist eine Art legalisierte Spiona-
ge.Seit 17 Jahren schon heben in Russland,
in den USA und in Europa Überwachungs-
flugzeuge ab und nehmen mit hochsensib-
len Kameras Bilder von Militärstützpunk-
ten auf. Russische Flieger kreuzen über
den USA, amerikanische Jets patrouillie-
ren zwischen Moskau und Wladiwostok.
Die 2002 in Kraft getretene Vereinbarung
„Open Skies“ erlaubt 34 Vertragsstaaten,
darunter Deutschland, solche Überflüge.
Rund 1500 dieser Überwachungsmissio-
nen haben bereits stattgefunden.
In der Bundesregierung befürchtet
man, dass es nicht viel mehr werden könn-
ten. Seit Wochen gehen in Berlin beunruhi-
gende Nachrichten ein, US-Präsident Do-
nald Trump sei angeblich zur Kündigung
des Vertrags entschlossen. Auf ausdrückli-
che Nachfrage hat die US-Regierung das
nicht dementiert: Man überprüfe das Ab-
kommen, noch sei nichts entschieden. Die
wachsweiche Antwort versetzte den diplo-
matischen Apparat in Außenministerium
und Kanzleramt in Alarmstimmung. Nach
Informationen vonSüddeutscher Zeitung,
NDR und WDR hat Außenminister Heiko
Maas am 18. Oktober einen Brief an seinen
US-Amtskollegen Mike Pompeo geschrie-
ben und auf die besondere Bedeutung des
Abkommens für die ohnehin schwer be-
schädigte Abrüstungsarchitektur verwie-
sen. Gemeinsam mit Briten und Franzosen
übersandten die Deutschen zudem ent-
sprechende Demarchen, die deutsche Bot-
schafterin in Washington, Emily Haber,
wurde im Weißen Haus vorstellig. Die Bot-
schaft war stets: Das „Open Skies“-Abkom-
men müsse bleiben, es sei „einer der letz-
ten funktionierenden Mechanismen zur
Vertrauensbildung zwischen Europa und
Russland“, erklärt das Auswärtige Amt.
Auch die Demokraten im Kongress haben
ihre „große Sorge“ wegen eines möglichen
Vertragsendes ausgedrückt.
Anders als beim von Russland und den
USA aufgekündigten INF-Vertrag kann Wa-
shington beim Ringen um den offenen
Himmel auf keinerlei Verständnis aus Eu-
ropa rechnen. Beim INF-Vertrag waren die
Nato-Staaten davon überzeugt, dass Russ-
land die Vereinbarung bewusst gebrochen
hatte. Im Fall von „Open Skies“ gibt es
ebenfalls Kritik an Russland, so verweigert
Moskau seit Jahren den Überflug der En-
klave Kaliningrad. Auch an anderen Orten,
etwa an der umstrittenen Grenze zwischen
Russland und Georgien, kam es zu Schwie-
rigkeiten. Die USA reagierten mit Ein-
schränkungen und verweigerten 2016 ei-
nen Überflug der pazifischen Flotte und ei-
ner Raketenabwehr-Stellung in Alaska.

Eine bereits vor Jahren eingesetzte Arbeits-
gruppe namens „Small Group“ konnte die
sogenannten Implementierungsdefizite
nicht lösen. „Kein RUS Einlenken,“ notier-
te bereits 2017 das Auswärtige Amt.

Dennoch ist das Abkommen aus euro-
päischer Sicht ein überragender Erfolg.
Einzelne Verstöße rechtfertigten keines-
falls die Kündigung, heißt es in der Bundes-
regierung. Hier verweist man auf die so ent-
stehenden Luftbilder, vor allem aber auf
die vertrauensbildende Wirkung der Über-
flüge. In den Fliegern sitzt Personal aus
den beobachtenden und den beobachteten
Staaten beieinander. Solche direkten Kon-
takte des Militärs gelten besonders in ange-
spannten Zeiten als entscheidend.

Tatsächlich sind die USA aufgrund ihrer
überlegenen Satellitentechnik weniger auf
solche Luftbilder angewiesen. Die ersten
Schritte zur möglichen Kündigung des „Of-
fenen Himmels“ soll noch der inzwischen
gefeuerte Nationale Sicherheitsberater
John Bolton eingeleitet haben, der ohne-
hin nichts von solchen Abkommen hielt.
Dabei stammt die Idee ursprünglich aus
den USA. 1955 schlug der damalige Präsi-
dent Dwight Eisenhower vor, die verfeinde-
ten Supermächte sollten nicht nur Karten
ihrer Militärstützpunkte austauschen, son-
dern gegenseitige Überwachungsflüge er-
lauben. Nach dem Fall der Mauer wurde
die große Vision wahr.
In Berlin richtet sich die Hoffnung dar-
auf, dass die Trump-Regierung nach den
massiven Protesten noch einmal ins Nach-
denken gekommen ist. Bei einer Anhörung
im Kongress in der vergangenen Woche er-
klärte der designierte US-Botschafter in
Moskau, John Sullivan, in jedem Fall wür-

den Kongress und die Nato-Alliierten kon-
sultiert. Europa will den Druck aufrechter-
halten – und darauf verweisen, wie wichtig
die Vereinbarung gerade für ihre Sicher-
heit sei. In einem Hangar der Flugbereit-
schaft der Bundeswehr wartet bereits die
nächste Generation der Überwachungs-
flugzeuge auf ihren Einsatz. Ein umgebau-
ter AirbusA-319mit Digitalkameras und ei-
nem Infrarotsensor soll voraussichtlich
von 2020 an zum Einsatz kommen.
In dieser Woche kommt US-Außenmi-
nister Pompeo nach Deutschland, er wird
mit Maas an die ehemalige innerdeutsche
Grenze reisen, wo er im Kalten Krieg als
junger Panzerkommandant Dienst tat. In
Berlin warten dann Verteidigungsministe-
rin Annegret Kramp-Karrenbauer und
Kanzlerin Angela Merkel auf ihn. Auf den
Sprechzetteln aller Politiker steht das
„Open Skies“-Abkommen. Pompeo soll
mit einer unmissverständlichen Botschaft
zu seinem Präsidenten zurückreisen.

Rom– In der Zwischenwelt ist Täuschen
undTarnen ein wichtiges Handwerk, und
wahrscheinlich ist darin niemand besser
als die süditalienische Mafia. Antonello Ni-
cosia, 48 Jahre alt, aus Sciacca in der sizilia-
nischen Provinz Agrigent, hatte es zum
Großmeister der Verschleierung gebracht


  • bis sie ihn jetzt entlarvt und überführt ha-
    ben. Nun nennt man Nicosia den „Postbo-
    ten der Cosa Nostra“.
    Ausgerechnet ihn. Nicosia war bislang
    als Vorkämpfer für Bürger- und Menschen-
    rechte unterwegs gewesen: für die Rechte
    von Flüchtlingen, die Rechte von Arbeitslo-
    sen und sozial Randständigen. Er saß ei-
    nem gemeinnützigen Verein vor mit dem
    etwas pompösen Namen „Internationales
    Observatorium für Menschenrechte“. Am
    stärksten aber beschäftigten Nicosia die
    Rechte von Häftlingen. Er trat den Radicali
    Italiani bei, einer politischen Partei, die
    sich immer schon für einen menschlichen
    Umgang mit Gefängnisinsassen einsetzte.
    Er gehörte sogar ihrem Führungsorgan an.
    Nicosia fiel auf, er trug oft Brillen in knal-
    ligen Farben, Blau, Gelb, Rot. Auf dem sizili-
    anischen Lokalsender Aracne TV führte er
    durch das Programm „Mezz’ora d’aria“,
    übersetzt steht das für: eine halbe Stunde


Freigang. Immer das eine Thema. Im ver-
gangenen Jahr gelang ihm ein Coup. Nico-
sia erhielt eine Anstellung als parlamenta-
rischer Mitarbeiter einer linken Abgeord-
neten. Pina Occhionero, damals Mitglied
von Liberi e Uguali und gänzlich unwis-
send, ließ sich blenden vom Lebenslauf
des Bewerbers. So gab Nicosia vor, er sei
Dozent für Mafiageschichte an der Univer-
sität von Kalifornien. Alles frei erfunden.

Nun besaß er einen Parlamentsausweis:
Und der half ihm, auch zu jenen Häftlingen
vorgelassen zu werden, die unter dem här-
testen Regime im italienischen Strafvoll-
zug festgehalten werden, dem sogenann-
ten 41-bis. Die totale Isolation soll die Ma-
fiabosse brechen, damit sie auspacken.
„Ich habe die perfekte Verschleierungstak-
tik gefunden“, sagte Nicosia einmal am Te-
lefon, aber da hörten die Fahnder schon
mit. Offenherzigkeit am Handy wird er-
staunlich vielen Verbrechern zum Verhäng-
nis, immer wieder, selbst Meistern.

Der vermeintliche Menschenrechtler be-
suchte also Haftanstalten, bis zu vier in ei-
nem Monat. Er holte Anweisungen der Bos-
se im „41-bis“, die mit niemandem Kon-
takt haben durften, und überbrachte sie
den Adressaten in der Freiheit. Manche
Botschaften notierte er wohl auf dem Pa-
pierblock mit dem Kopf „Camera dei Depu-
tati della Repubblica“, der Abgeordneten-
kammer. Auch darüber machte er Witze
am Telefon, so sicher fühlte er sich. Matteo
Messina Denaro, den untergetauchten Su-
perboss der Mafia aus Castelvetrano, nann-
te er „unseren Premierminister“.
Die Ermittler gehen davon aus, dass der
Postbote direkt vom Paten bezahlt wurde.
Nicosia wird auch verdächtigt, für die Cosa
Nostra Geld gewaschen und Geschäfte in
Amerika geführt zu haben. Er sei „voll und
ganz integriert“ gewesen in die kriminelle
Vereinigung, heißt es in der Haftverfü-
gung. Zweifel daran haben die Ermittler
wohl auch deshalb keine, weil sie Antonel-
lo Nicosia auch einmal zuhörten, wie er
über Giovanni Falcone und Paolo Borselli-
no sprach. Die beiden Richter sind 1992
von der Mafia ermordet worden – brutal,
in Blutbädern. Nicosia nannte dies höh-
nisch „Arbeitsunfälle“. oliver meiler

Im Strafgesetzbuch verstreut liegen noch
einige schrulligealte Paragrafen, am bes-
ten setzt man ein Monokel auf, um sie zu
lesen. Missbrauch von Scheckkarten – ob-
wohl es keine Scheckkarten mehr gibt.
Verschleppung in die DDR, strafbar nach
Paragraf 234 a – obwohl der Grund für
diesen Tatbestand schon kurz vor dem
Scheckbuch verschwunden ist. Es ist un-
totes Recht, dennoch wird es von der Poli-
tik nicht angetastet und mit jeder Neuauf-
lage des Gesetzbuchs weiter mitge-
schleppt – „als wollte man“, so hat es
jüngst ein Autor der Strafverteidiger-Zeit-
schriftFreispruchformuliert, „eine Cra-
zy-Law-Challenge gewinnen oder hoffte
insgeheim, die DDR kehrte zurück und
würde reuigen Rechtspolitikern das Be-
grüßungsgeld in Barschecks auszahlen“.
Der Justizsenator von Berlin, Dirk Beh-
rendt, will jetzt entrümpeln. Der Grünen-
Politiker schlägt vor, nach dem Prinzip zu
verfahren: Was lange nicht mehr benutzt
worden ist, kann im Zweifel weg, oder ge-
nauer gesagt: „Nicht mehr gesellschaft-

lich relevante Phänomene“ müssten
auch nicht mehr unter Strafe gestellt wer-
den. So heißt es in Behrendts Beschluss-
vorschlag für die am Donnerstag begin-
nende Justizministerkonferenz.

Auf der Streichliste stehen die Störung
einer Bestattungsfeier (Paragraf 167 a
Strafgesetzbuch), der unbefugte Ge-
brauch von Pfandsachen (290), die Ge-
fährdung von Schiffen, Kraft- und Luft-
fahrzeugen durch Bannware (297), die
Verletzung amtlicher Bekanntmachun-
gen (134). Diese ganze Liste ist schon des-
halb so ungewöhnlich, weil die Straf-
rechtspolitik seit den 1990er-Jahren ei-
gentlich nur eine Richtung kannte: Viel
hilft viel. Also immer mehr davon.
Das Strafgesetzbuch ist immer dicker
geworden in den vergangenen Jahren, un-

ter dem SPD-Bundesjustizminister Hei-
ko Maas wurden noch einmal besonders
viele neue Strafvorschriften eingeführt –
und „es ist nicht zu erkennen“, so kriti-
siert der Grüne Behrendt, „ob der ebenso
notwendigen Frage, ob einzelne Strafnor-
men noch erforderlich sind, mit vergleich-
barem Elan nachgegangen wird“. Ge-
meint ist: Nein. Und: Es wird Zeit.
Eine Umfrage unter 72 Strafrechtspro-
fessoren, die 2017 veröffentlicht wurde,
ergab sogar noch eine viel längere Streich-
liste, dort wurde der Paragraf gegen Got-
teslästerung besonders oft genannt oder
auch der gegen Doppelehe. Der Berliner
Justizsenator schlägt jetzt aber nur einen
einzigen Paragrafen zur Streichung vor,
der tatsächlich noch in größerem Um-
fang Arbeit macht für Staatsanwälte und
Richter: das Schwarzfahren. „Die Res-
sourcen der Strafjustiz sind endlich“, so
Behrendt, man brauche sie für wichtige-
re Dinge wie Sexualdelikte, Terrorismus
oder Wirtschaftskriminalität.
ronen steinke

Berlin– In der Außenpolitik der großen
Koalition zeigen sich immer tiefere Risse.
Der Vorsitzende des Auswärtigen Aus-
schusses, Norbert Röttgen (CDU), verstärk-
te am Dienstag seine Kritik an Bundesau-
ßenminister Heiko Maas (SPD). Im Zusam-
menhang mit einem Artikel zum 30. Jahres-
tag des Mauerfalls, den Maas am Wochen-
ende in zahlreichen europäischen Zeitun-
gen publiziert hatte, sprach Röttgen von
einem „historischen Fehltritt“. Der Außen-
minister danke zwar „richtigerweise vie-
len“, versäume es aber, ausdrücklich die
USA in seinen Dank einzubeziehen. „Das
wird der Geschichte nicht gerecht und ist
ein historischer Fehltritt, der völlig unver-
ständlich ist“, kritisierte Röttgen. Die Deut-
schen wüssten genau um den Beitrag der
USA für die deutsche Einheit „beginnend
mit dem Marshall-Plan, über die Politik
John F. Kennedys und Ronald Reagans bis
hin zum entscheidenden Einsatz von Präsi-
dent George Bush“. Es sei „unverzeihlich“,

dass der deutsche Außenminister dies
„nicht zu würdigen weiß oder nicht würdi-
gen will“. Zuvor hatte der frühere Oberkom-
mandierende der US-Landstreitkräfte in
Europa, Ben Hodges, Maas auf Twitter kri-
tisiert, weil er die Rolle Reagans nicht er-
wähnt hatte. Maas hatte neben den Völ-
kern Mittel- und Osteuropas auch „unse-
ren Freunden und Bündnispartnern im
Westen, aber auch Gorbatschows Politik
von Glasnost und Perestroika“ gedankt.
Die Kritik Röttgens reiht sich ein in
schwere gegenseitige Vorwürfe von Außen-
politikern der Koalition. So warf Maas der
CDU-Vorsitzenden und Verteidigungsmi-
nisterin Annegret Kramp-Karrenbauer
vor, die deutsche Außenpolitik mit ihrem
Vorstoß für eine UN-Schutzzone in Syrien
beschädigt zu haben. Er glaube, dass der
Zeitpunkt dieses Vorschlags „auch inner-
halb der Union“ nicht abgestimmt gewe-
sen sei, sagte der SPD-Politiker am Mon-
tagabend dem Zeitungsnetzwerk RND.
„Das macht natürlich keinen guten Ein-
druck, sowohl in Deutschland, als auch
außerhalb Deutschlands. So etwas beschä-
digt die Außenpolitik insgesamt“, kritisier-
te Maas. Darauf reagierte wiederum der au-
ßenpolitische Sprecher der Unionsfrakti-
on, Jürgen Hardt. Die Verbalattacke gegen
Kramp-Karrenbauer und ihren Vorschlag
sei nicht akzeptabel, kritisierte er. Maas be-
schädige die außenpolitische Handlungsfä-
higkeit Deutschlands zutiefst. Der Außen-
minister solle sich aktiv für eine Sicher-
heitszone im umkämpften Nordsyrien ein-
setzen.daniel brössler  Seite 4

München– Investiert ein Land in die digi-
tale Ausstattung seiner Schulen – etwa in
Notebooks, smarte Tafeln und Wlan –, wer-
den Jugendliche dadurch nicht automa-
tisch zu klügeren Computernutzern. Das
ist die zurzeit wohl wichtigste Botschaft,
die man hierzulande aus der Studie der in-
ternationalen Bildungsforschungskoope-
rative IEA mitnehmen sollte. In ihrem Ver-
gleich von sieben europäischen und fünf
außereuropäischen Ländern warnen die
Forscher vor der Annahme, mit Technik al-
lein sei schon viel gewonnen. Schüler müss-
ten lernen, mit Computern sicher und ef-
fektiv umzugehen – und Lehrer müssten
lernen, wie sie es ihnen beibringen.
In Berlin, wo die Studie am Dienstag vor-
gestellt wurde, wird diese Botschaft als Be-
stätigung aufgefasst. Die Analyse zeige,
„dass wir uns mit dem Digitalpakt auf den
richtigen Weg gemacht haben“, sagte der
Präsident der Kultusministerkonferenz
(KMK) und Hessische Kultusminister Alex-
ander Lorz. Denn dieser Digitalpakt, der
nach langem Gezerre zwischen Bund und
Ländern im Sommer in Kraft getreten ist,
sieht ja nicht nur fünf Milliarden Euro für
technisches Equipment vor. Er verpflich-
tet die Schulen auch, bevor sie ihren Anteil
abbekommen, überzeugend darzulegen,
wie sie der Technik einen Nutzen abringen
wollen. Erst die pädagogischen Konzepte
ermöglichten „einen Mehrwert des Digita-
len für die Kompetenzentwicklung und Bil-
dung“ der Schüler, so Lorz.
Klar, dass dieser Mehrwert nur mit willi-
gen Lehrern zu erzielen ist. „Die Digitalisie-
rung ist nur dann erfolgreich, wenn wir un-
sere Lehrerinnen und Lehrer für den Ein-
satz noch mehr begeistern können. Dafür

starten die Länder nun eine Fortbildungs-
offensive“, versprach der KMK-Präsident.
Und die ist auch nötig, wie die Studie
zeigt. Knapp 3700 Achtklässler und fast
2400 Lehrkräfte aus 210 Schulen nahmen
für Deutschland teil. In keinem anderen
Land nutzen so wenige Lehrer digitale Me-
dien täglich im Unterricht. Das liegt aber
auch an der Technik – so besucht nur jeder
vierte Achtklässler eine Schule, in der es
Wlan für alle gibt. Gemessen daran sind
die Studienergebnisse glimpflich: Die Com-
puterkenntnisse der Schüler liegen leicht
über dem internationalen Mittelwert, ihre
Fähigkeiten, computergestützt Aufgaben
zu lösen, liegen leicht darunter. Insgesamt
ein Platz im Mittelfeld, nicht besser oder
schlechter als beim ersten Durchlauf der
Studie fünf Jahre früher. Will Europas
stärkste Wirtschaftsnation hier vom Fleck
kommen, muss sie ihre Paktpläne vom Pa-
pier in die Praxis befördern können.
Die Kompetenzstufen, derer sich die Stu-
die bedient, verraten genauer, wie gut Acht-
klässler schon auf das Leben und Arbeiten
in der digitalen Welt vorbereitet sind. Le-
vel 1 meint rudimentäre Kenntnisse, etwa
wie man einen Link in einem neuen Tab öff-
net. Level-2-User können beispielsweise
Texte layouten, auf Level 4 recherchiert
ein Schüler sicher im Web und erzeugt an-
spruchsvolle Informationsprodukte.
Jeder dritte Achtklässler in Deutsch-
land kommt über Level 1 nicht hinaus, nur
zwei von hundert erreichen Level 4. Dabei
hängt – wie in anderen Ländern – viel von
der sozialen Herkunft ab. Akademikerkin-
der sind am Computer im Schnitt fitter als
andere. Auch dieses Problem müssen Schu-
len angehen. susanne klein  Seite 4

6 HMG (^) POLITIK Mittwoch,6. November 2019, Nr. 256 DEFGH
Postbote des Paten
Italiens Justiz überführt einen Menschenrechtler, der inhaftierten Mafia-Bossen diente
München– Das Bundesinstitut für
Arzneimittel und Medizinprodukte
(BfArM) soll künftig selbst schädliche
Herzschrittmacher und andere Medizin-
produkte zurückrufen oder ihre Anwen-
dung verbieten können. Dies geht aus
einem Gesetzentwurf hervor, den das
Bundeskabinett nach Informationen
derSüddeutschen Zeitungam Mittwoch
beschließen soll. „Damit schützen wir
Patienten. Und wir sorgen für Vertrau-
en. Patienten sollen sicher sein, dass
Prothesen, Hörgeräte und Herzschritt-
macher helfen und nicht schaden“, sag-
te Gesundheitsminister Jens Spahn
(CDU) der SZ. Bisher konnte das BfArM
nur Landesbehörden empfehlen, ein
Produkt nicht länger vertreiben zu las-
sen. Diese mussten dem Vorschlag aber
nicht folgen. Mit dem Gesetz setzt
Spahn zwei EU-Verordnungen mit neu-
en Regeln für Medizinprodukte um. Im
November 2018 hatten SZ, NDR und
WDR im Rahmen der weltweiten Im-
plant-Files-Recherche über die Folgen
gefährlicher Insulinpumpen oder Brust-
implantate berichtet. klu, mam
Tel Aviv– Der Oberste Gerichtshof in
Israel hat die Ausweisung von Omar
Shakir, Regionalchef der Menschen-
rechtsorganisation Human Rights
Watch, bestätigt. Der US-Bürger Shakir
muss das Land innerhalb von 20 Tagen
verlassen. Das Gericht zitierte drei Twit-
ter-Meldungen Shakirs, in der er unter
anderem die Fifa und eine Buchungs-
plattform auffordert, nicht in jüdischen
Siedlungen im Westjordanland aktiv zu
werden. Shakir reagierte auf Twitter:
Sollte die Regierung die Entscheidung
umsetzen, stelle sich Israel in eine Rei-
he mit Ländern wie Iran, Nordkorea
und Ägypten in der Blockade von Hu-
man-Rights-Watch-Vertretern. Die EU
hatte Israel aufgefordert, die Auswei-
sung zurückzunehmen. afs
Berlin– Die neue Drogenbeauftragte
der Bundesregierung, Daniela Ludwig
(CSU), zeigt sich offen für Gespräche
über eine Teilfreigabe von Cannabis.
Das Thema treibe viele Menschen um,
sagte Ludwig am Dienstag bei der Prä-
sentation des Drogen- und Suchtbe-
richts 2019 in Berlin. Deswegen werde
sie mit Befürwortern und Gegnern ei-
ner Teilfreigabe den Dialog suchen. Sie
wolle sich auch über die Erfahrungen
Österreichs erkundigen, wo Kleinstmen-
gen Cannabis für den Eigenbedarf mit
einem speziellen Wert der Inhaltsstoffe
THC und CBD erlaubt sind. „Ich glaube
nicht, dass es so bleibt, wie es ist“, sagte
sie, stellte aber zugleich klar: „Cannabis
ist nicht nur ein Kraut, sondern kann
auch gefährlich sein.“ Zugleich bekräf-
tigte Ludwig ihr Nein zur Freigabe von
Kleinstmengen bei harten Drogen wie
Kokain oder Heroin. Der Drogen- und
Suchtbericht 2019 weist bei jungen
Erwachsenen und bei Erwachsenen
einen weiteren Anstieg des Cannabis-
Konsums (FOTO: DPA) aus. epd
Ist das Strafrecht oder kann das weg?
Berlins Justizsenator will Taten aus dem Gesetzbuch entfernen, die keinen mehr stören
Berlin– Bundeskanzlerin Angela Mer-
kel (CDU) hat eindringlich für das Ergeb-
nis der koalitionsübergreifenden Ar-
beitsgruppe zur Grundrente geworben.
Dies sei eine gute Basis für einen tragfä-
higen Kompromiss des Koalitionsaus-
schusses am kommenden Sonntag,
machte Merkel am Dienstag in einer
Sitzung der Unionsfraktion nach Anga-
ben von Teilnehmern deutlich. Man
habe sich in der Tat vom Wortlaut des
Koalitionsvertrags entfernt, sagte Mer-
kel demnach – aber nicht, weil die SPD
das so gewollt habe. Vielmehr auch
deswegen, weil die Union keine Antwort
darauf habe, wie eine Grundrente admi-
nistriert werden könne. Das Ergebnis
des Koalitionsausschusses am Sonntag
soll kommende Woche wieder in der
Unionsfraktion erörtert werden. dpa
Washington– In der Ukraine-Affäre
gerät US-Präsident Donald Trump
durch eine revidierte Aussage des US-
Botschafters bei der EU, Gordon Sond-
land, weiter unter Druck. Ihm sei klar
gewesen, dass es einen Zusammenhang
zwischen Trumps Dringen auf Ermitt-
lungen zu den Ukraine-Geschäften von
seinem innenpolitischen Rivalen Joe
Biden und zurückgehaltenen US-Hilfen
gegeben haben muss, sagte Sondland
laut einer am Dienstag veröffentlichten
Zusammenfassung seiner Aussage.
Eine andere glaubhafte Erklärung gebe
es nicht. Ursprünglich hatte Sondland
gesagt, ihm sei keine Verbindung be-
wusst gewesen. Dann hätten Aussagen
anderer Diplomaten seiner Erinnerung
auf die Sprünge geholfen. Im Mittel-
punkt der Affäre steht ein Telefonat
Trumps mit Ukraines Präsident Wolodi-
mir Selenskij, in dem Trump um Unter-
suchungen zu Biden bat. reuters
Digitales Defizit
Eine Studiezeigt, dass Lehrer Computer-Fortbildung brauchen
Maas dankt Gorbatschow,
Reagan erwähnt er nicht
Wenn Trump den Himmel schließt
Das Abkommen „Open Skies“ erlaubt 34 Nationen, einander mit Überwachungsflügen zu kontrollieren.
Es trug viel zur Entspannung zwischen den USA und Russland bei – nun denkt Washington an den Ausstieg
Vertrauensbildung aus der Luft: ein US-Aufklärungsflugzeug des TypsBoeing OC135B Open Skies. FOTO: MAURITIUS-IMAGES
Kontrolle für Schrittmacher
Israel weist US-Bürger aus
Offene Debatte um Cannabis
In denFliegern sitzt Militär
aus den beobachtenden und den
beobachteten Staaten beieinander
KURZ GEMELDET
Im Schnitt aller Länder erreichen 18 Prozent der Schülerinnen und Schüler nicht das Level 1
Wie Schüler mit Computern umgehen können
Italienische Schüler*innen wurden bereits zu Beginn des Schuljahres getestet; für die USA liegen nicht genügend Datenvor.SZ-Grafik; Quelle: IEA, Rundungsbedingte Differenzen
Schlechter als Level 1 Level 1 Level 2 Leve Level 4l 3
Italien
Uruguay
Portugal
Luxemburg
Südkorea
Kasachstan
Deutschland
Frankreich
Finnland
Dänemark
Chile
0% 18%20% 40% 60% 80% 100%
Mit einem Parlamentsausweis
öffnen sichdem Helfer
der Cosa Nostra alle Zellentüren
Auf einer Streichliste stehen
auch Gotteslästerung,
Doppelehe oder Schwarzfahren
Merkel wirbt für Kompromiss
Diplomat verschärft Aussage
„Historischer
Fehltritt“
CDU-Politiker Röttgen kritisiert
Artikel von Außenminister Maas

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