Süddeutsche Zeitung - 06.11.2019

(Tina Sui) #1

Brüssel– Die Klubgebühren steigen, und
dasgleich um ein Viertel: Der Mitglieds-
beitrag Deutschlands zur Europäischen
Union soll im Jahr 2027 annähernd 35 Milli-
arden Euro betragen. Das sind 8,5 Milliar-
den mehr, als im kommenden Jahr fällig
sind. Diese Berechnungen präsentierte
Gert Jan Koopman, Generaldirektor der
Haushaltsabteilung der EU-Kommission,
am Dienstag in Brüssel. Die Zahlen unter-
füttern den Entwurf der Behörde für den
Budgetplan für die sieben Jahre von 2021
bis 2027 – und sie liefern Munition für er-
bitterten Streit. Denn die Mitgliedstaaten
müssen sich auf den sogenannten mittel-
fristigen Finanzrahmen einigen, und die
Positionen liegen weit auseinander.
Deutschland gehört zu den EU-Staaten,
die auf Sparsamkeit dringen. Kein Wun-
der, schließlich zahlt das Land deutlich


mehr in die Brüsseler Kasse ein, als von
dort in Form von Agrarsubventionen oder
Hilfen für arme Regionen in die Bundesre-
publik zurückfließt: Deutschland ist der
größte Nettozahler.
Haushaltsdirektor Koopman argumen-
tiert aber, dass Statistiken über Nettozah-
ler und -empfänger „als Maßstab für Fair-
ness absolut bedeutungslos“ seien.
Schließlich verwende die EU einen großen
und wachsenden Anteil ihres Budgets
nicht für Agrarsubventionen und benach-
teiligte Landstriche, sondern für Aufgaben
wie Forschungsförderung oder Hilfe in der
Flüchtlingskrise. Von den Effekten dieser
Investitionen profitierten alle Staaten – ge-
nau wie vom Binnenmarkt. Die wirtschaft-
lichen Vorteile des gemeinsamen Marktes
stellten „ein Vielfaches der Beitragszahlun-
gen“ dar, sagt Koopman.

Trotzdem spielen Berechnungen zur
Nettobelastung eine große Rolle in der De-
batte. Deutschland überwies nach Anga-
ben der Kommission zuletzt 13,5 Milliar-
den Euro mehr pro Jahr nach Brüssel, als
von da direkt zurückfloss. Die Bundesregie-

rung befürchtet eine Steigerung auf gut
30 Milliarden Euro bis 2027, wenn das
neue Sieben-Jahres-Budget so üppig aus-
fällt, wie sich das die Brüsseler Behörde
erhofft. Koopmans Chef, Haushaltskom-
missar Günther Oettinger, tut die Berliner
Kalkulationen allerdings als „schlichtweg
falsch“ und „Horrorzahlen“ ab. Der Deut-

sche hält eine Nettobelastung von 23,5 Mil-
liarden Euro im Jahr 2027 für realistisch.
Der Streit um das Sieben-Jahres-Bud-
get ist diesmal besonders heftig, weil Groß-
britannien im Falle des Brexit-Vollzugs als
wichtiger Nettozahler wegfallen wird. Zu-
gleich verspricht die designierte Präsiden-
tin der EU-Kommission, Ursula von der
Leyen, ehrgeizige und damit kostspielige
Vorhaben, etwa beim Klimaschutz oder
dem digitalen Wandel. Oettinger präsen-
tierte den Haushaltsentwurf bereits vor an-
derthalb Jahren. Demnach soll die EU
nicht mehr als gut 1,1 Prozent der Wirt-
schaftsleistung des Blocks ausgeben. Das
entspricht insgesamt 1,135 Billionen Euro
für die sieben Jahre. Bislang liegt die Gren-
ze bei einem Prozent; die Steigerung soll
den Abgang der Briten teilweise auffan-
gen. Das EU-Parlament, das dem Haus-

haltsrahmen zustimmen muss, fordert gar
eine Erhöhung auf 1,3 Prozent.
Doch fünf der neun Nettozahler in der
EU – darunter Deutschland – verlangen,
dass ein Prozent als Höchstgrenze beibe-
halten wird: sehr zum Ärger jener Staaten,
die von Hilfsgeldern stark profitieren. De-
ren Regierungen schlossen sich zum Bünd-
nis „Freunde der Kohäsionspolitik“ zusam-
men, am Dienstag trafen sie sich in Prag.
Kohäsionspolitik ist der Fachbegriff für
die Förderung benachteiligter Regionen.
Es war vorgesehen, dass sich die Mit-
gliedstaaten bis Ende 2019 auf den mittel-
fristigen Haushaltsrahmen einigen. Aber
das ist wegen der großen Meinungsunter-
schiede nicht zu schaffen. Nun könnte es
gar Sommer oder Herbst 2020 werden. Im
Juli wird Deutschland die EU-Ratspräsi-
dentschaft übernehmen. Es ist daher gut

möglich, dass dann unter deutscher Füh-
rung eine Lösung gefunden werden muss.
Kommission und Parlament warnen aller-
dings, bei einer derartig späten Verabschie-
dung könnten manche EU-Programme
Anfang 2021 ohne Geld dastehen, weil
nicht mehr genügend Zeit für die
Umsetzung des Budgetplans bleibe.
Die Einigung wird noch erschwert
wegen eines Disputs um Rabatte. Neben
Großbritannien erhalten fünf weitere,
eher wohlhabende Staaten einen Nachlass
auf ihre Beitragszahlungen, darunter auch
Deutschland. Oettinger will den Abgang
der Briten zum Anlass nehmen, alle Rabat-
te zu streichen, da dies die Finanzierung
seiner Ansicht nach fairer und transparen-
ter machen würde. Die Profiteure möchten
ihre Rabatte jedoch nicht aufgeben: viel
Geld, viel Ärger. björn finke

Warschau– DerGerichtshof der Europäi-
schen Union (EuGH) hat einer Klage der EU-
Kommission gegen Polen stattgegeben
und Vorschriften über das Rentenalter für
Richter und Staatsanwälte als Bruch von
EU-Recht und Gefährdung richterlicher
Unabhängigkeit beurteilt. Am 12. Juli 2017
setzte Polen das Rentenalter für Richter
und Staatsanwälte an ordentlichen Gerich-
ten sowie für die Richter des Obersten Ge-
richts von zuvor 67 Jahre auf 65 Jahre für
Männer und 60 Jahre für Frauen herab. Po-
lens Regierung wollte so unabhängige älte-
re Richter des Obersten Gerichts und Ge-
richtspräsidentin Małgorzata Gersdorf vor-
zeitig aus ihren Ämtern entfernen.
Zweite Stoßrichtung war die Begünsti-
gung folgsamer Richter und Staatsanwälte
an ordentlichen Gerichten und in den
Staatsanwaltschaften. Das Gesetz ermög-
lichte es dem Justizminister (in Polen
gleichzeitig Generalstaatsanwalt), Richter
und Staatsanwälte auch nach Erreichen
des Rentenalters nach Belieben jahrelang
weiter im Amt zu lassen oder zu entlassen



  • ohne Begründung und ohne Möglichkeit
    der Anfechtung vor einem Gericht.
    Zwar wurde das Gesetz bereits Ende
    2017 nach einer vorläufigen Eilentschei-
    dung des EuGH von der PiS-Regierung ge-
    ändert. Mehrere zwangspensionierte Rich-
    ter am Obersten Gericht, darunter Ge-
    richtspräsidentin Gersdorf, kehrten in ihre
    Ämter zurück. Doch die EU-Kommission
    erhielt ihre Klage gegen Polen wegen der
    grundsätzlichen Bedeutung aufrecht.


Tatsächlich bekräftigte der EuGH jetzt,
dass auch ordentliche polnische Gerichte
auf Grundlage von EU-Recht urteilen dür-
fen (was Justizminister Ziobro bestreitet)
und es „von grundlegender Bedeutung“
sei, „dass ihre Unabhängigkeit gewahrt
ist“. Vollmachten des Justizministers, Rich-
ter nach herabgesetztem Rentenalter will-
kürlich weiter im Amt zu lassen oder zu ent-
fernen, widersprächen dem „Grundsatz
richterlicher Unabsetzbarkeit“.


Das Urteil des EuGH bedeutet indes kei-
nen umfassenden Schutz für Polens Rich-
ter. Bereits 2017/18 feuerte der Justizminis-
ter auf Basis eines anderen, im Spätsom-
mer 2017 in Kraft getretenen Gesetzes Dut-
zende Präsidenten und Vizepräsidenten or-
dentlicher Gerichte fristlos und ohne Anga-
be von Gründen. Bis dahin brauchte der Mi-
nister nicht nur einen Grund, sondern
auch die Zustimmung des mit der Wah-
rung der Unabhängigkeit der Richter be-
trauten Landesjustizrates (KRS), in Polen
ein Verfassungsorgan.
Doch auch der KRS wurde vorzeitig auf-
gelöst und durch ein regierungstreues Gre-
mium ersetzt. Das Verfassungsgericht
wird bereits seit 2017 von der Regierung
kontrolliert, am Obersten Gericht (SN) wur-
den eine Disziplinarkammer und eine Son-
derkammer geschaffen, die jedes rechts-

kräftige Urteil der letzten Jahre in Polen
nachträglich aufheben kann. Am 19. No-
vember urteilt der EuGH zur Frage der Un-
abhängigkeit der SN-Disziplinarkammer
und des KRS. Und die EU-Kommission ver-
klagte Polen am 10. Oktober zudem wegen

neuer Disziplinarregeln, die polnische
Richter faktisch jederzeit absetzbar ma-
chen. Zudem liegen aus Polen weitere An-
träge auf EuGH-Entscheidungen vor.
Gleichwohl kündigte PiS-Parteichef
Jarosław Kaczyński an, die Regierung wer-
de eine tief greifende „Reform der Gerich-
te“ fortsetzen. Als Erstes wird das Verfas-

sungsgericht noch enger an die Leine ge-
nommen. Bereits im Mai enthüllte dieGa-
zeta Wyborcza, dass die Ende 2016 mut-
maßlich rechtswidrig ernannte Verfas-
sungsgerichtspräsidentin Julia
Przyłębska in ihrer Privatwohnung regel-
mäßig sowohl Kaczyński wie Ministerprä-
sident Mateusz Morawiecki empfängt. Un-
ter Przyłebska urteilt das Verfassungsge-
richt nur noch im Sinne der Regierung.
Unter den 15 Verfassungsrichtern sind
noch einige unabhängige, nicht von der
PiS ernannte Richter. Drei von ihnen ge-
hen am 3. Dezember in Rente. Jetzt einigte
sich die PiS auf ihre Nachfolger: Unter die-
sen sind Stanisław Piotrowicz und Krysty-
na Pawłowicz, seit 2015 als Abgeordnete
maßgeblich an etlichen Gesetzen zur De-
montage des Rechtsstaats beteiligt.
Pawłowicz, eine habilitierte Juristin, fiel
im alten Parlament vor allem durch Pöbeln
und Angriffe sowohl auf die EU wie auf un-
abhängige Richter auf. 2014 nannte
Pawłowicz die EU-Fahne einen „Lumpen“.
Als im Mai 2017 der damals noch unabhän-
gige Landesjustizrat KRS und dessen Spre-
cher, der Richter Waldemar Żurek, Exper-
ten der Venedig-Kommission Rechtsbrü-
che der Regierung erläuterten, beschimpf-
te ihn Pawłowicz als „Verräter“ und forder-
te für polnische Richter die Einweisung in
ein „Umerziehungslager“. Auf Twitter
hetzt Pawłowicz aktuell etwa gegen „Ökos
und Homos“ als „Vertreter des Bösen“.
Stanisław Piotrowicz war im kommunis-
tischen Polen Staatsanwalt und klagte zur
Zeit des Kriegsrechts Dissidenten an. Un-
ter der PiS war er Vorsitzender des Justiz-
ausschusses und ab Ende 2015 Mitarchi-
tekt etlicher Gesetze und Beschlüsse zur
Abschaffung der Unabhängigkeit des Ver-
fassungsgerichtes und anderer Rechts-
staatsorgane. „Was kann man Schlimme-
res tun, als diese Leute einzubringen?“,
fragte Ex-Verfassungsgerichtspräsident
Andrzej Rzepliński. „Lasst uns dieses
krankhafte Tribunal auflösen!“
Polens Bürgerrechtskommissar Adam
Bodnar, der das letzte noch unabhängige
Verfassungsorgan führt, sagte, er könne
sich schon heute nicht mehr ans Verfas-
sungsgericht wenden – weil es „politisch
untergeordnet“ sei. florian hassel

Washington –Die letzte Wahl, in der Pete
Buttigieg angetreten ist, hat er gewonnen.
Und wie. Überwältigende 80,41 Prozent
der Wähler votierten vor vier Jahren für
ihn und bescherten ihm eine zweite Amts-
zeit als – Trommelwirbel – Bürgermeister
von South Bend, Indiana. Insgesamt be-
kam er 8515 Stimmen. Was liegt da näher,
als im nächsten Schritt zu versuchen, Präsi-
dent der USA zu werden?
Vorher muss Buttigieg allerdings erst
einmal der Kandidat seiner Partei werden.
Aber so, wie die Lage im parteiinternen
Vorwahlkampf ist, hält er überraschend
gut mit. Vor allem im Bundesstaat Iowa, in
dem am 3. Februar die erste Vorwahl statt-
findet, macht Buttigieg Eindruck auf die
Wähler: In den Umfragen liegt er inzwi-
schen mit etwa 17 Prozent auf Platz zwei –
hinter der Senatorin Elizabeth Warren
(22 Prozent), aber knapp vor dem früheren
Vizepräsidenten Joe Biden (16 Prozent).

Zwischen Warren und Biden, so könnte
man auch Buttigiegs politisches Profil
beschreiben. Er steht weit weniger links
als die Senatorin. Seine politischen Pläne
sind längst nicht so revolutionär, vor allem
aber gilt das für seinen Ton. Wo Warren –
zur Freude vieler demokratischer Parteiak-
tivisten – ständig von radikalen Umbauten
und vom „Kampf“ gegen Präsident Donald
Trump, die Republikaner, Milliardäre und
Großkonzerne redet, spricht Buttigieg von
moderateren Reformen und pragmati-
scher Zusammenarbeit. „Echte Lösungen,
nicht noch mehr Polarisierung“ lautet ei-
ner seiner Slogans.
Im Wahlkampf zeigt sich dieser Unter-
schied besonders deutlich beim zentralen
Thema: der Zukunft der Krankenversiche-
rung. Warren will private Krankenkassen

abschaffen und eine einzige, staatliche Ver-
sicherung für alle Amerikaner einrichten.
Das ist ein ehrgeiziger, finanziell und poli-
tisch aber auch riskanter Plan. Buttigieg
will die privaten Versicherungen bestehen
lassen, und nur Menschen, die dort nicht
unterkommen oder unzufrieden sind, er-
lauben, der existierenden staatlichen Kran-
kenversicherung für Senioren (Medicare)
beizutreten. Das wäre eine Art Weiterent-
wicklung von Präsident Barack Obamas
Obamacare-Reform – kein kompletter
Umbau, wie Warren ihn plant.
Inhaltlich liegt Buttigieg damit un-
gefähr auf der Linie von Biden. Er hofft
allerdings, sich in anderer Hinsicht vom
früheren Vizepräsidenten abzuheben – als
Repräsentant einer neuen Generation: Der
37-jährige Buttigieg ist vierzig Jahre jün-
ger als Biden. Er ist offen homosexuell und
mit einem Mann verheiratet. Er hat in der
Armee gedient und war in Afghanistan im
Einsatz. Und er hat seine (eher begrenzten)
politischen Erfahrungen nicht wie Biden
über Jahrzehnte in Washington gesam-
melt, sondern in einer etwas herunter-
gekommenen ehemaligen Industriestadt
im amerikanischen Herzland, wo der Rost-
gürtel auf den Mittleren Westen trifft.
Zugleich ist Buttigieg ein Intellektuel-
ler, was man bei seinen Debattenauftritten
merkt. Er hat in Harvard studiert und als
Rhodes-Stipendiat in Oxford. Er kann ma-
kellos formulieren und überzeugend ar-
gumentieren. Lange Zeit hat er sich mit
Attacken auf die anderen Kandidaten zu-
rückgehalten. Er war Pete, der Nette. Seit
Kurzem tritt er jedoch etwas aggressiver
auf – das Rennen wird eben härter.
Buttigieg setzt derzeit darauf, dass er in
Iowa sehr gut abschneidet. Das hat schon
früher Kandidaten Schwung gegeben. Al-
lerdings ist nicht ganz klar, wo er mit die-
sem Schwung dann weitere Siege erringen
will. In New Hampshire, dem zweiten Vor-
wahlstaat, sind seine Umfragewerte ein-
stellig. In South Carolina spielt er kaum ei-
ne Rolle, die vielen schwarzen Wähler dort
können mit dem jungen, schwulen Weißen
aus Indiana wenig anfangen. So bemer-
kenswert Buttigiegs derzeitiger Aufstieg in
Iowa also auch ist, seine Kandidatur kann
auch dort enden. hubert wetzel

Die Proteste vieler Bürger gegen die Justizreform – wie hier im Sommer 2019 in
Warschau– beeindrucken die Regierung Morawiecki kaum. FOTO: CZAREK SOKOLOWSKI/AP

Deutschlands EU-Beitrag soll um 8,5 Milliarden Euro steigen


Brüsseler Kommission muss in den kommenden Jahren den absehbaren Ausfall der Briten als Nettozahler ausgleichen, aber will unter Ursula von der Leyen neue, kostspielige Projekte umsetzen


von christoph giesen

Shanghai– Eswaren deutliche Worte, die
Frankreichs Präsident wählte: „Niemand
gewinnt einen Handelskrieg“, sagte Emma-
nuel Macron am Dienstag bei seiner Rede
zur Eröffnung der Shanghaier Importmes-
se – ein Plädoyer für den freien Handel,
Kritik am Protektionismus, vor allem aber
ein Tadel für US-Präsident Donald Trump.
Macrons chinesischen Gastgebern dürfte
das gefallen haben. Denn seit Monaten
überbieten sich Washington und Peking
gegenseitig mit dem Verhängen von Straf-
zöllen. Trump und sein Amtskollege Xi Jin-
ping haben die USA und China in einen
Handelskrieg verwickelt, wie ihn die Welt
noch nicht gesehen hat. Waren im Wert
von Hunderten Milliarden Dollar sind mit
Abgaben belegt worden.
Ein Handelskrieg, das erklärte auch Ma-
cron, schadet der Weltwirtschaft. Allein-
gänge und Zölle seien nicht der richtige
Weg. „Das ist nicht die Wahl Frankreichs
oder der Europäischen Union“, sagte Ma-
cron. „Wir hoffen, dass eine Einigung er-
zielt werden kann, um die Spannungen ab-
zubauen und die Interessen aller Beteilig-
ten zu wahren.“ Genau das hofft man auch
in Peking. Der Zwist mit Washington setzt
der Volksrepublik ökonomisch enorm zu.


Chinas Staats- und Parteichef Xi ver-
suchte das in Metaphern zu kleiden. Die
Volksrepublik sei bereit, „die Tür noch
weiter für die Welt zu öffnen“, versprach er
in seiner Rede. Ziel sei es, der wirtschaftli-
chen Globalisierung mehr Impulse zu
verleihen und entsprechende Hindernisse
so weit wie möglich zu verringern. Die Dy-
namik der Globalisierung verglich er mit


den großen Strömen der Welt. „Obwohl es
manchmal einige Wellen gibt, die rück-
wärts gehen, und obwohl es viele Untiefen
gibt, rauschen die Flüsse vorwärts und
niemand kann sie aufhalten.“ Ähnliche An-
sprachen hat Xi aber schon häufiger gehal-
ten, etwa 2017 beim Weltwirtschaftsforum
in Davos. Viel passiert ist seitdem nicht.

Mit entsprechender Skepsis im Hinter-
kopf war Frankreichs Präsident daher am
Montag samt einer Delegation von Wirt-
schaftsvertretern zu einem dreitägigen
Besuch nach China gereist. Erst nach
Shanghai, dann nach Peking. Begleitet
wird er auch von der deutschen Bildungs-
ministerin Anja Karliczek und dem für
Landwirtschaft und Handel zuständigen
EU-Kommissar Phil Hogan. Damit wollen
die Europäer in den Verhandlungen gegen-
über der Volksrepublik ihre Geschlossen-
heit demonstrieren.
Es ist bereits das zweite Mal, dass Frank-
reich, die EU und Deutschland als Troika
mit Peking verhandeln. Im Frühjahr hatte
Macron die Chinesen mit diesem Ansatz
noch überrascht. Als Xi Jinping im März
erst Italien besuchte und nach einer Stipp-
visite in Monaco weiter nach Paris flog,
traf er dort nicht nur auf den französischen
Präsidenten, sondern gleich auch noch auf
Bundeskanzlerin Angela Merkel und EU-
Kommissionspräsident Jean-Claude Jun-
cker. Das Signal: Europa ist geeint und
lässt sich nicht auseinanderdividieren. Ge-
meinsam wollen Berlin, Paris und Brüssel
erreichen, dass Xi Wort hält und die chine-
sische Wirtschaft ein Stück weiter öffnet.
Allerdings war die Reise diesmal vor al-
lem für die deutsche Seite ein Drahtseilakt.
Bildungsministerin Karliczek ist so etwas

wie die Kompromisslösung: nicht zu pro-
minent und doch im Ministerrang. Allzu
viel zu tun gibt es für sie in China nicht. EU-
Kommissar Hogan hat immerhin eine
eigene politische Mission. Die EU unter-
zeichnete ein Abkommen mit China, das
die Herkunft von Lebensmitteln schützt.
Bordeaux-Wein, der in China verkauft
wird, muss nun auch wirklich aus dem Mé-
doc stammen. Und nicht jeder Blauschim-
melkäse darf sich künftig Roquefort nen-
nen. Von gut hundert gelisteten Produkten
stammt etwa ein Viertel aus Frankreich.
Der Grund für die deutsche Zurückhal-
tung ist der Ort, an dem Macron seine Rede
halten musste. Just im Klima der Abschot-
tung veranstaltet China nämlich zum zwei-
ten Mal eine Importmesse: die China Inter-
national Import Expo, kurz CIIE. 3000 Un-
ternehmen haben im weitläufigen Messe-
zentrum Shanghais ihre Stände aufgebaut.
Im Unterschied zu einer Fachmesse, bei
der sich Experten auf den neusten Stand
bringen können und gewöhnlich auch jede
Menge Verträge unterzeichnet werden, ist
die Shanghaier Importshow ein Sammel-
surium. Internetfirmen, Stand an Stand
mit Reedereien. Papiermaschinenherstel-
ler und Chip-Konzerne, Seite an Seite.

Verkauft wird fast nichts. Laut einer
Erhebung der Europäischen Handelskam-
mer in China wurden gerade einmal die
Hälfte der im vergangenen Jahr unterzeich-
neten Deals abgeschlossen. 47 Prozent der
Projekte stehen entweder noch aus oder
liegen auf Eis. Etliche ausländische Unter-
nehmen berichten, von der chinesischen
Regierung gedrängt worden zu sein, auf
der Messe in Shanghai auszustellen.
Der einzige Grund dieser Leistungs-
schau: China will im Handelskriegs ein
positives Signal aussenden. US-Präsident
Trump fordert, dass China seinen Handels-
bilanzüberschuss verringert und die CIIE
soll zeigen: Seht her, egal, was dieser Mann
im Weißen Haus twittert, China ist und
bleibt ein offener Markt, es wird impor-
tiert und das nicht zu knapp. Der wich-
tigste Zeuge dafür war in diesem Jahr
Frankreichs Präsident Macron mit seiner
gemischten Reisegruppe. Seite 4

Alles auf Iowa


US-DemokratPete Buttigieg ärgert die etablierten Kandidaten


Pete Buttigieg, 37, ist
Bürgermeister aus
Indiana. Im Rennen
um die Kandidatur
der US-Demokraten
für die Präsident-
schaft liegt er in
Umfragen im ersten
Vorwahlstaat gerade
vor Joe Biden. FOTO: AFP

DEFGH Nr. 256, Mittwoch, 6. November 2019 (^) POLITIK HMG 7
Mission gegen
den Handelskrieg
Frankreichs Präsident Macron warnt in China vor Folgen
des Dauerstreits zwischen Washington und Peking
Warschaus Justizreform bricht EU-Recht
Der EuGH erklärt Polens Regeln zur Verrentung von Richtern für ungültig. Die regierende PiS-Partei beeindruckt das wenig
Chinas wichtigstes Ziel ist es,
im Handelskrieg ein
positives Signal auszusenden
Präsidialer Spaziergang zur Stärkung der Beziehungen: Nach einem Abendessen in Shanghai
vertreten sich Chinas Präsident Xi Jinping und sein französischer Amtskollege Emmanuel
Macron gemeinsam die Beine.FOTO: NG HAN GUAN / POOL VIA REUTERS
Paris, Berlin und Brüssel
tretenin Macrons
Delegation als Trio auf
Pekings Staatschef verspricht,
„die Tür noch weiter
für die Welt zu öffnen“
Oettinger nennt Befürchtungen
Berlins „schlichtweg falsch“
und spricht von „Horrorzahlen“
Das Urteil des EuGH ist eindeutig,
Schutz kann es den betroffenen
Richtern aber nicht garantieren
Als Nächstes will die Regierung
das Verfassungsgericht enger an
die Leine nehmen

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