Frankfurter Allgemeine Zeitung - 30.10.2019

(Joyce) #1

NR. 252·SEITEN 1


FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Natur und Wissenschaft MITTWOCH, 30. OKTOBER 2019


Wie beeinflussen psychische Erkrankungen die


Erscheinung von Menschen? Die Fotografin Herlinde


Koelbl ist dieser Frage nachgegangen. Seite N2


Eins, zwei, drei, beim Brexit Keilerei: Boris Johnsons


Option für den Austritt aus der EU hat einen Grund


in der Sozialisation der politischen Elite. Seite N3


Esther Duflo und Abhijit Banerjee haben gemeinsam


denWirtschaftsnobelpreis bekommen. Sie sind nicht


das erste Nobelpreis-Ehepaar. Seite N4


D


as vor kurzem verabschie-
dete Insektenschutzpro-
gramm der Bundesregie-
rung sorgt für anhaltende
Diskussionen. Der Deut-
sche Bauernverband rech-
net mit Ertragsverlusten und fordert eine
Überarbeitung der Pläne, Umweltverbän-
den hingegen gehen die Maßnahmen
nicht weit genug. Teil des Programms ist
auch die Reduzierung der Pestizidmen-
gen, die in der Landwirtschaft zum Schutz
der Pflanzen ausgebracht werden.
Fakt ist: Ohne Pflanzenschutzmittel ist
die Landwirtschaft weniger produktiv.
Fakt ist aber auch: Jedes Pestizid schadet,
und zwar nicht nur Schädlingen. Beson-
ders in Verruf geraten, sind Neonikotinoi-
de. Mehr als tausend Studien haben ge-
zeigt, dass die hochwirksamen Insektengif-
te auch Bienen und anderen Wildbestäu-
bern schaden. Neonikotinoide stehen au-
ßerdem im Verdacht, auch Vögel, Amphi-
bien, Fische und andere Wasserorganis-
men zu schädigen. Im Jahr 2018 hat die
Europäische Union deswegen die Verwen-
dung der drei Neonikotinoide Clothiani-
din, Thiamethoxam und Imidacloprid im
Freiland untersagt.
Für den chemischen Pflanzenschutz
sind in Deutschland allerdings 280 Wirk-
stoffe zugelassen, darunter zwei weitere
Neonikotinoide. Aus Sicht vieler Wissen-
schaftler reichen punktuelle Verbote und
eine Reduzierung des Pestizideintrags al-
lein nicht aus, um den ökologischen Scha-
den zu beheben, den die Hochleistungs-
landwirtschaft mit sich bringt. Sie fordern
ein grundsätzliches Umdenken der land-
wirtschaftlichen Pflanzenschutzpraxis.
„Schon das Zulassungsverfahren hat gra-
vierende Mängel“, kritisiert Andreas
Schäffer, Direktor des Umweltforschungs-
instituts der Rheinisch-Westfälischen
Technischen Hochschule.
Jedes neue Pflanzenschutzmittel muss
aufgrund seiner potentiell schädlichen
Umweltwirkung und seiner großflächigen
Anwendung in der Landwirtschaft ein
Prüfverfahren bestehen. So wird etwa die
tödliche Dosis eines Wirkstoffs geprüft.
„Wie fast alle Pestizide wirken auch Neoni-
kotinoide jenseits des Tötens“, sagt Teja
Tscharntke, Leiter der Abteilung Agrar-


ökologie der Universität Göttingen. So
konnten Forscher verschiedenste soge-
nannte subletale Verhaltenseffekte bei Be-
stäubern nachweisen: Bienen, die nicht
mehr zu ihren Stock zurückfanden, Hum-
melvölker, die kaum noch Königinnen pro-
duzierten. Effekte also, die in der Umwelt-
prüfung nicht bewertet werden, die Tiere
in Summe aber schwächen.
Die ersten Neonikotinoide wurden Mit-
te der neunziger Jahre zugelassen. Auf-
grund ihrer effektiven Wirkweise gehören
sie inzwischen zu den weltweit meistver-
kauften Pestiziden. Sie wirken systemisch,
verteilen sich also von der Wurzel bis in
die Blattspitzen, und sie wirken gegen vie-
le verschiedene Insekten. Fressen oder
saugen Käfer, Blattläuse und Co. an einer
behandelten Pflanze, greift das Gift ihr
Nervensystem an und führt zum Tod. Den
Landwirten erleichtern Neonikotinoide
die Arbeit, da sie ihre Kulturen für einen
längeren Zeitraum gut geschützt wissen.
Besonders häufig wird das Saatgut mit
den Mitteln behandelt, gleichsam umman-
telt. Alternativ spritzen Landwirte die In-
sektengifte, wodurch ein Teil der Substan-
zen auch in den Boden und die Gewässer
gelangt. Die Wirkstoffe verbreiten sich al-
lerdings auch in Pollen und Nektar, und so
kommen auch Bestäuber wie Bienen,
Schwebfliegen, Falter und Hummeln mit
ihnen in Berührung. Ein kürzlich neu ent-

deckter Übertragungsweg ist jener über
Honigtau: Saugen Läuse und Zikaden an
kontaminierten Pflanzen oder Bäumen,
enthalten ihre zuckerhaltigen Ausschei-
dungen – eine beliebte Nahrungsquelle
für viele Insekten – Neonikotinoide.
Kritik ruft auch die Tatsache hervor,
dass jedes Pflanzenschutzmittel nur iso-
liert geprüft wird. Die Realität auf dem
Acker ist aber eine andere. Landwirte
spritzen meist eine Kombination verschie-
dener Pestizide. Hinzu kommt, dass viele
Kulturen mehrfach – Äpfel und Weintrau-
ben bis zu zwanzigmal – behandelt wer-
den und sich der Pestizidmix im Saisonver-
lauf unterscheiden kann. Auch das Saat-
gut wird häufig mit mehreren Wirkstoffen
ummantelt. Ob es zu synergistischen Ef-
fekten kommt, ein Wirkstoff etwa die Wir-
kung eines anderen verstärkt oder verän-
dert, ist unbekannt. „Die Kombinations-
wirkungen werden in der Risikobewer-
tung systematisch ausgeblendet und die Ri-
siken dadurch systematisch unterschätzt“,
sagt Schäffer.
Hinzu kommt, dass Neonikotinoide und
andere Pestizide häufig deutlich beständi-
ger sind als durch Modellrechnungen im
Rahmen der Zulassung vorhergesagt. „Die
Modelle bilden die Wirklichkeit schlicht
nicht ab“, so Schäffer. Studien zeigen, dass
sich Pestizide sowohl im Boden als auch
im Wasser oft mehrere Monate, manch-

mal Jahre nachweisen lassen. Auch Blüh-
streifen – eine häufige Naturschutzmaß-
nahme, die Insekten zugutekommen soll –
können mit Neonikotinoiden kontami-
niert sein. „Ich wünschte, sie würden
leuchten, dann könnte jeder erkennen,
wie sehr unsere Umwelt mit Pestiziden be-
lastet ist“, sagt die Biologin Martina Roß-
Nickoll, die gemeinsam mit Schäffer Hand-
lungsempfehlungen für einen nachhalti-
gen Pflanzenschutz erarbeitet hat.
Wie viel durch das Verbot der drei Neo-
nikotinoide gewonnen ist, bleibt unklar.
„Man kann nicht etwas verbieten, ohne
eine Alternative zu bieten“, sagt die Land-
schaftsökologin Alexandra-Maria Klein
von der Universität Freiburg, „Landwirte
greifen jetzt auf andere Mittel zurück, die
nicht unbedingt besser sind.“
Und was welcher Landwirt in welcher
Menge verwendet, ist wenig transparent.
„Wir wissen nicht, was auf dem Acker aus-
gebracht wurde“, sagt Schäffer, „die Daten
sind im Prinzip verfügbar – aber nicht für
die Forschung.“ Landwirte müssen ein
Spritzbuch führen und den Einsatz der ver-
wendeten Pflanzenschutzmittel dokumen-
tieren. Das zuständige Julius-Kühn-Insti-
tut, das dem Landwirtschaftsministerium
unterstellt ist, veröffentlicht aber lediglich
eine Zusammenfassung. Auch das Um-
weltbundesamt hat keinen Zugriff auf die
Rohdaten.

„Das sollte sich dringend ändern“, sagt
auch Klein, „nur dann können wir ins De-
tail gehen und herausfinden, bei welchen
Kulturen wir welche Pestizide reduzieren
können.“ Neben einem kontinuierlichen
Monitoring fordern die Experten eine Art
Probezulassung für neue Wirkstoffe: „Pes-
tizide sollten zunächst nur für zwei statt
wie bisher für zehn Jahre zugelassen wer-
den, um ihre Auswirkungen im Feld kon-
trollieren zu können“, sagt Roß-Nickoll.
Eine Reduzierung der Pestizidmengen al-
lein wird das Artensterben aber wohl
nicht aufhalten. „Der Aufbau der Land-
schaft spielt wahrscheinlich eine noch grö-
ßere Rolle“, sagt Tscharntke, „je kleiner
die Felder, desto größer die Artenvielfalt –
auch wenn diese intensiv bewirtschaftet
werden.“ Denn Insekten bewegen sich ent-
lang der Ackerränder. Über große Flächen
Mais fliegen sie dagegen nicht. Um die In-
sekten- und Vogelwelt wiederzubeleben,
braucht es also dringend strukturelle Maß-
nahmen wie Blühstreifen, Brachen, He-
cken und Uferstreifen. Und eine standort-
gerechte und vielfältige Frucht- und Sor-
tenwahl sowie den Anbau konkurrenzstar-
ker und schädlingsresistenter Sorten.
Das alles kostet Geld und Zeit und
bringt weniger Ertrag. Kein Wunder also,
dass die Empfehlungen bei vielen Land-
wirten nicht auf Gegenliebe stoßen. „Mo-
mentan wird viel auf die Landwirte ge-
scholten. Aber sie müssen unter einem
enormen Druck produzieren“, sagt Klein,
die auch die Verbraucher in der Verantwor-
tung sieht: „Es ist doch so, dass viele Men-
schen perfektes Obst und Gemüse möch-
ten, und das alles auch noch möglichst
günstig.“
Als entscheidender Hebel für den Arten-
schutz gilt deshalb eine entsprechend aus-
gerichtete Agrarpolitik, die richtige Anrei-
ze setzt. „Landwirte müssen für Ertrags-
ausfälle entschädigt und für Naturschutz
belohnt werden“, sagt Klein. Weiterma-
chen wie bisher ist für Schäffer und seine
Kollegen keine Option: „Andernfalls wer-
den sich Insekten- und Vogelschwund und
auch die Boden- und Grundwasserbelas-
tung weiter verstärken. Es sollte im Inter-
esse aller sein, Anbau- und Pflanzen-
schutzstrategien zu erarbeiten, die lang-
fristig ausreichende Erträge gewährleis-
ten, ohne dabei die Umwelt zu schädigen.“

Die Seele im Blick Was lernte er eigentlich nicht auf dem Schulhof? Gelehrsamkeit zu zweit


D


ie finale Gleichberechtigung der
Geschlechter darf man wie die
Klimagerechtigkeit getrost zu jenen
großen Menschheitsaufgaben zählen,
deren Verwirklichung im Hier und
Jetzt von interessierter politischer War-
te aus als kaum zu stemmen gilt. Dazu
sind alle Heutigen einfach noch zu ver-
strickt in die Ungleichbehandlung.
Dass etwa bei der Entwicklung kugelsi-
cherer Westen wie selbstverständlich
erst mal nur an Männer gedacht, und
bei Autounfalltests immer wieder mit
männlichen Dummypuppen getestet
worden sein soll, spricht schon Bände.
Aber das sind ja keineswegs bloß Aus-
reißer der Moderne. In den naturkund-
lichen Sammlungen der Welt, die mit
stolzgeschwellter Brust das gesamte
Spektrum organismischer Pracht unse-
res Heimatplaneten ausstellen, sind es
wiederum die Männchen, die seit jeher
von den Sammlern bevorzugt wurden.
Bei den Vögeln überwiegen die männli-
chen Ausstellungsexemplare mit sech-
zig Prozent die weiblichen deutlich,
wie eine Auswertung des Londoner Na-
tural History Museum von zwei Millio-
nen Belegexemplaren in fünf großen
Naturkundemuseen ergeben hat. Die
Geschlechterbilanz, so das Fazit der
Studie, habe sich in den vergangenen
130 Jahren nicht wesentlich verändert.
Gesammelt und ausgestellt wird am
liebsten, was dick aufträgt – in Farbe,
Gestalt, Größe oder eben im Verhal-
ten. Denn die Auffälligen sind in freier
Wildbahn nicht nur leichter zu entde-
cken und zu fangen, sondern auch als
Schauobjekt attraktiver. Bei den Typus-
exemplaren, die meistens die Erstfun-
de und damit taxonomische Referenz
für die jeweilige Art sind, ist die Schief-
lage besonders krass: Nur 25 Prozent
der Vogel-Typen und 39 Prozent der
Säugetier-Typen sind als weiblich iden-
tifiziert worden. Die Geschlechterun-
wucht ließe sich beliebig von den Mu-
seen zu den Laboren und den Kliniken
fortsetzen: Seit Jahrzehnten sind männ-
liche Versuchstiere (der hormonellen
Besonderheiten der Weibchen wegen)
bevorzugt, und auch in vielen klini-
schen Studien gibt es traditionell die
Tendenz, die komplexere weibliche
Physiologie als Störfaktor wann immer
möglich auszuschalten. Wertvolle Ein-
sichten gehen so leider verloren. An
der University of Richmond beispiels-
weise haben Psychologen neben elf
männlichen Ratten sechs Weibchen
(wieso eigentlich nicht genauso viele?)
das Autofahren beigebracht. Mit dem
gläsernen Mini-E-Vehikel („Rattenau-
to“) wollte man herausfinden, wie die
Tiere die Herausforderung annehmen,
an drei Hebeln ihr Gefährt selbständig
zum nächsten Leckerbissen zu steuern.
Resultat: Die Nager hatten erstaunlich
schnell den Dreh raus und großen
Spaß offenbar obendrein. Geschlech-
terunterschiede: null. Und jetzt kom-
men Sie nicht mit der Frage, ob man
auch das Einparken geübt hat. jom

Lange Zeit war es nur eine Idee in den
Köpfen visionärer Physiker, nun nimmt es
Form an: Der Quantencomputer scheint
in der Wirklichkeit angekommen zu sein.
Vor einer Woche wurde in „Nature“ be-
kanntgegeben, dass im Forschungslabor
von Google im kalifornischen Santa Bar-
bara ein Quantencomputer steht, der erst-
mals ein spezielles mathematisches Pro-
blem deutlich schneller lösen konnte als
der leistungsfähigste klassische Rechner,
der Supercomputer Summit von IBM.
Der supraleitende 53-Quantenbit-Pro-
zessor „Sycamore“ wird von vielen als Mei-
lenstein des Quantencomputing gehan-
delt, da damit dessen Quantenüberlegen-
heit – der Lackmustest für jeden Quanten-
rechner – unter Beweis gestellt worden
sei. „Sycamore“ lieferte das Ergebnis in
nur 200 Sekunden. Wie viel länger die der-
zeitige Nummer eins unter den Supercom-
putern für die Aufgabe gebraucht hätte –
zehntausend Jahre, wie von Google be-
hauptet, oder zweieinhalb Tage, wie IBM
nun entgegnet – darüber gehen die Mei-
nungen noch auseinander. Auch bezwei-


feln viele Fachleute, ob Googles Quanten-
rechner tatsächlich mehr kann, außer ein
auf ihn speziell zugeschnittenes Problem
zu lösen, das nach Einschätzung von Ex-
perten wie dem Quantenphysiker Rainer
Blatt sehr artifiziell ist und „keine, wie
auch immer gearteten Anwendungen
hat“. Blatt spricht zwar ebenfalls von ei-
nem Meilenstein, gibt sich angesichts des
Werberummels und der kommerziellen In-
teressen aber zurückhaltend in der Bewer-
tung. Bis es einen echten Quantencompu-
ter gebe, der den Namen auch verdiene,
werde es seiner Meinung nach noch einige
Jahren dauern. Denn ein solches System
muss äußerst fehlertolerant und wie jeder
PC universell programmierbar sein – und
sollte deshalb anders als dieser Quanten-
rechner imstande sein, jedes noch so kom-
plizierte Problem zu berechnen.
Blatt, einer der Väter des europäischen
Quanten-Flaggschiffs, rechnet damit, dass
es in wenigen Jahren einen oder mehrere
europäische Quantencomputer geben
wird. Einer davon soll in Innsbruck stehen
und mit gespeicherten Ionen arbeiten. Zu

diesem Zweck wollen die Forscher ihren
bestehenen Quantenrechner aufrüsten.
Dann sollen 50 statt wie bisher 20 Kalzium-
atome in einem zylindrischen Ionenkäfig
schweben. Jedes Teilchen repräsentiert ein
Qubit und wird, so das Ziel, mit einge-
strahltem Laserlicht perfekt kontrolliert.
Dass man zur Simulation hochkomple-
xer elementarer physikalischer Fragestel-
lungen nicht unbedingt einen großen
Quantencomputer benötigt, konnten die
Forscher um Blatt kürzlich demonstrie-
ren. Die Lösung war Arbeitsteilung: Man
ließ einen klassischen Computer all das be-
rechnen, wozu er aufgrund seiner Archi-
tektur in der Lage war, während die ech-
ten quantenphysikalischen Berechnungen
das 20-Qubit-System übernahm.
Während nun also Computerhersteller
Prototypen aufrüsten, um sich so Markt-
vorteile vor der Konkurrenz zu sichern,
brüten viele Forscher bereits darüber, wie
man Quantenrechner – ähnlich wie her-
kömmliche Computer – zu größeren Re-
cheneinheiten vernetzen könnte. Über
das „Quanteninternet“ wird spekuliert.

Über ein solches Netzwerk würden nicht
mehr klassische digitale Daten übermit-
telt werden, sondern echte Quanteninfor-
mationen, die etwa in den Zuständen von
Photonen oder Atomen kodiert sind. Ein
solches Quanteninternet könnte Anwen-
dungen ermöglichen, die mit gängigen
Technologien nicht zu verwirklichen sind,
beispielsweise die abhörsichere Übertra-
gung vertraulicher Daten.
Allerdings lassen sich die Qubits eines
Quantencomputers nicht ohne weiteres
übertragen. Denn quantenphysikalische
Informationen lassen sich prinzipiell
nicht kopieren, ohne sie zu zerstören. Den
Ausweg bietet hier die Verschränkung,
von Einstein als „spukhafte Fernwirkung“
bezeichnet. Verschränkte Systeme bilden
unabhängig von ihrer Distanz ein einheitli-
ches Quantensystem. Dass man auf diese
Weise tatsächlich Quanteneigenschaften
von Materie auf sichtbare Photonen und
umgekehrt übertragen kann, ist schon auf
kurze Distanzen demonstriert worden. Ei-
nige Physiker um Ben Lanyon aus Inns-
bruck haben jetzt einen neuen Rekord auf-

gestellt. Sie haben den Quantenzustand ei-
nes in einer Ionenfalle gefangenen
Kalziumions auf ein Lichtquant übertra-
gen und über ein fünfzig Kilometer langes
Glasfaserkabel und eine spezielle Schnitt-
stelle so an ein anderes isoliertes Teilchen
geschickt, dass dieses den Zustand des
Partners annahm („Nature Quantum Infor-
mation“, doi:10.1038/s41534-019-186-3).
Als nächstes will man zeigen, dass mit wei-
teren Ionenfallensystemen auch ein kom-
plexes Netzwerk realisiert werden kann.
Für die supraleitenden Quantenrechner
dürfte das etwas schwieriger werden. Um
deren Quantenbits zu vernetzen, muss
man deutlich mehr Aufwand betreiben.
Physikern der TU München gelang es, die
äußersten fragilen Quantenzustände eines
supraleitenden Qubits auf ein anderes zu
übertragen. Dazu benötigten sie ebenfalls
einen tiefgekühlten Mikrowellenleiter.
Wie die Forscher um Rudolf Gross in „Na-
ture Communications“ schreiben, konnten
sie eine Distanz von dreißig Zentimetern
überbrücken. Nicht gerade viel für ein
Quanteninternet. MANFRED LINDINGER

Das faule Spiel


auf dem Land


Eine Lithium-Ionen-Batterie, die sich
innerhalb von nur zehn Minuten voll-
ständig aufladen lässt und gleichzeitig
aufgrund ihrer großen Kapazität eine
um 360 Kilometer größere Reichweite
für Elektrofahrzeuge verspricht, haben
Wissenschaftler von der University of
Pennsylvania entwickelt. Bisherige Sys-
teme erfordern eine Ladezeit von einer
Stunde und mehr. Der Grund: Wird ein
Akku zu schnell aufgeladen, entsteht
übermäßige Hitze, was zum Brand füh-
ren kann. Wie Chao-Yang Wang und
seine Kollegen in der Zeitschrift
„Joule“ (doi: 10.1016/joule.
2019.09.021) berichten, ist die Grund-
lage der Leistungsfähigkeit ihrer Batte-
rie eine neuartige Bauweise, insbeson-
dere der Graphit-Anode. Diese wurde
mit einem dünnen Nickelfilm überzo-
gen, um zu verhindern, dass sich dar-
auf Lithium–Ionen während des
Schnellladevorgangs und der damit üb-
licherweise verbundenen großen Hitze-
entwicklung abscheiden – eine der häu-
figsten Ursachen für einen Kurz-
schluss. Die Batterie der Forscher er-
wies sich beim schnellen Aufladen als
äußerst robust. Die sich dabei entwi-
ckelnde Hitze betrug nur „kühle“ 60
Grad. Das änderte sich auch nicht
nach einem Dauertest von 1700 Lade-
Entlade-Zyklen. Ein normaler Lithi-
um-Ionen-Akku ohne schützenden Ni-
ckelfilm brannte bereits nach 60
Schnellladezyklen durch. Die neuarti-
ge Batterie benötigt nun kein aufwendi-
ges Kühlsystem mehr, die ein Überhit-
zen der Batteriezellen verhindern. Nun
wollen die Forscher um Wang einen
Schritt in der Entwicklung weiter ge-
hen. Sie arbeiten bereits an einer Batte-
rie, die bereits nach fünf Minuten voll
aufgeladen ist. mli

Wer will in der Quantenwelt schon aufs Internet verzichten?


Ein funktionierender Quantencomputer, das ist schon was, aber die Physiker wollen die Vernetzung – mit fürs Erste gemischten Erkenntnissen


Gendertypen


Sonnetanken nach dem Pollen-Bad in Hibiskusblüten: Eine Honigbiene ruht sich von ihrer Bestäubungsarbeit auf einer verwelkten Blüte aus. Foto dpa


Eine Lithium-Batterie


lädt in Rekordzeit


Pestizide weg, Flure begrünen – und dann? Vom Niedergang


der Neonikotinoide und Ideen für eine weitsichtigere Agrarpolitik.


Von Juliette Irmer

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