Süddeutsche Zeitung - 30.10.2019

(C. Jardin) #1
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von jörg häntzschel

T


ransparent“, das war eines der Wor-
te, zu dem vor drei Jahren viele grif-
fen, als sie den Siegerentwurf für das
geplante Museum der Moderne in Berlin
beschrieben. Andere sagten gar nichts.
Was sich auf den Renderings von Jacques
Herzog und Pierre de Meuron zwischen
Mies van der Rohes Neuer Nationalgalerie
und Scharouns Philharmonie breitmach-
te, erinnerte so sehr an ein Bierzelt oder
einen Discounter auf der grünen Wiese,
dass manche glaubten, die Architektur-
stars hätten sich einen Scherz erlaubt.
Ein Jury-Mitglied fasst den Prozess so
zusammen: „Es war eine Aufgabe, die fast
nicht lösbar ist: Etwas mit eigener Identi-
tät schaffen, aber gleichzeitig die ikoni-
schen Bauten nicht dominieren. Je mehr
wir im Wettbewerb vorangeschritten sind,
desto desillusionierter war die Jury. Bei je-
dem Entwurf war etwas falsch. Bei Herzog
& de Meuron mit dieser Anti-Architektur,
da dachte man, okay, vielleicht ist es das.“
Sollte hier, auf „einem der wichtigsten
städtebaulichen Felder der Bundesrepu-
blik“, so ein anderes Jury-Mitglied, aus
„Anti-Architektur“ tatsächlich ein Gebäu-
de werden, wird es nicht nur als teuerster
deutscher Museumsneubau in die Ge-
schichte eingehen. Sondern auch als Denk-
mal der Intransparenz. Nur aufgrund der
Intransparenz war es möglich, dass ein
Entwurf, der keinen recht begeisterte, für
ein Projekt ohne zündende Idee an einem
ungünstigen Standort realisiert wird, viel
größer als vorgesehen und zu einem Preis,
der schon vor Baubeginn auf das Dreifache
dessen gestiegen ist, was beantragt und
genehmigt wurde.
Und das, während die vorhandenen
Berliner Museen mit Mühe ihren Betrieb
finanzieren können und, wie der Bundes-
rechnungshof am Dienstag scharf rügte,
auf Verschleiß gefahren werden, weil am
Unterhalt gespart wird (siehe Kasten).
Dabei hatte alles mit einem Geschenk
begonnen. Erich Marx, Egidio Marzona
und das Ehepaar Ulla und Heiner Pietzsch
hatten angekündigt, sie würden ihre be-
deutenden Moderne-Sammlungen ganz
oder zu großen Teilen Berlins Staatlichen
Museen vermachen – vorausgesetzt, Ber-
lin fände geeignete Räume. Bei Hermann
Parzinger, dem Präsidenten der Stiftung
Preußischer Kulturbesitz (SPK), und bei
Michael Eissenhauer, dem Generaldirek-
tor der Museen, war die Freude groß. Nicht
nur über die Schenkungen selbst. Sie
hofften, diese als Hebel dafür zu nutzen,
zwei jahrzehntealte Probleme der Berliner
Museumslandschaft zu lösen.

Zum einen wollten sie die Berliner
Sammlungen plausibler in der Stadt ord-
nen: Die Alten Meister sollten von der
Gemäldegalerie auf die Museumsinsel um-
ziehen, das Kulturforum an der Potsdamer
Straße zu einem Moderne-Campus wer-
den. Außerdem wollten sie die Rochade
nützen, um das vor sich hin dämmernde
Kulturforum endlich zum Leben zu erwe-
cken.
Doch als Parzinger und Eissenhauer die-
sen Plan 2012 vortrugen, fielen sie damit
durch: Zu teuer, zu aufwendig, zu langwie-
rig, hieß es. Daraufhin schlugen die Samm-
ler vor, am Kulturforum selbst ein zweites
Haus für die Moderne zu bauen. Als Moni-
ka Grütters kurz darauf Kulturstaatsminis-
terin wurde, nahm sie die Idee des großen
Moderne-Museums in die Hand und mach-
te es zu ihrem zweitengrand projetneben
dem Humboldt-Forum.
130 Millionen sollte der Bau laut einem
Gutachten des Bundesamts für Bauwesen
und Raumordnung (BBR) kosten, das die
SPK 2012 in Auftrag gegeben hatte. Das
über den regulären Haushalt zu finanzie-
ren, war kaum möglich, zumal in Berlin be-
reits an jeder Ecke millionenteure Kultur-
projekte im Bau stehen. Also bat Grütters
die Abgeordneten des Haushaltsausschus-
ses im Bundestag, das Geld aus dem Topf
des Parlaments zu bewilligen. Ende 2014
gaben die Abgeordneten nicht nur die
130 Millionen frei, sondern zusätzlich wei-
tere 70, als Puffer. Es wird ja immer alles
teurer.
Es war ein Triumph für Grütters. Doch
was die Parlamentarier bewilligt hatten, ge-
nügte ihr und der Preußenstiftung nicht.
Während die Beamten bei der Stiftung und
im Kulturstaatsministerium (BKM) zusam-
mentrugen, was sich die Museumsleute
alles an Ausstellungsflächen und Audi-
torien, Filmsälen und Büros wünschten,
schwoll das geplante „Monika-Grütters-
Gedenkmuseum“, „ihr Taj Mahal“, „ihre
private Pyramide“, wie einige Politiker
heute spotten, immer mehr an.
Am Kulturforum kamen für das Gebäu-
de drei Standorte infrage: hinter der Neuen
Nationalgalerie, am Tiergarten und auf der
Brache zwischen Nationalgalerie und Kam-
mermusiksaal, entlang der Potsdamer
Straße. Die Autoren des schon erwähnten
BBR-Gutachtens hatten alle drei unter-
sucht und befunden, dass der an der Pots-
damer Straße der teuerste und ungünstigs-
te sei. Grütters verfügte: Dort wird gebaut.
Einen städtebaulichen Wettbewerb für das
Kulturforum schloss sie ebenfalls aus. Viel-
leicht, weil auch die Sammler sich diesen
Standort wünschten. Vielleicht aber auch,
und das glauben die meisten in Berlin, weil
ihr Bau dort am besten zu sehen sein wird.
Von Beginn an fehlte dem Projekt ein Ge-
danke. Weder soll hier die Kunstgeschich-
te neu erzählt werden wie im kürzlich ver-
größerten New Yorker Museum of Modern
Art, noch wird hier gefragt, was ein Muse-
um im 21. Jahrhundert sein könnte. Die ein-
zige Frage, die der neue Bau beantwortet,
ist: Wohin mit der vielen Kunst?
Das Museum ist das Gegenstück zum
Humboldt-Forum. Während man sich von
diesem anderen großen Problemprojekt

lange wer weiß was erwartete, erwartet
man vom Museum der Moderne nur sehr,
sehr viel Platz. Die Berliner Sammlungen
neu zu ordnen und dem Kulturforum Sinn,
Form und Leben zu geben, das wären im-
merhin lohnende Nebeneffekte gewesen,
wenn es an einer Idee für das Museum
selbst schon fehlte. Beides hatte sich nun
erledigt.
Parlamentarier, Stadtplaner und Kriti-
ker reagierten empört. Über Jahre klagten
sie von nun an eine Vision für das Kultur-
forum ein; sie fürchteten, der gewaltige
Riegel werde es endgültig von der Stadt ab-
schneiden. Berlins ehemaliger Senatsbau-
direktor Hans Stimmann erklärte sogar,
Grütters habe den Bauplatz „im Stil eines
autoritären Herrschers“ gewählt.
Über diese Dauer fielen die Ungereimt-
heiten des Wettbewerbsprozesses kaum
auf. So reicht laut Ausschreibung die zu be-
bauende Fläche bis auf 7,80 Meter an die
Matthäikirche von 1846 heran. Und das,
obwohl es an anderer Stelle heißt: „Zum
Schutz der St.-Matthäus-Kirche wird ... ein
Abstand zur Kirche von zehn Metern und
mehr als risikoarm eingestuft.“ Gefordert
wird in der Ausschreibung auch, dass
Gebäudeteile, „welche direkt östlich der
Kirche ... entstehen, die Höhe des Kirchen-
schiffes nicht übersteigen“.
Herzog & de Meuron entwarfen einen
Bau, der auf seiner gesamten Länge deut-
lich höher war als das Kirchenschiff. Und
er reichte genau bis auf jene 7,80 Meter an
die Kirche heran, lag also in einem Bereich,
der als riskant für die Bausubstanz der
Kirche beurteilt wurde. Der „geringe Ab-
stand“ zur Kirche sei „kritisch und müsste
vergrößert werden“, schrieben die Juroren
im November 2016 in ihrer Wettbewerbs-
entscheidung. Den ersten Platz gaben sie
Herzog & de Meuron dennoch. „Gegen viel
Unverständnis und Widerstand“ und „mit
größter Mühe“ konnte die Kirche schließ-
lich einen Abstand von 14 Metern aushan-
deln, so Christhard-Georg Neubert, der
damalige Pfarrer und heutige Kunstbeauf-
tragte der Evangelischen Kirche Berlin-

Brandenburg. „Es war schon irritierend zu
sehen, mit wie viel Hochmut gegenüber
der Kirche da einige Leute im Museums-
bereich am Werke waren; auch ohne er-
kennbaren Respekt gegen so ein filigranes
Bauwerk wie die St.-Matthäus-Kirche von
Friedrich August Stüler; jenes Baumeis-
ters, der die bedeutenden Bauten auf der
Museumsinsel geschaffen hat. Museums-
leute! Da herrschte ein Geist, den ich als
ausgesprochen befremdlich wahrgenom-
men habe.“
Naheliegender und günstiger wäre es
gewesen, man hätte sich vor der Ausschrei-
bung ernsthaft mit den Denkmalschutzfra-
gen auseinandergesetzt, hätte vorher mit
der Kirche gesprochen. „Der Realisierungs-
wettbewerb wurde offenbar nicht richtig

vorbereitet“, so der Architekt und Kurator
Nikolaus Hirsch, der den Direktor der Nati-
onalgalerie, Udo Kittelmann, bei der Vor-
bereitung des Ideenwettbewerbs beriet.
„Normalerweise versucht man am Anfang,
alle ins Boot zu kriegen, damit man später
nicht überrascht wird von Einwänden.“
Um das nachzuholen, empfahl die Jury
nun, den Architekten einen Expertenbei-
rat an die Seite zu stellen, der die Umpla-
nungen begleiten sollte. Parzinger schrieb,
dieses Gremium werde „uns als neutrale
Instanz – angesiedelt an der Schnittstelle
zwischen Politik, Öffentlichkeit, Bauherrn
und Bauverwaltung – bei diffizilen Frage-
stellungen beraten und, falls nötig, als Ver-
mittler tätig werden.“ Doch dazu kam es
nicht. Die Gruppe traf sich nur ein einziges

Mal. Der Architekt Arno Brandlhuber, der
in dieses Gremium geladen war, erklärt
dazu: „Wenn der Auslober einen Beirat ein-
setzt, ihn dann aber nicht aktiv werden
lässt, heißt das, er will die Öffentlichkeit
ausschließen.“ Den Abstand zur Kirche zu
vergrößern sei kein Problem, sagten die
Architekten anfangs. Christine Edmaier,
die Präsidentin der Berliner Architekten-
kammer, erinnert sich an eine Diskussion
mit ihnen im Landesdenkmalrat. „Sie versi-
cherten, es gebe genügend Luft, um die
Grundfläche des Gebäudes zu verklei-
nern.“ Gemeint war: sie zu verkleinern,
ohne dies durch zusätzliche Räume im Un-
tergrund auszugleichen, die ein Vielfaches
kosten.
Doch im Herbst 2018 sah das plötzlich
anders aus. Laut einer internen Kosten-
kalkulation würde der Bau nicht 130, nicht
200, sondern 400 Millionen Euro ver-
schlingen. Als Hauptgrund für den gestie-
genen Preis gaben die Architekten, entge-
gen ihrer früheren Beteuerung, die zusätz-
lichen Flächen im untersten Stockwerk an.
Wie erklärt man das der Öffentlichkeit?,
fragten sich die Verantwortlichen. Ganz
einfach: Gar nicht. Als sie im Oktober den
überarbeiteten Entwurf vorstellte, wollte
Grütters die Zahl von 400 Millionen, über
die die SZ berichtet hatte, nicht kommen-
tieren. Erst ein Jahr später, im vergange-
nen September, bestätigte sie: Auf 364 Mil-
lionen Euro würden sich die Baukosten
belaufen; rechne man die Preissteiger-
ungen ein, werde man bei 450 Millionen
liegen. Unter Abgeordneten und Architek-
ten gilt ein Preis von bis zu 600 Millionen
als wahrscheinlich.
Bauten werden immer teurer als ge-
plant, zumal in Boomzeiten. Aber eine sol-
che Steigerung noch während der Planung
ist ungewöhnlich, und sie lässt sich durch
das Tiefgeschoss nur teilweise erklären.
In Berlin gibt es zu diesem Punkt zwei
Ansichten. Architekten, darunter Jurymit-
glieder, erklären, die 130 Millionen seien
nie realistisch gewesen. Ein Jurymitglied
sagt, der Betrag „kam ohne irgendwelche

detaillierten Planungen zustande. Das war
einfach mal ’ne Summe“, eine „politische
Zahl“. Der CDU-Abgeordnete Rüdiger Kru-
se, der mitverantwortlich dafür war, dass
Grütters ihr Geld bekam, widerspricht:
„Der Haushaltsausschuss hätte nicht ohne
solide Grundlage entschieden.“ Es sei ja
immerhin das BBR gewesen, das diesen
Preis ermittelt habe, sagt er. Außerdem sei-
en die Sammler bei ihrem später ad acta
gelegten eigenen Museumsplan ebenfalls
auf Kosten von 130 Millionen gekommen,
wie Egidio Marzona bestätigt.
Wie ist diese Diskrepanz also zu erklä-
ren? Die Antwort findet sich im Kleinge-
druckten. Im SPK-Papier „Zur Zukunft der
Berliner Museumslandschaft“ von 2013,
das der Bundestagsentscheidung zugrun-
de lag, werden 130 Millionen für ein Muse-
um mit 7400 Quadratmetern Ausstellungs-
fläche und 10000 Quadratmetern Nutz-
fläche veranschlagt. Im Realisierungswett-
bewerb werden aber 9200 Quadratmeter
Ausstellungsfläche und 15 400 Quadrat-
meter Nutzfläche gewünscht. Die neueste
Version des Entwurfs ist sogar 16 000 Qua-
dratmeter groß. Nachdem der Bundestag
also Geld für ein 10000-Quadratmeter-
Museum bewilligt hatte, gaben SPK und
BKM eines in Auftrag, das um 60 Prozent
größer ist.
Brandlhuber überrascht das nicht. Zum
einen sei es „systemisch angelegt, dass das
Raumprogramm in die Größe wächst, weil
der Nutzer, der es erstellt, natürlich mög-
lichst viel Raum will.“ Wenn die Kosten
dann nicht realistisch ermittelt und Kos-
ten und Raumprogramm nicht in Einklang
gebracht werden, indem man vor dem
Wettbewerb auf dieses oder jenes verzich-
tet, sei nichts anderes zu erwarten. „Jeder
private Bauherr hätte einen Testentwurf in
Auftrag gegeben und ihn von einem ver-
sierten Kostenschätzer prüfen lassen. Das
wurde aber nie gemacht. Man hat die
Kostensteigerungen bewusst auf später
verlagert.“ Der Architekt Hirsch sagt: „Es
gab niemanden, der gesagt hat, stop, wir
brauchen mehr Zeit, weil jeder, der sich ex-
poniert, als Bremsklotz gesehen wird oder
gar als jemand, der das Projekt als solches
gefährdet.“
Aber in der Ausschreibung wird doch
ausdrücklich die „Einhaltung der wirt-
schaftlichen Vorgaben“ verlangt, die „Kos-
tenobergrenze“ liegt sogar bei nur 110 Mil-
lionen Euro? Wie konnten die Juroren den
ersten Preis für einen Entwurf vergeben,
von dem sie sicher waren, er sei nicht ein-
mal für das Doppelte zu bauen?
Christine Edmaier erklärt das so: „Kos-
tenrahmen und Obergrenze spielen im
Wettbewerb oft keine große Rolle. Die Jury
kann die Kosten nicht beziffern, die Archi-
tekten auch nicht. Letztendlich weiß man
den Preis erst, wenn ein detaillierter Ent-
wurf vorliegt.“ Doch es gebe noch einen
anderen Faktor: „Es gibt Projekte, die müs-
sen im Kostenrahmen bleiben, weil mehr
Geld einfach nicht da ist, und es gibt Projek-
te, bei denen man erahnt: Wenn Sie teurer
werden, kommt irgendwoher mehr Geld.
So ist es bei Prestigeprojekten, die aus
Bundesmitteln bezahlt werden. In einem
gewissen Rahmen ist das an so prominen-
ter Stelle auch vertretbar.“ Hirsch sagt: „Ei-
gentlich findet eine Art produktiver Selbst-
betrug statt. Wenn alle dabei mitmachen,
erhöht sich die Chance, dass ein Bau am
Ende – wenn auch zu den gestiegenen
Kosten – realisiert wird.“

Spätestens im Oktober 2018 aber, als
die Kostenschätzung von 400 Millionen
vorlag, wäre es noch leicht möglich ge-
wesen, das aufgeblähte Gebäude wieder
schrumpfen zu lassen. Doch nichts derglei-
chen geschah offenbar. Inzwischen stehen
die 450 Millionen für das vergrößerte
Museum im Haushaltsentwurf, es gibt also
keinen Grund mehr zu sparen.
Nun geht es nur noch darum, bis zur
Verabschiedung des Bundeshaushalts am


  1. November weitere Debatten zu vermei-
    den. Bei SPK und BKM ist weder eine Auf-
    stellung der Kosten zu bekommen, noch
    genauere Pläne, weder Informationen zu
    Materialien, technischer Ausstattung oder
    erwarteten Besucherzahlen, auch nichts
    zur Ökobilanz des Gebäudes. Die SPK-Spre-
    cherin schickt lediglich grobe Grundrisse
    der oberen Stockwerke. Die des untersten
    könne sie noch nicht herausgeben. Auf die
    Frage nach der Vergrößerung meldet sie
    sich nicht. Herzog & de Meuron erklären,
    sie dürften sich „in Rücksprache mit dem
    BKM“ nicht äußern.
    Dass bei der Planung zu diesem Muse-
    um alles so schnell gehen musste, wurde
    immer mit der wachsenden Ungeduld der
    Sammler begründet. Tatsächlich erklärten
    Ulla und Heiner Pietzsch kürzlich noch
    einmal, ihr Vertrag mit Berlin sei nichtig,
    wenn nicht noch dieses Jahr mit dem Bau
    begonnen werde. Ob das wirklich heißt,
    Berlin verlöre die Sammlung, ist aber eine
    andere Frage. Mit ihrem Ultimatum ste-
    hen die Pietzschs inzwischen aber alleine
    da. Erich Marx teilte ausdrücklich mit, er
    wolle Berlin mehr Zeit geben, über das
    Museum nachzudenken.
    Marzona wiederum ist zu einem der ent-
    schiedensten Gegner geworden. „Das
    kann einen als Bürger nicht zufriedenstel-
    len“, sagt er zu der Preisexplosion. „Wir
    möchten nicht in den Ruf kommen, dass
    das für uns, koste es, was es wolle, durch-
    gesetzt wird.“ Marx und ihm sei es unange-
    nehm, wie die Sammler hier als Pfand der
    Politik eingesetzt würden. „Wir werden be-
    nutzt.“ Die FDP im Bundestag hat bereits
    beantragt, den für dieses Jahr geplanten
    Baubeginn zu verschieben und die Planun-
    gen zu überdenken. Marzona geht weiter:
    „In dieser Form und zu diesem Preis würde
    ich das nicht bauen. Mein Vorschlag wäre,
    dass man die zehn besten Entwürfe aus
    dem Wettbewerb wieder hervorholt und
    noch einmal darüber entscheidet.“


Wichtige Berliner Kulturbauten sind ge-
fährdet. Der Bundesrechnungshof hat in
einem aktuellen Prüfbericht der Stiftung
Preußischer Kulturbesitz vorgeworfen,
dass über Jahre hinweg „ein erheblicher
Bauunterhaltsstau“ entstanden sei, dem
sie nicht effektiv begegne. Daher seien
wichtige Kulturbauten gefährdet. Wie zu-
erst der BerlinerTagesspiegelberichtete,
betreffe dies unter anderem den Muse-
umskomplex in Dahlem, das Haus der
Staatsbibliothek an der Potsdamer Stra-
ße, das Kunstgewerbemuseum, das Insti-
tut für Musikforschung, das Neue Muse-
um auf der Museumsinsel, aber auch den
Sitz der Hauptverwaltung, die Villa von
der Heydt, sowie das Geheime Preußische
Staatsarchiv in Dahlem. Allein für die Mu-
seen sei laut Bundesrechnungshof über
die Jahre ein Unterhaltsstau in Höhe von
50 Millionen Euro entstanden.
Die Problematik sei seit Jahren be-
kannt, heißt es auf Nachfrage aus dem
Haus der Kulturstaatsministerin Monika

Grütters (CDU). Man habe sich jedoch be-
müht, gezielt gegenzusteuern. So sei der
Bauunterhalt seit 2010 von 3,73 Millionen
Euro auf 7,5 Millionen Euro erhöht wor-
den. Für das Jahr 2020 sei eine weitere Er-
höhung auf rund zehn Millionen Euro ge-
plant.
Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz
wolle gemeinsam mit dem Bundesamt
für Bauwesen und Raumordnung einen
Instandhaltungsplan aufstellen, „sowie
den dafür erforderlichen personellen und
finanziellen Aufwand bestimmen, damit
der Stau im Bauunterhalt systematischer
abgearbeitet werden kann“. Ein Problem
sei der Fachkräftemangel im Bauwesen,
es fehle an den nötigen kompetenten Mit-
arbeitern.
Der Vizepräsident der Stiftung preußi-
scher Kulturbesitz, Gero Dimter, weist im
Gespräch mit der SZ darauf hin, dass die
Stiftung nach der Vereinigung vor einem
enormen Sanierungsbedarf vor allem im
Ostteil der Stadt gestanden habe. Inzwi-

schen seien zwei Drittel auf der Museums-
insel und das Haus der Staatsbibliothek
Unter den Linden saniert. Auch laufe der-
zeit die Sanierung der Neuen Nationalga-
lerie.
Die Stiftung wusste von der Prüfung
durch den Bundesrechnungshof, sei aber
überrascht vom Zeitpunkt der Veröffentli-
chung, mitten in der Debatte über den
Neubau für das Museum des 20. Jahrhun-
derts. Dieser werde unbedingt gebraucht,
um die Bestände der Neuen Nationalgale-
rie zeigen zu können, als Depotfläche und
als städtebaulicher Akzent am Kulturfo-
rum.
Der Bauetat der Stiftung kommt zu
hundert Prozent vom Bund, während der
laufende Betrieb von Bund und Ländern
getragen wird. Dabei sind die Anteile aller
Bundesländer mit Ausnahme Berlins ge-
deckelt. Das Land Berlin muss 25 Prozent
der Mittel aufbringen. Der Bauunterhalt
ist Teil des Betriebshaushalts der Stif-
tung. Die Mittel dafür, so Dimter, waren

in der Vergangenheit nichts ausreichend
und reichen auch derzeit nicht aus. Im
September dieses Jahres wurde der Wett-
bewerb zur Generalsanierung der Staats-
bibliothek an der Potsdamer Straße ent-
schieden. Dringliche Arbeiten wie Maß-
nahmen zur Asbestsanierung und die Si-
cherung der Außenhülle wurden vorgezo-
gen. Die Sanierung der Dahlemer Muse-
en, deren Sammlungen ins Humboldt-Fo-
rum umziehen, wird geplant. Lange hatte
man dort nur das Allernötigste getan,
weil nicht entschieden war, ob der Stand-
ort aufgegeben wird oder nicht.
Während für große Sanierungen und
Neubauten jährlich rund 136 Millionen
Euro zur Verfügung stehen, reichen die
rund 8 Millionen für den Bauunterhalt
nicht hin. Insgesamt ist der Betriebshaus-
halt der Stiftung Preußischer Kulturbe-
sitz, aus dem die Mittel für laufende In-
standsetzungen kommen, zu gering. Die
größte deutsche Kulturinstitution ist, so
Gero Dimter, unterfinanziert. jby/dpa

Sehr, sehr viel Platz


Warum wird das geplante Museum der Moderne in Berlin so viel teurer?


Nun, es wird ja auch größer. Rekonstruktion eines maximal undurchsichtigen


Genehmigungsprozesses – und ein paar Tausend Quadratmetern mehr


Inzwischen stehen 450 Millionen
Euro im Haushaltsentwurf. Es gibt
also keinen Grund mehr zu sparen

Berliner Bauunterhaltsstau


Der Stiftung Preußischer Kulturbesitz fehlen die Mittel zum Erhalt wichtiger Kulturbauten


2014 gab der Haushaltsausschuss
130 Millionen Euro frei und
weitere 70 Millionen – als Puffer

DEFGH Nr. 251, Mittwoch, 30. Oktober 2019 (^) FEUILLETON 11
Als Kulturstaatsministerin Monika Grütters das Projekt in die Hand nahm, wuchs
und wuchs es. Manche nannten es „ihr Taj Mahal“. FOTO: SOEREN STACHE/DPA
Ursprünglich sollte das Museum der Moderne in Berlin 10 000 Quadratmeter groß werden. Der aktuelle Entwurf der Architekten Herzog & de Meuron sieht allerdings
16 000 Quadratmeter Nutzfläche vor. Manche sprechen von „produktiver Selbsttäuschung“. FOTO: HERZOG & DE MEURON
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