Süddeutsche Zeitung - 30.10.2019

(C. Jardin) #1
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Ausschließ-
lich Bioland-
bau zu betreiben ist dem Klima nicht unbedingt zuträg-
lich, berichten britische Agrarökologen um Laurence
Smith von der Royal Agricultural University in Glou-
cestershire in der FachzeitschriftNature Communicati-
ons. Die Forscher haben berechnet, wie viele Treibhaus-
gase England und Wales einsparen könnten, wenn sie
komplett auf ökologischen Landbau umstiegen.
Auf nationaler Ebene würde die Umstellung der Um-
welt auf jeden Fall nutzen. So könnten mit dem Bioanbau
von Getreide, Obst und Gemüse ein Fünftel der Kohlen-

stoff-, Methan- und Stickstoffmonoxidemissionen di-
rekt eingespart werden; bei der Nutztierhaltung ginge
der Ausstoß ebenfalls um etwa vier Prozent zurück.
Auch für die Bodengesundheit ist die ökologische Land-
wirtschaft deutlich besser als konventioneller Anbau.
Doch ein Umstieg auf 100 Prozent bio führt auch zu
deutlichen Ertragseinbußen, rechnen Smith und seine
Kollegen vor: Rund 40 Prozent weniger als beim konven-
tionellen Anbau würden die Bio-Landwirte ernten. „Ob-
wohl ökologischer Anbau der Umwelt auf lokaler Ebene
ohne Zweifel nutzt, zum Beispiel durch die Speicherung
von Kohlenstoff im Boden, geringerer Pestizidbelastun-

gen und höherer Biodiversität, müssen wir dem die ge-
steigerten Produktionsanforderungen andernorts entge-
genstellen“, sagt Co-Autor Guy Kirk.
Die Ertragsdefizite des Bioanbaus müsste die Insel
nämlich durch Nahrungsmittelimporte aus dem Aus-
land decken, was unter dem Strich mehr klimaschädli-
che Emissionen verursachen dürfte als die konventionel-
le Landwirtschaft in England und Wales. Das gilt aller-
dings nur, wenn die Briten weiterhin so viele tierische
Produkte essen würden wie jetzt. Würden sie mehr Ge-
müse und Hülsenfrüchte verzehren und weniger weg-
werfen, sähe die Bilanz schon wieder anders aus. noed

von werner bartens

K


inder sind unberechenbar – und
das von Anfang an. Warum einige
den schützenden Mutterleib schon
nach 28 Schwangerschaftswochen verlas-
sen wollen, während andere nach 40 Wo-
chen noch keine Anstalten machen, das
Licht der Welt erstmals anzublinzeln, ver-
mag niemand genau zu sagen. Ob ein Baby
„über Termin“ sich Zeit lassen kann oder
die Geburt eingeleitet werden sollte, ist in
der Fachwelt ebenfalls umstritten.
Eine umfangreiche Studie, mit deren
Hilfe diese Frage geklärt werden sollte, ist
in Schweden vorzeitig abgebrochen wor-
den. Sechs Babys starben, nachdem die
Schwangerschaft bis zum Ende der 42. Wo-
che fortgesetzt worden war. Eigentlich soll-
ten 10000 gesunde Schwangere an der
groß angelegten Untersuchung teilneh-
men. Eine Hälfte würde nach 41 Schwan-
gerschaftswochen entbunden werden, die
andere nach Beendigung der 42. Woche, so
der ursprüngliche Plan.
Eigentlich eine gute Idee. „Das ist ein kri-
tisches Thema in der Geburtshilfe, das viel
hinterfragt wird“, sagt Maria Delius, Leite-
rin der Geburtshilfe im Perinatalzentrum
an der Unifrauenklinik Innenstadt in Mün-
chen. „Die Leitlinien ändern sich ständig.“
Auch international besteht unter Frauen-
ärzten keine Einigkeit, wann der beste Zeit-
punkt ist, eine Geburt einzuleiten. „Der-
zeit gibt es die Empfehlung, es Frauen sie-
ben Tage nach Termin anzubieten und
nicht mehr als 14 Tage zuzulassen“, sagt De-

lius. „Älteren Schwangeren sollte man es
aber früher anbieten.“
Gerade in der Geburtshilfe kommt es
auf individuelle Risiken an. Die Gefahr für
einen intrauterinen Fruchttod, wie Ärzte
den Tod des Babys im Mutterleib nennen,
ist beispielsweise während der gesamten
Schwangerschaft bei Fettleibigkeit um 60
Prozent erhöht. Bei Frauen zwischen 35
und 39 Jahren steigt das Risiko um 50 Pro-
zent, bei über 40-Jährigen ist es gar mehr
als doppelt so hoch. Die Gefahr, dass dem
Baby etwas zustößt, ist auch für Raucherin-
nen und Erstgebärende größer.

Die normale Schwangerschaft dauert
im Durchschnitt 280 Tage, üblicherweise
beschrieben als 40 Schwangerschaftswo-
chen, gerechnet vom ersten Tag der letzten
Regelblutung. In den ersten zwei Wochen
danach sprechen Ärzte von Terminüber-
schreitung, nach 14 Tagen, also nach der
Woche 42, von Übertragung.
Mehr als 40 Prozent aller Kinder kom-
men nach dem errechneten Termin zur
Welt. Für die werdende Mutter wie für Heb-
ammen und Geburtshelfer stellt sich die
Frage nach dem richtigen Mittelweg zwi-
schen Abwarten bei regelmäßiger Kontrol-
le und der hormonellen Einleitung der Ge-
burt. „Viele Menschen denken, das wird be-
stimmt von allein gut gehen, die Natur

wird es schon richten“, sagt Frauenärztin
Delius. „Manchmal ist die Natur aber grau-
sam und es ist ein Segen, wenn die Medizin
helfend eingreifen kann.“
Da es zwar etliche Hinweise, aber keine
stichhaltigen Belege dafür gibt, dass die Ri-
siken für Mutter wie Kind steigen, je länger
sich die Geburt zwischen der 40. und 42.
Woche hinauszögert, wollten die schwedi-
schen Ärzte bei gesunden Schwangeren
den optimalen Zeitpunkt für eine Einlei-
tung ermitteln. Denn es könnte öfter ein
Kaiserschnitt erforderlich sein oder das
Kind eher an Komplikationen leiden, wenn
die Geburt in dieser Phase zu lange auf sich
warten lässt.
An der Fragestellung der Studie kam
denn auch keine Kritik auf – wohl aber am
Umgang damit nach dem vorzeitigen En-
de. Das Aus für die Untersuchung kam
nämlich schon im Oktober 2018, als erst
ein Viertel der Teilnehmerinnen rekrutiert
worden waren. Im Sommer 2019 berichte-
te das schwedische Fernsehen von den
sechs Todesfällen, zu denen es im Verlauf
der Studie gekommen war. Trotzdem hiel-
ten sich die Verantwortlichen der Unifrau-
enklinik Göteborg mit öffentlichen Äuße-
rungen zurück. Sie wollten erst die Analyse
in einer Fachzeitschrift abwarten.
Inzwischen hat eine der beteiligten For-
scher Details aus der Studie in ihrer Doktor-
arbeit publik gemacht. Womöglich sei es
nötig, die Empfehlungen zu ändern und
„die Geburt spätestens nach der Schwan-
gerschaftswoche 41 einzuleiten“, lautet ih-
re Schlussfolgerung. Unter dem öffentli-

chen Druck erklärte der Chef der Geburts-
hilfe an der Uniklinik Göteborg demGuar-
dianzufolge, dass man zwar ursprünglich
die wissenschaftliche Auswertung abwar-
ten wollte, jetzt aber plane, „baldmöglichst
allen Frauen über Termin die Einleitung in
der 41. Woche anzubieten“.
Schwangere erst mit einem Jahr Verspä-
tung zu warnen, stößt zwar auf Kritik. Ob
die frühere Intervention auf andere Län-
der übertragen werden sollte, ist dennoch
fraglich. „Man kann auch Risiken minimie-
ren, indem man genauer hinschaut“, sagt
Delius. „In Deutschland werden Schwange-
re nach Termin häufiger kontrolliert als in
Schweden. Insofern könnte die engmaschi-
ge Überwachung schon etwas bringen.“
Die Einleitung der Geburt ist übrigens
ohne größere Risiken. „Es ist halt ein Ein-
griff, aber es sind Hormone, die von der
Schwangeren sowieso beizeiten ausge-
schüttet werden“, sagt Frauenärztin Deli-
us. „Und gerade an dieser Entscheidung
lässt sich trefflich diskutieren, ob wir Ärzte
als die Bösen oder die Retter wahrgenom-
men werden.“ Als Beispiel für einen Fehlan-
reiz aus ökonomischen Gründen, wie sonst
oft in der Medizin zu beobachten, taugt die
Geburtseinleitung jedenfalls nicht. Nach-
dem die Hormone als Tabletten oder vagi-
nal gegeben worden sind, dauert es zwei,
drei Tage unter klinischer Überwachung,
bis das Kind zur Welt kommt. Bei den ge-
genwärtig übervollen Kreißsälen lohnt
sich diese Eile für Ärzte oder Kliniken also
nicht. In der Diskussion geht es allein um
die Gesundheit von Mutter und Kind.

Wenn Uwe Rascher vom Forschungszen-
trum Jülich über eine Wiese oder durch ei-
nen Wald spaziert, sieht er vermutlich
schon mal rot. Zumindest vor seinem inne-
ren Auge. „Zwar erscheinen uns Pflanzen
grün, weil sie viel vom grünen Anteil des
Sonnenlichts zurückspiegeln, aber dahin-
ter geben Pflanzen auch immer ein rotes
Leuchten ab“, sagt der Wissenschaftler.
Das Leuchten ist mit bloßem Auge nicht zu
erkennen, kann aber gemessen werden.
Aus den Messdaten lässt sich ableiten, ob
und woran Pflanzen leiden, schon bevor
Blätter oder Halme braun und welk wer-
den. Von solchen Messungen könnten
künftig Klimaforscher und Landwirten
profitieren, wie die Jülicher Forscher und
internationale Kollegen kürzlich im Fach-
blattRemote Sensing of Environmentbe-
richteten.
Das Leuchten, das Biologen Chlorophyll-
fluoreszenz nennen, ist im Grunde die Son-
nenenergie, die bei der Photosynthese üb-
rigbleibt. Die Pflanzen nehmen das Licht
über ihren Blattfarbstoff Chlorophyll auf
und verwandeln mit seiner Hilfe Kohlendi-
oxid und Wasser in Sauerstoff und Trau-
benzucker, um zu wachsen. Läuft die Um-
wandlung nicht optimal, wird die über-
schüssige Energie unter anderem als rotes
Licht wieder abgestrahlt. „In erster Annä-
herung gilt, dass eine gestresste Pflanze
heller leuchtet“, sagt Rascher. Pflanzen
wehrten sich aber gegen den Stress und
passten sich an, wodurch sich das Signal
immer wieder verändere. Und die Art die-
ser Signalschwankungen verrate, was ih-
nen zu schaffen mache. Ob es etwa zu tro-
cken ist, zu heiß oder zu kalt, ob Nährstoffe
fehlen oder Schädlinge angreifen.

Das Phänomen ist schon seit rund 50
Jahren bekannt. Wurde das rote Leuchten
zunächst nur direkt am Blatt gemessen,
kann es heute auch aus größerer Entfer-
nung von Masten oder Forschungsflugzeu-
gen aus aufgenommen werden. Und gera-
de bereiten sich die Jülicher Forscher auf
Messungen aus dem All vor. In fünf Jahren
soll etwa 800 Kilometer über der Erde der
Satellit Fluorescence Explorer, kurz:
FLEX, der Europäischen Raumfahrtorgani-
sation ESA Fluoreszenzdaten aufnehmen.
Mit dem Blick aus dem Orbit wollen die
Wissenschaftler herausfinden, in welchen
Regionen Ernteausfälle drohen und wie
die globale Vegetation auf den Klimawan-
del reagiert.
FLEX wird die weltweit erste Satelliten-
mission sein, die eigens auf die Messung
von Chlorophyllfluoreszenz ausgelegt ist.
Sie soll globale Fluoreszenzkarten mit ei-
ner bisher unerreichten Auflösung von
300 mal 300 Metern liefern. Zurzeit filtern
die Forscher Fluoreszenzdaten aus den Er-
gebnissen satellitengestützter Atmosphä-
renmessungen heraus, etwa der NASA-Sa-
tellitenmission OCO-2, die Kohlendioxid
detektiert, oder des Sentinel-5P-Satelliten

der ESA, der seit letztem Jahr in Betrieb ist,
auch wenn dessen eigentliche Aufgabe die
Erfassung umweltschädlicher Gase ist. Die
räumlichen Auflösungen liegen im Kilome-
terbereich.
„Chlorophyllfluoreszenz ist weltweit
ein heißes Forschungsthema“, sagt Sophia
Walther vom Max-Planck-Institut für Bio-
geochemie in Jena. Schließlich verspreche
man sich davon auch, die Kohlenstoffauf-
nahme durch die Vegetation besser als mit
etablierten Methoden abschätzen zu kön-
nen, und damit den Kohlendioxidgehalt
der Atmosphäre.
Doch um künftig aus Weltraumdaten
auf das Pflanzenbefinden rückschließen
zu können, braucht Raschers Team Bezugs-
daten von möglichst vielen verschiedenen
Standorten. „Ein Eichenwald, ein Zuckerrü-
benfeld und ein Sportplatz zum Beispiel ha-
ben ganz unterschiedliche Strukturen und
liefern deshalb auch andere Signale“, er-
klärt der Wissenschaftler. Gemeinsam mit
Forschern aus ganz Europa hat Raschers
Team in den vergangenen Sommern das ro-
te Leuchten verschiedener Wälder und von
Feldern gemessen, auf denen Weizen, Zu-
ckerrüben und Maispflanzen wuchsen.
Der starke Hitze- und Trockenheitsstress
in den Jahren 2015, 2017 und 2018 spiegele
sich auch in den Messdaten wider, berich-
tet Rascher.
Auch Landwirte könnten künftig von bo-
dennahen Fluoreszenzmessungen profitie-
ren, wenn die Auflösung hoch genug ist.
Problemzonen auf Äckern ließen sich dann
deutlich früher aufspüren als bisher. Aller-
dings müssen die Geräte dafür noch leich-
ter und billiger werden. Die Messtechnik
für das Forschungsflugzeug etwa ist Ra-
scher zufolge rund 150 Kilogramm schwer
und kostet etwa eine Million Euro. Einen
auf knapp sechs Kilogramm abgespeckten
Prototypen haben die Forscher unter ande-
rem auf Feldern in Arizona und an der Uni-
versität Bonn am Campus Klein Altendorf
getestet. „Das ist unsere Spielwiese, wo wir
mit unserer Messmethode unter anderem
untersuchen, wie hitzeunempfindlich neu
gezüchtete Getreidesorten sind“, sagt Ra-
scher. Die Messtechnik habe sich dort und
auch auf Forschungsfeldern in Arizona be-
währt und solle bald in die Anwendung
kommen. Erste Gespräche mit europäi-
schen Landmaschinenherstellern seien
schon geführt worden. Noch leichtere Sen-
soren könnten auch von Drohnen aus Infor-
mationen liefern.
Das Team aus Jülich plant nun, das rote
Leuchten von exotischeren Vegetationen
zu messen, etwa von Tropenwäldern und
Savannen, und jenes von küstennahen Ge-
bieten, Flussmündungen und Seen. „Auch
hier gibt es ja Pflanzen und Algen, die fluo-
reszieren“, erklärt Rascher. Die Forscher ar-
beiten außerdem an Methoden, verschiede-
ne Schädlingsarten als Stressauslöser un-
terscheiden zu können und daran, die
Messergebnisse für Laien verständlich zu
machen. „Wir wollen die Daten in Stressin-
dizes übersetzen, also in Informationen,
mit denen auch Landwirte oder Politiker et-
was anfangen können“, sagt der Wissen-
schaftler. andrea hoferichter

Bio fürs Klima?


Der perfekte Zeitpunkt


Abwarten oder einleiten: Experten sind uneins, wann Babys nach dem errechneten Termin auf


die Welt geholfen werden sollte. Sechs Todesfälle in Schweden geben der Diskussion zusätzliche Brisanz


Neueste Technik, aber geschoben wird von Hand: der an einem Wagen befestigte Fluo-
reszenz-Sensor auf einem Testfeld. FOTO: FORSCHUNGSZENTRUM JÜLICH

In fünf Jahren soll ein
spezieller Fluoreszenz-Satellit
der Esa die Arbeit aufnehmen

Da leuchtet was


Daten aus dem All zeigen, wo Pflanzen gestresst sind


Warum haben die Ärzte
den Abbruch der Studie
so lange Zeit verschwiegen?

(^14) WISSEN Mittwoch, 30. Oktober 2019, Nr. 251 DEFGH
FOTO: PLAINPICTURE/MILLENNIUM/CHRISTIN
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