Süddeutsche Zeitung - 30.10.2019

(C. Jardin) #1
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von markus balser
und michael bauchmüller

Berlin – Für Insekten hat Julia Klöckner ei-
gentlich ein großes Herz. „Der Schutz von
Insekten ist für unser Ministerium ein zen-
trales Anliegen“, sagt sie gern. „Denn wo
keine Insekten sind, findet keine Bestäu-
bung statt.“ Die Biene etwa, findet die Land-
wirtschaftsministerin von der CDU, sei
„systemrelevant“. Diesen Mittwoch kann
sie beweisen, wie viel an den großen Wor-
ten dran ist.
Dann endet die Frist, bis zu der Klöck-
ners Ministerium eine Berufung gegen
drei Urteile des Verwaltungsgerichts
Braunschweig einlegen kann: Urteile, die
den Insektenschutz in den Genehmigun-
gen für Pestizide aushebeln. Und gleichzei-
tig Urteile, in denen der Bund unterlag,
und die nach Auffassung des Bundesum-
weltministeriums eine Präzedenzwirkung
haben, die noch weit über den Insekten-
schutz hinaus gehen könnte.
Es geht um Herbizide mit klangvollen
Namen wie „Sunfire“ oder „Corida“ und
um das Insektizid „Fasthrin 10 EC“. Die Ge-
nehmigung für solche Stoffe erteilt das
Bundesamt für Verbraucherschutz und Le-
bensmittelsicherheit, BVL. Allerdings
braucht es dafür immer das Einverneh-
men des Umweltbundesamtes, und das
hatte Bedingungen gestellt. Sunfire etwa
sollte in drei Jahren nur einmal ausge-
bracht werden dürfen, um das Grundwas-
ser zu schützen. Die Behörde verweist auf
ein Abbauprodukt des Stoffes, das sich in
der Trinkwasseraufbereitung kaum aus
dem Grundwasser entfernen lasse. Das Ver-
waltungsgericht kassierte die Auflage –
zum Schaden der Umwelt.
Bei Corida und Fasthrin verlangte das
Umweltamt die Ausweisung von Schutzzo-

nen: Weil die Mittel die biologische Vielfalt
einschränkten, bei Kräutern, Insekten und
Vogelarten, sollten Landwirte auch einen
Anteil von Flächen vorhalten, die als Rück-
zugsorte für die Arten dienen können. Das
Verwaltungsgericht bestritt zwar nicht die
Probleme für die Artenvielfalt, sah aber kei-
ne Rechtsgrundlage. Die Auflage war da-
mit weg. Wer die Mittel nun verwendet,
muss sich um Artenschutz und Grundwas-
ser nicht weiter scheren.

Zwischen den Ministerien für Landwirt-
schaft und Umwelt droht deshalb nun neu-
er Krach. Denn die beklagte Behörde ist
eben das in Braunschweig ansässige BVL.
Nur dieses kann Berufung gegen die Urtei-
le einlegen. Und das nur noch sehr kurze
Zeit. Ganz genau bis zu diesem Mittwoch.
Die Anweisung dafür könnte das Haus der
Bienenfreundin Klöckner erteilen. Doch
ein Treffen beteiligter Ministerien am vori-
gen Freitag brachte keinerlei Annäherung.
Das Agrarministerium habe sich nicht be-
wegt, hieß es aus Teilnehmerkreisen. Das
verdeutlicht auch eine Antwort aus dem
BVL: Die Entscheidung, ob die Behörde in
Berufung gehe, stehe noch aus.
Wie groß die Verärgerung mittlerweile
ist, lässt auch ein Brief von Umweltstaatsse-
kretär Jochen Flasbarth an seinen Amtskol-
legen im Landwirtschaftsministerium,
kurz BMEL, erahnen. „Sollte das BMEL ei-
ner Berufung widersprechen“, so heißt es
darin, „würden damit implizit durch das
politische Handeln Ihres Hauses Schäden
an der biologischen Vielfalt und insbeson-
dere bei Insekten, ggf. aber auch negative

Auswirkungen auf die menschliche Ge-
sundheit, sehenden Auges hingenom-
men.“ Es sei „nicht vertretbar, eine derart
weitreichende Frage einem erstinstanzli-
chen Verwaltungsgericht zu überlassen“.
Möglicherweise gerate der Bund dadurch
sogar in Konflikt mit dem EU-Recht. Der
Brief ging diesen Montag an Agrar-Staatss-
rekretär Hermann Onko Aeikens, er liegt
derSüddeutschen Zeitungvor. „Sollten die
Urteile nicht einer Prüfung unterzogen
werden, drohen zweifelhafte Urteile eines
einfachen Verwaltungsgerichts faktisch
zur höchstrichterlichen Rechtsprechung
zu werden“, warnt Flasbarth.
Sorgen löst in diesem Zusammenhang
im Umweltlager auch eine bevorstehende
Spitzenpersonalie in der zuständigen Be-
hörden aus. Nach SZ-Informationen soll
das in der Sache entscheidende Bundes-
amt BVL kurzfristig eine neue Leitung be-
kommen. Den Angaben zufolge soll der ak-
tuelle BVL-Präsident Helmut Tschiersky
seinen Posten zum 1. Dezember räumen
und als Unterabteilungsleiter ins Bundes-
landwirtschaftsministerium wechseln. Als
aussichtsreichster Kandidat für seine
Nachfolge wird in Ministeriumskreisen
Friedel Cramer gehandelt, der für Pflan-
zenschutz und den Fall Glyphosat zuständi-
ge Beamte. Er gilt im Ministerium als Geg-
ner strenger Auflagen für Pflanzenschutz-
mittel.
Im Bundestag löst der Wechsel Empö-
rung aus. „Mit dieser Personalentschei-
dung wird das Bundesamt für Verbraucher-
schutz und Lebensmittelsicherheit degra-
diert zu einem Kampfinstrument der Mi-
nisterin Klöckner gegen das Umweltbun-
desamt“, warnt Renate Künast, die Grünen-
Sprecherin für Ernährungs- und Tier-
schutzpolitik. Das BVL werde einen Leiter
bekommen, der gar keine Qualifikation be-

züglich der so wichtigen Lebensmittelsi-
cherheit hat. Landwirtschaftsministerin
Julia Klöckner spiele ein doppeltes Spiel.
Sie erwecke öffentlich den Anschein, ver-
antwortlich mit Pestiziden umgehen zu
wollen, stelle das BVL aber personell so
auf, dass dessen Hauptaufgabe der Kampf
gegen Umweltauflagen sei. Das Bundes-
landwirtschaftsministerium äußerte sich
auf Anfrage nicht zu den Vorgängen.

München – Der womöglich größte Börsen-
gang der Welt steht unmittelbar bevor – al-
lerdings könnte er bescheidener ausfallen,
als ursprünglich angekündigt. Der staatli-
che saudische Ölkonzern Saudi Aramco
werde seine Pläne für die Ausgabe von Ak-
tien am 3. November öffentlich machen, be-
richtet der in saudischem Besitz befindli-
che Fernsehsender al-Arabiya unter Beru-
fung auf Quellen mit direkter Kenntnis der
Pläne auf dem diesjährigen Treffen der Fu-
ture Investment Initiative in Riad. Die Er-
mittlung der Preisspanne für die Anteils-
scheine werde am 17. November beginnen
und der Ausgabepreis am 4. Dezember be-
kannt gemacht werden. Vom 11. Dezember
an sollen die Papiere dann an der Tadawul
gehandelt werden, der Börse von Riad.
Übereinstimmend meldeten dies auch
Wirtschaftsnachrichtenagenturen wie
Reuters und Bloomberg. Eine offizielle Be-
stätigung gab es zunächst jedoch nicht.
Das Königreich hatte den Börsengang
wiederholt verschoben, zuletzt um nach
dem Angriff auf eine wichtige Ölkonversi-
onsanlage von Aramco in Abqaiq und das
Ölfeld von Khurais, das zweitgrößte des
Landes. Die Regierung in Riad und die USA
hatten für die Attacke am 14. September
Iran verantwortlich gemacht, den wichtigs-
ten regionalen Rivalen des Königreichs. Ri-
ad hatte nach dem Angriff entschieden, die
Veröffentlichung der Zahlen für das dritte
Quartal abzuwarten, um Investoren deut-
lich zu machen, dass die Attacke den Er-
trag des Unternehmens und damit dessen
Wert nicht dauerhaft beeinträchtigt hat.
Den am Börsengang beteiligten Banken
habe Aramco einen Gewinn von 68 Milliar-
den Dollar für die ersten neun Monate des
Jahres gemeldet, berichtet Bloomberg. Der
Gewinn nach Steuern und Abschreibun-
gen im gesamten Vorjahr hatte 111,1 Milliar-
den Dollar betragen, womit der Konzern
das mit Abstand profitabelste Unterneh-
men der Welt ist. Apple verdiente 59,5 Milli-
arden Dollar, als größter Mineralölkon-
zern kam Shell auf 23,4 Milliarden Dollar.
Kronprinz Mohammed bin Salman hat
wiederholt öffentlich gesagt, er erwarte ei-
ne Bewertung des Unternehmens mit zwei
Billionen Dollar oder mehr. Institutionelle
Anleger und Branchenanalysten taxieren
Aramco auf 1,3 und 1,7 Billionen Dollar.
Nicht bekannt ist bislang, wie groß der An-
teil an Aramco ausfallen soll, den Saudi-
Arabien an der Börse platzieren will. Die

Annahmen reichten bislang von anfäng-
lich ein bis zwei Prozent, al-Arabiya berich-
tet von fünf Prozent. Damit läge das Volu-
men je nach Bewertung zwischen 13 und
100 Milliarden Dollar. Der Kronprinz hatte
das Ziel ausgegeben, durch den Verkauf
100 Milliarden Dollar zu erzielen. Diese sol-
len gemäß seiner Vision 2030 investiert
werden, um die Abhängigkeit der saudi-
schen Wirtschaft vom Öl zu verringern.
Offen blieb, ob Saudi-Arabien die mit er-
heblichen juristischen und wirtschaftli-
chen Risiken behafteten Pläne weiter ver-
folgt, Aramco-Aktien auch an großen aus-
ländischen Kapitalmärkten zu platzieren.
Als Kandidat dafür galt lange die Börse in
New York, die der Kronprinz favorisierte,
doch der Vorstand des Unternehmens hält
dies für zu riskant. Dort sind die regulatori-
scher Vorgaben strenger und die amerika-
nischer Anti-Terror-Gesetze bergen erheb-
liche Risiken. London, Tokio und Singapur
hatten sich ebenfalls in Riad beworben.

Die Anzeichen, dass der oft nur bei sei-
nen Initialen MbS genannte Thronfolger
den Börsengang vorantreibt, hatten sich in
den vergangenen Monaten verdichtet. So
wurde Yassir al-Rumayyan, Chef des saudi-
schen Staatsfonds PIF zum Verwaltungs-
ratchef des Energiekonzerns ernannt. Da-
mit kam Riad Forderungen nach mehr
Transparenz und einer organisatorischen
Trennung des Staatsunternehmens vom
Ölministerium des Landes entgegen. Frag-
lich ist, ob dies privaten institutionellen An-
legern weit genug geht. Die Ölpolitik des
Landes, die etwa die Fördermengen um-
fasst und damit direkte Auswirkungen auf
das Geschäft von Aramco hat, bleibt weiter
in der Hand der Regierung.
Zur Verzögerung des Börsengangs trug
laut Analysten auch die Suche nach Großin-
vestoren bei, die mindestens 40 Prozent
der Papiere zeichnen sollen. So habe Aram-
co sowohl um die Gunst von internationa-
len Fondsmanagern als auch reicher Privat-
investoren im Königreich und der Staats-
fonds in den Vereinigten Arabischen Emira-
ten und Singapur geworben. Der russische
Staatsfonds und auch China hatten Interes-
se bekundet. paul-anton krüger

München – An diesem Mittwoch ist Chris-
tiane Schönefeld bei dem monatlichen Ri-
tual in Nürnberg das erste Mal dabei: Die
Bundesagentur für Arbeit (BA) verkündet
wie jeden Monat die Arbeitslosenzahlen –
und präsentiert die neue Frau im Dreier-
Vorstand von Deutschlands größter Behör-
de. Aufgeregt ist die 62-jährige Juristin
nicht. Die BA ist seit mehr als 30 Jahren ihr
Arbeitgeber. Die neue Vorstandsfrau für
Personal und Finanzen weiß, was auf sie zu-
kommt, wie eine Großorganisation mit
knapp 95 000 Mitarbeitern zu führen ist
und was sie in den nächsten drei Jahren be-
wegen will. „Die ist tough und durchset-
zungsstark, der macht so schnell keiner et-
was vor“, sagt ein BA-Manager.
Schönefeld war 1986 selbst ohne Job, als
sie sich nach ihrem Jurastudium und Refe-
rendariat in Düsseldorf arbeitslos melde-
te. Damals waren Juristen nicht gerade ge-
sucht, trotzdem hatte das Arbeitsamt, so
hieß das damals noch, eine Stelle für sie –
im eigenen Haus. So blieb Schönefeld in
NRW, zog nach dem Tod ihres Mannes ihre
beiden mittlerweile erwachsenen Töchter
allein groß und stieg in der Hierarchie der
BA höher und höher, von der Direktorin
des Duisburger Arbeitsamts, zur Vizepräsi-
dentin des Landesarbeitsamts, um bis zur
ihrem Wechsel nach Nürnberg 15 Jahre
lang die Regionaldirektion NRW zu leiten.
Die Juristin hat dabei viel gesehen: Mas-
senarbeitslosigkeit im Ruhrgebiet, Men-
schen, die wie die Kruppianer im Stahl-
werk in Rheinhausen vergeblich um ihren
Arbeitsplatz kämpften, aber auch „heile
Welt im Münsterland“, wie sie sagt.
„Langweilig“ sei es ihr dabei nie gewor-
den. „Ich hatte wirklich genug Abwechs-
lung. Ein Wechsel zu einem privaten Arbeit-
geber war für mich deshalb nie ein The-

ma“, sagt sie in ihrem noch kahlen neuen
Büro in der Nürnberger Zentrale. Dort will
Schönefeld möglichst wenig über die Que-
relen reden, die zum Rausschmiss ihrer zu-
mindest bei vielen Mitarbeitern beliebten
Vorgängerin Valerie Holsboer führten.
Lieber spricht die BA-Managerin, die auf
Vorschlag des Arbeitgeberlagers im Verwal-
tungsrat den Spitzenjob bekam, über das,
was vor ihr liegt.
„Es geht darum, mit den Arbeitslosen,
die wirklich unsere Hilfe brauchen, mehr
zusammenzuarbeiten und herauszufin-
den, was sie können, wie sie es schaffen,

wieder Fuß auf dem Arbeitsmarkt zu fas-
sen“, sagt sie. Vorbei die Zeiten, als noch
fünf Millionen Menschen in Deutschland
arbeitslos waren. Stattdessen suchen jetzt
mehr und mehr Unternehmen Fachkräfte,
und alle Firmen wollen digitaler werden.
Schönefeld soll deshalb die Arbeitsbehör-
de weiter umkrempeln und die „lebensbe-
gleitende Berufsberatung“ bundesweit eta-
blieren. „Bundesagentur der Zukunft“ nen-
nen sie das Projekt im Vorstand.

Das Führungstrio um Vorstandschef
Detlef Scheele ist damit schon ein Stück
weit abgerückt von der Politik des frühe-
ren Chefs und Reformers, Frank-Jürgen
Weise, der die Arbeitsagentur auf Effizienz
trimmte und ein Controllingsystem eta-
blierte. Inzwischen hat sich in der Behörde
die Erkenntnis durchgesetzt, dass Erfolg
nicht vor allem daran zu messen ist, wie
schnell ein Arbeitsloser einen Job vermit-
telt bekommt (den sie oder er womöglich
nach kurzer Zeit wieder verliert). Man dür-
fe auf schnelle Erfolge nicht fixiert sein,
sagt Schönefeld. „Das Pendel war zu weit
ausgeschlagen, das ändern wir bereits.“
Notwendig sei es, intensiver zu beraten,
Menschen dauerhaft in Arbeit zu bringen
und zu wissen, dass sich Erwartungen von
Arbeitgebern änderten. Schönefeld nennt
als Beispiel den Einzelhandel. Wer Sportar-
tikel verkaufe, suche nicht unbedingt „den
Einzelhandelskaufmann oder die -kauf-
frau, sondern Typen, die jung und sport-
lich aussehen und selbst Spaß am Sport ha-
ben“. thomas öchsner

Klöckner und die Bienen


Urteile eines Verwaltungsgerichts könnten den Schutz von Insekten aushebeln. Das von Julia Klöckner geführte
Landwirtschaftsministerium will offenbar dennoch keine Berufung einlegen. Nun droht neuer Krach in der Regierung

Öl für die Börse


Was der saudische Konzern Aramco vorhat


Endlich angekommen


Christiane Schönefeld ist die neue Vorstandsfrau in der Arbeitsagentur. Was hat sie vor?


Die Fördermengen
will die Regierung
weiter bestimmen

Nicht der kurzfristige
Erfolg soll bei der Vermittlung
entscheidend sein

Umweltschützer sorgen sich
wegen einer Spitzenpersonalie
in der zuständigen Behörde

DEFGH Nr. 251, Mittwoch, 30. Oktober 2019 (^) WIRTSCHAFT 17
Drei Jahre Zeit für Reformen: Christiane
Schönefeld, neue Personalchefin bei der
Bundesagentur für Arbeit. FOTO: DPA
Wie viel darf gespritzt werden? Und was? Zwischen den Ministerien für Landwirtschaft und Umwelt droht neuer Streit um Pestizide. FOTO: IMAGO
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