Süddeutsche Zeitung - 30.10.2019

(C. Jardin) #1
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vonjanwillmroth
undnilswischmeyer

Bonn – Die Phalanx war im antiken Grie-
chenland eine gefürchtete Kampfformati-
on. Mehrere schwere Kämpfer in Reihe, be-
waffnet mit langen Speeren, der Schre-
cken der Kavallerie. In Schlachten mar-
schierten die Infanteristen geschlossen ge-
gen den Feind, sie bildeten eine Wand aus
Schilden und schützten sich gegenseitig.
So sicherten sich die Siege in Schlachten,
bei den Griechen und später bei den Rö-
mern. Sobald aber die Phalanx nicht mehr
geschlossen marschierte, hatte der Feind
eine Chance, sie rasch zu vernichten.
Der Rechtsanwalt S. ist ausgeschert und
hat die Phalanx verlassen. Er benutzt häu-
fig dieses Sinnbild, wenn er über seine Ver-
gangenheit spricht. Als Anwalt war er einst
im innersten Zirkel derjenigen, die mit Ak-
tiengeschäften zulasten der Staatskasse
den Fiskus getäuscht haben sollen. Schwer
bewaffnete Kämpfer gegen den Staat,
scheinbar nicht zu besiegen. Heute ist S. ei-
ner der wichtigsten Kronzeugen der Staats-
anwaltschaft Köln, drei Tage lang ist er als
Zeuge im ersten Strafprozess wegen soge-
nannter Cum-Ex-Geschäfte geladen. Sei-

ne Aussagen haben wesentlich dazu beige-
tragen, dass dieser Prozess überhaupt
stattfindet. Er belastet etliche Akteure
schwer: Die Privatbank Warburg, die Deut-
sche Bank, die Hypo-Vereinsbank, die
Kanzlei Freshfields und viele Einzelne.

Auf der Anklagebank am Landgericht
Bonn sitzen die beiden britischen Aktien-
händler Martin S. und Nick D., am Diens-
tag ist der zehnte Verhandlungstag. Sie ver-
teidigen sich gegen den Vorwurf schwerer
Steuerhinterziehung in 33 Fällen und ei-
nen Fall des Versuchs. Die Anklage lastet ih-
nen 447,5 Millionen Euro Schaden an.

Über Jahre hinweg hatten Händler wie
S. und D. sich an Geschäften beteiligt, die
heute als größter Steuerskandal der deut-
schen Geschichte gelten. Zwischen 2006
und noch bis Ende 2011 organisierten Ban-
ken, Fonds und deren Helfer den Handel
von Aktien mit (Cum) und ohne (Ex) Divi-
dende so, dass die deutschen Finanzbehör-
den ihnen mehr Dividendensteuern erstat-
teten, als sie gezahlt hatten. Durch die He-
belwirkung von Milliardenkrediten brach-
te jedes Geschäft risikolos hohe Millionen-
gewinne. Der Zeuge S. gehörte zu den wich-
tigsten Beratern der Szene.
S. hat diese Geschäfte wiederholt als
„Teufelsmaschine“ bezeichnet. Er half der
Staatsanwaltschaft von Ende 2016 an, die
Geschäfte zu entschlüsseln und den Vor-
wurf der Steuerhinterziehung zu erhärten.
Mit seinen umfangreichen Geständnissen

hofft er, dem Gefängnis zu entkommen.
Bislang ist er noch nicht angeklagt, wird
aber in mehreren Ermittlungsverfahren
beschuldigt. Am Dienstag liefert er dem Ge-
richt und dem voll besetzen Saal tiefe Ein-
blicke in einen industriell organisierten
Griff in die Staatskasse – und in die Psyche
derer, die meinten, sich am Geld der Steuer-
zahler bereichern zu dürfen. „Der Gier war
mit Sicherheit keine Grenze gesetzt“, sagt
er über den Geist, der in den Kanzleiteams
herrschte, in denen er arbeitete. Er be-
schreibt, wie die Verhandlungen mit Ban-
ken abliefen, wie man reiche Investoren
fand, wie er und sein früherer Kanzleipart-
ner Hanno Berger den „Turbolader“ erfan-
den: Cum-Ex-Geschäfte mit speziell dafür
eingerichteten Investmentfonds.
Menschen wie er und Berger halfen so,
die Teufelsmaschine ans Laufen zu brin-

gen und mit immer neuem Schmierstoff
zu versorgen. S. war spezialisiert auf Ban-
ken und Investmentfonds – und für seinen
Ziehvater Berger eine gute Ergänzung. Der
wiederum war zur Hochphase der Cum-Ex-
Deals einer der gefragtesten deutschen
Steuerberater. Er hat immer wieder in Gut-
achten beschrieben, warum die Geschäfte
angeblich steuerlich unbedenklich waren.

„Heute muss man sagen, dass das Feigen-
blätter waren“, sagt S. vor Gericht über die
Schriftsätze. Gemeinsam mit seinem Ex-
Kollegen Berger habe er Investoren und
Händler zusammengebracht und mit ih-
nen Modelle zur doppelten Erstattung von
Kapitalertragsteuern erarbeitet. S. be-
schreibt Berger als denjenigen, der wie ei-
ne Spinne im Netz die Fäden knüpfte zwi-
schen den einzelnen Akteuren. Als genia-
len Kopf, vor dem sich gestandene Fachan-
wälte fürchteten, und bei dem reiche Inves-
toren Schlange standen. „Seine Ideen wa-
ren immer sehr gefragt bei den Banken“,
sagt S. – und dort, bei den Banken, habe je-

der genau gewusst, was vor sich ging und
worin die Rendite der Fonds bestand. Ber-
ger bestreitet jedes strafbare Verhalten.
Lange Zeit habe sich die Truppe aus An-
wälten rund um Berger, dort im 32. Stock
eines Frankfurter Wolkenkratzers, unan-
tastbar gefühlt, sagt S. Zweifel durfte nie-
mand anbringen, zu sehr seien die Berater
in ihre eigene Welt entglitten gewesen. „Es
war ein bisschen wie bei Pippi Lang-
strumpf: Ich mach mir die Welt, wie sie mir
gefällt“, sagt S. Falls doch einmal jemand
Zweifel geäußert habe, in einer Runde mit
Berger, sei dieser zur „Hochform“ aufge-
laufen und habe Skeptiker mit seiner gan-
zen rhetorischen Wucht bearbeitet.
Von der eigenen Arbeit so sehr über-
zeugt, marschierte die Phalanx Jahr um
Jahr, nahm dem Staat Euro um Euro weg,
immer in dem Glauben, im Recht zu han-
deln. Das „Störgefühl“, wie S. es am Diens-
tag mehrfach beschreibt, hätten sie da-
mals einfach weggedrückt, etwa nach ei-
ner Gesetzesänderung im Jahr 2007 oder
2009, als das Bundesfinanzministerium
per Rundschreiben den Cum-Ex-Sumpf
trockenlegen wollte. Es gab Änderungen,
dann habe drei Tage die Maschinerie ge-
stockt, bevor sie auf Hochtouren weiterge-
laufen sei. „Niemand wollte, dass das Stör-
gefühl hochkommt“, sagt S. dazu. Zu groß
sei die „Sehnsucht“ der Banken, Berater
und Investoren gewesen, dass es weiterge-
he, dass sie den Staat noch ein weiteres
Jahr ausnehmen konnten.
Gute 13 Jahre nach den ersten Geschäf-
ten ist die Kriegerformation aufgelöst. War
die Phalanx einmal angreifbar, galt es als
so gut wie unmöglich, auszuscheren.

Frankfurt – Bundesbank-Präsident
Jens Weidmann hat sich gegen den
bevorzugten Ankauf sogenannter grü-
ner Anleihen durch Notenbanken ausge-
sprochen. „Unser Mandat lautet Preis-
stabilität, und bei der Umsetzung unse-
rer Geldpolitik ist der Grundsatz der
Marktneutralität zu beachten“, sagte
Weidmann am Dienstag in Frankfurt.
Die entsprechende Forderung nach
einer grünen Geldpolitik sehe er kri-
tisch. Einer Geldpolitik, die ausdrück-
lich umweltpolitische Ziele verfolgt,
droht laut Weidmann eine Überfrach-
tung. Auf Dauer könnte ihre Unabhän-
gigkeit in Frage gestellt werden. „Ich
halte eine entschlossene und wirksame
Klimapolitik für geboten – nur eben
mit den richtigen Instrumenten und
durch die dafür demokratisch legiti-
mierten Akteure“, sagte der Chef bei der
Finanzmarktkonferenz der Deutschen
Bundesbank. dpa

Athen – Im Wettstreit um einen Stand-
ort für ein neues Werk des Autokon-
zerns Volkswagen in Südosteuropa hat
sich nun auch Griechenland empfohlen.
„Es gibt Interesse unsererseits“, sagte
der griechische Wirtschafs- und Investi-
tionsminister Adonis Georgiadis am
Dienstag im Gespräch mit dem Staats-
fernsehsender (ERT). Details nannte
der Minister zunächst allerdings nicht.
Volkswagen hatte eine Entscheidung
zum Bau eines sogenannten Mehrmar-
kenwerkes in Südosteuropa schon vor
längerer Zeit getroffen. Zuletzt hatte die
Türkei als Favorit gegolten. Nach der
Militäroffensive der Türkei in Nordsyri-
en hatte der Konzern die Entscheidung
für einen Standort aber aufgeschoben.
Bulgarien, das in den vergangenen Mo-
naten ebenfalls im Rennen gewesen
sein soll, machte sich daraufhin wieder
Hoffnungen. dpa

Frankfurt – Das Oberlandesgericht
Stuttgart hat die bisher einzigen Urteile
auf Schadenersatz gegen VW-Großakti-
onär Porsche SE zum Dieselskandal auf
Eis gelegt. Die beiden Urteile zu Anleger-
klagen gegen die Holding der VW-Eig-
nerfamilien Porsche und Piech seien bis
zur rechtskräftigen Entscheidung in
Musterverfahren der Oberlandesgerich-
te Braunschweig und Stuttgart zum
VW-Dieselskandal auszusetzen, teilte
das OLG am Dienstag mit. Vor rund
einem Jahr hatte das Landgericht Stutt-
gart die PSE zu 47 Millionen Euro Scha-
denersatz verurteilt, weil sie im Herbst
2015 zu spät über den Abgasskandal
informiert hätte. Die PSE und auch die
Kläger waren in Berufung gegangen –
das Unternehmen, weil es sämtliche
Klagen für unbegründet hält und die
Kläger, weil sie eine höhere Schadens-
summe forderten. reuters

Detroit – Der 40-tägige Streik der Auto-
gewerkschaft UAW verdirbt General
Motors die Aussichten für das laufende
Jahr. Der größte US-Autobauer kippte
seine Gewinnprognose und führte als
Grund hohe Kosten durch den Still-
stand praktisch der gesamten Produkti-
on in Nordamerika an. Zuvor hatte be-
reits der zweitgrößte US-Autobauer
Ford seine Aussichten gedämpft und
dafür einen höheren Aufwand für den
Konzernumbau angeführt. Die Auto-
branche ringt derzeit weltweit zudem
mit den Folgen des US-Handelsstreits
mit China und den Unsicherheiten
durch den Brexit. Deshalb hatte schon
der französische Renault-Konzern sei-
nen Ausblick kassiert. GM gelang es
allerdings, den Gewinnrückgang im
dritten Quartal dank des gestiegenen
Verkaufs margenstarker Pick-ups und
SUVs in Grenzen zu halten. reuters

Toulouse/Neu-Delhi – Mitten in der
Krise des US-Flugzeugherstellers Boe-
ing hat der europäische Konkurrent
Airbus einen Riesenauftrag aus Indien
erhalten. Die indische Billigfluggesell-
schaft Indigo orderte insgesamt 300
Flugzeuge der ModellfamilieA320neo
(FOTO: OH), wie beide Unternehmen am
Dienstag in Toulouse und Neu-Delhi
mitteilten. Der Auftrag ist einer der
größten in der Geschichte des Flugzeug-
bauers. Ausgehend von der Standardver-
sionA320neo, die auf der Preisliste mit
110,6 Millionen US-Dollar aufgeführt
ist, könnte die Bestellung einen Gesamt-
wert von mehr als 33 Milliarden Dollar
(rund 29,8 Milliarden Euro) erreichen.

Allerdings sind bei Flugzeugbestellun-
gen hohe Rabatte üblich. Unter den
Jets, die im Grundsatz für Kurz- und
Mittelstreckenflüge ausgelegt sind,
befindet sich neben Maschinen der
VersionenA320neoundA321neoauch
die Superlangstrecken-Version
A321XLR, deren Bau Airbus im Juni auf
der Luftfahrtmesse in Le Bourget bei
Paris angekündigt hatte. dpa

Gegen „grüne“ Anleihen


Athen will VW-Werk


Porsche SE: Vorerst kein Urteil


GM kappt Prognose


Großauftrag für Airbus


„Der Gier war keine Grenze gesetzt“


Im ersten Cum-Ex-Strafprozess am Landgericht Bonn sagt der Kronzeuge der Staatsanwaltschaft
Köln aus. Er liefert tiefe Einblicke in den Abgrund des größten Steuerskandals der deutschen Geschichte

Mit seinen umfangreichen
Geständnissen hofft er,
dem Gefängnis zu entkommen Von der eigenen Arbeit

so sehr überzeugt, marschierte
die Phalanx Jahr um Jahr

(^18) WIRTSCHAFT Mittwoch, 30. Oktober 2019, Nr. 251 DEFGH
KURZ GEMELDET
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    8-18 01012 0,
    01078 1,
    01098 1,
    18-19 01012 0,
    01078 0,
    19-24 01078 0,
    01098 0,
    01013 0,
    Frankreich 01086 0,82 01069 0,
    Griechenland 01086 0,59 01088 1,
    Großbritannien 01078 0,29 01069 0,
    Italien 01086 0,69 01098 0,
    Österreich 01086 1,19 01069 1,
    Polen 01078 0,91 01069 1,
    Schweiz 01069 1,31 01052 1,
    Spanien 01078 0,78 01069 1,
    Türkei 01086 2,44 01012 2,
    USA 01086 0,84 01069 0,
    0-24 01078 1,75 0-24 01038 1,
    Die Hall of Fame der deutschen Forschung ist eine Initiative des manager magazins.
    Das Unternehmen Merck unterstützt dieses Format sowie die Curious Minds Awards.
    Wir gratulieren den Geehrten.
    KARSTEN DANZMANN,
    Laureat des Jahres 2019
    Der Professor und Institutsleiter der Leibniz Universität
    Hannover hat die Messtechnik entwickelt, mit der
    die von Albert Einstein postulierten Gravitationswellen
    nachgewiesen werden konnten. Die zugrunde liegende Laser-
    Interferometrie verbessert die GPS-Ortung und eröffnet
    neue, kommerzielle Nutzanwendungen, etwa in der Logistik,
    FOTO: MARIO WEZEL beim autonomen Fahren oder in der Landwirtschaft.
    FOTOS: LÊMRICH FÜR MANAGER MAGAZIN, MARIO WEZEL FÜR MANAGER MAGAZIN
    Die Hall of Fame der deutschen Forschung
    ehrt jedes Jahr Wissenschaftler, die mit ihrer
    Lebensleistung die Forschung maßgeblich voran-
    gebracht und zugleich den Wirtschaftsstandort
    Deutschland zukunftsfähiger gemacht haben.

    DER DEUTSCHEN FORSCHUNG


HALL


OF FAME


ULRIKE KRAMM,
Preisträgerin des Jahres
2019 in der Kategorie
Mobilität und Energie
Die Junior-Professorin der TU
Darmstadt entwickelt preisgüns-
tige und umweltfreundlich her-
stellbare, robuste Katalysa toren
für Brennstoffzellen, die zum
Beispiel an Bord von E-Mobilen
den Antriebsstrom liefern kön-
nen. Die Rohstoffe für die
neuen Materialien sind überall
erhältlich und viel billiger als
das derzeit verwendete Platin.

XIAOYING ZHUANG,
Preisträgerin des
Jahres 2019 in der Kategorie
Materialien und Wirkstoffe
Die Computerwissen schaftlerin
entwickelt an der Leibniz
Universität Hannover digitale
Simulationen, mit denen
neue Materialien etwa für winzig
kleine Energie-Umwandler
und -speicher in der
Medizintechnik oder für Leicht-
bau in der Luft- und
Raumfahrt erprobt werden.

Die Preise für junge Wissenschaftler zeichnen


Forscher aus, deren akademisch exzellente


Forschung bereits jetzt wichtige Impulse


für die deutsche Wirtschaft erkennen lassen.


CURIOUS


MIND


AWARD


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