Süddeutsche Zeitung - 30.10.2019

(C. Jardin) #1
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Was Anis Mohammed Yussuf Ferchichi ali-
as Bushido im Jahr 2003 mit seinem ersten
eigenen Album „Vom Bordstein zur Sky-
line“ bediente, war ein Bedarf. Deutsch-
sprachiger Rap hatte sich in den Vorjahren
etabliert, ambitionierte Pädagogen übten
mit ihren Schülern sogar Verkehrskunde-
Raps ein. Was aber noch fehlte, war ein
glaubwürdiges deutsches Pendant zum
Gangsta-Rap, der sich in den USA mit
Gruppen wieN.W.Aschon Jahrzehnte vor-
her als härtere und provokantere Variante
herausgebildet hatte. Diese Lücke füllte zu
Beginn des Jahrtausends das Label Aggro
Berlin, das den 1978 in Bonn geborenen
Bushido 2001 unter Vertrag nahm.

Hatte sein dortiger Kollege Sido die eige-
nen Straßen-Raps noch mit einer ironi-
schen Ebene versehen, suchte Bushido die
direkte Konfrontation, gewaltverherrli-
chend, misogyn, homophob. Heute würde
mancher Kritiker wohl sagen: herrlich poli-
tisch unkorrekt. „Die Leute wollen hören,
wie ich den Typen eine aufs Maul haue. Sie
wollen wissen, wie ich meine Drogen ver-
kaufe“, sagte Bushido in einem frühen
Interview. Und er hatte recht: Das Album
stieg in die Charts auf, wurde einer der
ersten Erfolge von Aggro Berlin, das trotz
seines breitschultrigen Auftretens ja nicht
mehr war als ein kleines Berliner Indie-La-
bel. Bushido überwarf sich mit Aggro Ber-
lin, gründete bald ein eigenes Label (Ersgu-
terjunge), es folgten ausverkaufte Touren,
Alben in Jahresabständen, ein European

Music Award als „Best German Act“ und –
nützlich für den eigenen Ruf – Konflikte
mit anderen Rappern wie Fler oder Sido so-
wie mit den Strafverfolgungsbehörden. In
Linz verletzte er einen Jugendlichen, der
seine Autoreifen zerstochen hatte, saß in
Untersuchungshaft, kam aber mit einer
Zahlung von 20 000 Euro Strafe und 5000
Euro Schmerzensgeld davon. Außerdem
wurde das Debütalbum und dessen Nach-
folger nachträglich indiziert, nachdem
Talkshows Textzeilen wie „weil du eine
Frau bist und man dir in den Bauch fickt,
heißt es nicht das ich dich nicht schlage bis
du blau bist“ rauf- und runterzitiert und da-
bei eine Verrohung der Jugend konstatiert
hatten. Der nun als „Rüpel-Rapper“ betitel-
te Bushido und seine Fürsprecher beriefen
sich dagegen auf die Freiheit der Kunst,
die Trennung von Werk und Autor.
Als Bushido 2007 bei einem Konzert ge-
gen Gewalt an Schulen am Brandenburger
Tor auftreten sollte, kam es zu Protesten
von CDU und Grünen. „Solche Brutalo-
Rapper taugen nicht als Vorbild für Kinder
und Jugendliche“, sagte der damalige
Generalsekretär der Berliner CDU, Frank
Henkel. Beim Konzert selbst sagte Bushido
dann: „Mir würde niemals im Leben einfal-
len, gegen Homosexuelle zu demonstrie-
ren.“ Und „an alle, die auf der Demo waren:
Ich hoffe, ihr habt euren Spaß gehabt.“
Anschließend zeigte er mit gestrecktem
Mittelfinger Richtung Straße des 17. Juni,
wo vorher Schwulengruppen gegen seinen
Auftritt demonstriert hatten. In den Folge-
jahren wurden Bushidos Texte harmloser,
abgesehen vom Album „Sonny Black“ von
2014, über das am Mittwoch in Leipzig
verhandelt wird, kam es zu keinen weite-
ren Indizierungen.

Abseits der Indizierungsdebatte ging es
für Bushido weiterhin bergauf. 2009 brach-
te Bernd Eichinger sein Leben als Film mit
dem Titel „Zeiten ändern dich“ ins Kino,
2011 erhielt er (unter heftiger Kritik) einen
Bambi für Integration. In „Zeiten ändern
dich“ spielte Moritz Bleibtreu die Rolle des
Arafat Abou-Chaker, Chef eines großen
und berüchtigten Familienclans in Berlin.
Dieser war in den ersten Jahren von Bushi-
dos Karriere eine Art Gönner, in den folgen-

den Jahren aber kam es zu schwerwiegen-
den Auseinandersetzungen, die weit über
ein bloßes Kräftemessen zweier Alpha-
typen hinausreichten.
2013 berichteten Medien, dass Bushido
Abou-Chaker eine Vollmacht eingeräumt
hatte, der zufolge der Clanchef über Bushi-
dos Vermögen verfügen konnte. Außer-
dem habe Abou-Chaker ihn streng kontrol-
liert und etwa bei der Einrichtung seines
Hauses, der Erziehung seiner Kinder und
dem Begräbnis seiner Mutter mitreden
wollen. 2018 folgte der Bruch mit Abou-
Chaker, laut Bushidos Frau hatte man er-
folglos 2,5 Millionen Euro geboten, um
sich freizukaufen. Bushido wendete sich
daraufhin einem neuen „Beschützer“ zu,
Ashraf Rammo, Chef eines rivalisierenden
Clans. Dazu veröffentlichte Bushido den
Track „Mephisto“, eine zehnminütige Ab-
rechnung mit seinem früheren Freund
und Geschäftspartner Abou-Chaker. Mit
der Loslösung von Abou-Chaker verließen
viele der Rapper, die bei Bushido unter Ver-
trag standen, sein Label. Einer von ihnen,
Capital Bra – der derzeit wohl erfolgreichs-
te deutsche Rapper – gab an, dass er nicht
länger mit Bushido arbeiten wolle, da die-
ser nun mit der Polizei kooperiere.
Mittlerweile gilt Bushido zwar fast
schon als Elder Statesman des deutschen
Gangsta-Rap, längst übertrumpft von neu-
en Namen wie besagtem Capital Bra oder
Raf Camora. Sein aktuelles Album, „My-
thos“ von 2018, hielt sich aber dennoch
14 Wochen an der Spitze der deutschen
Albumcharts. Und obwohl der von ihm ge-
prägte deutsche Rap selten im Radio oder
Fernsehen stattfindet, bildet er heute das
erfolgreichste Genre auf dem deutschen
Musikmarkt. quentin lichtblau

Wer andere im Netz beleidigt oder etwa
den Ortsbürgermeister bedroht oder als
Extremist gar einen Waffenschein bean-
tragt, dem will die Bundesregierung einen
Strich durch die Rechnung machen. Am
Mittwoch steht ein „Maßnahmenpaket ge-
gen Rechtsextremismus und Hasskrimina-
lität“ auf der Tagesordnung des Kabinetts.
Betreiber von Social-Media-Plattformen
sollen strafbare Inhalte künftig nicht nur
löschen, sondern auch dem Bundeskrimi-
nalamt melden müssen. Bei Beleidigung
im Netz soll die Staatsanwaltschaft ein-
schreiten. Kommunalpolitiker sollen vor
Bedrohung geschützt und Auskunftssper-
ren im Melderegister einfacher werden.
Vor jeder Vergabe eines Waffenscheins
soll eine Anfrage beim Verfassungsschutz
Pflicht werden. Extremisten wird der Waf-
fenschein verweigert. Bereits ausgestellte
Waffenscheine können bisher nur bei
nachgewiesener verfassungsfeindlicher
Aktivität eingezogen werden. Künftig soll
Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindli-
chen Gruppe den Entzug begründen. LION

Gegen den Hass


von wolfgang janisch

N


atürlich kann man sich fragen, was
es da eigentlich noch zu überlegen
gibt. „Keine weiße Weste, bleibe ei-
ne Bestie; ich zerfleisch’ dich und verbren-
ne deine Leichenreste.“ Ist es etwa das, wo-
für sie die Kunstfreiheit ins Grundgesetz
geschrieben haben? „Yeah, es gibt tausend
Gründe, warum ich dich töten muss; doch
der plausibelste von allem ist; wie blöd du
guckst.“ Hat Artikel 5 Absatz 3 das wirklich
gemeint? „Und ich ramme deiner Schwes-
ter meinen Schwanz in ihr Maul.“ Ist das
Kunst? Kann das weg? Muss es weg?
An diesem Mittwoch verhandelt das
Bundesverwaltungsgericht in Leipzig über
das 2014 erschienene Album „Sonny
Black“ von Bushido, aus dem die Zeilen
stammen – oder die Lines, wie das im
Jargon heißt. Es geht um die Frage, ob die
Scheibe auf den Index gesetzt werden durf-
te. Die Bundesprüfstelle für jugendgefähr-
dende Medien, eine altehrwürdige Institu-
tion, hat sie als jugendgefährdend einge-
stuft. Die CD ist damit nicht verboten, aber
Vertrieb und Werbung unterliegen deutli-
chen Einschränkungen. Bückware sagte
man dazu früher, als es vorwiegend um
schmuddelige Videos ging, die unter dem
Ladentisch verkauft wurden.
Juristisch stehen beim Bundesverwal-
tungsgericht wichtige Verfahrensfragen
im Vordergrund, zum Beispiel: Wie groß
ist der Beurteilungsspielraum der Bundes-
prüfstelle? Wie intensiv können Gerichte
deren Entscheidungen überprüfen? Das
ist keineswegs trivial, weil sich daran
entscheiden kann, wie weit der Arm des
Jugendschutzes reicht; das Verwaltungs-
gericht Köln hatte gegen Bushido entschie-
den, das Oberverwaltungsgericht Münster
zu seinen Gunsten.
Womöglich ist auch das Bundesverwal-
tungsgericht nur eine weitere Etappe im
Prozess Bushido gegen Bundesrepublik
Deutschland. Aber der Kern des Konflikts
bewegt die Gemüter derzeit auch in ande-
ren Zusammenhängen. Wie umgehen mit
Hassrede, mit Gewaltverherrlichung, mit
Verächtlichmachung? Seit dem Mord an
Walter Lübcke macht sich eine beklem-
mende Ahnung von der Kraft böser Worte
breit, die den Boden bereiten können – für
Gewalt oder gar Mord. Muss man nicht mit
neuen Augen auf ein altes Problem schau-
en, auf den Gangsta-Rap als eine Kunst-
form mit Risiken und Nebenwirkungen?

Gangsta- oder Battle-Rap beschäftigt
die Bundesprüfstelle bereits seit rund
20 Jahren, also lange bevor die Debatte
über Hip-Hop und Rap mit der Echo-Preis-
verleihung an Farid Bang und Kollegah we-
gen der Textzeile „Mein Körper definierter
als von Auschwitz-Insassen“ explodierte.
Zuständig für die Indizierung ist ein Zwöl-
fergremium aus Vertretern von Kultur,
Medienindustrie, Jugendarbeit, Schulen
und Kirchen. Stets geht es um die heikle
Abwägung zwischen Jugendschutz und
Kunstfreiheit. Und man kann wirklich
nicht behaupten, die Prüfer hingen einem
angestaubten Kulturbegriff an, der allein
das Wahre, Schöne, Gute gelten ließe.
Schon eher: Kunst darf auch böse und häss-
lich sein. In seiner Grundsatzentscheidung
zum Jugendschutz – es ging um einen Ro-
man über die Wiener Prostituierte Josefi-

ne Mutzenbacher – hielt das Bundesverfas-
sungsgericht 1990 fest: „Die Kunstfreiheit
umfasst auch die Wahl eines jugendgefähr-
denden, insbesondere Gewalt und Sexuali-
tät thematisierenden Sujets sowie dessen
Be- und Verarbeitung nach der vom Künst-
ler selbst gewählten Darstellungsart.“ Wo-
mit sie freilich nicht automatisch Vorfahrt
habe, sondern umso eher, je mehr sie in ein
künstlerisches Konzept eingebunden sei.
Für den Gangsta-Rap ist das deshalb
relevant, weil er aus der Welt der Ghettos
stammt, aus einer Welt krimineller Lebens-
stile. Das ist das Thema der Kunstform
Rap, daraus stammen die Elemente, derer
er sich bedient: Gewalt, Verbrechen, Sexis-
mus, Homophobie. Das Dilemma liegt
freilich darin, dass genau diese Elemente
sein jugendgefährdendes Potenzial ausma-
chen. Wo soll man die Grenze ziehen?

Die Bundesprüfstelle zieht sie dort, wo
der Gangsta gleichsam aus einer comic-
haften Welt heraustritt. „Wenn Kinder in
der Lage sind zu sehen, dass das eine
Kunstfigur ist, dann wird ein Song nicht in-
diziert“, sagt die Vorsitzende Martina Han-
nak. Wenn die Kraftmeiereien also erkenn-
bar übertrieben sind, wenn es eine fiktive,
abstrakte Welt bleibt, in der man sich als
cooler Macker geben kann – dann ist das
kein Fall für den Index. Die rote Linie ver-
läuft dort, wo sich der Rapper sozusagen
als falsches Vorbild für die reale Welt gera-
dezu aufdrängt, mit einem Menschenbild,
in dem Gewalt das einzige Mittel der
Konfliktbewältigung ist und das Ego sich
durch Demütigung anderer aufpumpt. Wo
also die Gefahr besteht, dass ein Hass- und
Gewalt-Rap nicht nur den Sound für den
Schulhof setzt, sondern auch in die Herzen
dafür anfälliger junger Menschen kriecht.
In „Sonny Black“ heißen Homosexuelle
„Schwuchtel“, „Schwanzlutscher“ oder
„Tucken“, Frauen werden „Fotze“, „Bitch“
der „Nutte“ genannt. Sozialethisch nicht
vertretbar und desorientierend für Jugend-
liche, befand die Prüfstelle.
Dass verbales Spiel und wirkliche Welt
verschwimmen, ist auch deshalb nicht
fernliegend, weil Rapper – um authentisch
zu wirken – gern mit einer kriminellen
Vergangenheit kokettieren. Interessant
und vielleicht auch für den Kontext soziale
Medien lehrreich: Die Prüfer unterstellen
keineswegs, dass aus Worten immer Taten
werden. Dass also 14-Jährige Bushido-
Fans Konkurrenten gnadenlos niederprü-
geln. Es sei nicht davon auszugehen, dass
die Lines aus „Sonny Black“ eins zu eins
umgesetzt würden. Die Gefahr liegt aus
ihrer Sicht vielmehr darin, dass eine ver-
rohte Sprache Haltungen formt – zumal
bei jungen Menschen. Sie erhielten die kon-
sequente Botschaft, dass Demütigungen,
Rücksichtslosigkeit und Gewalt Umgangs-
formen seien, die von der Gesellschaft
toleriert würden.
Es ist ein fast schon altmodisch wirken-
der Erziehungsauftrag, den die Bundes-
prüfstelle verfolgt – der Auftrag, zumin-
dest die Chance auf eine wertebezogene
Erziehung aufrechtzuerhalten, wo brutale
Sprache sich nicht in die Köpfe der Kinder
drängt. Es gehe um die Mutter aller Werte,
sagt Martina Hannak, um Empathiefähig-
keit. Und dies sei durchaus modern: „Da-
mit kann man im Zeitalter der Digitalisie-
rung vielen Problemen begegnen.“

(^2) THEMA DES TAGES Mittwoch, 30. Oktober 2019, Nr. 251 DEFGH
Im Jahr 2011 erhielt er
einen Bambi für Integration,
was heftige Kritik hervorrief
Vorsicht,
Nachahmer

Jugendschützer halten es für gefährlich, wenn
die Grenze von brutaler Sprache und Realität verwischt wird
„Ich hoffe, ihr habt euren Spaß gehabt“: Bushido ist einer der erfolgreichsten – und umstrittensten – deutschen Rapper. FOTO: IMAGO/FUTURE IMAGE
Rapper kokettieren
gerne mit einer
kriminellen Vergangenheit
Man kann nicht behaupten, dass
die Prüfer einem angestaubten
Kulturbegriff anhingen

Hassrede oder freie Meinungsäußerung?Das Bundesverwaltungsgericht wird an diesem Mittwoch über Songs des Berliner Rappers Bushido
verhandeln. Die Bundesprüfstelle hält sie für frauenfeindlich, homophob und überhaupt verrohend und hatte den Verkauf an
Minderjährige verboten. Doch in dem Verfahren geht es nicht allein um Jugendschutz, sondern auch um die Grenzen des Sagbaren
Pöbeln als Geschäftsmodell
Frauen bedrohen, Männer verprügeln, Drogen verkaufen: Mit welchen Liedtexten Bushido erfolgreich wurde
**+ Krimibeilage



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