Süddeutsche Zeitung - 30.10.2019

(C. Jardin) #1
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München – Horst Seehofer hat einen Asyl-
Plan, und von dem will er seine europäi-
schen Kollegen überzeugen: Das Schutzbe-
gehren von neu angekommenen Flüchtlin-
gen soll künftig gleich an der europäischen
Außengrenze geprüft werden. In Ländern
wie Griechenland, Italien oder Spanien sei
die erste, grundlegende Entscheidung zu
treffen: Aussicht auf Asyl? Ja – also weiter
in einen Aufnahmestaat. Nein – zurück ins
Herkunftsland. Die Einteilung in zwei

Gruppen gleich hinter der Grenze wäre das
Grundprinzip einer neuen, europäischen
Asylpolitik, wie sie dem Bundesinnenmi-
nister von der CSU vorschwebt. Das aktuell
gültige Dublin-Verfahren, wonach der eu-
ropäische Staat für einen Flüchtling zu-
ständig ist, den dieser zuerst betritt, sei „ge-
scheitert“, konstatiert Seehofer. „Dieses
System funktioniert schon lange Zeit nicht
mehr.“
Deshalb brauche es „eine neue Philoso-
phie“, um die „Migrationsfrage“ zu beant-
worten, das sei eines der wichtigsten politi-
schen Themen überhaupt. Zwar habe in
Deutschland die Zuwanderung nachgelas-
sen, international gesehen sei der Druck
aber weiterhin hoch, auch wieder auf der
sogenannten Balkanroute. Über seine Phi-
losophie hat Seehofer in der Münchner Re-
sidenz mit seinen Amtskollegen aus der
G-6-Gruppe gesprochen, ihr gehören
Großbritannien, Italien, Polen, Spanien
und Frankreich an. Es sei „sehr vernünftig
diskutiert“ worden, sagt Seehofer, soll hei-
ßen: Keiner habe gesagt, dies und das geht
überhaupt nicht.
Deutschland will die Abschiebungen
künftig unter europäischer Regie stattfin-
den lassen, organisiert von Frontex, der
Grenzschutzagentur. Auch der Kontakt zu
den Herkunftsstaaten der Migranten solle
zentral über die EU laufen, davon ver-
spricht sich Seehofer mehr Rücknahmebe-
reitschaft, als wenn jedes EU-Mitglied ein-
zeln verhandle. Wen Europa reinlässt, der
soll sein Asylverfahren in einem der Staa-
ten durchlaufen, die sich am Verteilsystem
beteiligen.

Seehofer will nicht mehr lange warten,
„wir brauchen dringender denn je ein euro-
päisches Regelwerk.“ Dieses möchte er
bald beschlossen wissen: während der
deutschen EU-Ratspräsidentschaft, im
zweiten Halbjahr 2020 also. Wie man die
EU kennt, dürfte das aber unwahrschein-
lich sein. Es sei noch viel zu klären, räumt
auch der Innenminister ein. So müsse es
für Abgelehnte auch an der Außengrenze
Rechtsschutz geben, also die Möglichkeit,
gegen das Nein gerichtlich vorzugehen.
Und wie könnte eine „flexible Solidarität“
funktionieren, bei der die einen Länder
Flüchtlinge aufnehmen, andere einfach
nur Geld geben und die nächsten Personal
bereitstellen? Falls Frontex tatsächlich die
Abschiebungen übernimmt: Sollen die EU-
Beamten dann die Flüchtlinge auf der
Heimreise lediglich begleiten oder bekom-
men sie mehr Kompetenzen? Nach derzeiti-
gem Plan soll Frontex bis 2027 auf 10 000
Beamte aufgestockt werden, das aber müs-
se schneller gehen. Über allen Detailfra-
gen, sagt Seehofer, stehe der Kampf gegen
Schleuser und die bessere Zusammenar-
beit mit den Herkunftsstaaten. Alles, was
man auf europäischer Ebene löse, sei bes-
ser als der Status quo. bernd kastner

interview: karoline meta beisel

In London diskutierten die Parlamentarier
am Dienstag über Neuwahlen. In Brüssel
wartete Michel Barnier, Chef-Unterhänd-
ler der EU für den Brexit, wie die Sache aus-
geht. Zeit für ein Gespräch mit der SZ und
anderen europäischen Zeitungen, für eine
Rückschau und einen Blick nach vorn.

SZ: Am Montag haben Großbritannien
und die verbleibenden EU-Länder eine er-
neute Verschiebung des Brexit-Termins
vereinbart. Der britische Premier Boris
Johnson will jetzt eine Zusicherung, dass
das die letzte Verschiebung war. Können
Sie ihm dieses Versprechen geben?
Michel Barnier: Je früher das Unterhaus
den jetzt ausgehandelten Vertrag bestä-
tigt, umso besser. Aber das hängt nicht von
uns ab, sondern von der Lage in Großbri-
tannien. Wenn Großbritannien nicht um
eine weitere Verlängerung bittet, dann gibt
es auch keine Verlängerung.

Und wenn es nun zu Neuwahlen kommt?
Dann müssen wir sehen, was Großbritanni-
en dann machen will.
Würde es etwas ändern, wenn es in Groß-
britannien eine neue Regierung gäbe?
Die Probleme, die zu lösen sind, bleiben
die gleichen, und die Lösungen wären auch
die gleichen.

Schon nach dem Deal, den Theresa May
mit der EU ausgehandelt hatte, haben die
verbleibenden Mitgliedstaaten ausge-
schlossen, erneut über den Austrittsver-
trag zu verhandeln. Dann haben sie es
doch getan. Und jetzt heißt es erneut: Wir
werden nicht mehr verhandeln. Warum
sollte das diesmal jemand glauben?
Als Boris Johnson im Juli als neuer Premier
zu uns kam, hat er zwei Dinge gefordert: Er
wollte keinen Backstop und raus aus der
Zollunion. Was hätten wir tun sollen? Ein-
fach Nein sagen? Dann hätte es einen har-
ten Brexit gegeben. Also haben wir eine an-
dere Lösung gesucht. Und wir haben auch
eine gefunden, eben jenen Deal, den wir
jetzt mit Johnson vereinbart haben.

Waren die Verhandlungen mit Boris John-
son anders als die mit Theresa May?
Es gibt einen riesigen Unterschied im Ge-
genstand der Verhandlungen: Mit Theresa
May haben wir zwei Jahre lang einen
600-seitigen Vertrag ausgehandelt. Mit Bo-
ris Johnson haben wir im Vergleich nur
kurz verhandelt, über einige sehr wichtige,
letztlich aber wenige Punkte. Das meiste
von dem, was wir mit May vereinbart hat-
ten, hat er ja akzeptiert.

Theresa May wurde bisweilen Planlosig-
keit vorgeworfen, bei Johnson dagegen
vermuteten viele einen geheimen Master-

plan. Frankreichs Präsident Emmanuel
Macron lobte ihn neulich gar als „Staats-
chef mit einer klaren Vision“...
Natürlich sind das unterschiedliche Per-
sönlichkeiten, aber es steht mir nicht zu,
mich dazu zu äußern. Ich respektiere bei-
de. May war sehr mutig und hartnäckig,
und Johnson ist auch hartnäckig, ein star-
ker Charakter.

Unter den Staats- und Regierungschefs
sind einige mehr oder weniger offen da-
für, dass Großbritannien Teil der EU
bleibt, auch Ratspräsident Donald Tusk.
Hat das ihre Verhandlungen beeinflusst?
Ich glaube, alle Staats- und Regierungs-
chefs haben die Entscheidung des briti-
schen Volkes bedauert, die EU zu verlas-
sen. Das war wie ein Elektroschock am
Morgen nach dem Referendum. Dass es im
Detail unterschiedliche Befindlichkeiten
gibt, ist normal, vor allem, wenn es um ein
so ernstes Thema geht.
Emmanuel Macron war in den Verhand-
lungen besonders streng, was eine mögli-
che Verlängerung angeht.
Er wollte vermeiden, als Signal zu senden,
dass wir trödeln oder den Willen des briti-
schen Volkes nicht umsetzen wollen, so ha-
be ich das verstanden.

Glauben Sie, dass Großbritannien den Bre-
xit jemals bewältigen wird?
Viele haben die vielfältigen Konsequenzen
des Brexit unterschätzt. Auch wir müssen
mit diesen Konsequenzen leben, aber
Großbritannien wird viel schwerer daran
zu tragen haben, und es ist nicht leicht, das
hinzunehmen. Das Land muss sich jetzt
demokratisch organisieren, um den Ver-
trag anzunehmen, damit wir beginnen kön-
nen, die künftigen Beziehungen auszu-
handeln.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ge-
sagt, Großbritannien wird künftig ein
Konkurrent der EU sein. Teilen Siedie Ein-
schätzung?
Ja, aber ich halte Konkurrenz für etwas Gu-
tes, für einen Teil des Lebens. Die Frage ist
nur: Wird Großbritannien ein fairer Kon-
kurrent sein, oder einer mit Dumpingprei-
sen? Wir werden nicht naiv in diese Ver-
handlungen gehen, aber wir sind an kons-
truktiver Zusammenarbeit interessiert.

Je nachdem wann der Brexit stattfindet,
haben Sie nur elf bis maximal 13 Monate,
um die künftigen Beziehungen auszuhan-
deln, bis Ende 2020. Reicht das?
Die Frist kann um ein oder zwei Jahre ver-

längert werden, aber Sie haben recht, das
ist zu wenig Zeit, um alle wichtigen Punkte
zu klären. Wir müssen also Prioritäten set-
zen. Das sind für uns vor allem die künfti-
gen Handelsbeziehungen und Aspekte der
inneren und äußeren Sicherheit.
Dann ist eine Verlängerung der Über-
gangsphase unausweichlich?
Nein, das kann man heute noch nicht sa-
gen. Das hängt auch vom guten Willen der
Beteiligten ab. Ich glaube, dass es möglich
ist, in dieser Zeit ein Freihandelsabkom-
men auszuhandeln. Wir fangen ja auch
nicht bei null an. Für andere Themen wer-
den wir erst einmal Übergangsregeln brau-
chen. Man darf auch nicht unterschätzen,
wie schwierig es wird, ein Freihandelsab-
kommen in allen Mitgliedstaaten zu ratifi-
zieren. In der neuen Task Force wird es dar-
um einen Beamten geben, der sich um den
engen Kontakt zu den nationalen Parla-
menten kümmert.

Hat der Brexit für Sie auch etwas Gutes?
28 Länder unter einen Hut zu bringen ist
nicht leicht, und das war es auch nie: Wir
sind kein Bundesstaat und wir wollen auch
keiner sein, wir sind 28 Völker mit 24 Spra-
chen. Der Brexit hat aber gezeigt, dass wir
mit den richtigen Verfahren und ausrei-

chend Zeit vereint sein können. Diese Er-
fahrung können wir auch für andere Her-
ausforderungen nutzen.

Was, wenn Großbritannien am Ende doch
bleiben will. Wäre das eine gute Idee, so
gespalten wie das Land inzwischen ist?
Diese Möglichkeit erwähnen einige Staats-
und Regierungschefs. Entscheiden müs-
sen das allein die Briten, genau wie es ihre
Entscheidung ist, die Union zu verlassen.

Glauben Sie, dass es jemals zum Brexit
kommt?
Ich glaube, dass die geäußerten Wünsche
darauf hindeuten, ja. Als politischer
Mensch will ich aber auch sagen, dass man
aus dem Brexit Lehren ziehen muss.
Inwiefern?
Großbritannien ist nicht das einzige Land,
in dem es Probleme gibt. Auch in anderen
Ländern gibt es populistische und europa-
kritische Strömungen. Viele Bürger fühlen
sich nicht ausreichend beschützt, man-
cherorts gibt es zu wenig öffentliche Ein-
richtungen. Das liegt nicht alles in der
Hand der Europäischen Union, aber sie
muss sich dem stellen. Das ist die Aufgabe
der neuen EU-Kommission, des Europäi-
schen Rates und auch des EU-Parlaments.

Thema beim G-6-Treffen war auch die See-
notrettung: „Wenn wir bei der kleinen Fra-
ge der Seenotrettung nicht zu einer Über-
einstimmung kommen, brauchen wir mit
großen Fragen der Migrationspolitik gar
nicht erst anzufangen“, sagte Seehofer. Es
bleibe dabei: Deutschland übernimmt ei-
nen Teil der auf dem Meer Geretteten,
schließlich sei deren Zahl sehr klein. In den
letzten 15 Monaten habe man 229 Men-
schen von Schiffen aufgenommen, wäh-
rend auf dem Landweg im Schnitt 400
kommen – an einem einzigen Tag. Es dür-
fe sich aber kein „Shuttledienst“ zwischen
Libyen und Italien etablieren, so Seehofer.
Um dem vorzubeugen, wolle er mit den
Rettungsschiffen unter deutscher Flagge
einen „Verhaltenskodex“ vereinbaren. Die
Retter erfüllten eine wichtige, humanitäre
Aufgabe, sie dürften aber nicht das Ge-
schäft der Schleuser erledigen. BEKA

Berlin – Die Kindertagesstätte ist ein be-
liebter Forschungsgegenstand: Wie wirkt
sich der Kitabesuch auf die Kommunikati-
onsfähigkeit von Kindern aus? Was sagen
Bindungsforscher zur Krippe für die Jüngs-
ten? Welche Rolle spielt der Kindergarten
für Kinder, die zu Hause nicht Deutsch
sprechen? Für wie viele Kinder sollte eine
Erzieherin höchstens zuständig sein? Zu
all diesen und vielen weiteren Fragen gibt
es reichlich Zahlen und Studien. Nun ist
eine weitere hinzugekommen, die sich
aber mit einem anderen Aspekt befasst.
Nämlich dem, was der Kitabesuch mit den
Eltern der Kitakinder macht.
Das Deutsche Institut für Wirtschafts-
forschung (DIW) und das Zentrum für Eu-
ropäische Wirtschaftsforschung (ZEW) ha-
ben untersucht, wie es sich auf die Integra-
tion von geflüchteten Familien auswirkt,
wenn deren Kinder hierzulande eine Kin-
dertagesstätte besuchen. Dass die Antwort
„positiv“ lautet, ist zwar nicht wirklich
überraschend – wer Kitakinder hat, kennt
den vereinnahmenden Charakter von Kin-
dertagesstätten mit Blick auf die Eltern-
beteiligung. Die Deutlichkeit des positiven
Effekts aber, vor allem auf die Mütter, ist
durchaus interessant.

Bei geflüchteten Müttern mit Kitakin-
dern nämlich liegt der sogenannte Integra-
tionsindex 42 Prozent über dem von
Müttern, deren Kinder nicht in den Kinder-
garten gehen. Bei den Eltern insgesamt
sind es 24 Prozent. „Die Eltern dieser Kin-
der kommen über den Kitabesuch mit an-
deren Eltern und Kindern und damit auch
der deutschen Gesellschaft in Kontakt“,
schreiben die Wissenschaftler und verwei-
sen auf das Bringen und Holen, auf die Kita-
feste und auf das, was die Kinder aus ih-
rem Kitaalltag an Erzählungen und Vorstel-
lungen nach Hause „mitbringen“.
Die Studie, die an diesem Mittwoch ver-
öffentlicht wird und der SZ vorab vorlag,
macht die Integration von Flüchtlingen un-
ter anderem an deren Deutschkenntnissen
und der Arbeitsmarktorientierung fest,
aber auch an der Tatsache, wie sehr sie ihre

Heimat vermissen. Gefragt wurde zudem
nach der Zahl der deutschen Bekannten,
und ob sich die Familien in der deutschen
Gesellschaft ausgeschlossen oder sozial
isoliert fühlen. In all diesen Punkten
schneiden geflüchtete Eltern mit Kitakin-
dern besser ab als solche, deren Kinder
nicht in den Kindergarten gehen.
Grundlage der Untersuchung sind Da-
ten des Sozio-oekonomischen Panels, ei-
ner Langzeitbefragung von Haushalten. In
zwei Durchgängen, 2016 und 2017, wurden
5859 Geflüchtete befragt; die Studie soll
Aussagen treffen über Personen, die zwi-
schen 2013 und 2016 nach Deutschland ka-
men. Grundsätzlich, so das Ergebnis, seien
Männer besser integriert als Frauen. Auf
die Integration der Mütter hat der Kitabe-
such der Kinder auch deshalb eine so star-
ke Wirkung, weil diese oft erst durch diese
Form der Kinderbetreuung die Möglich-
keit haben, einen Sprach- oder Integrati-
onskurs zu besuchen. Die Forscher haben
sogar herausgefunden, dass bei Müttern
mit mindestens einem Kindergartenkind

der Kitaeffekt stärker auf die Integration
der Mütter – vor allem die Sprachkenntnis-
se – wirkt als deren eigener Bildungsstand.
Es sind also nicht nur die Kinder, die durch
den Kitabesuch besser und schneller
Deutsch lernen, sondern auch ihre Mütter.
Noch aber gehen Kinder ohne Fluchthin-
tergrund häufiger in den Kindergarten als
Flüchtlingskinder: Während aus der ers-
ten Gruppe rund 90 Prozent aller Dreijähri-
gen eine Kita besuchen, sind es nur knapp
60 Prozent der Dreijährigen aus Flücht-
lingsfamilien. Bei den Zweijährigen insge-
samt sind es im Westen 49 und im Osten
79 Prozent, aus Flüchtlingsfamilien nur
24 Prozent. Und selbst bei den Vier- und
Fünfjährigen bleibt ein Unterschied. „Kin-
der Geflüchteter sollten möglichst frühzei-
tig einen Platz in einer qualitativ guten Kin-
dertagesbetreuung bekommen können“,
schreiben die Wissenschaftler. Kinderta-
geseinrichtungen könnten so „eine doppel-
te Integrationsrendite erwirtschaften“. Mit
Blick auf die Kinder und deren Eltern.
henrike roßbach  Seite 4

Kodex für Retter


Hongkong – Hongkongs Behörden
haben den prominenten Bürgerrechtler
Joshua Wong von der Kandidatur bei
der Kommunalwahl im November aus-
geschlossen. Die Entscheidung sei poli-
tisch motiviert, sagte Wong(FOTO: AFP)am
Dienstag. Von den mehr als 1100 Kandi-
daten für die Wahl im November sei er
als einziger ausgeschlossen worden. Die
Regierung von Hongkong erklärte, ein
Bewerber sei nicht zugelassen worden,
weil er gegen das Wahlgesetz verstoßen

habe, dass das Eintreten für die Selbst-
bestimmung verbiete. Wong wurde
nicht namentlich genannt. Der 23-Jähri-
ge sagte, die Begründung sei vorgescho-
ben. „Jeder weiß, dass der wahre Grund
meine Identität ist.“ In der Vergangen-
heit war den Kommunalwahlen, die
stets von China-freundlichen Bewer-
bern dominiert wurden, wenig Aufmerk-
samkeit geschenkt worden. Die Unru-
hen der vergangenen Monate sorgten
jedoch dafür, dass sich dieses Mal eine
Rekordzahl von Kandidaten und Wäh-
lern registrieren ließ. reuters

Deutschland will, dass
Abschiebungen künftig unter
europäischer Regie stattfinden

„May war sehr mutig
und hartnäckig, und Johnson
ist auch hartnäckig.“

Seehofers Asyl-Philosophie


Innenminister will, dass Migration durch die EU geregelt wird


Hamburg – Nach dem zweimaligen
Abbruch seiner Vorlesungen hat der
AfD-Mitbegründer Bernd Lucke eine
Online-Vorlesung abgelehnt und will
stattdessen seine Verfassungstreue
überprüfen lassen. „Leiten Sie bitte ein
Disziplinarverfahren gegen mich ein“,
forderte er Hamburgs Wissenschaftsse-
natorin Katharina Fegebank (Grüne) in
einem von derZeitmoderierten Streitge-
spräch auf. Damit wolle er beweisen,
dass er stets aus innerer Überzeugung
und aktiv für die Verfassung eingetre-
ten sei. „Ich dürfte kein Beamter sein,
wenn die Vorwürfe des Asta zuträfen.“
Die Studierendenvertretung Asta hatte
zu den Protesten gegen ihn aufgerufen.
Die Universität hatte die Variante einer
digitalen Vorlesung ohne Präsenz von
Lucke ins Spiel gebracht. dpa

Berlin – Erneut hat es in Berlin einen
antisemitischen Angriff gegeben. Dabei
wurde ein 70-jähriger Mann am Mon-
tag in Berlin-Pankow von einem Unbe-
kannten durch Schläge am Kopf ver-
letzt, wie die Polizei am Dienstag mitteil-
te. Der 70-Jährige ging am Montagnach-
mittag auf der Busonistraße im Stadt-
teil Karow spazieren, als er antisemi-
tisch beleidigt wurde. Er wehrte sich
verbal, woraufhin der Angreifer ihn zu
Boden schlug. Eine Passantin sorgte
dafür, dass der Angreifer flüchtete. Der
für politische Taten zuständige Staats-
schutz der Kriminalpolizei ermittelt.
Berlins Regierender Bürgermeister
Michael Müller verurteilte die Tat
scharf. „Es darf nicht sein, dass am
helllichten Tag ein Spaziergänger antise-
mitisch beleidigt und dann geschlagen
wird, wenn er sich verbal zur Wehr
setzt. Das sind Geschehnisse, die in
unserer Stadt angesichts unserer Ge-
schichte einfach nicht passieren dür-
fen“. Dies sei ein Geschehen, „für das
ich mich einmal mehr schäme“. dpa

Wien – Der Argentinier Rafael Grossi
wird neuer Chef der Internationalen
Atomenergiebehörde (IAEA). Der
58-Jährige erhielt am Dienstag die benö-
tigte Zweidrittelmehrheit im IAEA-Gou-
verneursrat und setzte sich damit ge-
gen den kommissarischen Chef Cornel
Feruta aus Rumänien durch. Grossi
folgt dem Japaner Yukiya Amano nach,
der im Juli im Alter von 72 Jahren ge-
storben war. Amano leitete die IAEA
knapp zehn Jahre. Die Atomenergiebe-
hörde spielt weltweit eine entscheiden-
de Rolle bei der Überwachung der fried-
lichen Nutzung der Kernenergie. So
überprüft die IAEA seit 2016 mit stren-
gen Kontrollen die Einhaltung der Aufla-
gen des Atomabkommens mit Iran.
Grossi war von 2010 bis 2013 Kabinetts-
chef der IAEA unter Amano und zuletzt
Botschafter Argentiniens in Österreich
sowie bei den UN in Wien. Der 58-Jähri-
ge gilt als sehr ambitioniert. Schon län-
ger wurde ihm nachgesagt, dass er den
Chefposten bei der IAEA anstrebe. Die-
se Ambitionen sollen auch zu Spannun-
gen mit Amano geführt haben, auf-
grund derer Grossi 2013 seinen Job bei
der Atomenergiebehörde aufgab. Nach
dem Tod Amanos bewarb er sich als
Erster um den Posten des Generaldirek-
tors. Nach seiner Wahl sagte Grossi,
dass sein Ansatz für die Kontrollmissio-
nen der IAEA von Entschlossenheit und
Fairness geprägt sei. Mit den Medien
wolle er eng zusammenarbeiten. Sein
Vorgänger Amano war immer wieder
dafür kritisiert worden, dass die IAEA
unter ihm nur zurückhaltend Informati-
onen an die Öffentlichkeit gab. Der
Argentinier hatte schon vor der Abstim-
mung angekündigt, dass er die IAEA
„nachkalibrieren“ wolle, um Themen
wie die nukleare Sicherheit stärker in
den Mittelpunkt zu stellen. dpa

Doppelt positiv


Wenn Flüchtlingskinder in die Kita gehen, sind auch ihre Eltern besser integriert


Mütter haben erst durch
Kitas die Zeit für einen
Sprach- oder Integrationskurs

(^6) POLITIK Mittwoch, 30. Oktober 2019, Nr. 251 DEFGH
„Viele haben die Konsequenzen des Brexit unterschätzt“
Der EU-Chefunterhändler Michel Barnier spricht im Interview über Theresa May und Boris Johnson als Verhandlungspartner,
warum Großbritannien nach dem Austritt aus der Gemeinschaft ein Konkurrent sein wird und was die neue Kommission angehen muss
„Viele Bürger fühlen sich nicht ausreichend beschützt“, sagt Michel Barnier über die Defizite der Europäischen Union. FOTO: FRANCISCO SECO/AP
Was Kinder aus ihrem Kita-Alltag an Erzählungen nach Hause mitbringen, vermit-
telt viel von der deutschen Gesellschaft. FOTO: ALESSANDRA SCHELLNEGGER
Lucke geht nicht online
Antisemitische Attacke
Wong darf nicht in die Politik
Grossi wird IAEA-Chef

KURZ GEMELDET
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