Handelsblatt - 30.10.2019

(Barry) #1

Regina Krieger Rom


M


atteo Salvini ist zu-
rück – zumindest
auf regionaler Ebe-
ne. Bei den Wahlen
in Umbrien am Wo-
chenende triumphierte seine rechts-
populistische Lega haushoch. „Ein
toller Tsunami“, sagte Salvini, der
seine Partei vor drei Monaten auf na-
tionaler Ebene in die Opposition ge-
schickt hatte. Die sozialdemokrati-
sche Partito Democratico (PD) und
die links populistische Bewegung
Fünf Sterne fanden sich Anfang Sep-
tember in Rom zu einer neuen Regie-
rung zusammen. Bei der Wahl im
kleinen Umbrien erhielten sie nun ih-
re erste Ohrfeige.
Der populistische Gegenwind wird
stärker, die Streitereien innerhalb der
noch jungen Koalition nehmen zu –
und die Ungeduld mit der neuen Re-
gierung auch. „Wann beginnen sie
endlich zu regieren, statt zu strei-
ten?“, titelt „La Repubblica“.
In der Flüchtlingspolitik etwa wur-
den Salvinis Anweisungen, die italie-

nischen Häfen für Rettungsschiffe zu
schließen, zwar zurückgenommen,
aber politischen Fortschritt gibt es
nicht. Nach der Innenministerkonfe-
renz auf Malta im September wurde
in Rom ein Abkommen über die Ver-
teilung von Flüchtlingen gefeiert,
doch schon beim nächsten Treffen
ruderten die Minister zurück.

Täglicher Haushaltsstreit


In der Industriepolitik wurde die Ret-
tung der angeschlagenen Fluggesell-
schaft Alitalia erneut verschoben und
ein neuer Überbrückungskredit des
Staates gebilligt. Unternehmer mah-
nen Geld für Infrastrukturmaßnah-
men an und fordern, dass die zuge-
sagte Kappung der Lohnnebenkosten
endlich umgesetzt wird.
Den Haushaltsentwurf für das
kommende Jahr mit einem Defizitziel
von 2,2 Prozent schickte die Regie-
rung zwar pünktlich nach Brüssel.
Aber die Regierung hat das Paket,
über das zurzeit im Parlament debat-
tiert wird und das bis Jahresende ver-

abschiedet werden muss, nur „unter
Vorbehalt“ beschlossen. Seitdem
streiten PD und Fünf Sterne täglich
über Änderungen.
„Das Wahlergebnis in Umbrien
kann als Ablehnung der Maßnahmen
im neuen Haushalt interpretiert wer-
den“, kommentiert die Wirtschafts-
zeitung „Il Sole 24 Ore“. Den Wählern
hätten angekündigte Maßnahmen
wie strenge Strafen für Steuerhinter-
zieher, Sanktionen gegen den Ge-
brauch von Bargeld und Steuern auf
Plastikverpackungen nicht gefallen.
Die Budgetvorlage sei kein großer
Wurf, sagt Ökonom Francesco Dave-
ri, aber immerhin ein Versuch, in
wachstumsarmen Zeiten seriöse
Haushaltspolitik zu machen. Doch
langsam müsse die Regierung nun
liefern.
Positiv ist der Effekt der neuen Re-
gierung an den Märkten. Der Risiko-
aufschlag auf italienische Papiere ist
seit Amtsantritt der Regierung im
September erheblich gesunken und
spart der Staatskasse Geld. „Allein
das Ende der europaskeptischen Po-
pulistenregierung hat einen positiven
Wert, der sich in erheblichen Einspa-
rungen bei den Zinsen auf neue
Emissionen zeigt“, meint Daveri.
Unternehmer, Banker und Wissen-
schaftler, sie alle betonen, wie wich-
tig es ist, dass Italien wieder zurück
auf Europakurs und damit berechen-
barer geworden ist.

Neuwahlen 2020?


An baldige Neuwahlen, wie sie Salvi-
ni bei jeder Gelegenheit fordert,
glaubt derzeit trotz der Streitereien in
der Regierung niemand. „Was die
Regierung zusammenhält, ist der
Anti-Salvini-Kleber“, analysiert der
Ökonom Lorenzo Codogno. Jeder Ab-
geordnete wisse, dass ohne die Alli-
anz die Rechte gewinnen würde. Er
geht davon aus, dass die Regierung
das ganze kommende Jahr über hal-
ten wird.
Auch der Politikwissenschaftler
Giovanni Orsina, Direktor der Luiss
School of Government, schätzt die
Wahrscheinlichkeit von Neuwahlen
innerhalb der ersten Hälfte des kom-
menden Jahres auf nur zehn Prozent.
Und der Ökonom Riccardo Illy meint:
„Die Regierung zerfasert, hält aber.“
Der Wille ist groß, den europäi-
schen Partnern Stabilität zu demons-
trieren. Doch der Druck auf Fünf-
Sterne-Chef und Außenminister Luigi
Di Maio wächst, weil seine Partei von
Wahl zu Wahl Stimmen einbüßt. Pre-
mier Giuseppe Conte, noch parteilos,
aber dessen Partei nahestehend,
könnte ihm Konkurrenz machen. Bei
der PD ist unklar, wie sich der Verlust
von Matteo Renzi auswirkt. Der Ex-
Premier hat mit Italia Viva eine eige-
ne Partei gegründet, die die Koalition
zwar stützt, aber der PD auch Stim-
men wegnimmt.
Ende Januar wird in der Region
Emilia-Romagna gewählt, die viel
größer und industriestärker ist als
das kleine Umbrien. In der Gegend
um Bologna sind Großunternehmen
wie Barilla angesiedelt, und auch die
Ferrari-Stadt Maranello gehört dazu.
Es ist eine der letzten „roten“ Bastio-
nen Italiens, wo die sozialdemokrati-
sche PD regiert. Wenn auch die Emi-
lia kippt, so Ökonom Codogno, und
sich der Trend bei anderen 2020 an-
stehenden Regionalwahlen fortsetzt,
könne es im kommenden Jahr doch
zu Neuwahlen in Rom kommen.

Italien


Misslungener Start


in Rom


Von Aufbruch ist bei der neuen Regierung in Rom nichts zu


spüren, stattdessen verrennen sich die beiden Parteien in


Streitigkeiten über den künftigen Haushalt.


Partito
Demo-
cratico

Fünf-
Sterne-
Bewegung

Lega Forza
Italia

Fratelli
d’Italia

Rechtsruck in Italien
Aktuelle Wahlumfrage vom 27.10.2019, Angaben in Prozent

Zum Vergleich: Parlamentswahlen im März 2018


18,0 18,


33,


9,


5,


17,


4,


14, 0


32, 7


18,


HANDELSBLATT Quellen: SWG, Ministero dell'Interno

Die
Regierung in Rom
steht unter
Druck.

AP

Europa
MITTWOCH, 30. OKTOBER 2019, NR. 209

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