Barbara Gillmann Berlin
D
ie Hochschulräte mah-
nen zur Aufholjagd:
„Viele Hochschulrats-
vorsitzende sehen un-
sere Hochschulen vor
elementaren Herausforderungen. Si
müssen sich noch stärker zu Gesta
tern des Digitalisierungsprozesses in
ihren Hochschulen entwickeln und
damit Einfluss auf die Digitalisierung
in Deutschland nehmen“, sagt An-
dreas Barner, langjähriger Chef von
Boehringer Ingelheim und Chef der
Hochschulräte der Universitäten
Mainz und Freiburg. Hochschulräte
sind quasi die Aufsichtsräte an Unis
und Fachhochschulen.
Damit fasst Barner die zentrale
Botschaft einer Umfrage unter 454
Hochschulräten zusammen. Danach
ist die Digitalisierung die mit Abstand
größte Herausforderung der deut-
schen Hochschulen – und zwar in
Forschung, Lehre und Verwaltung.
Die Umfrage des Centrums für Hoch-
schulforschung für den Stifterver-
band und die Heinz Nixdorf Stiftung
liegt dem Handelsblatt vor. Studien
zufolge tun sich die Hochschulen bis-
lang sehr schwer mit der Digitalisie-
rung – einerseits aus Geldmangel,
aber auch weil sie die IT-Spezialisten
an die Wirtschaft verlieren.
Unter den insgesamt 2 161 Räten an
deutschen Hochschulen sind zahlrei-
che Vertreter der Wirtschaft. Auch
zahlreiche Topunternehmer und
-manager nehmen sich die Zeit, eine
Hochschule zu beraten: So engagie-
ren sich etwa Trumpf-Chefin Nicola
Leibinger-Kammüller und Linde-Auf-
sichtsratschef Wolfgang Reitzle im
Hochschulrat der TU München,
Deutz-Aufsichtsratschef Bernd Bohr
leitet den Hochschulrat der RWTH
Aachen. BMW-Anteilseigner Stefan
Quandt bringt seine Erfahrung im
Rat des Karlsruher Instituts für Tech-
nologie KIT ein. Hanns-Peter Knae-
bel, Vorstandschef beim Mannhei-
mer Kunststoffspezialisten Röchling,
leitet den Hochschulrat der Uni Hei-
delberg, in dem auch BASF-Vorstän-
din Saori Dubourg sitzt. Diese Räte
von Exzellenzuniversitäten stehen
für insgesamt rund 500 Unterneh-
mensvertreter in Aufsichtsgremien
der Hochschulen. Abgesandte der
Wirtschaft stellen knapp ein Drittel
der Hochschulräte in Deutschland –
die Hälfte sind Wissenschaftler.
Daneben nennen Räte die Gewin-
nung von exzellenten Wissenschaft-
lern und die Finanzierung als größte
Herausforderung der Hochschulen:
Hier pochen sie auf einen Ausbau der
Grundfinanzierung – also die Basis -
finanzierung, die vor allem die Län-
der leisten. Diese war in der jüngsten
Vergangenheit zunehmend knapper
ausgefallen, sodass die Hochschulen
in wachsendem Maß auf Drittmittel –
also aus Wettbewerben des Bundes
oder der EU, und auf Wirtschaftsauf-
träge angewiesen sind.
Hochschulräte – mitunter auch
Aufsichtsrat, Universitätsrat oder Ku-
ratorium – sind relativ neu: Sie wur-
den seit Ende der 90er-Jahre in allen
Bundesländern eingeführt, mit Aus-
nahme von Bremen. Sie sollen die
Ausrichtung der Hochschule bestim-
men – bis hin zur Einführung von
neuen Studiengängen – und haben
ein Mitbestimmungs- oder Vetorecht
bei der Wahl der Präsidenten und
Präsidentinnen. Besetzt sind sie teil-
weise komplett, mindestens aber zur
Hälfte mit Externen, ihre Befugnisse
variieren je nach Bundesland.
Vorbild waren die Governing Bo-
ards US-amerikanischer Hochschu-
len, die allerdings weit mächtiger
sind. Kritiker fürchteten vor allem zu
Beginn angesichts der Beschneidung
der Selbstverwaltung eine „Entdemo-
kratisierung“ und „neoliberale Umge-
staltung“ der Hochschulen.
„Die Studie verdeutlicht, dass sich
Hochschulräte, auch wenn sie an-
fangs nicht unumstritten waren, als
Teil der Hochschul-Governance etab-
liert haben“, erklärt Horst Nasko, Vor-
stand der Heinz Nixdorf Stiftung. „Die
Einführung der Hochschulräte war
ein entscheidender Schritt für den
Autonomiegewinn von Hochschulen.
Sie haben die Kontrollaufgaben des
Staates erfolgreich übernommen.“
Die Studie zeigt allerdings auch Un-
zufriedenheit: Viele Hochschulräte
wünschen sich eindeutigere Ent-
scheidungsrechte und eine gesetzlich
klar definierte Zuteilung ihrer Rollen
und Aufgaben. Das liege auch daran,
dass „nicht allen Ratsmitgliedern die
Rechte und Pflichten des Gremiums
eindeutig klar sind“, sagt Mathias
Winde vom Stifterverband. Der Wirt-
schaftsverband organisiert die Platt-
form „Forum Hochschulräte“.
Besonders zufrieden mit ihren
rechtlichen Möglichkeiten seien die
Räte vor allem in Hessen, Nordrhein-
Westfalen, Sachsen und Baden-Würt-
temberg – mithin in den Ländern, wo
sie „tendenziell einen stärkeren Ein-
fluss auf die Hochschulentwicklung
haben können“, so die Autoren.
Eindeutig ist die enge Achse Hoch-
schulrat – Rektorat, die über 90 Pro-
zent als gut bewerten. Die Kooperati-
on mit den Senaten – die sich mitun-
ter als Gegenspieler sehen – gelten
nur 70 Prozent als gut. Den Kontakt
zu Fakultäten und Studenten schließ-
lich bezeichnet nur rund die Hälfte
der Räte als positiv. Hier empfiehlt
die Studie „Kritische Freunde“ ein
Umdenken: Es liege im Interesse der
Räte, „einen regelmäßigen konstruk-
tiven, vertrauensvollen Austausch
und eine tragfähige Vernetzung mit
allen relevanten Hochschulgruppen
und Gremien zu pflegen“ – und er-
schließe ihnen zudem weitere Infor-
mationsquellen. Denn sie wollten ja
weder „als verlängerter Arm der
Hochschulleitung wahrgenommen“
werden, noch dass „ihre Fähigkeit
zur kritischen Distanz infrage ge-
stellt“ werde.
Besser sollte nach der Umfrage die
Unterstützung der Hochschulräte
durch die Geschäftsstellen sein. Auch
kennen sich nur sehr wenige Räte im
Hochschulrecht aus. Im Schnitt inves-
tieren Hochschulräte pro Jahr acht
Tage für das Amt, Vorsitzende rund
zwei Wochen. 70 Prozent erhalten
keine Aufwandsentschädigung außer
für Reisekosten. Die übrigen erhalten
im Mittel 400 Euro pro Treffen – die
Spanne reicht von 24 bis 1 500 Euro.
Hochschulen
Hochschulräte pochen
auf Digitalisierung
Aufsichtsräte der Unis wollen mehr Einfluss, zeigt
eine Umfrage des Stifterverbands. Doch sie sollten
nicht nur mit Rektoren kooperieren.
Nicola Leibinger-
Kammüller: Die
Trumpf-Chefin berät
die TU München.
ddp images/Sven Simon,
Andreas Barner: Der
Ex-Boehringer-Ingelheim-Chef
führt die Hochschulräte der
Unis in Mainz und Freiburg.
dpa,
Stefan Quandt:Stefan Quandt: Der BMW-Anteils-Der BMW Anteils
eigner bringt seine Erfahrung im
Rat des Karlsruher Instituts für
Technologie (KIT) ein.
Markus Kirchgessner für Handelsblatt,
Bernd Bohr:Berd Der Deutz-
Aufsichtsratschef leitet
den Hochschulrat der
RWTH Aachen.
picture alliance / dpa,
Gunda Röstel, Prokuristin bei G
Gelsenwasser und Geschäftsfüh-G
rerin der Stadtentwässerung r
Dresden: Chefin des Hochschul-
rats der TU Dresden.
imago/Sven Ellger
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Wirtschaft & Bildung
MITTWOCH, 30. OKTOBER 2019, NR. 209
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