Handelsblatt - 30.10.2019

(Barry) #1

„Wir erleben gerade, wie unanständig


von der Seitenlinie gezündelt wird. (...)


Wir haben in der CDU keine


Führungsfrage. Wer sich gegen


unseren Hamburger Parteitagsbeschluss


stellen will, soll das offen und ehrlich sagen. “


Karin Prien, schleswig-holsteinische CDU-Vizechefin und
Landesbildungsministerin

„Dieser Krieg in Syrien


kann nur politisch


gelöst werden. Jeder


militärische Erfolg, den es


gibt, so groß er auch sein mag,


wird immer nur ein kurzfristiger


bleiben.“


Heiko Maas, Bundesaußenminister


Stimmen weltweit


Die Zukunft der Europäischen Kommission und
ihrer designierten Präsidentin kommentiert die
römische Zeitung „La Repubblica“:

M


an kann nicht sagen, dass das ein gelun-
gener Zug war, als Emmanuel Macron
und Angela Merkel übereinkamen, Ur-
sula von der Leyen für die Führung der neuen
Kommission in Brüssel auszuwählen. Jetzt ver-
geht keine Woche, ohne dass der von Paris und
Brüssel Ausgewählten ein Unfall unterläuft, der
ihr Prestige ankratzt und einen besorgniserre-
genden Schatten auf die Zukunft der Union wirft.
Wir sind schon so weit gekommen, dass ihr
Amtsantritt um einen Monat verschoben werden
musste, um es Frau Ursula zu ermöglichen, nach
der Zurückweisung von drei Kommissarskandi-
daten Ersatz zu finden. (...) In diesem Klima be-
steht das Risiko, dass auch das Urteil des Parla-
ments über die ganze Kommission letzte Überra-
schungen bereithält. Aber auch wenn alles glatt-
ginge, ist ein ernster Schaden schon angerichtet:
Mit von der Leyen wird der Kommission eine
„lame duck“ vorstehen. Mit dem Umstand, dass
der Autoritätsverlust nicht durch Tiefschläge
gnadenloser Feinde gekommen ist, sondern auf
Fehler zurückgeht, die Frau Ursula ganz allein
begangen hat.

Auch die sozialdemokratische Budapester
Tageszeitung „Nepszava“ beschäftigt sich mit
den Wahlergebnissen der Landtagswahl in
Thüringen:

I


mmer mehr Anzeichen deuten darauf hin,
dass das ostdeutsche Bundesland zum
Schauplatz eines interessanten Experiments
werden könnte – wenn nämlich die Linke, die
einzelne Medien immer noch als die Nachfolge-
partei der ostdeutschen Staatspartei (SED) be-
zeichnen, eine Koalition mit der CDU bildet.
Vielleicht wäre das sogar die beste Lösung: Denn
es braucht eine stabile Regierung, um das weite-
imago images / Metodi Popow, dpa, imago images/photothekre Vordringen der AfD aufzuhalten.

Zur Aussicht auf eine Zusammenarbeit
zwischen der CDU und den Linken in
Thüringen schreibt die „Neue Zürcher Zeitung“:

D


ie Konsequenzen aus einem Bündnis zwi-
schen Linkspartei und CDU sind unab-
sehbar. Es gibt keine Erfahrungswerte.
Sollte sich (der Thüringer CDU-Chef Mike) Moh-
ring über den Widerstand in seiner Partei hin-
wegsetzen und das Gespräch mit (dem Linken-
Ministerpräsidenten Bodo) Ramelow vertiefen,
könnte ihm dies durchaus Sympathiepunkte bei
den Thüringer Wählern eintragen. Der Entscheid
wirkte unideologisch und pragmatisch. Für die
Zukunft seiner Partei in Thüringen müsste dies
nicht der Untergang sein.
Die Linkspartei hat die Wahl primär wegen Ra-
melow gewonnen, wenn der 63-Jährige dereinst
zurücktritt, könnte der Zauber seiner Partei
schnell verfliegen. Mit der CDU auf Bundesebene
handelte sich Mohring aber zweifellos sehr viel
Ärger ein, so viel ist unter dem Mantel der Ein-
tracht schon gut erkennbar. Er würde ein Präju-
diz schaffen, das die Beurteilung der gesamten
CDU veränderte.

E


in Jahr ist es her, dass Angela Merkel nach dem
miserablen Abschneiden der CDU bei der Land-
tagswahl in Hessen ihren Rückzug von der Par-

teispitze ankündigte – und mit Annegret Kramp-Karren-


bauer, Jens Spahn und Friedrich Merz drei Bewerber


um den Parteivorsitz ins Feld zogen. Es folgte ein inner-


parteilicher Wettbewerb, welcher der CDU Anerken-


nung einbrachte. Wenige Wochen später fiel auf dem


Parteitag in Hamburg die Entscheidung, die der Partei


und der Regierungskoalition Stabilität versprach: Mit


Kramp-Karrenbauer setzte sich die Wunschkandidatin


der Kanzlerin durch.


Es schien, als sei Merkel geglückt, was vielen vor ihr


misslang: eine geordnete Machtübergabe. Doch dieser


Schein trog, wie sich immer deutlicher zeigt. Nach der


Niederlage in Thüringen wird in der CDU nun wieder


um die Macht gekämpft. Und zwar so heftig, dass


Kramp-Karrenbauer in der Vorwärtsverteidigung ihre


Gegenspieler aufruft, sich aus der Deckung zu wagen.


Die Partei steht wieder dort, wo sie schon vor einem


Jahr war: In Hamburg ging es um den Parteivorsitz, der


später den Weg ins Kanzleramt ebnen sollte. Nun wird
um die Kanzlerkandidatur gerungen, mit der letztlich
der CDU-Vorsitz verknüpft ist.
Die derzeitige Wiederauflage der alten Führungs -
debatte war schon im Hamburger Ergebnis angelegt.
Nur äußerst knapp hatte sich Kramp-Karrenbauer ge-
gen Merz durchgesetzt. Sie hätte schon sehr gute Arbeit
als Parteichefin abliefern müssen, um das Merz-Lager
von sich zu überzeugen. Das Gegenteil ist passiert. Nach
vielen Fehlern und vier Wahlniederlagen zweifeln nicht
nur ihre innerparteilichen Gegner an ihr.
Und so leidet die CDU unter einem Führungsvakuum,
das nicht einfach zu füllen ist. Da ist eine der Innenpoli-
tik weitgehend entrückte Kanzlerin Merkel, die vor al-
lem das Ziel hat, die Große Koalition irgendwie übers
Ziel zu retten. Die angeschlagene CDU-Chefin Kramp-
Karrenbauer hingegen kann nicht richtig reüssieren, so-
lange über ihr die Kanzlerin thront. Und ihre Kontra-
henten Merz und Laschet sticheln zwar und sorgen für
Unruhe in Partei und Koalition, können sich aber auch
nicht aus der Deckung wagen.
Eine schnelle Auflösung der machtpolitischen Selbst-
blockade ist nicht in Sicht. Die CDU ist keine Partei, die
nach einem Jahr ihre Parteivorsitzende stürzen würde.
Und sie will auch nicht der Koalitionspartner sein, der
das schwarz-rote Regierungsbündnis sprengt. Und so
bleibt die vor einem Jahr nur scheinbar geklärte Macht-
frage vorerst offen und quält die CDU weiter. Erlösen
kann sie wohl nur die SPD, wenn sie im Dezember aus
der Großen Koalition aussteigen und den Weg für Neu-
wahlen frei machen würde.

CDU


Ungeordneter Übergang


Kurze Zeit sah es so aus, als
gelänge Merkel eine geordnete
Machtübergabe. Doch nun ist die
Führungsfrage in der CDU wieder
offen, bilanziert Jan Hildebrand.

Der Autor ist stv. Leiter des Hauptstadtbüros.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

Wirtschaft & Politik


MITTWOCH, 30. OKTOBER 2019, NR. 209


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