Martin Buchenau Renningen
A
m Eingang des For-
schungszentrums von
Bosch in Renningen
fahren zwei Modellau-
tos immer im gleichen
Abstand. Wenn das vordere Fahrzeug
lenkt, bremst und hält, dann antizi-
piert das zweite nicht nur jede Bewe-
gung, sondern lernt das Fahrverhal-
ten gleich mit. Das ist nur Spielerei
im Vergleich zum Platooning von 40
Tonnen schweren Lastern. Aber die
Bosch-Techniker wollen nur zeigen,
dass mit dem Bastelcomputer
Raspberry Pie für 35 Euro intelligente
selbstlernende Systeme möglich sind.
Aicon ist die zweite Konferenz des
schwäbischen Stiftungskonzerns zum
Thema Künstliche Intelligenz (KI), zu
der am Dienstag rund 300 Experten
kamen. An den anderen Demonstra-
tionsständen wurde es schon ernster
mit Themen wie digital dosierter Ein-
satz von Pflanzenschutz in der Land-
wirtschaft oder Erkennung von Er-
satzteilen bei Maschineninstandset-
zung. Beim Forschungsprojekt Amira
lernt ein Roboterarm mit Feingefühl,
wie er ein Bauteil findet, indem ein
Techniker den Arm zu dem Bauteil
führt. „Wir müssen das nur wenige
Male wiederholen, dann findet der
Roboter das Teil dank der program-
mierten Algorithmen von allein“, sagt
Markus Spies. Der 35-Jährige hat in
Robotik promoviert und sich für
Bosch entschieden, „weil ich hier
mein Wissen praktisch anwende“.
Bosch-Chef Volkmar Denner freut
sich über die vielen Projekte. Aber
der Konzernchef steht unter Druck.
„I need the big impact projects“, sagt
Denner auf der komplett in engli-
scher Sprache stattfindenden Konfe-
renz. Gemeint sind Anwendungen
mit breiter Wirkung auf das Konzern-
geschäft. Die fehlen trotz vieler guter
Ansätze noch. Denner weiß, dass er
bei seiner Wette auf die Zukunft da-
für einen langen Atem braucht. Und
das wird bei abflauender Konjunktur
im Kerngeschäft immer schwieriger.
Vor zehn Jahren begann Denner, KI
für seinen Konzern zu entdecken.
Sein Forschungschef Michael Bolle hat
ein eigenes Zentrum für Künstliche In-
telligenz aufgebaut. 1000 Mitarbeiter
hat der Konzern an sieben Standorten
immer nahe den besten Universitäten
wie Stanford schon an Bord, 250 da-
von in Renningen. 3000 weitere Ex-
perten sollen hinzukommen. Die Ziele
sind ehrgeizig: Bis nächstes Jahr sollen
alle Bosch-Produkte vernetzt sein, bis
2025 auch Künstliche Intelligenz ent-
halten. 300 Millionen Euro hat Bosch
in KI investiert.
Wichtig ist für die Schwaben dabei
vor allem der Nachschub an klugen
Köpfen. Bosch gründete unter ande-
rem mit der Landesregierung und
den Unis Tübingen und Stuttgart so-
wie dem Max-Planck-Institut die Ini-
tiative Cyber-Valley. Jetzt gab der
Konzernchef weitere 100 Millionen
Euro frei für den Bau eines neuen KI-
Campus in Tübingen. Der erste Bau-
abschnitt soll nächstes Jahr begon-
nen werden. Mit dabei ein Boarding
House mit 40 Wohnungen für Bosch-
Mitarbeiter, Wissenschaftler und Stu-
denten. Zwei Jahre später sollen auf
dem Campus rund 700 KI-Experten
arbeiten. Am Rande des Kongresses
war zu hören, dass auch das Fraun-
hofer-Institut kurz davorsteht, beim
Cyber-Valley einzusteigen.
Aber reicht das, um mit den Inter-
netgiganten in den USA und China
mitzuhalten? Acht Milliarden Dollar
haben Finanzinvestoren in den USA
in Künstliche Intelligenz investiert.
China investiert allein in der Hafen-
stadt Tianjin 16 Milliarden Dollar in
Entwicklung und Erprobung von KI-
Technologien.
Und in Deutschland wird von Be-
teiligungsunternehmen gerade mal
eine halbe Milliarde Euro in KI inves-
tiert. Auch Denner ist das zu wenig.
Aber er sieht Deutschland keinesfalls
abgehängt. „Vor allem in der Verbin-
dung von Internet der Dinge und in-
dustriellen Prozessen mit Einsatz
Künstlicher Intelligenz hat Europa
Stärken, die andere nicht haben“,
sagt Denner. Die Drei-Milliarden-För-
derung der KI durch den Bund be-
deutet international nur Mittelfeld.
Denner fordert eine differenzierte-
re Betrachtung: Die großen IT-Unter-
nehmen aus den USA verdienten ihr
Geld mit datenbasierten Services.
„Die deutsche Wirtschaft muss sich
auf ihre drei Stärken besinnen“, for-
dert Denner. Damit meint der Bosch-
Chef die Herstellung komplexer phy-
sischer Produkte, die Kombination
von Maschinen und Produktdaten so-
wie die Etablierung sogenannter Eco-
Systeme von Wissenschaft, Start-ups
und Unternehmen aller Größenord-
nungen. Denner nennt das industriel-
le KI und will sich damit von den IT-
Giganten abgrenzen. „Bosch geht es
bei Künstlicher Intelligenz nicht da-
rum, den Menschen zu optimieren,
sondern darum, Technik zu optimie-
ren.“
Bis zum Jahresende will Denner ei-
nen Ethik-Kodex für KI vorstellen.
Wer bei Aicon zuhörte, konnte schon
heraushören, in welche Richtung es
geht. Die Systeme müssten robust, si-
cher und erklärbar seien, betonte
Denner, und den Menschen dienen.
Kritik kam von dem niederländi-
schen KI-Forscher und Professor in
Amsterdam für maschinelles Lernen,
Max Welling: „In Deutschland wer-
den zu sehr die Risiken in den Vor-
dergrund gestellt.“ Die deutschen Be-
denken sind allerdings nicht ganz un-
begründet. Wenn beispielsweise
nicht ausgereifte Systeme etwa beim
automatisierten Fahren eingesetzt
werden und es deshalb zu schweren
Unfällen kommt, kann eine ganze
Technologie die Akzeptanz beim
Kunden verlieren und um Jahre zu-
rückgeworfen werden.
Bosch zeigte die intelligentesten
Kameras der Welt, die von der Seite
kommende Fahrradfahrer besser als
das menschliche Auge erkennen und
die Bremsung einleiten. Ein Forscher-
team von Max Planck in Tübingen
warnte am Dienstag, dass optische
Flussalgorithmen in solchen Kameras
durch Farbmuster irritiert werden
können. Die Bosch-Kamera verfügt al-
lerdings über weitere Technologien.
Aber das Beispiel zeigt, wie ernst Si-
cherheitsthemen zu nehmen sind.
Künstliche Intelligenz
Bosch baut neuen
KI-Campus
Dem Cyber-Valley in Tübingen gelingt mit der
Ansiedlung ein bemerkenswerter Erfolg. Selbst das
Fraunhofer-Institut ist interessiert.
Bosch-Chef Denner:
Deutsche Stärken in
der industriellen
Künstlichen Intelligenz.
Bosch
Uns geht es
bei KI nicht
darum, den
Menschen zu
optimieren,
sondern
Technik zu
optimieren.
Volkmar Denner
Bosch-Chef
Unternehmen & Märkte
MITTWOCH, 30. OKTOBER 2019, NR. 209
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