Handelsblatt - 30.10.2019

(Barry) #1

Gutachten


dienten als


Feigenblätter.


Den meisten


Investoren


war klar, dass


der Profit vom


Staat kommt.


Benjamin Frey
Kronzeuge

Dubiose Deals (Symbolbild)?:
Viele Geschäfte, die Banken jah-
relang betrieben, werden
gerichtlich aufgearbeitet.

E+/Getty Images

René Bender, Sönke Iwersen,
Volker Votsmeier
Bonn/Düsseldorf

B


enjamin Frey ist sicht-
lich nervös, als er den
großen Saal im Landge-
richt Bonn betritt. Es ist
zwar nicht das erste
Mal, dass er in dem wohl größten
Steuerskandal der Republik aussagt.
Ein gutes Dutzend Termine hatte
Frey schon bei der Staatsanwalt-
schaft Köln, dem Recherchenetzwerk
Correctiv gab er Ende 2018 ein langes
TV-Interview. Trotzdem ist sein Auf-
tritt an diesem Dienstag etwas Beson-
deres für den 48-Jährigen. Erstmals
spricht er öffentlich ohne Maske.
Frey ist nicht der echte Name des
Juristen, dem als Kronzeugen im Ver-
fahren um einen Milliardenskandal
eine besondere Rolle zukommt. Er ist
ein Schutz, den er sich aus Furcht
vor Rachegelüste derjenigen zugelegt
hat, gegen die er nun aussagt. Ehe-
malige Geschäftspartner, einflussrei-
che Anwälte, Großbanken und ver-
mögende Investoren. Für das Fernse-
hen verfremdete er deshalb extra
sein Aussehen – ein Luxus, den er
sich vor Gericht nicht leisten kann.
Jeder, der bei der öffentlichen Ver-
handlung anwesend ist, kann ihn
nun sehen und identifizieren. Den-
noch schaltete Frey einen Medienan-
walt ein, um seinen echten Namen
aus Presse und TV herauszuhalten.

Kriminelle Glanzleistung
Zwölf Milliarden Euro soll der Scha-
den der Geschäfte betragen, für die
Frey jahrelang als einer der besten
Experten galt. Wenn man Aktien auf
eine bestimmte Weise mit (cum) und
ohne (ex) Dividendenanspruch han-
delte, konnten sich die Beteiligten
zweimal eine Steuer „erstatten“ las-
sen, die sie nur einmal abgeführt hat-
ten. Der Cum-Ex-Skandal beschäftig-
te bereits 2016 einen Untersuchungs-
ausschuss des Deutschen Bundestags
und hält Staatsanwaltschaften in
ganz Deutschland auf Trab – in Köln
wurde jüngst eine Sonderabteilung
dafür gegründet. Der Präsident des
Kölner Finanzgerichts nannte die Ma-
chenschaften eine „kriminelle Glanz-
leistung“.
Frey ist daran sicher nicht unbetei-
ligt. In mehreren Verfahren wegen
schwerer Steuerhinterziehung wird
er als Beschuldigter geführt, Haftstra-
fen sind möglich. Gleichzeitig ist Frey
aber auch derjenige, der mit seinen
Aussagen bei der Staatsanwaltschaft
den Prozess, der gerade in Bonn ge-
führt wird, wesentlich befördert hat.
Zwei Briten sind beschuldigt, mit
Cum-Ex-Deals einen Schaden von
rund 400 Millionen Euro angerichtet
zu haben. Frey ist Zeuge der Anklage.
Der 48-Jährige kommt im dunklen
Anzug, mit schütterem, kurz geschore-
nen Haar und in Begleitung von zwei
Verteidigern: Tido Park und Alfred
Dierlamm. Drei Tage hat das Gericht
eingeplant, damit Frey alles zu den
Cum-Ex-Geschäften erzählen kann, zu

denen die Richter und die Staatsan-
waltschaft ihn befragen wollen. Als
der Vorsitzende Richter Roland Zickler
Frey das Wort erteilt, legt sich eine ge-
spannte Stille über den Saal.
Der Kronzeuge füllt seine Rolle voll
aus. Frey ist ein Mann, der offenbar
ein Gefühl für Sprache hat. Mit kräfti-
gen Worten schildert er Details darü-
ber, wie die Geschäfte abliefen, mit
denen seine hochvermögenden Kun-
den noch vermögender wurden und
auch er selbst reich. „Turbolader“
nennt er die Methode, die seine
Kanzlei zur Beschleunigung von
Cum-Ex-Geschäften entwickelte.
Fremdkapital, das Großbanken für
sie zur Verfügung stellten, seien „das
Benzin im Tank“ gewesen. Mit „Twis-
ting“, wie er die Arbeit bezeichnet,

hatten Anwälte die Geschäfte stets so
zu drehen, dass sie für die Finanzäm-
ter nicht erkennbar kriminell waren.
Seine Zunft vollrichtete ihren Teil an
der massenhaften Steuerhinterzie-
hung mit einem gewissen Stolz.
2006 beriet Freys Kanzlei den Ber-
liner Immobilieninvestor Rafael Roth.
Frey half, eine Firma zu gründen,
über die Cum-Ex-Geschäfte abgewi-
ckelt werden konnten. Roth bestritt
später jegliche Kenntnis von der Na-
tur dieser Deals. Wer Frey zuhört,
muss dies nicht glauben.
Mit Roth lief sich Frey in Sachen
Cum-Ex praktisch warm, später lief
er heiß. Frey und seine Partner er-
kannten, dass eine GmbH nicht die
beste Variante sei, um sich aus der
Steuerkasse zu bedienen. Wer statt-

dessen als Vehikel einen Investment-
fonds nutzte, kam viel schneller ans
Ziel. Die Kapitalsammelstellen muss-
ten nicht monatelang warten, um
sich die gar nicht abgeführten Steu-
ern „erstatten“ zu lassen. „Solche
Fonds waren von der Steuer befreit,
die Depotbank schrieb sofort die Ka-
pitalertragsteuer gut“, erklärt Frey.
Es ist eine Auskunft, die nicht
überrascht. Das Gericht hat in dem
Bonner Verfahren die Warburg Grup-
pe, BNY Mellon, Hansainvest und So-
ciété Générale vom ersten Tag an zu
Einziehungsbeteiligten gemacht. Ih-
nen drohen Rückzahlungen von rund
400 Millionen Euro.

Langstrumpf-Methode
Die Banken weisen schuldhaftes Ver-
halten von sich oder äußern sich we-
gen des laufenden Verfahrens nicht.
Ganz anders Frey. Rechtliche Beden-
ken seien weggeschoben worden,
sagt der Anwalt. Gutachten zum Frei-
stempeln der Cum-Ex-Geschäfte ha-
be man einkaufen können. „Als Fei-
genblätter“, sagt Frey. Bei Banken
und Investoren habe das Pippi-Lang-
strumpf-Prinzip Anwendung gefun-
den: „Wir machten uns die Welt, wie
sie uns gefällt.“
Wichtig sei dabei auch Lobbyarbeit
gewesen. Ein Feld, bei dem sich vor
allem sein ehemaliger Partner Hanno
Berger hervorgetan habe. Berger, ge-
gen den eine Anklage der General-
staatsanwaltschaft Frankfurt vorliegt,
sei nicht nur der „König des Steuer-
rechts in Deutschland“ gewesen, son-
dern auch ein begnadeter Netzwer-
ker. Bergers Selbstverständnis war
laut Frey, alle Gesetzesänderungen
schon zu kennen, bevor sie stattfan-
den. Berger pflegte Kontakte zu
Funktionären aus dem Deutschen
Sparkassen- und Giroverband, ins
Bundesfinanzministerium und der
Bundesfinanzakademie, sagt Frey.
Teilweise seien Personen zu Vorträ-
gen in die Kanzlei eingeladen und
umfänglich vergütet worden.
Was für Personen waren das, zu
denen Berger so einen engen Draht
hatte, fragt der Richter. Frey nennt
den Namen Arnold Ramackers. Der
Düsseldorfer Finanzrichter habe im-
mer wieder wertvolle Informationen
geliefert. Wenn der Gesetzgeber
dann einen Paragrafen formulierte,
um die Cum-Ex-Methode zu verhin-
dern, hätten vorausschauende An-
wälte wie Berger längst eine Alterna-
tive parat gehabt.
Frey gab nicht nur zu Anwälten de-
tailreich Auskunft, sondern auch zu
Banken. Besonders das Hamburger
Traditionshaus M.M. Warburg blieb
ihm in Erinnerung. 2007 durfte er
Berger zu einem Termin in die Han-
sestadt begleiten. Bank-Legende
Christian Olearius persönlich war zu-
gegen, ein Kellner servierte in Glacé-
handschuhen Kaffee in Tassen mit
Bank-Emblem. Viele Details seien in
kleiner Runde besprochen worden,
sagt Frey. „Auch die integralen Be-
standteile von Cum-Ex-Geschäften?“,
fragt der Richter. Frey: „Ja.“

Cum-Ex-Verfahren


Zeuge der Anklage


Im ersten Strafprozess zum größten Steuerskandal der Republik sagt ein Steueranwalt


als Kronzeuge aus. Er belastet ehemalige Partner.


Finanzen & Börsen
MITTWOCH, 30. OKTOBER 2019, NR. 209

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